LADYBIRD, LADYBIRD

Eines jener kleinen, treffenden Sozialdramen von Ken Loach

Diese Geschichte beruht auf wahren Tatsachen, werden wir zu Beginn des Films unterrichtet: Die Gelegenheitsjobberin Maggie Conlan (Crissy Rock) lernt während eines Karaoke-Abends im örtlichen Pub den Südamerikaner Jorge (Valdimir Vega) kennen. Er lädt sie zu einem Drink ein und nachdem sie sich anfänglich zier, ist Maggie bereit, mit ihm den Abend und schließlich auch die Nacht zu verbringen. Jorge interessiert sich sehr für sie und ihre Lebensgeschichte und erfährt so im Laufe dieser ersten Zusammenkunft, daß Maggie vier Kinder von drei Vätern hat, daß ihr alle vier im Laufe der vergangenen Monate vom Jugendamt weggenommen und in verschiedenen Pflegefamilien untergebracht wurden. Er erfährt, wie Maggie selbst als Kind Zeuge und Opfer von häuslicher Gewalt wurde, wie sie sich als Erwachsene meist in Männer verliebte, die dieses Gewaltschema weitergaben und wie sie sich doch nicht von ihnen lösen konnte, die Spirale nicht zu durchbrechen wusste. Zwischen Jorge und Maggie entspinnt sich eine zarte Liebesaffäre, bei der der sensible und oft zärtliche Jorge, der weder zu Machismo noch zu Aggressivität neigt, die schnell aufbrausende und oft unzugängliche Maggie unterstützt. Schließlich wird Maggie erneut schwanger und freut sich mit Jorge auf das gemeinsame Kind. Doch bald nach der Geburt tritt das Jugendamt erneut auf den Plan, erneut wird Maggie ein Kind weggenommen, erneut werden ihre Einwände und Befürchtungen nicht berücksichtigt. Jorge glaubt weiterhin an die Kraft des Wortes, daran, sich mit den Behörden verständigen zu müssen, doch bekommt auch sein Glaube an demokratische Werte einen Riss. Er soll abgeschoben werden, da er ohne Pass als Staatenloser gilt. Es gelingt ihm, einen neue, unbefristete Aufenthaltserlaubnis für Großbritannien zu erlangen, doch freut sich Maggie keineswegs mit ihm, da sie in eine Depression verfällt. Sie wird erneut schwanger und diesmal nimmt man ihr das Kind schon im Krankenhaus – ohne Erklärung – weg. Nun verfällt auch Jorge langsam einer Depression, denn die Willkür in seinem neuen Heimatland scheint nicht sonderlich weit von der in seiner alten Heimat, wo er mit dem Tode bedroht wird, entfernt zu sein. Doch, so unterrichtet uns eine Einblendung am Ende des Films, ist es Maggie und Jorge schließlich gelungen, drei weitere Kinder zu bekommen, die sie behalten durften.

Ken Loach gilt neben Mike Leigh (NAKED – 1993) als der britische Regisseur, der das Erbe eines Lindsay Anderson und der anderen Vertreter des ‚New British Cinema‘ der 60er Jahre mit seinem harten und unbestechlichen Blick auf die sozialen und kulturellen Befindlichkeiten seiner Heimat auch in den 80er und 90er Jahren und ins neue Jahrtausend hinein aufrecht hielt. Wo Mike Figgis sein Augenmerk eher auf die psychischen Dispositionen seiner Figuren lenkt und England als ein „Wasteland“ darstellt, eine emotionale und seelische Wüste nach den harten Jahren des Regimes der neoliberalen Konservativen Margaret Thatcher, stellt Ken Loach meist die sozialen Bedingungen aus, die gerade für die Vertreter der Arbeiterklasse in ihrer ganzen Härte gelten. Maggie entstammt dieser Arbeiterklasse, sie versucht durchaus, dieses Erbe mit Verve und Stolz zu vertreten, doch wie so viele, die zu den Verlierern der 80er Jahre und der Umwälzungen unter Thatcher gehörten, ist auch Maggie im Grunde eher die Vertreterin eines neuen Lumpenproletariats.

