MEUTEREI AUF DER BOUNTY/MUTINY ON THE BOUNTY (1935)
Großes, ganz großees KINO
Die „Meuterei auf der Bounty“ ist die wahrscheinlich berühmteste Meuterei, die es in der Geschichte der christlichen Seefahrt gegeben hat. Verbürgt ist sie für den April 1789, als der Offizier Fletcher Christian gegen den Kapitän William Bligh aufbegehrte, nachdem es auf der bisherigen Reise nach Tahiti – rund um die Südspitze Afrikas, durch den südlichen Indischen Ozean nach Tasmanien und von dort weiter zum Ziel im Südpazifik – zu mehreren disziplinarischen Maßnahmen gegenüber der Mannschaft gekommen war, die mit großer Brutalität durchgeführt wurden. Die Bounty war für die lange Reise und den Auftrag, Brotbäume aus der Südsee in die Karibik zu bringen, ein im Grunde zu kleines Schiff. Ihre Besatzung bestand kaum aus echten Seeleuten, sondern vor allem aus verurteilten Verbrechern und unter dubiosen Umständen Verpflichteten bestand. Wahrscheinlich wurde Christian auch durch einige Matrosen angestiftet; nach allem, was man weiß, hatte er desertieren und das Schiff verlassen wollen. Allerdings stand Desertion im Strafkatalog der britischen Marine nicht sehr weit hinter „Meuterei“ und hätte wie diese mit dem Tode bestraft werden müssen. Als es erst einmal zur Meuterei gekommen war, mussten Bligh und einige ihm Getreue die mitgeführte Barkasse besteigen. Mit geringem Proviant und wenig Wasser machte sich Bligh mit seinen Männern auf den Weg. Es gelang ihm innerhalb von 48 Tagen mit lediglich einem einzigen Todesopfer (was einem Wunder gleichkam), das Boot nach Kupang/Timor zu lotsen, von wo aus die Männer dann England erreichten. Die Bounty hingegen lief zunächst erneut Tahiti an, wo sich einige Matrosen sehr wohl bei den Einheimischen gefühlt hatten. Christian und einige andere verliebten sich sogar ernsthaft in eingeborene Frauen. Doch bot die Insel nicht wirklich Schutz. Es war offensichtlich, daß die zu erwartende Such- und Strafexpedition der englischen Admiralität hier zuerst suchen würden. So segelten Christian und einige andere – acht Mann der ursprünglichen Bountybesatzung, sowie einheimische Taihitianer, darunter recht viele Frauen – weiter, durchkreuzten den Südpazifik und fanden auf der auf den meisten Karten falsch eingetragenen Insel Pitcairn schließlich ein Zuhause. Die Bounty hatten sie bewußt auf Grund gesetzt und schließlich angezündet. Nachfolger dieser gemischten Urbevölkerung der Insel leben auch heute noch dort.
Über die Zustände in der englischen Marine des 18. Jahrhunderts sollte man sich keinen Illusionen hingeben, es war harte Arbeit und der durchschnittliche Matrose hatte wenig zu lachen. Die Reisen waren lang und gefährlich, man hatte es mit Stürmen, oftmals kriegerischen Auseinandersetzungen und in südlicheren Gefilden oft mit vollkommen fremden Krankheiten zu tun. Ein Leben war wenig wert. Zucht und Ordnung galten als A und O auf den Schiffen und wurden mit großer Strenge und Härte durchgesetzt. Die Geschehnisse rund um die Bounty trugen maßgeblich dazu bei, daß sich die Zustände zumindest besserten. Doch wie so oft, sind die Dinge in der Wirklichkeit eher grau und nicht schwarz-weiß, wie sie erscheinen mögen. Und manchem besser in den Kram passen. Heute – und auch schon zu dessen Lebzeiten, wie man weiß – wird Blighs Leistung, die Barkasse fast 1.500 Seemeilen weit, oftmals über offenes Meer, lediglich mit den notwendigsten Instrumenten ausgestattet, mit wenig Verpflegung und Wasser und dabei ohne höhere Verluste sicher in einen Hafen zu steuern, als das eigentliche Ereignis der ganzen Angelegenheit betrachtet. Was er vollbrachte, war eine navigatorische Meisterleistung. Auch war es keineswegs so, daß Bligh ein sadistisches Monstrum gewesen ist, dem die Männer massenweise von der Fahne gingen. Im Rahmen dessen, was damals nicht nur gestattet, sondern Usus war, verhielt Bligh sich durchaus den Regeln konform und war er auch bereit, gesetztes Strafmaß zu unterlaufen. So wandelte er das sichere Todesurteil für Deserteure schon mal in zwei Dutzend Hiebe mit der neunschwänzigen Peitsche um. Das macht ihn sicher zu keinem Heiligen, doch ein ausgemachter Unmensch ist er wohl nicht gewesen. Seine Meriten als Seemann stehen sowieso außer Frage, war er doch schon auf Cooks dritter Weltreise dabei gewesen und hatte sich dabei vor allem als Kartograph hervorgetan. Als ursächlich für die Entwicklungen an Bord sehen die Historiker heute eher die Größe des Schiffes, die mangelhafte Vorbereitung auf die Expedition und die schwierige Zusammensetzung der Mannschaft an.
