ALMAYERS WAHN/ALMAYER´S FOLLY: A STORY OF AN EASTERN RIVER

Joseph Conrads Erstling ist bereits ein reifer Roman, der den Kern späterer Meisterwerke in sich trägt

ALMAYER´S FOLLY: A STORY OF AN EASTERN RIVER (Original 1895; Dt. ALMAYERS WAHN) lautete der Titel des ersten Romans des polnisch-stämmigen Schriftstellers Joseph Conrad, der seine sämtliche Prosa in englischer Sprache verfasste.

Der Seemann, der lange Jahre in der französischen und britischen Handelsmarine gedient hatte, verarbeitete hier erstmals – es sollte schließlich sein Markenzeichen werden – die Erfahrungen und Beobachtungen, die er auf seinen Reisen sammeln durfte. Oft wirken seine Geschichten wie Abenteuergeschichten und Seemannsgarn, doch schon in diesem ersten Werk wird deutlich, daß es Conrad immer um mehr ging, als spannende Geschichten aus der Fremde zu erzählen. Das menschliche Wesen an sich, seine kulturellen und moralischen Bedingungen und das Spannungsfeld, das aus dem Zusammentreffen völlig unterschiedlicher Kulturen entsteht, waren seine Themen. Und die Schicksalhaftigkeit, der wir unterworfen sind, die Conditio humana als solche.

Conrad wurde später vor allem dafür gerühmt, daß er in einer ihm fremden Sprache – dem Englischen – zu äußerst tiefsinnigen und differenzierten Einsichten über das Wesen des Menschen an sich kam und dabei der englischen Sprache vollkommen neue Wendungen hinzufügte. Die späteren Texte sind literarisch aber auch dahingehend interessant, weil es Conrad gelang – der Moderne entsprechend – völlig neue Erzählperspektiven zu erschaffen. Die sind allerdings in seinem Erstling so noch nicht vorhanden. Conrad erzählt seine Geschichte einerseits konventionell, gerade heraus, erlaubt sich aber auch hier schon interessante Ver- und Aufschiebungen. Einzelne Begebenheiten werden gelegentlich aus unterschiedlichen Perspektiven berichtet, es gibt zeitliche Sprünge, die es erlauben, aus ganz verschiedenen Sichtweisen ein Ereignis zu betrachten. Gerade dabei werden die so verschiedenen kulturellen Blicke und der unterschiedliche kulturelle Zugriff auf die Geschehnisse deutlich.

Conrad erzählt eine an sich einfache und durchaus einer Abenteuergeschichte entsprechende Story. Der nicht mehr ganz junge Almayer ist Chef eines Handelspostens irgendwo an einem Fluss an der malaysischen Ostküste. Er steht in Lohn und Brot bei einem holländischen Arbeitgeber, der allerdings auf der Suche nach einem sagenhaften Schatz, der irgendwo im Dschungel verborgen liegen soll, verschwunden ist. Almayer lebt in der Hoffnung, daß er selbst an dem Reichtum partizipieren, der Handelsposten einst wieder zur alten Größe auferstehen wird. Bis dahin hält er seine Frau – eine Malaiin – aus, die er eher aus Zwang geheiratet hat und die er nicht mag, und freut sich, daß seine Tochter Nina wieder in der Siedlung lebt. Sie war Jahre in einer Nonnenschule, wo sie nach westlichen Normen erzogen wurde und wo sie sich alles andere als wohlgefühlt hat. Am Fluss gibt es einen malaysischen Händler, der sich als Staatsoberhaupt eines Dschungelreichs sieht und mit dessen Anliegen und Wünschen Almayer zurechtkommen muß. Als der Händler Dain auftaucht und dafür sorgt, daß aus den verfeindeten Parteien auf den verschiedenen Flussufern zumindest zeitweilige Verbündete werden, um sich gegen den Machtanspruch der Holländer zur Wehr zu setzen, bedeutet dies für Almayer eine grundlegende Veränderung. Nina hat sich in den mit einer Brigg segelnden Händler verliebt und will mit ihm die Siedlung und das Leben fliehen, das Almayer ihr bietet.

