CARL LAEMMLE – DER MANN DER HOLLYWOOD ERFAND. EINE BIOGRAPHIE
Eine gute, zurückhaltend geschriebene Biographie zu Hollywoods allererstem Filmmogul
Jeder, der heute, im Jahre des Herrn 2015, mehr als 40 Sommer zählt und zudem nicht in einer medialen Einöde aufwuchs, kennt sie, die verheißungsvollen Embleme der verschiedenen Hollywoodstudios: Den brüllenden Löwen von MGM, die in den Himmel über Hollywood strahlenden Scheinwerfer der 20th Century Fox, die sich um eine Bergspitze gruppierenden Sterne bei Paramount, Columbias ureigene Freiheitsstatue und natürlich die sich drehende Weltkugel der Universal Pictures, um die in den frühen Jahren sogar ein Flugzeug kreiste. Wer sich ein wenig besser auskennt, kann den einzelnen Studios sogar bestimmte Filme zuordnen und die echten Kenner erkennen sogar die einzelnen Studios anhand des Stils der Filme. Heutzutage entstehen Filmgesellschaften oft nur noch für einen Film, dann bekommen sie meist abstrakte Logos verpasst, die zwar gut aussehen, meist aber eben nur ein einziges Mal verwendet werden. Hollywood in der Postmoderne ist eine gesichtslose Massenindustrie, die mittlerweile relativ gesichtslose Massenspektakel hervorbringt. Das war allerdings nicht immer so. An allem Anfang standen Einzelpersonen hinter den Studios und oft bürgten sie für die Qualität ihrer Produkte. Oftmals waren es Juden aus Osteuropa, die in der neuen Welt Fuß gefasst hatten und bereit waren Risiken einzugehen und der neu entstehenden Industrie Kredit zu geben. Es waren Männer wie Sam Goldwyn, Adolph Zukor, Harry Cohn, Jack Warner oder eben Carl Laemmle, die maßgeblich an der Erschaffung jener Illusionsmaschine namens Hollywood beteiligt waren, ja, die sie praktisch erfunden haben. Sie sind heute fast vergessen, umso dankenswerter ist es, wenn mittlerweile auch in Deutschland verschiedene Bände an sie erinnern, daran, wer diese Männer waren und wie sie handelten.
Gleich zwei 2013 erschienene Biographien beschäftigen sich mit dem Gründer der Universal Studios, Carl Laemmle, der damit nicht nur das erste große Hollywood-Studio schuf, sondern maßgeblich daran beteiligt war, daß sich die Filmindustrie überhaupt in diesem kleinen, staubigen Kaff einige Meilen landeinwärts vom Pazifik ansiedelte. Neben Udo Bayers CARL LAEMMLE UND DIE UNIVERSAL. EINE TRANSATLANTISCHE BIOGRAFIE legt Cristina Stanca-Mustea mit CARL LAEMMLE – DER MANN DER HOLLYWOOD ERFAND eine stringent gehaltene, sich nicht in Spekulationen verlierende Biographie vor, die sich ausgewogen sowohl Laemmles Wirken in der Filmbranche widmet, als auch seinen früheren sowie seinen darüber hinausreichenden Tätigkeiten. Dabei hält sich die Autorin, die hier ihre Dissertation weiterentwickelt hat, angenehm zurück, wo es um die Beurteilung des Privatmannes geht. So erhält der Leser eine angenehm unaufgeregten Überblick über Leben und Schaffen dieses Filmpioniers.
Laemmles Weg unterscheidet sich insofern von jenen seiner Produzentenkollegen, daß er keine Geschichte von Vertreibung und Flucht erleben musste. Sein Aufbruch nach Amerika Ende des 19. Jahrhunderts war jugendlicher Abenteuerlust und dem Bewußtsein geschuldet, daß seine schwäbische Heimatgemeinde Laupheim ihm wahrscheinlich nicht die Aufstiegsmöglichkeiten bieten würde, die ein junger und unternehmensfreudiger Mann suchte. Da ein älterer Bruder bereits in die USA emigriert war, war es dem jungen Carl nicht einmal sonderlich fremd, in jenes weit entfernte Land zu gehen. Dort stieg Laemmle mit Hilfe der Familie bald in den Textilienhandel ein und hatte bereits eine ganze Karriere als Filialleiter eines Bekleidungsgeschäftes hinter sich, als er sich nach neuen Betätigungsfeldern umsah und so auf die Nickelodeons stieß, jene Kinos der ersten Stunde, in denen kleine Sequenzen die Menschen unterhielten. Laemmle, dem seine Biographin attestiert, immer Glück gehabt zu haben, und der das wohl auch selber so sah, begann eine neue Karriere als Betreiber eines Kinos. Daß dann in anderthalb Jahrzehnten aus dem Kinobetreiber ein Studiobetreiber wurde, war fast eher äußeren Einflüssen geschuldet, als innerem Antrieb. Da Thomas Alva Edison, der Erfinder, die meisten Patente auf die meisten Techniken hielt, die man sowohl zur Herstellung von Filmen, als auch deren Vorführung brauchte, konnte er eine Art Monopol bilden, das enormen Einfluß nahm auf Herstellung und Inhalte der Filme, die gedreht wurden. Es war Laemmle, der den Kampf gegen dieses Monopol aufnahm, der sich als Kinobetreiber in die Distributionswege einmischte, die Verleihpraktiken kritisierte und schließlich