EXORZIST II: DER KETZER/EXORCIST II: THE HERETIC
John Boormans viel geschmähter zweiter Teil der Dämonen-Saga erweist sich nach all den Jahren als widerständiger als gedacht
Pater Philip Lamont (Richard Burton) exorziert in den Favelas einer südamerikanischen Stadt eine junge Frau. Doch misslingt ihm die Dämonenaustreibung. Nach einem kurzen Moment, in dem das Mädchen zu sich kommt und den Pater flehentlich fragt, warum es ausgerechnet sie getroffen habe, übernimmt der Dämon endgültig ihre Persönlichkeit und setzt das Haus in Brand. Die Frau kommt in den Flammen um. Für Lamont ist der Anblick und der vermeintliche Sieg des Bösen ein tief in seine Seele schneidendes Erlebnis.
Dennoch übernimmt er den Auftrag, die Ereignisse um Pater Merrin (Max von Sydow) und die kleine Regan MacNeil (Linda Blair) zu untersuchen, die sich vier Jahre zuvor zugetragen haben. Wenn möglich, so die Forderung des Kardinals (Paul Henreid), soll Lamont sogar herausfinden, weshalb der Dämon Pazuzu ausgerechnet Besitz von Regan ergriffen hat.
Dazu reist Lamont nach New York, wo Regan – mittlerweile zu einem Teenager-Mädchen herangewachsen – unter der Obhut von Sharon (Kitty Winn), einer Freundin ihrer Mutter, und in psychiatrischer Behandlung bei Dr. Gene Tuskin (Louise Fletcher) lebt.
Dr. Tuskin bemüht sich mithilfe eines von ihr entwickelten Geräts namens „Synchronisator“, mit dessen Hilfe es möglich ist, unter Hypnose die Gehirnwellen zweier Probanden zu synchronisieren und so in deren Gedankenwelten vorzustoßen, die verschlossenen Erinnerungen Regans zu erkunden. Diese kann sich an nichts erinnern, was sich während des Exorzismus ereignete, den Pater Merrin mit Hilfe von Pater Damien Karras an ihr begangen hatte.
Lamont wird Zeuge, wie Dr. Tuskin einen solchen Versuch wagt, der dann aber außer Kontrolle zu geraten scheint. Zu schrecklich scheint zu sein, wessen sie ansichtig wird. Lamont bittet darum, das Experiment selbst einmal durchführen zu dürfen. So wird er Zeuge, wie sich in Regans Geist noch einmal vollzieht, was damals in ihrem Zimmer in dem Haus in Georgetown, Washington D.C., geschah: Das entstellte Kind ringt mit Pater Merrin, der schließlich vor Lamonts Augen noch einmal an einem Herzinfarkt stirbt.
Zwischen Pater Lamont und Dr. Tuskin kommt es zu eindringlichen Diskussionen über die Frage, ob das, was sich zugetragen hat, Einbildung – also letztlich eine Psychose – gewesen sei oder aber die Inkarnation des Bösen. Lamont glaubt fest daran, dass das Böse ein spirituelles Wesen ist, das sich materialisieren kann. Eine Entität, die in der Welt existiert. Erst recht, seit er in den Favelas Zeuge wurde, wie die junge Frau Opfer eines Dämons wurde. Für die Wissenschaftlerin ist dies eine geradezu lächerliche Vorstellung. Diese Haltung verletzt Lamont, der sich zusehends einer gottlosen, weil ungläubigen Welt ausgesetzt sieht, in der ein Mann wie er nichts mehr verloren hat.
Lamont besucht gemeinsam mit Sharon das Haus in Washington, um sich einen Eindruck über die Örtlichkeiten zu verschaffen. Er war Merrin eng verbunden und es erschüttert ihn, den Ort, an dem dieser starb, zu betreten.
