EIN SCHILLING FÜR KERZEN/A SHILLING FOR CANDLES

Der zweite der sechs Alan-Grant-Romane der großen Josephine Tey fällt leider ein wenig ab

Sieben Jahre nach der Veröffentlichung des ersten von schließlich sechs Romanen, in denen Scotland Yards Detective Alan Grant ermitteln sollte, erschien 1936 EIN SCHILLING FÜR KERZEN (A SHILLING FOR CANDLES, Original 1936; Dt. hier in der Übersetzung von Manfred Allié, 2025). Es war zugleich der erste Roman der Autorin Josephine Tey, der unter ihrem eigenen Namen, nicht unter Pseudonym erschien.

Wie der erste Band der Reihe, DER MANN IN DER SCHLANGE, spielt auch dieser im Milieu der Schauspieler und der Boulevard-Journaille, was der Tatsache geschuldet sein dürfte, dass Tey seit den 20er Jahren nicht nur erfolgreich Gedichte und Short Stories schrieb, sondern seit den frühen 30er Jahren auch Theaterstücke verfasste und sich dementsprechend im Londoner West End und der dort ansässigen Szene bewegte. Es wurde gar vermutet, dass einzelne Figuren im Roman reellen Personen nachempfunden waren und der Roman sogar als Schlüsselwerk zu bezeichnen sei. So nahm man an, dass allen voran die Figur der Marta Hallard ein reelles Vorbild hatte, welchem Tey während der Arbeit an ihrem Stück RICHARD OF BORDEAUX in den Jahren 1932 und 1933 begegnet war. Dies einmal dahingestellt, bleibt festzuhalten, dass dies – wie schon der Vorgänger und anders als die meisten der späteren Werke – in vielerlei Hinsicht ein recht konventioneller Kriminalroman ist, der das Künstlermilieu auch recht bald verlässt und in die Provinz abwandert.

Inspector Grant wird als Vertreter von Scotland Yard in eine Kleinstadt südlich von London gesandt, wo die Leiche der berühmten Film-Schauspielerin Christine Clay an den Strand gespült wurde. Ein Badeunfall? Grant hegt so seine Zweifel, erst recht, als der abgerissene Knopf eines Herrenmantels im Haar der Toten entdeckt wird. Und schnell ist mit Robert Tisdall auch ein Verdächtiger zur Hand, denn der junge Mann lebte zwar einige Tage im Haus der Clay, behauptet aber, weder ihren Nachnamen gekannt, noch gewusst zu haben, um wen es sich handelt. Doch da ihr Testament auch ihn begünstigt, liegt es nah, dass er womöglich nachgeholfen hat, um schneller an sein Erbteil zu kommen. Verstärkt wird der Verdacht dadurch, dass Tisdall, ein ansonsten freundlicher junger Mann, sich per Flucht der Verhaftung entzieht. Doch dank der mutigen Recherchen einer jungen Dame, Tochter des örtlichen Polizeichefs, muss Grant bald einsehen, dass es vielleicht noch andere Verdächtige geben könnte, da es ihr gelingt, die Indizien gegen Tisdall zu entkräften. Zugleich tauchen immer mehr Personen auf, denen der Tod Clays ebenfalls gelegen käme oder die andere, persönlichere Gründe gehabt hätten, sich an der Dame zu vergehen. Darunter ihr Gatte, Lord Edward Champneis, ebenso wie Jason Harmer, der die Songs für Clays Filme schrieb und möglicherweise eine heimliche Liaison mit ihr hatte, was Eifersucht seitens des Gatten erklären würde, aber auch die bereits erwähnte Marta Hallard, die die Rolle der Verstorbenen im anstehenden Film übernehmen darf, wäre in der Verlosung und letztlich auch Herbert Gotobed, der Bruder der Verstorbenen, der sie regelrecht verfolgte und immer wieder versucht hat, an ihrem Erfolg zu partizipieren.

Wie es sich für einen ordentlichen, aber eben auch konventionellen Kriminalroman gehört, ist es schließlich die denkbar entlegenste Lösung, die erst auf den letzten Seiten des Buchs offenbar wird. Bis dato führen uns die Autorin und ihr Inspector auf einige Umwege und falsche Fährten, was Tey allerdings die Möglichkeit gibt, Grant viel Hohn und Spott und teils zynische Bonmots über die Gemeinde der Kreativen, der Theater- und Filmschaffenden zu verbreiten und zudem ein wenig die englische Provinz zu genießen. Tey versteht es schon in diesem Werk, das spezifisch Englische der Landschaften einzufangen, ihre Schönheit und das Reizvolle, aber auch die Eigenarten der Bewohner der Provinz. Die wiederum kannte die gebürtige Schottin aus ihrer Heimat, aber auch aufgrund vieler Reisen durch Großbritannien.

