DER SCHATTENKRIEG. ISRAEL UND DIE GEHEIMEN TÖTUNGSKOMMANDOS DES MOSSAD/RISE AND KILL FIRST: THE SECRET HISTORY OF ISRAEL´S ASSASSINATIONS

Historisch akkurater aber leider etwas ermüdendender Bericht über die Tötungen durch den Mossad

Da liest man monatelang Ronen Bergmans DER SCHATTENKRIEG. ISRAEL UND DIE GEHEIMEN TÖTUNGSKOMMANDOS DES MOSSAD (RISE AND KILL FIRST: THE SECRET HISTORY OF ISRAEL´S TARGETED ASSASSINATIONS, 2018; Dt. 2018) und informiert sich solcherart über einen nicht ganz unwesentlichen Aspekt der nahöstlichen Geschichte, ist leidlich angewidert von der Kaltschnäuzigkeit, mit der die israelischen Dienste – keinesfalls geht es hier ausschließlich um den Mossad, also den israelischen Auslandsgeheimdienst, sondern ebenso um den Shin Bet, den Inlandsgeheimdienst, und den AMAN, den Geheimdienst des Militärs – Gegner, die sie als eliminierungswürdig ausgemacht haben, ausschalten, welch teils perfiden Methoden dabei zur Anwendung kamen und kommen und ob man dies alles als Deutscher überhaupt zu beurteilen hat, da erreichen uns – man ist auf den letzten 70 Seiten des Werks angelangt – die grauenhaften Bilder aus den Kibbuzim, von einem Technofestival in der Wüste, aus den Städten Israels, die am und seit dem 7.10.2023 Opfer der terroristischen Überfälle der palästinensisch-islamistischen Organisation Hamas wurden und werden. Und mit einem Mal macht Vieles von dem, was man da all die Zeit gelesen hat, noch einmal auf ganz andere, auf grausige Art Sinn.

Die Geschichte des Mossad und der anderen israelischen Dienste ist auch eine Geschichte Israels und der Nachkriegsordnung im Nahen Osten. Bergman zieht die Linien nach, die zur Gründung der Dienste geführt haben, verweist auch darauf, dass einige ihrer Gründungsmitglieder und ersten Agenten und Führer zuvor von den Briten zu Terroristen erklärt und als solche gesucht wurden. Er nimmt uns mit auf die ersten Einsätze, die oftmals über die ganze Welt verteilt waren und zu denen heute fast legendäre Aktionen wie die Entführung Adolf Eichmanns aus Argentinien gehörten. Gerade der Mossad war lange Zeit auch dafür zuständig, flüchtige und untergetauchte Nazis aufzuspüren, dingfest zu machen oder aber auszuschalten. So gelangen noch einmal all jene Einsätze in Erinnerung, in die der Geheimdienst gerade in den 60er Jahren verwickelt war, wie jener gegen die deutschen Raketenexperten, die sich nur allzu gern von den Ägyptern anheuern ließen um an deren angeblich rein zivilen Raketenprogrammen mitzuarbeiten. Hier griff der Mossad u.a. mit Briefbomben, Entführung und auch gezielten Tötungen ein.

Für die gegenwärtigen Ereignisse interessanter sind sicherlich die Entstehung der PLO, der Palästinensischen Befreiungsorganisation (Palestine Liberation Organisation), die Entwicklung des palästinensischen Widerstands in den 60er und 70er Jahren mit all den Flugzeugentführungen und dem grausigen Höhepunkt während der Olympischen Spiele in München 1972, als ein PLO-Kommando die israelische Olympiamannschaft überfiel, einige der Sportler und ihrer Betreuer tötete, einige als Geiseln nahm und schließlich gemeinsam mit seinen Gefangenen in einem wilden Feuergefecht mit der komplett überforderten deutschen Polizei starb. Danach änderte Israel seine Taktik und begann, sehr gezielt auch im befreundeten Ausland – Frankreich bspw. – nach den Drahtziehern dieses Anschlags zu suchen und diese zu töten. Steven Spielberg hat mit MUNICH (2005) ein beeindruckendes Drama über jene Männer gedreht, die diesen Auftrag des Mossad jahrelang ausführten.

