BRASSED OFF – MIT PAUKEN UND TROMPETEN/BRASSED OFF

Brassbands – Blechkapellen – entstanden in den britischen Kohlerevieren schon mit dem Aufkommen der Industrialisierung Mitte der 19. Jahrhunderts. Sie haben somit eine lange Tradition. Einzelne Zechen traten in Wettbewerben gegeneinander an, womit auch der Stolz der Belegschaft unterstützt und ausgedrückt wurde.

Erst vor diesem Hintergrund wird das Drama verständlich, von dem Mark Hermans BRASSED OFF (1996) erzählt. Mitte der 90er Jahre entstanden eine ganze Reihe von Komödien, die mit einem gallebitteren Humor vom Niedergang der englischen Industrie und Arbeiterklasse  erzählten, von der sozialen Härte, die damit einherging, von der Arbeitslosigkeit und davon, wie gewitzte Arbeiter sich bemühten, ihre Würde und die Hoffnung zu bewahren. Zu diesen wurde auch BRASSED OFF gezählt, obwohl der Film eher ein Drama mit komischen Momenten ist, denn eine Komödie wie bspw. THE FULL MONTY (1997) von Peter Cattaneo. In gewisser Weise ist Hermans Film näher bei den wirklichen Sozialdramen eines Ken Loach (RIFF-RAFF/1991) oder eines Mike Leigh (NAKED/1993).

BRASSED OFF steht dabei allerdings auch in der Tradition des europäischen Autorenfilms und seiner spezifisch britischen Ableger, dem Free Cinema und der British New Wave der späten 50er und frühen 60er Jahre, die eine weitere Inkarnation in den 80ern erfuhr, als Regisseure wie Stephen Frears sich aufmachten, eine andere, poppigere Realität in und um London abzubilden. Wobei nichts weiter vom Swingin´ London entfernt sein könnte, als die Welt von BRASSED OFF. Teils wurde der Film an Originalschauplätzen in Yorkshire, wo er auch spielt, gedreht, immer war es Herman wichtig, die soziale Realität in den Arbeitersiedlungen und im Umfeld der Zechen zu zeigen. Das Schicksal dieser Siedlungen und das der Zechen war (und ist) unauflösbar miteinander verbunden, sterben die einen, sind auch die anderen fast zwangsläufig zum sozialen Siechtum verurteilt. Zurück bleiben prekäre Verhältnisse, sogenannte „Abgehängte“, soziale, kulturelle und wirtschaftliche Verödung. Genau für diese Verödung finden Herman und Kameramann Andy Collins Bilder, um sie nachvollziehbar abzuwenden. Malerisch – wollte man meinen – liegen die Zechendörfer in der kargen Landschaft Yorkshires, die Backsteine schimmern rot im Licht der Abendsonne, was ihnen eine ganz eigene romantische Note verleiht. Und doch sind die Menschen, die in diesen Backsteingebäuden leben, ununterbrochen bedroht: Verlust der Arbeit bedeutet Verlust des Einkommens, bedeutet Verlust des Heims und so weiter. Gerade diese Widersprüchlichkeiten arbeitet Herman heraus und geben dem Film die bittere Note, die sein Grundton ist.

Es ist ein geschickter Zug, die Handlung zeitnah in die 90er Jahre zu verlegen. Die ganz großen Kämpfe zwischen der Regierung Thatcher und den Bergarbeitergewerkschaften hatten zehn Jahre zuvor stattgefunden und in den Streiks von 1984/85 ihren Höhepunkt erreicht. Wenn die Arbeiter in der Zeche in Grimley nun vor der Abstimmung stehen, ob man sich mit der Abfindung zufrieden gibt und die Grube geschlossen wird oder ob man noch einmal die Rentabilität prüfen soll, dann hat man es dabei mit Entscheidungen zu tun, deren Folgen den Abstimmenden längst bekannt sind. Hier gibt es keine zwar aussichtslosen aber vielleicht heroischen Kämpfe mehr zu bestehen, hier gibt es im Grunde nur noch die Wahl zwischen Pest und Cholera. Und so haben die Bergmänner längst alle Hoffnung fahren lassen – die Abstimmung geht schließlich für die Schließung und die Abfindung aus – einzig die Frauen sind es noch, die nicht aufgeben, die streiken, die vor den Werktoren ihre Stände und Plakate aufgebaut haben und so auf die Situation der Zechen aufmerksam machen. Doch ihre Apelle verhallen, sind nur noch ein Abklatsch der kämpferischen Stimmung der 80er Jahre. Diesen Kampf, oder Nicht-Kampf, als Hintergrund der werkseigenen Brassband zu nehmen, ist ebenfalls geschickt, da Herman so die Auswirkungen durch alle Generationen von Arbeitern verfolgen kann, ohne daß dies wie eine Anordnung wirkt. Denn in der Band spielen Vertreter aller Generationen. Zudem spiegeln sich Band und Werk ineinander – weshalb es auch verständlich ist, weshalb die Bandmitglieder eigentlich nicht mehr weiterspielen wollen, sollte die Zeche wirklich geschlossen werden. Die Band ist immanenter Teil ihres Arbeitslebens. Ihre Identifikation mit dem Werk, also ihrer Arbeit, und mit der Band ist nahezu deckungsgleich.