So gut diese Nebensächlichkeiten funktionieren mögen, die polizeilichen Recherchen sind leider vergleichsweise unglaubwürdig. Denn wirklich kohärent sind die Ermittlungen des guten Inspectors nicht. Weshalb nun ausgerechnet der Mantel, der zu dem Knopf in Clays Haaren gehört, der Schlüssel des Falls sein soll, erschließt sich genauso wenig, wie die Tatsache, dass ausbleibende Alibis grundlegend immer auf Verdächtige hinweisen würden. Bestenfalls sind all dies Indizien und es bleibt ein Geheimnis, weshalb Grant daraus scheinbar felsenfeste Überzeugungen ableitet. Aber natürlich ist dies ein Roman der 30er Jahre und nicht des 21. Jahrhunderts, dessen Rezipienten sehr viel erfahrener sind als Damalige und natürlich auch andere, vielleicht ausgeklügelter konstruierte Geschichten erwarten. Was hier übrigens für Grant spricht, ist die Sorge, die er um Tisdall hat, als dieser verschwindet und offensichtlich tagelang im Freien kampieren muss. Ein hübscher Nebenaspekt der Handlung, der ein sympathisches Licht auf den Polizisten wirft und von Tey ganz unaufdringlich und wie nebenbei eingeflochten wird.

Nun sind es bei Josephine Tey in den meisten Fällen eh weniger die Fälle und deren Konstruktion, als vielmehr ihre reiche Beobachtungsgabe hinsichtlich der Milieus, in denen sie ihre Geschichten ansiedelt und die Personenschilderungen. Mal ist es, wie hier, die ihr bekannte Welt der Theater- und Filmschauspieler sowie der Presse drumherum, was ihr die Gelegenheit gibt, Eitelkeiten und Eigenarten der Szene zu schildern – und immer auch aufs Korn zu nehmen; mal ist es der Gegensatz des städtischen und des ländlichen, genauer: des Londoner und des ruralen Englands; mal sind es die Differenzen der Geschlechter und die sich daraus ergebenden Spannungen usw. In den meisten Fällen weisen Teys Geschichten über sich selbst hinaus, erzählen etwas über die Gesellschaft und ihre Kultur sowie die menschliche Spezies und deren Schwächen, Fehler und Krümmungen. Und sind gerade dadurch beispielhaft gute Kriminalromane.

Es fällt aber auf, dass genau diese Eigenschaften in EIN SCHILLING FÜR KERZEN gegenüber anderen, vor allem den nachfolgenden Werken abfällt. Zwar gelingen Tey auch diesmal liebevolle Portraits, doch wirkt das alles konventioneller, normaler, weniger genau in den Beschreibungen. Und doch sind viele dieser Beschreibungen einzelner Personen sehr viel überspitzter und dadurch klischeehafter als in den Nachfolgern. Und auch im Erstling wirkte manches bereits ausgereifter. Und dann kommt hier ein manchmal schon antisemitisch anmutender Unterton hinsichtlich einiger jüdischer Vertreter der Theaterwelt hinzu.

Jason Harmer, der Komponist der erfolgreichen Songs der Filme, in denen Clay auftrat, ist jüdischen Glaubens. Das ist an sich schon ein Klischee, sind viele Songschreiber in Hollywood doch tatsächlich Juden gewesen. Doch ist es hier eben auch Anlass für verschiedene Figuren, sich entsprechend abfällig über „solche“ oder „diese“ Leute zu äußern. Auch Grant ist nicht frei davon und es gibt eine Dialogstelle, in der er und sein Adlatus Williams sich über das jüdische Wesen austauschen. Es sind nur Nebensätze, nicht das hier der Eindruck entsteht, diese Aspekte stünden im Vordergrund – zumal Harmer letztlich auch nur eine Nebenrolle im Konstrukt zugeordnet wird – doch grundieren sie den Roman eben doch auf eine unangenehme Art und Weise. Das geht bis zu jenem antisemitischen Klischee des Juden als Chimäre, als Mischwesen, der „allen alles sein kann“, der „ein Leben lebt, in dem er anderen etwas vorspielt“, wie es in einer von Grants Überlegungen heißt (S.83/84).