Eine Geschichte mit Potential, keine Frage. Daß Hollywood beizeiten bereit sein würde, das Abenteuer der Meuterer der Bounty mit seinen Mitteln zu erzählen, erklärt sich von selbst. MGM ließ 1935 also ein echtes mit Clark Gable und Charles Laughton garniertes Hochglanzprodukt vom Stapel, das im Folgejahr etliche wesentliche Oscar-Nominierungen einheimste und schließlich den für den ‚Besten Film‘ gewann. Ein enormer Erfolg, auch an der Kinokasse. Sieht man den Film heute, achtzig Jahre nach seiner Erstaufführung, erstaunt es schon, wie überzeugend er immer noch ist, vor allem in seinen actionreichen Szenen, wenn die Bounty, später die Barkasse in schwere See oder Sturm gerät. Ohne Umwege und erstaunlich wenig romantisch, hält er sich recht genau an die Vorlage, einer englischen Romantrilogie von Charles Nordhoff und James Norman Hall aus den 1930er Jahren, die äußerst populär war.
Laughton – einer der führenden Schauspieler seiner Zeit – bot mit seiner Interpretation des Kapitän Bligh sicher eine seiner besten Leistungen, Gable, ohne Bärtchen, zeigt in jeder Leinwandminute, warum er einst der „König von Hollywood“ genannt wurde, der heute vergessene Franchot Tone lässt seinen Roger Byam glaubwürdig zwischen seiner Freundschaft zu Christian und seinem Eid auf den König, seinen Glauben an die Marine und deren Werte verzweifeln. Generell ist der Film gut gecastet, diese Seeleute sehen wie Seeleute aus, die Raubeinigkeit der Mannschaft wirkt überzeugend. Und sollte ein genauer Beobachter in einer der Szenen bei der Einschiffung aufmerken, weil da doch ein Seemann James Cagney verteufelt ähnlich sieht – nicht wundern, er ist es. Er hatte sich – spaßeshalber – von seinem Kumpel Frank Lloyd, dem Regisseur der MUTINY ON THE BOUNTY den dialogfreien Part für einen Tag geben lassen. Der Film überzeugt also sowohl mit seinen Darstellern, als auch mit seinen Bauten und Kulissen, die zu seiner authentischen Wirkung enorm beitragen und schließlich mit einer wirklich atemberaubenden Kameraarbeit, die ihm Bilder von hoher Intensität verleiht. Auch hier müssen die Szenen bei Sturm und hohem Seegang genannt werden, aber auch jene, in denen das Schiff bei Flaute gezogen wird und sich dann endlich die Segel mit Wind füllen. Sehr nah geht die Kamera an die arbeitenden Männer in der Takelage heran; selten, daß ein Film dem Publikum so genau zeigt, was Seemannsarbeit eigentlich bedeutet: Bei Wind und Wetter rauf in die Wanten, Segel raffen oder einholen, vertäuen, das Deck sichern, auch wenn der Kahn krängt und durch schwere Wellen rollt. Es ist beeindruckend, wie Lloyd und sein Kameramann Arthur Edeson dies einfangen und präsentieren. Doch ebenso gelingt es ihnen lebhaft das alltägliche Leben an Deck zu zeigen: Die Ausbeute von Fischjagden, das Flicken von Netzen, das Ausbessern des Schiffes. Dabei werden auch die ganz alltäglichen Gefahren dieses Lebens gezeigt, wenn ein Mann über Bord geht und kaum wer es mitbekommt.