Zurück in New York, bittet er Tuskin darum, selbst mit Regan synchronisiert zu werden. Bei dieser Erfahrung lernt Lamont einiges über Merrin, denn dessen Erinnerungen scheinen ebenfalls in Regan abgespeichert zu sein: Als junger Priester reiste Merrin nach Afrika. Dort exorzierte er einen Jungen namens Kokumo (Joey Green als Junge/James Earl Jones als erwachsener Mann). Auch er war von Pazuzu besessen. Der Dämon materialisierte sich in einem Heuschreckenschwarm, der über das Land herfiel und so auch in den Jungen eindringen konnte. Merrin war es gelungen, den Jungen erfolgreich von dem Dämon zu befreien. Dadurch entwickelte Kokumo Kräfte, um den Dämon zu besiegen.
Lamont reist zunächst zurück nach Rom, wo der Kardinal nun nicht mehr will, dass der Pater den Dingen noch tiefer auf den Grund geht. Was damals, Ende der 40er Jahre in Afrika geschah, scheint der Kirche zwar in groben Zügen bekannt zu sein, doch will sie es scheinbar nicht allzu genau wissen.
Lamont reist auf eigene Faust weiter nach Afrika, wo er die Felsenstadt findet, die er in Regans Erinnerungen gesehen hatte. Hier trifft er auf einen Stamm, der sich als Hüter der Stadt und der dort festgehaltenen Erinnerungen betrachtet. Durch den Stammesführer erfährt Lamont von den Angriffen des Dämons, aber auch, dass es Hoffnung gäbe. Zudem erfährt Lamont von einem Dr. Kokumo, der in einem Institut zu Heuschrecken und deren Bekämpfung forsche. Dies muss der Mann aus Regans/Merrins Träumen/Erinnerungen sein.
Lamont sucht Kokumo auf, der ihm allerhand über die Tiere beibringt, dabei aber auch erkennen lässt, dass er sehr wohl weiß, worum es Lamont und vor ihm Merrin geht. Als Junge hatte Kokumo versucht, den Heuschreckenschwarm mit einem Schwirrgerät zu vertreiben, was misslang. Nun glaubt er oberflächlich an die Kraft der Wissenschaft, um eine „gute“ Heuschrecke zu züchten, die über die „schlechten“ Heuschrecken obsiegen könne. Doch Kokumo scheint trotz allem auch an die Realität von „Gut“ und „Böse“ zu glauben.
Lamont erfährt hier auch, dass Pazuzu vor allem psychisch labile Personen angreift. Zugleich glaubte Merrin aber, dass diese Menschen über besondere Kräfte verfügten, die sie befähigten, Großes zu vollbringen und der Menschheit zu helfen. Eines Tages, so Merrins Glaube, würden geistige, spirituelle Fähigkeiten allen Menschen zur Verfügung stehen. Lamont hat eine Vision von Merrin, der ihn bittet, auf Regan aufzupassen.
In New York ereignet sich eben zu der Zeit, da Lamont in Afrika diese Dinge erfährt, ein solches Wunder: Regan trifft in Dr. Tuskins Institut ein kleines Mädchen, das aufgrund seines Autismus nicht spricht. Regan spricht sie freundlich an und die Kleine antwortet. Für die Mutter des Kindes ein Wunder, für Dr. Tuskin eher eine Anomalie, die es zu untersuchen gilt. Doch Mutter und Kind verlassen das Institut und fahren nachhause.
Als Lamont zurück in die USA kommt, bittet er Regan, ihn noch einmal in das Haus zu begleiten, wo sich alles zutrug. Hier kommt es zu einer letzten Konfrontation mit Pazuzu. Der bietet sich Lamont als ein Doppelgänger von Regan an, verführerisch verspricht er Lamont uneingeschränkte Macht, die es ihm erlaubte, die Welt nach seinen spirituellen Vorstellungen zu gestalten.
Dr. Tuskin und Sharon, die Lamont und Regan gefolgt sind und sich auf dem Weg von New York nach Washington bereits Angriffen des Dämons ausgesetzt sahen, verunglücken direkt vor der Villa. Das Taxi, das sie herbrachte, kracht in die Frontseite des Hauses. Sharon steigt aus dem Wagen und scheint umgehend in die Hand des Dämons zu geraten. Dr. Tuskin kann sich unter Schmerzen aus dem Wrack befreien, der anderen Frau aber nicht mehr helfen, als das auslaufende Benzin des Autos Feuer fängt und auch Sharon in Brand setzt.
