SUSPENSE ODER WIE MAN EINEN THRILLER SCHREIBT/PLOTTING AND WRITING SUSPENSE FICTION

Patricia Highsmith erklärt ihre Kunst

Betritt man heute eine „moderne“ Buchhandlung, findet man ja zumeist wenig Bücher, dafür umso mehr Bastelzubehör, Bürobedarf oder Schreibwarenartikel. Hat man sich dann zu diesen Gegenständen mit den harten Außenseiten und den weichen Blättern innendrin vorgearbeitet, stellt man fest, daß man es keinesfalls mit Literatur, nicht mal mit Spannungsliteratur zu tun hat, sondern mit….Ratgebern. Der Ratgebermarkt scheint jenes Feld an Büchern zu sein, das am schnellsten und stetigsten wächst. Ratgeber gibt es so ziemlich zu allem – Garten, Seelenlage, Finanzanlage, Drehbücher, Elternschaft – und natürlich auch zum Thema „Wie schreibe ich einen Beststeller und werde reich und berühmt“. Es wäre zu wünschen, die Autoren letzterer würden sich zumindest die Zeit nehmen, ab und an einen Blick in einen Ratgeber für Ratgeberschreiber zu werfen – oder sich Rat bei den wahren Meistern des Fachs holen, wie zum Beispiel der großen Dame des Suspense-Romans, Patricia Highsmith.

1966 erschien PLOTTING AND WRITING SUSPENSE FICTION (Originaltitel). Seitdem wurde es durch die Autorin mehrere Male redegiert, sonst wäre es ihr nicht möglich gewesen, den Leser u.a. auf den Erfolg des bei Kritikern und Publikum sehr beliebten Romans EDITH`S DIARY (1977) hinzuweisen. Doch gibt sie – naturgemäß – vor allem Auskunft über Entwicklung und Entstehungsprozeß solcher Werke wie THE GLASS CELL (1964; dt: DIE GLÄSERNE ZELLE), A SUSPENSION OF MERCY/THE STORY TELLER (1965; dt: DER GESCHICHTENERZÄHLER) oder THE TWO FACES OF JANUARY (1964; dt: DIE ZWEI GESICHTER DES JANUARS) – Büchern also, die sie relativ kurz zuvor geschrieben, veröffentlicht oder beendet hatte. Highsmith, zu diesem Zeitpunkt schon lange eine etablierte und gefeierte Autorin, gibt in SUSPENSE – erstaunlich bereitwillig und unprätentiös – die Geheimnisse ihrer Arbeit preis und bietet erstaunliche Einblicke in ihr – auch in ökonomischen Belangen – ausgesprochen pragmatisches Denken. Sei es die Frage nach Ablehnung durch Lektoren, sei es jene nach Kürzungen, sei es Kritik oder die Angst davor, sich im Plot oder Aufbau eines Romans zu verstricken, Highsmith berichtet ebenso gleichmütig wie offen von ihrem Umgang mit all diesen Widrigkeiten des Schriftstellerlebens.

Beginnend mit der Idee zu einem Roman, einer Geschichte, einer Story, folgt Highsmith der gesamten Genese eines Suspense-Thrillers, macht einen Abstecher in die Welt der Short Story, arbeitet die unterschiedlichen Anforderungen von Roman und Kurzgeschichte heraus, erklärt die Entwicklung von der Idee, über den Plot hin zur ersten Fassung eines Buches. Sie widmet sich dem Unterschied zwischen den sehr konkreten Problemen, vor denen gerade ein Autor von Spannungsliteratur steht (Polizeiarbeit, medizinische Details, Ablauf des Gefängnisalltags etc.) und den eher abstrakten, die den Autor sogenannter ernsthafter Literatur umtreiben (Beziehungsprobleme, Atmosphäre, Psychologie der Figuren etc.) und verdeutlicht wie nebenher, daß die des einen durchaus auch die des anderen sein können. Sie erklärt die „Stolpersteine“, die sich dem Schriftsteller in den Weg legen: Wie wähle ich die richtige Perspektive? Wähle ich eine Ich-Perspektive oder eine auktoriale Erzählperspektive? Wie verschaffe ich mir Einblick in unterschiedliche Leben und Berufe? Wie erkenne ich eine Idee, wie kann ich eine Idee ausbauen? Wie gehe ich mit Sackgassen und Schreibstau um? Wann breche ich ab und fange von vorn an? Wann muß ich kürzen, wie entwickle ich ein Gespür für eine Story, für die Länge einzelner Kapitel oder Abschnitte einer Geschichte? Schließlich geht Highsmith anhand des Romans THE GLASS CELL den gesamten Ablauf, den sie zuvor theoretisch und an Einzelbeispielen abgehandelt hatte, noch einmal konkret durch. Man sollte dieses Referenz-Buch vielleicht erst gelesen haben, könnte dieses Zerpflücken der Story, der Personen und des Aufbaus das Lesevergnügen doch nachhaltig beeinträchtigen. Abschließend wendet sich die Autorin dann noch einmal dem Begriff ‚Suspense‘ zu und untersucht ihn theoretisch.