Dabei erzählt der Film seine Story geradlinig. In der ersten Stunde werden uns die wesentlichen Figuren unter den Reisenden vorgestellt, sobald das Schiff in See gestochen ist, werden die vielen Hundert Meilen anhand einer Reihe von disziplinarischen Maßnahmen abgebildet, die Bligh im Laufe der Zeit an einzelnen durchführen lässt. Ist Tahiti erst einmal erreicht, spitzt das Drehbuch den Konflikt auf einen immer persönlicheren zwischen Bligh und Christian zu, bei dem Byam versucht, vermittelnd einzugreifen. Allerdings ist der Film sehr eindeutig in seinen Zuweisungen: Hier der sadistische, an die Züchtigung als erzieherische und disziplinarische Maßnahme glaubende Bligh – dort Fletcher Christian, der sich der Problematik eines zu kleinen Schiffes bei gleichzeitig erzwungener Mannschaft vollauf bewußt ist, eher ein Freund der Seemänner als ein Vertreter der Admiralität und ihrer Offiziere. Zudem setzt der Film natürlich voll auf die körperlichen Zeichen seiner Hauptdarsteller: Laughton – klein, untersetzt, mit Hang zur Fettleibigkeit, nicht unbedingt eine Schönheit, ganz sicher kein männlicher „Star“ im engeren Sinne Hollywoods – lässt Bligh teils verschlagen, schwerfällig und ein wenig gehandicapt wirken; Gable – gut aussehend, durchtrainiert, sich mit Schwung und Eleganz über das Schiff bewegend – gibt Christian als Helden, als Freund des kleinen Mannes, und beweist mit seiner ganzen Präsenz, daß und warum er damals dem entsprach, was heute ein „Superstar“ genannt wird. Diese eindeutige Auslegung der Charaktere – Byam als eine Art Ziehsohn beider dazwischen, den Bligh fürchterlich straft, als er ihn bei Sturm wegen eines geringen Vergehens, einer Vergeßlichkeit, in die Wanten schickt, den Christian unter Einsatz seines Lebens dann schließlich rettet – ermöglicht natürlich eine völlige Konzentration auf die Entwicklung des Konflikts und den vorläufigen Höhepunkt der Meuterei. Danach, und das erstaunt, nimmt der Film sich aber fast mehr Zeit, die Leistung Blighs zu würdigen, denn den Meuterern bei ihrer Suche nach dem Glück der Freiheit zu folgen. Das unter anderem macht ihn auf erstaunliche Weise ebenso unromantisch wie unsentimental. Wenn Christian mit einer flammenden Rede seine Mitverschwörer überzeugt, die Bounty zu vernichten und somit den Weg zurück in die Zivilisation abzuschneiden, kommt dies neben den früheren Szenen auf Tahiti – mit der dortigen Annäherung zwischen Christian und Maimiti (Mamo Clark) und Byam und dessen Gespielin – der Romantik eines Hollywoodfilms noch am nächsten. Aber dies ist in erster Linie ein gradliniger Abenteuerfilm, der Spannung und Action ernst nimmt. Und seine Geschichte ebenfalls. So werden wir schließlich auch Zeugen davon, wie Byam, nachdem er auf Tahiti aufgegriffen und mit den letzten verbliebenen Männern der Bounty nach England verbracht wurde – übrigens von Bligh höchstselbst, was nicht den Tatsachen entsprach – vor dem Seegericht ein flammendes Plädoyer halten darf, in welchem er erklärt, daß Christian sich nach allen Regeln britischen Seerechts natürlich falsch verhalten habe, sein Anliegen jedoch in jeder Hinsicht berechtigt gewesen sei. Nach über zwei Stunden Laufzeit wurde uns also nicht nur die gesamte ausufernde Geschichte der Meuterei berichtet, sondern auch didaktisch Erbauliches mit auf den Weg gegeben. Wie es sich für einen gelungenen Hollywoodfilm der 30er Jahre, der nicht gleich dem Genie des großen Ernst Lubitsch entsprang, auch gehört.
Ein Film wie Raoul Walshs CAPTAIN HORATIO HORNBLOWER (1951) verdankt MUTINIY ON THE BOUNTY viel in der Darstellung der Arbeit an Bord, der zwar alltäglichen, aber eben auch spannenden, weil abenteuerlichen Handgriffe und Tätigkeiten. Aber auch der Inszenierung der Schiffe auf See. Die ist hier sehr viel dynamischer und realistischer, als z.B. in den Piraten- und Seeräuberfilmen mit Errol Flynn. Vergleicht man diese Interpretation schließlich mit der nächsten Verfilmung des Stoffes, die Lewis Milestone 1962 mit Marlon Brando als Fletcher Christian und Trevor Howard als Bligh realisierte, sticht die frühere Bearbeitung doch positiv hervor. Die ganze Dramaturgie wirkt überzeugender, klarer, die Inszenierung weniger schwerfällig, das Gesamtprodukt unprätentiöser. Dies ist eins der gelungensten Beispiele dafür, warum die 1930er Jahre oft als das ‚goldene‘ Jahrzehnt Hollywoods bezeichnet wurden. Großes Kino. Einfach großes Kino.