Anhand des Band-Dirigenten Danny, den Pete Postlethwaite mit viel Würde und schließlich auch Kampfgeist ausstattet, seines Sohns Phil, der eine Familie zu versorgen hat und immer tiefer in den Kreislauf von Schulden, häuslichem Streit und Demütigungen gerät, und des Jungspunds Andy, den der damals gerade zum neuen britischen Star aufsteigende Ewan McGregor spielt, lässt sich trefflich nachvollziehen, was die Schließungen für die verschiedenen Generationen bedeuteten. Für einen Mann wie Danny scheint die Kapelle wichtiger als alles andere, steht sie für ihn doch symbolisch für jene Zeit, als die Bergarbeiter noch Stolz und Würde hatten und für die Prosperität des Landes standen. Doch an ihm scheint die Zeit so oder so vorübergezogen. Schlimm ist es für die mittlere Generation, die Phil repräsentiert und die Verantwortung trägt, denn ihre Vertreter sind am ärgsten betroffen. Sie können weder von der Vergangenheit zehren, die zumindest in der Erinnerung Glanz und Würde besitzt, noch einfach alles hinter sich lassen, wie die Jungen. Junge wie Andy, die bereits einen beträchtlichen Realitätsschock erfahren haben und darob wenn nicht zynisch, so doch zumindest sehr abgeklärt geworden sind. Mit der Figur der Gloria, die nach Jahren in London zurück nach Grimley kommt, in der Band das Flügelhorn spielt und zugleich für das Management der Zeche arbeitet, was ihr bei den Jungs der Kapelle den Ruf einer „Streikbrecherin“ einbringt, erzählt Herman aber auch vom Ende der Tradition, davon, wie sich diese Gesellschaft auflöst, wie die Jungen ihr Heil woanders und vor allem in anderen Berufen suchen und dabei manchmal gegen die Interessen der eigenen Leute arbeiten müssen. Ökonomischer Druck erzeugt eine fast feindselige Atmosphäre zwischen den unterschiedlichen Gruppen der Arbeiter mit ihren unterschiedlichen Bedürfnissen und Ansprüchen.

So entsteht ein heterogenes, glaubwürdiges Abbild der Belegschaft einer Zeche, der internen Kämpfe und Widrigkeiten. Herman gelingt es, dies folgerichtig darzustellen, wozu der Fokus auf die Band wichtig ist, um das Ganze nicht als Lehrstück erscheinen zu lassen. Darin unterscheidet sich BRASSED OFF deutlich von den Vorbildern des Free Cinema, aber eben auch von den Werken eines Ken Loach. Zwar wirkt dieser Fokus wie eine Ablenkung, was dem Film dann auch den Ruf eines Feel-Good-Movie eingetragen hat, der aber völlig unberechtigt ist, denn gerade diese Perspektivverschiebung macht die Geschichte glaubwürdig und nachvollziehbar. Herman erlaubt sich keine Sentimentalitäten, kein Pathos. Und also auch keinen Kitsch. Die Momente, in denen der Zuschauer emotional überwältigt werden könnte, driften in eben jenen grimmigen Humor, von dem oben die Rede war.

Phil, der sich als Miet-Clown ein Zubrot verdient und mit seinen elend langen, knallroten Schuhen wie eine allzu traurige Gestalt wirkt, ist nicht dazu angetan, daß wir ihn übermäßig bemitleiden, aber wir verstehen seine Verzweiflung. Wenn sich Harry und seine Frau im ersten Drittel des Films immer nur an der Haustür begegnen und nahezu wortlos aneinander vorbeigehen, hat das zwar etwas Tieftrauriges, aber es ist eben auch komisch. Zumindest, bis es dann zu einer echten Auseinandersetzung zwischen den beiden kommt und wir erfahren, wie sehr Harrys Frau darunter leidet, daß ihr Mann seinen Kampfgeist, den Willen verloren hat. Wenn die Frauen zweier Bandmitglieder beschließen, der Kapelle ab nun auf Schritt und Tritt zu folgen, ist das zunächst ebenfalls komisch, da ihre eigentliche Motivation Gloria ist, der die Herren doch allzu gern dahinstarren, wo hinzustarren sich nicht geziemt. Doch aus dieser Gefolgschaft erwächst eben auch Unterstützung und ein gewisser Stolz auf die Band und ihre Geschichte, die Tradition und auf Dannys Willen, etwas zu erreichen, ja trotzig den Zeitläuften zu widerstehen.