Der Kampf Maggies mit den Behörden wird von Loach ihrer Beziehung – und damit ihrer Unvoreingenommenheit gegenüber Fremden; zwei ihrer vier bereits zu Beginn des Films existierenden Kinder sind offensichtlich von einem schwarzen Vater – zu dem Südamerikaner Jorge (den sie liebevoll George nennt, bekommt sie die spanische Aussprache doch nicht hin) entgegen gestellt. Dabei geht Loach nicht in die – naheliegende, doch für einen solchen Stoff tödliche – Falle, „Gut“ und „Böse“ einem schwarz-weiß-Schema zuzuordnen. Ebenso wenig zeigt er Jorge als stereotypen Südländer mit Machoallüren. Im Gegenteil: Der politisch Verfolgte wird als warmherziger und an Maggie wirklich interessierter Mann gezeichnet, der lange, sehr viel länger als die zur Cholerik neigende Maggie, die Contenance bewahrt, an die Richtigkeit rechtsstaatlicher Eingriffe und auch daran glaubt, daß man mit vernünftigen Argumenten (s)einer Sache dienen kann. Und auch in der Darstellung der Auseinandersetzung mit dem Jugendamt, dessen Vertreter nicht eindimensional, aber dennoch als entweder hilflos oder aber aggressiv dargestellt werden, vermeidet der Regisseur ein eindeutiges Schema aus gut und böse. Maggie IST cholerisch, es gibt Momente – und an dieser Stelle, nicht nur, aber hier doch ganz besonders, ist die Leistung von Crissy Rock hervorzuheben, denn sie traut sich in diesem Film einiges und beweist u.a. einen wirklichen Mut zur Hässlichkeit – in diesem Film, in welchen man als Zuschauer ins Wanken gerät, was die Zurechnungsfähigkeit dieser Frau betrifft. Diese Szenen, u.a. eine bei einer Anhörung des Jugendamts, erreichen teilweise eine Intensität in der Darstellung, die den Zuschauer wirklich angreift und fordert.

So gelingt es Ken Loach, der schwierigen Situation dieser Patchworkfamilie gerecht zu werden, ohne dabei in Kitsch oder billige Schuldzuweisungen zu verfallen. Im Gegenteil: Gerade die Ausgewogenheit der Darstellung, der Mut, außer Jorge niemanden hier wirklich sympathisch zu zeichnen und somit nah an die Realität heranzurücken, macht das Wesen und somit die Stärke des Films aus. Es bleibt also kaum etwas zu kritisieren, und dennoch muß man dem Film gewisse Schwächen attestieren, die Loach sonst eher selten zeigt. Da ist zu einem die Willkür, mit der er in die Geschichte einsteigt und mit der er sie auch wieder verlässt. Fast scheint es, als sei der Film, mit ihm sein Regisseur, nicht sonderlich am schließlich versöhnlichen Ausgang der Geschichte interessiert. Hinzu kommt die Tatsache, daß Maggies bereits existierende Kinder in der gesamten Filmhandlung nur in Rückschauen gezeigt werden. Auch der Verlust des ersten gemeinsamen Babys mit Jorge, erscheint im Kontext des Films zu einfach wegzustecken. Auch wenn man weiß, daß dem wohl kaum so sein wird, bleibt irgendwo ein Gefühl davon, daß man eben einfach neue Kinder produziert, wenn man eines verliert. Da der Film jedoch im Wesentlichen von der Aussage lebt, daß auch eine Frau wie Maggie – aufbrausend und manchmal unberechenbar – ihre Kinder liebt und eine gute Mutter sein kann (wofür der Film bestechende, weil unkonventionelle und vor allem unsentimentale Bilder findet), unterläuft die Abwesenheit der anderen Kinder diese Botschaft ein wenig.

Doch trotz dieser leichten Kritik ist Ken Loach ein großartiger Film gelungen, der einmal mehr aus einer dezidiert linken und dennoch differenzierten Position heraus britische Realität abbildet. Vielleicht hat der Film nicht ganz die Kraft seiner direkten Vorgänger RIFF-RAFF (1991) oder RAINIG STONES (1993), doch ergibt er mit diesen eine wunderbare Trilogie gesellschaftlicher Befindlichkeiten in Großbritannien zu Beginn bis Mitte der 90er Jahre.

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