Im Haus gelingt es Regan, Lamont aus seiner Trance zu befreien. Während er mit der falschen Regan ringt und ihr schließlich das dämonische Herz aus dem Leib reißt, vollzieht die echte Regan die Geste des jungen Kukomo nach und bedient ein symbolisches Schwirrgerät, um die plötzlich über das Haus herfallenden Heuschreckenscharen zu vertreiben. Während das Haus Stück für Stück zerfällt und auseinanderbricht, gelingt es Regan tatsächlich, die Heuschrecken zu besiegen. Auch Pazuzu scheint nun besiegt.
Während Lamont und Regan durch die Trümmer des Hauses verschwinden, versucht Dr. Tuskin den eintreffenden Polizisten eine nachvollziehbare Erklärung zu geben, was hier geschehen ist.
Liest man die englischsprachige Wikipedia-Seite zu John Boormans EXORCIST II: THE HERETIC (1977), bekommt man einen guten Überblick über die damalige Presse, die den Film nahezu einhellig verriss. Lediglich – wie so oft – Pauline Kael konnte diesem zweiten Teil zu einem der erfolgreichsten Horrorfilme (einige behaupten bis heute, THE EXORCIST von 1974 sei der kommerziell erfolgreichste Horrorfilm aller Zeiten) etwas abgewinnen und fand ihn sogar besser als den Vorgänger. Bei Kael fragt man sich allerdings häufig, was bei ihr Provokation gewesen ist und was eine wirkliche Überzeugung (man denke an ihren ewigen Kampf gegen Stanley Kubrick). Wie dem auch sei, Boormans Film erhielt überwiegend schlechte bis vernichtenden Kritiken und wird auch heute noch gern auf den Listen der „schlechtesten Filme aller Zeiten“ auf einem der vorderen Ränge geführt. Stellt sich die Frage, ob dieses Urteil berechtigt ist.
Betrachtet man den Film mit dem Abstand von nahezu fünfzig Jahren, fällt das Urteil dann doch milder aus. Der erste Teil war im klassischen Sinne ein Schocker, filmisch in der Tradition des ‚New Hollywood Cinema‘ teils on location in New York gedreht, der Look extrem realistisch, authentisch und rau. Die dargestellte Familie entsprach der amerikanischen Oberschicht und was dann geschah – ein Teenager-Mädchen ist besessen und spricht mit Teufelsstimme, wobei sie unflätige und unerhörte Dinge sagt – war der eigentliche Skandal des Films.
Dass THE EXORCIST ein zutiefst reaktionäres Gesellschaftsbild bediente, in dem symbolisch eine Jugend dargestellt wurde, die sich von der Elterngeneration komplett entfernt hat, war vielleicht nicht so überraschend, wendeten sich die frühen 70er doch von den progressiven Entwicklungen der 60er Jahre ab. Schon Filme wie DIRTY HARRY (1971) erzählten von der neuen, der härteren Gangart wider den Zeitgeist. Und es war in der kulturellen Wahrnehmung ja die Jugend – die Hippies und die Yippies, die Bürgerrechtler und Studenten – die für diese Veränderungen verantwortlich gewesen ist. Nun schlug man also zurück und stellte genau diese Jugend in ihrer neuen Freiheit, drogeninduziert und sexuell aktiv, als „besessen“ dar. Dass THE EXORCIST und sein Regisseur William Friedkin die Zuschauer mit einigen harten Schock-Momenten konfrontierte, sich aber letztlich vor allem um eine düstere, psychologische Angst verbreitende Atmosphäre bemühte, tat ein Übriges.