Dennoch gönnt Herman sich und dem Publikum auch ergreifende Momente. Wenn Danny, längst an einer Lungenkrankheit leidend, im Hospital liegt und die Band nachts unter seinem Fenster spielt, dann liegt darin die ganze Tragik dieser Geschichte – und wird doch wieder humorvoll gebrochen, weil die Krankenschwestern den „Lärm“ dringend unterbinden wollen. Und schließlich hält Danny, der der Band nach London, zum Finale des nationalen Wettbewerbs der Werkskapellen, folgt, dort ergriffen lauscht, wie „seine Jungs“ ihre Sache besser denn je machen, eine flammende Ansprache ans Publikum, mit der er auf die Situation der Bergleute hinweist und den Untergang einer großen Tradition. Dies sind Momente, in denen Herman sein Anliegen vielleicht zu deutlich werden lässt, dramaturgisch aber ist das sehr wirkungsvoll, um den Film abzuschließen. Und auch dieser Moment wird dann wieder ironisch gebrochen, wenn einer der „Jungs“ sich schnell den Preis schnappt, den man ja immerhin verdient hat – auch wenn Danny ihn soeben mit Grandezza abgelehnt hatte.

Herman wurde gerade dieses Ende als eine Art Wahlkampfbeeinflussung vorgeworfen, da kurz nach Erscheinen des Films Unterhauswahlen stattfanden. Einmal davon abgesehen, daß es schwierig gewesen sein dürfte, die Produktionszeit und das Erscheinungsdatum derart genau abzustimmen, wird man wohl annehmen müssen, daß es Herman kaum gestört haben wird, seine Anliegen gebündelt formulieren zu können. Filme wie BRASSED OFF wollen ein-, wollen Partei ergreifen, sie wollen etwas Dezidiertes über die soziale Realität im (noch) Vereinigten Königreich aussagen. Und sind damit dezidiert politisch. Da wiederum trifft Herman sich mit Kollegen wie Loach und Leigh. Insofern ist die Beschreibung als Feel-Good-Movie im Falle von BRASSED OFF schlicht falsch. Die ganze Tragik, die dem Film zugrunde liegt, wird durch den Humor lediglich abgemildert. Dadurch, daß diese Figuren so lebensnah gezeichnet sind, widersprüchlich, oft politisch unkorrekt und durchaus derb, wirken sie echt. Durch die Lebensnäher wirkt ihr Verhalten in manchen Situationen zwar absurd, ist aber eben doch immer nachvollziehbar. Auch hier ist die Figur des Phil exemplarisch: Nachdem er seine Arbeit, die Band, fast seinen Vater und schließlich die Familie verloren hat und auch seinen Job als Clown durch fehlende Finesse und einen Auftritt, der es in sich hat, indem er den Kindern etwas nicht gerade Jugendfreies darüber erzählt, wie Gott die Konservative Partei erschuf, versucht er, sich am Rad der Zeche zu erhängen. Es bleibt dem Zuschauer kaum etwas anderes übrig, als zu lachen, wenn er Phil in seinem Clownskostüm in der Höhe zappeln sieht – aber es ist ein Lachen, das im Halse stecken bleibt.

Die einzig wirkliche Schwäche des Films ist technischer Natur: Man sieht den wesentlichen Haupt- und Nebendarstellern an, daß sie zumindest keine professionellen Musiker sind, wenn sie denn überhaupt ein Instrument beherrschen. Die Musiker des Brassband-Orchesters, welches für die Musik verantwortlich zeichnete – die Grimethorpe Colliery Band – spielen die Musiker der Kapelle, die im Film keine Rolle spielen. Dadurch entsteht allerdings schnell der Eindruck, daß für das Schicksal der Band lediglich Danny, sein Sohn Phil und dessen Freundeskreis, der die wesentlich handelnden Figuren des Films stellt, verantwortlich sind. Der Rest der Musiker wirkt wie Staffage. Doch sind dies Nebensächlichkeiten, bedenkt man, wie viel Mühe sich Buch, Regie und die Produktion gegeben haben, ein möglichst authentisches Bild einer Arbeitersiedlung in Yorkshire zu zeichnen.

BRASSED OFF ist nur nominell die Komödie, als die der Film vermarktet wurde. Es ist ein tieftrauriges Sozialdrama, wie es sie das britische Kino immer wieder hervorgebracht hat. Nah an der sozialen Wirklichkeit, bevölkert mit authentischen Figuren, sehr britisch im Blick auf die Tragik, die einer einfachen Geschichte innewohnt, zugleich voller Lebensmut und Witz, dabei mit einem tollen Soundtrack ausgestattet, der sich natürlich aus Stücken für eine Blaskapelle zusammensetzt, mit hervorragenden Schauspielern besetzt und nie kitschig, nimmt er den Zuschauer schnell für sich und seine Figuren ein und scheut sich auch nicht, die, die für das Zechensterben verantwortlich sind, die Herren in den Anzügen, als durch und durch verkommene Zyniker zu brandmarken. Es bleibt zu hoffen, daß das britische Kino, das durchaus eklektisch und verspeilt, verkünstelt und intellektuell sein kann, immer wieder Filme wie diesen hervorbringt.

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