Es sind auch gerade die letzten Abschnitte des Buches, die ein wenig von Highsmith‘ Verbitterung zeigen. Sie wusste wohl, daß sie sehr viel mehr schuf, mehr konnte, als herkömmlichen ‚Suspense‘ zu schreiben. Im Essay unterscheidet sie – leicht sarkastisch – zwischen „Romanen“ und „Thriller-Romanen“, bzw. „Suspense-Romanen“, um den Abstand zwischen „ernsthafter“ Literatur und der als Unterhaltung geltenden Spannungsliteratur zu markieren. Es ist interessant zu lesen, daß gerade die amerikanischen Kritiker den Unterschied deutlich machten, Thriller eher nebenbei besprachen, selten bereit waren, sich darauf einzulassen und die entsprechende Qualität zu erkennen. Umso erstaunlicher, wo doch gerade die Amerikaner so vehement darauf bestehen, daß zwischen E und U, zwischen ‚Hoher Literatur‘ und dem Trivialen kein Unterschied bestünde. Die Kunst der Patricia Highsmith wurde in Europa, gerade in Frankreich und Deutschland, sehr viel früher er- und anerkannt, denn in ihrer amerikanischen Heimat. Eine gewisse Verbitterung ist, wie angesprochen, durchaus aus dem Text heraus zu lesen. Doch ebenso berichtet sie vom Glück des Schreibens, davon, wie es ist, in diese inneren Welten abzutauchen und sich darin zu verlieren. Sie macht Autoren Mut, sie ermuntert zum Schreiben und – was den europäischen Leser dann natürlich stutzen macht mit seiner durch und durch universitär-elitären Ansicht, Literatur und die Kunst, die bestünden durch und durch nur sich selbst zuliebe – hat immer auch einen Blick auf die ökonomischen Notwendigkeiten. Es stimmt natürlich, daß man von seinem Schreiben wird leben müssen, was bedeutet, daß man seine Bücher auch verkaufen muß. Dementsprechend muß man dann natürlich auch bereit sein, den Lesergeschmack, was Länge, Story, Personal angeht, zumindest zu bedenken. Herrlich jenes Zitat ihres amerikanischen Verlegers zu THE TWO FACES OF JANUARY, der ihr mitteilt, ein Roman vertrage ja vielleicht zwei Neurotiker, niemals aber drei, und gleich gar nicht, wenn das die Hauptpersonen des Romans seien. Es ist ermutigend zu lesen, daß selbst eine Autorin, deren Erstling immerhin vom großen Alfred Hitchcock verfilmt wurde (STRANGERS ON A TRAIN; Verfilmung 1952), noch Probleme dieser Art mit späteren Werken bekommen sollte. Doch auch in Bezug auf diese Widrigkeiten äußert sie sich eher zurückhaltend. Sie redet dafür umso mehr der Begeisterung das Wort, die es braucht, einen Roman zu schreiben, auszuarbeiten, fertigzustellen und vom Glück des Schreibens und des Fertigstellens.

Über Kollegen äußert sich die Autorin entweder anerkennend – wie über den von ihr verehrten Graham Greene – oder mit der ganzen ihr zur Verfügung stehenden Noblesse nur äußerst dezent. So wird man hier keine Schmuddeleien, keine dreckige Wäsche, keinen Tratsch und keine Kritik oder gar Verunglimpfung anderer erleben. Was man allerdings erleben wird, ist, wie es dieser zu Lebzeiten viel zu wenig geehrten (der Rezensent geht so weit und behauptet, sie hätte den Nobelpreis verdient gehabt) Schriftstellerin gelingt, sogar aus einem Auftragswerk, einem Essay, in dem sie sich unaufgeregt und mit der ihr eigenen Genauigkeit, ohne Hektik, mit ihrem Handwerk auseinandersetzt, einen durchgehend spannend zu lesenden Text fabriziert. Das ist dann allerdings schon wirklich große Kunst. Denn man folgt diesen 155 Seiten Fließtext mit eben jener Spannung, mit der man sonst den eigentlichen Werken der Autorin folgt. Selten, daß ausgerechnet einem Essay solches gelingt. So hat man mit SUSPENSE eine wunderbare Ergänzung zu den vorliegenden Werken dieser fabelhaften Schriftstellerin, aber auch eine Erweiterung ihres Schaffens aus dem rein fiktionalen Raum in den ebenso spannenden des realen Herstellens von Kunst. Das ist wunderbar!

2 thoughts on “SUSPENSE ODER WIE MAN EINEN THRILLER SCHREIBT/PLOTTING AND WRITING SUSPENSE FICTION

  1. Henrik sagt:

    Hallo, Danke, hier habe ich einige interessante Highsmith-Besprechungen gelesen. Allerdings blieben m. E. diese Fragen offen:
    Wie ist das Buch sprachlich?
    Haben Sie dt. oder engl. gelesen?
    Wenn dt., wie ist die Übersetzung?

    1. Gavin sagt:

      Hallo Henrik,

      gelesen habe ich das Buch auf Deutsch. Die Übersetzung ist, soweit ich das beurteilen kann, ok und das Ganze – und das macht die Sache erst wirklich interessant – liest sich wie ein „typischer Highsmith“. Es ist also spannend zu lesen. Ihr Stil ist auch hier recht sachlich-nüchtern und sie versteht es, den Leser zu fesseln. Allerdings würde ich letztlich immer einen ihrer Romane vorziehen.

      Ihnen alles Gute,
      Gavin Armour

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