Nichts davon in EXORCIST II: THE HERETIC. Mit William K. Everson[1] kann man konstatieren, dass es definitiv eher ein John-Boorman-Film ist, als ein gelungener Nachfolger dessen, was den ersten Teil ausmachte. Wer also Beleidigungen, Rückenmarkspunktionen und das Erbrechen von Erbsensuppe erwartete, der wurde enttäuscht. Und auch atmosphärisch schlug der Regisseur ganz andere Wege ein, als sein Vorgänger. John Boorman war zuvor mit einem Gangsterfilm (POINT BLANK/1967) und einem metaphysischen Kriegsfilm (HELL IN THE PACIFIC/1968) aufgefallen, vor allem aber mit DELIVERANCE (1972), einem ebenfalls metaphysisch angehauchten Abenteuertrip einiger großstädtischer Männer in die Wildnis der Appalachen. All diese Filme erzählten letztlich von Männern, die auf der Suche nach ihrem „eigentlichen“ Ich sind oder aber sie werden mit einem „eigentlichen“ Ich konfrontiert, ob sie wollen oder nicht. Boormans Filme sind jedoch nicht nur metaphysisch, sondern auch immer esoterisch angehaucht. Dass ihn also ein Stoff wie der vorliegende zumindest interessierte, verwundert nicht. Immerhin konnte er hier einen Sinnsuchenden portraitieren, einen Mann des Glaubens, der mit wissenschaftlichen Erkenntnissen konfrontiert wird und sich fragen muss, ob sein Blick auf die Welt, sein Welt-Bild, überhaupt noch geeignet ist, um die Welt zu durchdringen, ja, zu be-greifen.
Geplant war ein solch intellektueller Film allerdings nicht. Noch einmal die englische Wikipedia-Seite zum Film konsultiert, kann man nachlesen, dass nicht einmal Produzent Richard Lederer an einem ernsthaften Nachfolger geglaubt hat. Weder William Friedkin, Regisseur des Originals, noch William Peter Blatty, der die Vorlage und das Drehbuch des ersten Teils geschrieben hatte (und viel später, 1990, selbst einen dritten Teil der Saga realisierte), waren an einer Fortsetzung interessiert. Lederer seinerseits wollte den Erfolg des Originals auf möglichst billige Art und Weise wiederholen, es sollte ein Budget von vielleicht drei Millionen Dollar zur Verfügung gestellt und ansonsten sollten Outtakes und Reste des Originals verwertet werden.
Doch dann entwickelte Drehbuchautor William Goodhart ein Script, das sich an einem katholischen Intellektuellen – Pierre Teilhard de Chardin – und dessen Thesen zu Mythos und Wissenschaft ausrichtete und sich vergleichsweise ernsthaft mit Fragen von Gut und Böse in einer zusehends säkularisierten Welt auseinandersetzte. Dieses Drehbuch erforderte dann doch ein größeres Budget und einen ernsthafteren Versuch, es zu verfilmen, als es Lederer ursprünglich vorgeschwebt haben dürfte. Boorman jedenfalls gefiel es und er erkannte die Möglichkeiten darin.
Die Grundlage dieses Drehbuchs findet sich auch durchaus im Film wieder, allerdings schrieben Boorman und sein Co-Autor Rospo Pallenberg praktisch während des gesamten Drehs weiter an dem Buch und änderten es fortlaufend. Für einige der Beteiligten liegt hierin einer der wesentlichen Gründe für das Scheitern des ganzen Unternehmens. Und es stimmt, dass das Buch inkohärent ist, Brüche aufweist, Zusammenhänge nicht wirklich verständlich machen kann und teilweise nur sehr bescheidene Ideen präsentiert. Vor allem das Ende, welches dann auch für seine Zeit sehr konventionell und bieder ausfällt, wäre da zu benennen. Weder ist es spannend noch tricktechnisch sonderlich spektakulär.