Allerdings – und das kann man Tey wiederum zugutehalten – führen diese Überlegungen zum einzigen wirklich relevanten Subtext des Romans. Denn schon früh stellt ein Verdächtiger gegenüber Grant fest, dass die Polizei Unterschiede mache in der Art, wie sie mit denen umgehe, die sie – ob als Zeugen oder als Verdächtige – einbestelle. Und Grant fällt auf, dass das stimmt. Er merkt, dass er Lord Champneis auf eine Art entgegenkommt, die er kaum einem anderen der Leute auf seinen diversen Listen gewähren würde. Und auf Umwegen kommt der Roman dann auch wieder bei dem Umgang mit den Juden an. Denn nicht nur, dass Harmer Grant direkt mit dessen Vorurteilen und der angeblichen englischen Toleranz konfrontiert und diese komplett desavouiert, dabei gleich auch noch mit dem damals zumindest in England gültigen Klischee aufräumt, die Briten seien frei von Rassismus (S.88/89), später erweist sich Champneis schließlich als jemand, der Juden hilft und sehr genau versteht, unter welchem Druck sie in Europa stehen. Er macht sich dadurch verdächtig, dass er gegenüber der Polizei verheimlicht, was er zur Tatzeit genau getan hat, erzählt Grant sogar eine Lüge über seinen Verbleib in den entscheidenden Stunden. Als Grant dem Lord auf die Schliche kommt, muss er begreifen, dass der einen jüdischen Staatsmann ins Land geschmuggelt hat, welcher in seinem Heimatland verfolgt wird.

Tey beweist hier ein klares politisches Bewusstsein für die Situation in Europa. Der Roman erschien 1936, wird also in den Jahren 34/35 geschrieben worden sein – der Frühphase des Naziregimes in Deutschland, in welchem die Repressalien gegen die jüdische Bevölkerung aber bereits deutlich spür- und sichtbar waren. Sie wird dem imaginären Staat, den sie irgendwo in Osteuropa verortet und dem der jüdische Politiker entflohen ist, nicht umsonst den Namen „Pandora“ gegeben haben. Und dass es nötig ist, den Mann heimlich ins Land zu schmuggeln, beweist, dass Tey auch genau wahrnahm, wie sich die britische Regierung gegenüber Asylsuchenden und Flüchtlingen verhielt. So wird man annehmen dürfen, dass nicht sie antisemitisch gewesen ist, sie es aber billigend in Kauf nahm, ihre Hauptfigur mit antisemitischen Zügen auszustatten, um etwas zu verdeutlichen, das ihr am Herzen gelegen haben mag.

Doch leider werden diese Aspekte im Roman dann doch nicht ausführlich oder auch nur gebührend behandelt, um Tey zu unterstellen, dies sei ihr eigentliches Thema gewesen. Und auch Grants Selbsterkenntnis, dass er offenbar sehr durch das englische Klassensystem geprägt ist und dementsprechend handelt, die Leute, mit denen er es beruflich zu tun hat, hierarchisiert und unterschiedlich be-handelt, wird von ihm eher anekdotisch verarbeitet. Zu einer wirklichen Änderung scheint es nicht zu führen. Aber vielleicht wäre das in einem Roman von 1936 auch zu viel verlangt?

EIN SCHILLING FÜR KERZEN ist nicht der beste der Alan-Grant-Romane, für den heutigen Leser mag er momentweise sogar ein wenig langatmig daherkommen. Aber es ist immer noch ein Roman aus der Feder der großen Josephine Tey und als solcher ist er selbstredend geadelt. Schließlich dürfen auch die Meisterinnen ihres Fachs einmal schwächere Phasen haben. Interessanterweise war es ausgerechnet dieser Roman, den der damals noch in England ansässige und arbeitende Alfred Hitchcock wählte, um einen der besten Filme seiner Frühphase – YOUNG AND INNOCENT (1937) – zu drehen. Allerdings entfernten sich das fertige Drehbuch und damit auch der fertige Film sehr, sehr weit vom Roman. Ein Schicksal, das allerdings nicht so ungewöhnlich für literarische Vorlagen ist.

Der Kampa-Verlag hat mit diesem Roman seine Neuveröffentlichungen der Alan-Grant-Romane von Josephine Tey abgeschlossen und man kann den Verantwortlichen nur danken, dass sie sich die Mühe gemacht haben, diese wunderbaren Kriminalromane in diesen schön verarbeiteten Ausgaben erneut herauszubringen. Eine Mühe, die sich wahrlich gelohnt hat.

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