WIE EIN HAUCH IM WIND/TO LOVE AND BE WISE
Alan Grant ermittelt in einer Künstlerkolonie
Inspektor Alan Grant muss sich in Josephine Teys WIE EIN HAUCH IM WIND (TO LOVE AND BE WISE, Original erschienen 1950; Dt. hier: 2024 in der Neuübersetzung von Manfred Allié) mit der geballten kreativen Kraft und dementsprechenden Egozentrik einer Künstlerkolonie unweit von London auseinandersetzen. Denn dort ist ein junger amerikanischer Fotograf namens Leslie Searle verschwunden, der in Hollywood wegen seiner Portraitaufnahmen der Stars und Sternchen äußerst beliebt ist. Er war – da sind sich in Salcott St. Mary alle einig –verführerisch schön und sehr, sehr anziehend. Grant begegnete ihm zufällig auf einer Künstlerparty, wo er aufgrund seiner Freundschaft mit der Bühnenschauspielerin Marta Hallard eingeladen war. Und erst, als der Amerikaner plötzlich verschwunden ist, kommt er dem Scotland-Yard-Mann Grant wieder in den Sinn. Nun gilt es, ein Verbrechen aufzuklären, zu dem alles fehlt – Tatwaffe, Motiv (obwohl es da wohl einige gäbe) und vor allem die Leiche.
Tey ist in ihren Romanen ja immer daran interessiert, mit den Konventionen des Genres zu spielen und die Grenzen auszuloten. In ihren besten Romanen – wozu ganz sicher ALIBI FÜR EINEN KÖNIG (THE DAUGHTER OF TIME; Original erschienen 1951, Dt. zuletzt 2022) zu zählen ist – sprengt sie diese Grenzen geradezu. Hier nun scheint ihr der Fall selbst – obwohl er einmal mehr eine ungewöhnliche und ausgesprochen stilvolle Lösung aufweist – weniger zu bedeuten. Sie legt recht herkömmlich falsche Fährten aus, auf denen Grant und mit ihm die Leserschaft wandeln darf, wobei der Inspector schon früh klar macht, dass er diesen Fährten nicht traut. Dennoch muss er in dem Dörfchen unweit Londons ermitteln und dazu gehört nun einmal, jene zu verhören, besser: zu befragen, die mit dem Verschwundenen zu tun hatten oder gar im Streit mit ihm lagen. Und derer gab es unter den Schriftstellern, Radiomoderatoren, Schauspielern und Dramatikern, die hier leben, nun mal einige. Und genau diese in all ihren Manierismen, ihren Eigenwilligkeiten und ihrer Anmaßung gegenüber dem Leben und ihrem Publikum zu beschreiben und auch bloßzustellen scheint Teys eigentliche Motivation bei diesem Roman gewesen zu sein.
Selten wurde mit solcher Lust an der Dekonstruktion – oder gar schon Destruktion? – eines bestimmten Typus Mensch (und seines Klischees) gearbeitet, wie hier. Und es erstaunt den Leser, wie aggressiv Grant – und mit ihm Tey? – diese Künstlertypen angeht. Er empfindet sie als Hochstapler, Angeber und Egoisten und so, wie Tey sie beschreibt, stimmen diese Urteile und Beurteilungen durch den Polizisten nahezu immer. Dennoch oder gerade deswegen macht es einen Heidenspaß diesen Roman aus der Serie um Inspector Grant zu lesen. Denn Teys Bösartigkeiten sitzen, man kann sich die charakterisierten Typen nur allzu gut vorstellen, man folgt den Beschreibungen dieser Kolonie der Lackaffen und Selbstdarsteller nur allzu gern. Und immer wieder kommt es zu Momenten, in denen der Leser laut auflacht, so witzig sind die erwähnten Situationen und das Verhalten der daran Beteiligten. Vor allem verletzte Eitelkeit wird immer wieder als Movens für Streitereien und Missstimmung bloßgestellt. Erstaunlicherweise gelingt es der Autorin, diese Typen zwar als erfüllte Klischees darzustellen, sie zugleich aber zu durchaus lebendigen Charakteren zu formen. Das ist schon eine ganz eigene, sehr ausgewiefte Kunst, die Josephine Tey da beweist.
Sie gewährt ihren Leser*innen diesmal allerdings auch mehr Einblicke in die persönlichen Belange Grants. Sein Verhältnis zu Marta – nicht frei von einer gewissen Erotik, die aber niemals substantiell wird – erklärt sich hier doch besser als in anderen Romanen der Reihe. Diese beiden fühlen sich zueinander hingezogen, ohne den letzten, den entscheidenden Schritt zu gehen. Und dies vielleicht ganz bewusst, allein, um etwas in der Schwebe zu halten, die Spannung zu bewahren, welche bei zu viel Eindeutigkeit sicherlich verlorenginge, schal würde, Patina ansetzte. So spielen Marta Hallard und Grant eben mit den Möglichkeiten, die sich ihnen bieten, ohne sie je wirklich zu ergreifen.
Ähnlich steht es um Grant und das Verhältnis zu seinem Vorgesetzten. Der zeigt sich in anderen Romanen gern schon mal genervt von seinem besten Ermittler, hier allerdings erkennt er Grants Fähigkeiten an und ermahnt ihn lediglich, sich nicht vollends in einem Fall zu verlieren, den alle längst als Selbstmord – wenn überhaupt – deklariert haben. Denn, so das eindeutig lautende Urteil nahezu aller Beteiligten, Leslie Searle hat sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Leben genommen oder, wahrscheinlicher noch, ist einem Unfall zum Opfer gefallen. Und die Indizien und Spuren weisen ja auch alle darauf hin. Natürlich ist es letztendlich Grants ermittlerischem Genie zu verdanken, dass der wahre Sachverhalt ans Tageslicht kommt und sich der „Fall“ als ganz anders geartet entpuppt, als man es je erwartet hätte.
Vielleicht ist WIE EIN HAUCH IM WIND nicht der aufregendste Fall der Reihe, doch macht es nicht zuletzt deshalb Spaß, diese Folge zu lesen, weil Josephine Tey ihre Leser*innen auf so treffliche Weise in das englische Hinterland mit seinem ganzen Charme und der Frische, die es an einem wundervollen Sommertag entfalten kann, mitnimmt. Es macht Spaß, diesen Figuren zu begegnen, es macht Spaß Grants Gedankengängen – die immer die des eingefleischten Londoners sind – zu folgen und es macht Spaß, in der Frühsommerfrische durch die engen Country Lanes zu fahren und die Luft und die Düfte einzuatmen. Ein schöner kleiner englischer Frühsommerkriminalroman.