erkannte, daß der beste Weg zum Erfolg der wäre, eigene Filme zu drehen. Laemmle brachte die sogenannten ‚Independents‘ hinter sich, jene Kinobesitzer, die sich nicht an Edisons Vorgaben halten wollten, versprach ihnen qualitativ hochwertige Produkte zu liefern und begann, in Florida, teils auf Kuba, eigene Filme zu drehen. Dort, wo er Edisons langen Armen meinte entgehen zu können. Denn der Erfinder war nicht zimperlich und schickte durchaus mal Schlägertrupps los, sein Imperium zu schützen. So hatten die Dreharbeiten im Süden nicht nur den Vorteil, das meist gutes Wetter herrschte und also die Arbeit berechenbarer war, sondern in Kuba z.B. glaubte man, Edisons eigentümlichen Praktiken des Wettbewerbs entgehen zu können. Zudem waren die Lohnkosten sehr viel niedriger als in New York. Da Carl Laemmle in Chicago lebte, hatte er einen natürlichen Drang in die Weiten des Westens und so kam er schließlich auf die Westküste als Drehort für seine Filme, da dort ebenfalls gutes Wetter, jedoch keine tropischen Temperaturen und Klimaverhältnisse herrschten, das Licht ausgezeichnet war, um zu filmen und zwischen sich und Edison lag immerhin der gesamte Kontinent.
Und so ging Carl Laemmle nach Kalifornien, kaufte dort eine Hühnerfarm in den Hollywood Hills, nördlich der kleinen Gemeinde, und baute sie um in das erste moderne Studio: Kulissen für alle möglichen Genres, wie Western oder Piratenfilme, Straßenzüge, wie er sie kannte aus den europäischen Städten, die er regelmäßig besuchte, auch und gerade seine Heimatstadt beehrte er Jahr für Jahr. Laemmle war sich seiner deutschen Wurzeln sehr bewußt. So gab es in „Universal City“, wie das Studio von allem Anfang an hieß, eine Straße wie in Berlin, eine, die an Paris erinnerte, eine Londoner Zeile und auch eine römische. Und natürlich war auch New York vertreten. Sogar ein Zoo wurde auf dem Gelände angelegt. Und Laemmle wollte von Anfang an, daß seine Filmstadt, wo täglich gearbeitet und gedreht wurde, Zuschauern und Besuchern offen stand. Was heute zu jedem Erstbesuch in Los Angeles gehört – die Universal Studio Tour – war von Laemmle von allem Anfang an so vorgesehen. Er wollte den Kontakt zum Publikum ebenso, wie er jeden Dollar gebrauchen konnte, den er kriegen konnte. Universal war nie reich und oft hatte das Studio nicht die Mittel, teure Produktionen zu stemmen, auch nicht, um jene Regisseure und Schauspieler zu halten, die immer erfolgreicher wurden – Laemmle gilt als der Erfinder dessen, was sich in den „goldenen Jahren“ als das ‚Starsystem‘ etablieren sollte. Da Universal den ‚Independents‘ treu blieb und sich nicht am Markt mit eigenen Kinoketten, der sogenannten „vertikalen Integration“ beteiligte, verfügte es über relativ wenig Cash Flow. Laemmle hatte ein Gespür für Talente, doch konnte er diesen selten so viel zahlen, wie die später entstandenen, finanziell oft potenteren Studios wie MGM. Viele spätere Könner der Filmgeschichte – darunter der Regisseur William Wyler, der Westernheld Tom Mix oder der später zur Legende gewordene Produzent Irving Thalberg – begannen bei Universal.
Laemmle – und es ist ein Verdienst dieses Buches, das auf angenehme Weise herauszustellen – war nicht unbedingt ein Visionär und er war auch kein echter Filmverrückter. Er war in allererster Linie ein Kaufmann, dessen Geschäfte sich rentieren mussten. Universal produzierte seine Filme relativ billig, ab und an wurde ein Prestigeprojekt aufgezogen, daß dann teurer werden durfte. So wurden schon in den Stummfilmtagen mit THE HUNCHBACK OF NOTRE DAME (1923), THE PHANTOM OF THE OPERA (1925) und THE CAT AND THE CANARY (1927) – alles „große“ Produktionen für Universal – der Grundstein gelegt für jenes Studio, das dann einige Jahre später mit DRACULA (1931) und FRANKENSTEIN (1931) im Genre des Horrorfilms Klassiker der Filmgeschichten und Ikonen für die Ewigkeit erschuf. Der Film jedoch, der die frühen Universal Studios prägen sollte und den größten und prestigeträchtigsten Erfolg sichern sollte, war ALL QUIET ON THE WESTERN FRONT (1930), basierend auf Erich Maria Remarques Weltkriegsepos. Doch markiert der Film auch einen Wendepunkt, denn in jenen Jahren, da er international in den Vertreib kommen sollte, waren bereits die Jahre, in denen in Deutschland der Mob der Nationalsozialisten die Kinosäle, Parteiversammlungen und Veranstaltungen stürmte, deren Programme ihnen nicht gefielen. Der alternde Carl Laemmle, der das Studio, wenn auch eher pro forma, seinem Sohn überschrieben hatte, wendete sich in den 30ern immer stärker der Entwicklung in Deutschland zu.