Gezielt Gegner zu töten, auch im Inland, wurde im Laufe der 80er Jahre ein immer häufigeres und gängigeres Verfahren. So wurde der Shin Bet ebenfalls zu einem wichtigen Akteur bei diesen meist äußerst geheimen Kommandounternehmen. Und auch der AMAN spielte eine immer wichtigere Rolle, da sowohl der Mossad als auch der Shin Bet gerade in der zunehmenden Auseinandersetzung mit dem Libanon immer häufiger auf die Hilfe des Militärs und auch auf dessen Möglichkeiten der Aufklärung angewiesen waren. Bergman verfolgt die Geschichte der israelisch-palästinensischen Auseinandersetzungen bis in die jüngere Vergangenheit, etwa die Jahre 2014/15 hinein, erklärt, wie es zur ersten (1987 bis ca. 1991) und der zweiten (begann im Jahr 2000) Intifada kam, wie die Hamas und später die Hisbollah entstanden und wie stark die Verwicklung des Iran in die Geschichte vor allem letzterer Terrororganisation ist. Bei all dem vermittelt der Autor durchaus auch, welche Rück- und Fehlschläge es für die Geheimdienste in all den Jahren und Jahrzehnten immer wieder gab. Mal waren sie erschreckend uninformiert über bevorstehende Ereignisse, manchmal irrten sie sich fürchterlich in ihren Zielfestlegungen, was durchaus Unschuldige das Leben kosten konnte. Und oft kümmerten sie sich nicht um etwaige Kollateralschäden, die Bombenattentate nun einmal mit sich bringen.

Bergman hält sich auch nicht mit Kritik an Israels Politik zurück, dennoch wird die Notwendigkeit dieser Tötungs-Strategie nie wirklich in Zweifel gezogen. Kritisch betrachtet er vor allem das Wirken Ariel Scharons, der als Verteidigungsminister für fürchterliche Massaker an palästinensischen Zivilisten und Flüchtlingen verantwortlich gewesen ist und später, als Ministerpräsident, die Härte seines Vorgehens nicht änderte; Benjamin Netanjahu hingegen kommt bei Bergman erstaunlich gut weg, wobei man dem Autor zugutehalten muss, wann das Buch entstanden ist: Die Vorwürfe der Korruption und, schlimmer, der Vergewaltigung und sexuellen Nötigung waren noch nicht erhoben und auch die jüngsten Entwicklungen einer Koalition mit nahezu faschistoiden Rechtsparteien und dem Versuch, nach rechtspopulistischen Vorbildern wie in Ungarn oder Polen; die Justiz umzubauen und zu beschneiden waren noch nicht abzusehen.

Dem Leser fehlt aber oftmals die moralische Einordnung. Bergmans Beschreibungen werden zu einer auf die Dauer von nahezu 800 Seiten Fließtext doch ermüdenden Angelegenheit, da man es mit einer schier endlosen Wiederholung immergleicher Vorgänge zu tun hat. Beschreibungen von Tötungen in Beirut, Kairo oder sonst wo, Kommandounternehmungen aus der Luft, zur See und auf dem Lande, immer mal wieder erweitert durch die Wiedergabe von Besprechungen im Büro des jeweiligen Ministerpräsidenten oder der Kommandozentrale des Militärs, spannungssteigernde Erläuterungen von Wetterbedingungen oder Erzählungen von Patrouillen des Gegners, die es auszuschalten oder zu umgehen galt, machen das Buch zu einer Art Realthriller, der nie zu einem Ende kommt. Zumal man die Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit selbst verfolgt hat und sich auch ein Bild davon machen kann. Zudem erläutert Bergman schon in der Einleitung, wie kompliziert es war, das Buch überhaupt zu schreiben. Er unterlag der israelischen Zensur, viele seiner Gesprächspartner mussten anonym bleiben, in vielen Fällen hatte er keine Akteneinsicht und musste sich auf die Angaben seiner Gesprächspartner und Informanten verlassen, die, darauf weist er explizit hin, oftmals ihre eigenen Agenden und Pläne verfolgten und durchaus wussten, wie sie sich und Verbündete/Freunde in den Diensten gut, ihnen weniger Genehme hingegen schlecht aussehen lassen konnten.

Zu allem Überfluss ist das Buch mindestens schlecht übersetzt. Möglicherweise ist es auch nicht sonderlich gut geschrieben, das steht hier aber nicht wirklich zur Debatte. Manches ist schwer nachzuvollziehen, manche Formulierung wahrlich schwer zu ertragen. So wird die Lektüre inhaltlich wie formal bald anstrengend, Immergleiches wiederholt sich in steter Gelichmäßigkeit, man ertrinkt in einer Flut von Namen, die man sich unmöglich alle merken kann und vergisst nach und nach, dass man es eben nicht mit einem Thriller aus der Hand eines mittelmäßig begabten Schriftstellers, sondern mit einem Tatsachenbericht zu tun haben soll.

Und dann, man formuliert den Verriss schon genüsslich im Kopf, schaltet man das Radio ein und hört von tausenden Raketen, die aus dem Gazastreifen auf Tel Aviv und andere israelische Städte abgeschossen werden, hört zunächst nur mit halbem Ohr hin, weil es wie etwas klingt, das man in den vergangenen 20 Jahren eben auch schon viel zu oft gehört hat, bis die Berichte, die über den Äther kommen, immer grausiger, immer brutaler, immer schrecklicher werden. Und man schaut auf dieses Buch und denkt noch einmal ganz neu über dessen Aktualität und Bedeutung nach…

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