Hinzu kamen etliche Probleme während der Dreharbeiten. Boorman war lange krank und konnte nur eingeschränkt arbeiten, Pallenberg, der in den Credits als Second Unit Director aufgeführt wird, soll einen Großteil der Szenen gedreht haben. Einige Darsteller hatten ebenfalls gesundheitliche Probleme. Drehgenehmigungen wurden nicht erteilt, die angeforderten Heuschrecken, die ein wesentlicher Teil der Schrecken des Films ausmachen, starben in Scharen, bereits entwickeltes Material wurde beschädigt, es waren umfangreiche Nachdrehs erforderlich. Zudem gab es schon vor Drehbeginn Schwierigkeiten, den Film überhaupt zu besetzen. Bevor Richard Burton für die Rolle des zweifelnden Pater Philip Lamont unterschrieb, waren einige damals angesagte Schauspieler angefragt worden, unter anderem Jon Voight und Jack Nicholson. Sie lehnten die Rolle jedoch ab. Die weibliche Hauptrolle, die dann von Louise Fletcher gespielt wurde, war zunächst als männliche Rolle angelegt und anderen Schauspielerinnen angeboten worden.
Alles keine sonderlich guten Voraussetzungen für einen gelungenen Film. Betrachtet man dann das Ergebnis eben mit dem zeitlichen Abstand und ohne die Erwartungen, die im Jahr 1977 an eine Fortsetzung des ersten Teils geknüpft worden sein mögen, dann erstaunt, dass letztlich zwar kein wirklich guter Film dabei herausgekommen ist – erst recht kein guter Horrorfilm in den herkömmlichen Konventionen des Genres – aber doch ein respektables Werk.
Mit Pater Lamont führt der Film einen Zweifelnden, auch einen Ver-Zweifelnden, ein, einen Mann, der Pater Merrin, dem von Max von Sydow im ersten Teil gespielten Exorzisten, eng verbunden war und nun damit beauftragt wird, herauszufinden, was sich damals in jenem Zimmer in dem Haus in Georgetown in Washington D.C. während des Exorzismus´ der Regan MacNeil zugetragen hat. Dafür reist er nach New York, wo die mittlerweile zur Jugendlichen herangereifte Regan in der Behandlung einer Psychiaterin und unter der Obhut einer Freundin ihrer Mutter lebt. Da Ellen Burstyn für den zweiten Teil nicht zur Verfügung stand, musste ein Konstrukt gefunden werden, dass die Abwesenheit von Regans Mutter erklärt. Lamont befragt nun Regan mit Hilfe eines Geräts namens „Synchronisator“, das es ermöglicht, unter Hypnose die Hirnwellen von mindestens zwei Menschen zu synchronisieren, so dass es möglich wird, die Erinnerungen und Traumbilder des andern zu sehen. So will Lamont herausfinden, was genau sich während des Exorzismus´ abgespielt hat. Schnell spürt er dabei den Erkenntnissen nach, die Merrin in Bezug auf Regan gewonnen hat. Die Bilder, die Regan in ihrem Unterbewusstsein gespeichert hat, sind eben auch die Bilder, die der Dämon Pazuzu, der sie einst in Besitz genommen hatte, in sich trägt.
Lamont will an das Gute glauben, doch sieht er sich einer Welt ausgesetzt, die nicht an das Böse als Entität, als Wesenheit glauben will oder kann und deshalb auch das Gute – im Sinne des Glaubens – nicht mehr empfinden kann. Er sieht sich in Dr. Gene Tuskin – jener von Louise Fletcher gespielten Psychiaterin – mit einer Vertreterin der Wissenschaft, also der säkularen, gottlosen, nicht- oder un-gläubigen Welt konfrontiert. Sie will nicht daran glauben, dass die Geschehnisse um Regan tatsächlich eine Teufels- oder Dämonenaustreibung gewesen seien, er kann nicht akzeptieren, dass es sich dabei möglicherweise um eine psychische Disposition gehandelt haben könnte, eine Psychose, die mit psychiatrischen Mitteln behandelt werden kann oder gar behandelt werden muss. Für Lamont ist das Gefühl, allein zu sein, gegen eine Phalanx zu stehen, gegen die er nicht mehr ankommen kann, ja, nicht einmal den Rückhalt seines Freundes, des Kardinals, zu genießen, schließlich der Grund dafür, sich aus der Seelsorge zurückzuziehen und sich auf eigene Faust auf die Suche nach Merrins Forschungen und Ergebnissen zu machen. Und so wird er selbst mit Pazuzu konfrontiert.