Es ist Cristina Stanca-Mustea gut gelungen, in ihrem Bericht die Balance zu bewahren zwischen dem Filmmogul und seinem Schaffen und dem Mann Laemmle, der sich seiner Heimat verbunden fühlte und zusehends erschrak über die Entwicklung in Deutschland. Anders als z.B. Adolph Zukor, war Laemmle nie wirklich Opfer antisemitischer Übergriffe gewesen, gleich gar nicht eines Pogroms. In Laupheim war man ihm Gram gewesen, daß er im Ersten Weltkrieg deutlich proamerikanische Stellung bezogen und mit THE KAISER – THE BEAST OF BERLIN (1918) einen echten antideutschen Propagandafilm produziert hatte, doch das hatte man im Laufe der Jahre längst wieder verdrängt, nicht zuletzt, weil Laemmle sich als großzügiger Spender in seiner Heimatgemeinde zeigte. Der alternde Carl Laemmle entwickelte nun ein geradezu notorisches Bestreben, so viele Juden wie irgend möglich aus Deutschland heraus zu holen. Mit Hilfe der sogenannten Affidavits, jener Bürgschaften, die man abgab für einen ins Land kommenden jüdischen Ausländer, gelang es ihm, Dutzende, schließlich Hunderte zu retten. Dazu scheute er auch nicht davor zurück, in der Hollywoodgemeinde ausstehende Gefälligkeiten einzufordern. Kurz nach Ausbruch des Krieges, am 24. September 1939, starb Carl Laemmle im Alter von 72 Jahren. Er musste nicht mehr erleben, daß die USA und ihre Alliierten seine alte Heimat bis auf die Grundmauern niederbrennen mussten, um das verbrecherische Regime der Nationalsozialisten zu besiegen.
Carl Laemmle war sicher einer der wesentlichen Pioniere der Filmindustrie amerikanischer Prägung. Ein an sich konservativer Geschäftsmann, der ungern Risiken einging, zumindest keine waghalsigen, der das Filmemachen zunächst als ein Massengeschäft sah, daß billig war in der Produktion und hohe Renditen abwarf, dann aber immer bereit war, Neuerungen anzuerkennen und zu erkunden. Laemmle stand fast allen Neuerungen zunächst skeptisch gegenüber – dem Langfilm, den „Talkies“, selbst dem von ihm erschaffenen Starsystem, daß er für zu teuer befand – , nur, um anschließend all diese Wege mit zu beschreiten. Laemmle war ein Pokerspieler, ein Zocker, der sprichwörtlich das Glück gepachtet hatte. Ein einziges Mal hat er sich verzockt – mit der Finanzierung dreier „großer“ Filme, Filmen also, deren Budgets die Millionengrenze sprengten und deren Gegenfinanzierung nicht funktionierte. Das kostete ihn sein Lebenswerk, die Universal Studios. Sie hatten wirtschaftlich immer auf wackligen Füßen gestanden, einmal ging es schief und so wurde Universal schon 1936 verkauft und Teil eines Konglomerats. Laemmle war also nicht nur in Sachen Studio, Starsystem und Produktionsweisen ein Pionier, er war auch der erste, dessen Studio den Weg ging, den nach und nach bis in die frühen Jahre des neuen Jahrtausends hinein alle großen Studios der klassischen Hollywoodära gingen – sie wurden verkauft und verschwanden in der gesichtslosen Masse internationaler Medienkonzerne. Geblieben sind oft nur die Namen, die einst für Glamour, Opulenz, Dekors, große Stars, große Gefühle und tausend Träume standen – Universal und MGM, Paramount und Fox, United Artists und Columbia.
Cristina Stanca-Mustea bietet einen guten Überblick über Leben und Werk dieses frühem Filmmoguls, wobei sie sich stark auf dessen ökonomisches Können, sein Unternehmertum und die damit einhergehenden Aspekte konzentriert; uns einen Mann präsentiert, der als „Onkel Carl“ allseits beliebt sein wollte und auch war; einen Mann, der die Nähe zu seinem Publikum suchte und das Filmemachen als eine Art Familienbetrieb verstand. Die Universal wurde in ihren frühen Jahren geführt wie ein mittelständisches Unternehmen, wo der Patriarch alle Familienmitglieder einbindet. Vielleicht kommt dabei der Blick auf das künstlerische Schaffen etwas zu kurz. Dafür sei dann Udo Bayers „transatlantische Biografie“ empfohlen, die sich eher in die Niederungen des Filmschaffens selber begibt. Hier liegt ein gut geschriebenes EInführungs- und Übersichtswerk vor, das sich in jeder Filmbibliothek gut macht.