Boorman findet teils atemberaubende Bilder für die Geistwelten, in die Lamont eindringt. Das Afrika, das der Film imaginiert, ist zwar ein durch und durch von Klischees definiertes – und damit leider auch rassistisch zumindest angehauchtes – zugleich aber in seiner Bildgewalt überwältigendes. Wenn die Heuschreckenschwärme sich über die Ebenen ergießen und die Felder befallen, dann sind das wahrlich Kino-Bilder, die die große Leinwand verlangen. Die Felsenstadt, die Lamont zunächst in Regans Träumen, später in seinen eigenen Halluzinationen und schließlich in realitas besucht, ist ebenfalls ein bravouröses Kino-Bild, wunderschön und ebenfalls überwältigend. Immer, wenn der Film aus den Räumlichkeiten hinausgeht, in die Straßen, in die U-Bahn usw., atmet er den Geist des Originals, atmet er den Geist des ‚New Hollywood Cinema‘, den Geist des Authentischen, atmet er Street Credibility. Und er atmet den Geist der Gefahr. Denn jene Szene, in der Regan hoch über der 5th Avenue auf ihrer sehr überschaubar gesicherten Terrasse schlafwandelt, soll genau so, wie sie im Film zu sehen ist, gedreht worden sein: Ohne Seil und doppelten Boden, nicht gedoubelt, balanciert Linda Blair da am Rande des Abgrunds.
Doch all diese Vorzüge (wobei Blairs Szene sicherlich fragwürdig ist) können natürlich nicht über die Schwächen des Films hinwegtäuschen. Das beginnt mit der bereits erwähnten Inkohärenz des Drehbuchs, dem man die ständigen Änderungen eben auch anmerkt. Manches ist kaum noch nachvollziehbar – darunter die Frage, wie Lamont eigentlich durch Regan hindurch Merrins oder auch die Bilder und Gedanken des Dämons betrachten können sollte – anderes wiederum ist albern. Der „Synchronisator“, den Dr. Tuskin entworfen hat, ist schlicht kein guter Einfall für einen Film. Man schaut zwei Leuten – meist Blair und Burton – dabei zu, wie sie in ein Licht starren, dann die Augen verdrehen und schließlich in Starre verfallen, während sie alberne Ringe auf dem Kopf tragen und mit Drähten verkabelt sind. Der Film muss dann bebildern, was die Protagonisten sehen. Das funktioniert, wie oben beschrieben, bei den Traumsequenzen (wenn man sie denn so nennen will) teils hervorragend, weniger gut funktioniert es, wenn wir in tatsächlich recht billig wirkenden Überblendungen einzelner Szenen aus dem ersten Film ansichtig werden. Da sehen wir Merrin in der Gestalt von Max von Sydow noch einmal in Anbetracht der fürchterlich geschminkten Linda Blair einem Herzinfarkt erliegen und erneut dürfen wir den Stimmen lauschen, die aus dem Mund der kleinen Regan dringen. In diesen Momenten kann man das ursprüngliche Konzept erkennen, mit Outtakes, Rest-Takes und Füllmaterial aus dem ersten Teil möglichst schnell und möglichst billig Gewinn zu erwirtschaften. Vor allem kann man in diesen Momenten aber überdeutlich erkennen, was das Original hatte und was der zweite Teil eben nicht hat. Boormans Film tut sich selbst keinen Gefallen, auf diese Szenen zurückzugreifen.
Ein weiteres Problem des Films sind die Schauspieler. Richard Burton drehte im Jahr 1977 drei Filme. Neben EXORCIST II: THE HERETIC handelte es sich dabei um EQUUS (1977) und THE WILD GEESE (1977). Burton trank zu dieser Zeit deutlich weniger als in den Jahren zuvor, dennoch galt er als harter Trinker und nahm seine Rollen recht wahllos an. In einem Interview sagte er einmal, angesprochen auf den qualitativen Unterschied seiner Rollen, dass man dort, wo er herkomme – er war Sohn eines walisischen Bergarbeiters und eines von zwölf Geschwistern – erst einmal Geld verdienen müsse, bevor man darauf schielte, womit man es verdiene, da mache man sich halt manchmal die Finger schmutzig. Hier liefert er eine mäßige Leistung ab, seine Gesichtsausdrücke wechseln lediglich zwischen Betroffenheit und Angst und ähneln letztlich denen, die er in THE WILD GEESE als Chef einer Söldnergruppe nutzt. Von den drei Filmen des Jahres war EQUUS sicher der ambitionierteste und derjenige, der dem Schauspieler selbst am meisten bedeutete.
Louise Fletcher spielt Dr. Gene Tuskin. Sie war gerade erst mit dem Oscar als Beste Hauptdarstellerin in ONE FLEW OVER THE CUCKOO´S NEST (1975) ausgezeichnet worden. Dort hatte sie die sadistische Krankenschwester Ratched gespielt. Nun also wechselte sie das Fach und gab die Psychiaterin. Allerdings hat sie nicht viel zu tun. Die Rolle ist nichtssagend, ebenso die von Sharon, der Frau, welche auf Regan aufpasst. Und Regan selbst? Linda Blair ist in den Jahren seit THE EXORCIST nicht plötzlich zu einer guten Schauspielerin mutiert. Sie ist im Grunde noch nicht mal eine schlechte Schauspielerin, sie ist überhaupt keine Schauspielerin. Doch anders als im ersten Teil müsste sie hier etwas leisten. Saß sie damals vor allem geschminkt auf ihrem Bett und beschimpfte die Priester, hat sie nun tatsächlich echte Dialogszenen. Die sie irgendwie übersteht.
Es entsteht die Fortsetzung eines der größten Blockbuster der 70er Jahre, was so oder so eine undankbare Aufgabe ist und womöglich nicht einmal dem Original-Team gelungen wäre. Zu hoch die Erwartungen und Anforderungen und bei aller Liebe: Hier waren auch im Original – von Regisseur William Friedkin vielleicht einmal abgesehen – keine Genies am Werk, wie es bspw. bei den ersten beiden THE GODFATHER-Filmen (1972/74) der Fall gewesen ist. Vielleicht gibt die Grundthematik von THE EXORCIST auch schlicht nicht viel mehr her als das, was Teil eins bietet. So gesehen war Lederers erste Idee, einfach noch einmal abzusahnen ohne groß auf Qualität zu achten, vielleicht gar nicht so schlecht. Der Einfall, einen weiteren Teil zu nutzen, um dem Zuschauer eine intellektuelle Abhandlung über Selbstzweifel und manichäische Betrachtungen einer zusehends „gottlosen“, weil säkularen Welt zu bieten, ist charmant, aber wahrscheinlich doch auch anmaßend. Zwar hatte man mit John Boorman dafür vielleicht den richtigen Regisseur, doch ist es womöglich keine gute Idee, einen solchen Film auf der Basis eines Horrorfilms zu realisieren, der eben auch kommerziell erfolgreich sein muss. Ein Künstler wie Andrej Tarkowski oder auch Stanley Kubrick – Regisseure, die sich weitestgehend befreit hatten von kommerziellen Ansprüchen – wären da wohl geeigneter gewesen. Sie hätten sich die Freiheiten genommen, die sich ein Mann wie Boorman zu dieser Zeit in einem Hollywood-Kontext vielleicht noch nicht nehmen konnte.
Viel Spekulation. Fakt ist, dass EXORCIST II: THE HERETIC kein sonderlich gelungener Film ist, doch bei weitem nicht so schlecht, wie er in der zeitgenössischen Kritik dargestellt wurde. Es ist ein Film, der es zumindest wert ist, nach all den Jahren noch einmal betrachtet zu werden. Wem die Geschichte zu billig, die Tricks nicht spektakulär genug sind, der kann sich zumindest an den teils berauschenden Bildern ergötzen, die John Boorman und sein Kameramann William A. Fraker erschufen. Und zumindest die lohnen alle Male.
[1] Everson, William K.: KLASSIKER DES HORRORFILMS. München 1980; S. 252.