Conrad gelingt es, anhand dieser im Kern sehr einfachen Geschichte, ganz unterschiedliche Konfliktfelder zu eröffnen und zu thematisieren. Da ist zum einen ein veritabler Vater-Tochter-Konflikt, in dem sich jedoch ein kultureller Konflikt spiegelt, der eindeutig auch mit Rassismus, auf jeden Fall mit kultureller Entfremdung zu tun hat. Die Streitereien, ob Conrad selbst rassistische Ansichten vertrat, sind Legion und es ist müßig, sie noch einmal durchzuhecheln. Die einen halten ihn aufgrund seiner Beschreibungen für einen Rassisten, die anderen werden ihn immer verteidigen und behaupten, er beschreibe Rassismus, vertrete ihn aber nicht. Definitiv ist nicht zu leugnen, daß Conrad zumindest ein waches Bewußtsein für die rassistischen Aspekte des europäischen Imperialismus und des Kolonialismus hatte. Nina müht sich, ihrem Vater zu erklären, wie stark die Ablehnung war, die sie in der Fremde erfahren hat, und weshalb sie diese Erfahrungen zu einer Malaiin gemacht haben, wieso sie ihr europäisches Erbe, für das eben Almayer steht, ablehnt. Sie lehnt also den Vater nicht nur in dieser Funktion ab – ein in ihren Augen schwächlicher Mann, der seine Träume nicht zu verwirklichen verstand – sondern eben auch als (symbolischen) Vertreter einer fremden Kultur, die sich anmaßt, hier zu herrschen, wo sie nichts verloren hat. Conrad thematisiert also auch die politischen Aspekte des Kolonialismus. Die Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen einheimischen Gruppen, den Holländern, den Briten, aber auch asiatischen Kolonialherren – Chinesen bspw. – schimmert in der Erzählung immer wieder durch, spielt eine entscheidende Rolle in den Entwicklungen, wird aber nur sehr sporadisch direkt angesprochen. Eher subtil bereitet der Autor das Thema als Teil eines Familienkonflikts auf.

Neben diesen Themen kann Conrad aber vor allem nicht nur von einer großen Liebe erzählen – Nina und Dain – sondern auch von der Entfremdung, die der moderne (europäische) Mensch durchlebt. Almayer ist Europäer, doch wurde er bereits in Asien geboren. Er ist ein Heimatloser, einer, der nie ein eigenes, gültiges Zuhause gefunden hat. In der immer schon verkommenen Siedlung will er sich ein neues Haus bauen, ein Haus, das seinen Bedürfnissen entspricht, aber auch seine Hoffnungen und Träume von zukünftiger Größe spiegelt. Außer ihm glaubt jedoch niemand an diese Zukunft. Der Bau, schlecht ausgeführt, wird von den Menschen der Siedlung, aber auch von Reisenden, die hier Halt machen, als ‚Almayers Wahn‘ bezeichnet, da in diesem Bauwerk nicht nur die Anmaßung zum Ausdruck kommt, die sich in Almayers Herkunft, seinem reinen Da-Sein in dieser für ihn letztlich immer fremden und auch feindlichen Umgebung spiegelt, für die er also symbolisch steht, sondern auch der ganz persönliche Wahn dieses Mannes, der die Zeichen der Zeit nicht verstanden zu haben scheint. Almayer träumt davon, mit dem von ihm erwarteten neuen Reichtum dieses Leben hinter sich lassen und mit Nina gen Europa, das er nie gesehen hat, aufbrechen und dort ein Leben in Saus und Braus führen zu können. Dieser Traum ist bar jeder Realität, hat Almayer doch gar keine Vorstellung von diesem Ort ‚Europa‘. Nina, die immerhin die restriktiven und teils auch brutalen Erziehungsmethoden erdulden musste, die europäische Lehrer(innen) ihr angedeihen ließen, zieht es nicht dorthin. Sie zieht es zu einem Mann, der in ihren Augen die Vorstellung eines Prinzen erfüllt, eines Prinzen, der sie aus diesem Leben in der Siedlung am Fluss in ein größeres Dasein entführen kann.

Conrad bemüht eine Sprache, die die Schönheit dieser Fremde ebenso evoziert, wie deren Fremdheit an sich und damit auch das Bedrohliche. Mit ähnlichen Worten beschwört er die Liebe zwischen Nina und Dain. Das mutet gelegentlich wie eine Erzählung aus TAUSENDUNDEINER NACHT an, wird von ihm wohl ganz bewusst auch so gestaltet. Die Liebe dieser zwei Menschen ist eine Utopie, ein Märchen, eine Hoffnung auf ein Gemeinsames, das in einer Zukunft möglich sein könnte. So, wie Nina ihr europäisches Erbe hinter sich lassen muß und dies doch nicht kann, wie ihr Schmerz über die Trennung vom Vater zeigt, die eben auch diese kulturelle (Ab) Trennung symbolisiert, so muß Dain die traditionellen Bräuche seines Volkes hinter sich lassen, vor denen Nina immer wieder gewarnt wird. Sie sei irgendwann nur die Dritt- oder Viertfrau, die Sklavin jüngerer Eroberungen dieses Mannes, bekommt sie aus unterschiedlichen Richtungen zu hören. Doch Dain schwört, daß er nur Nina wolle, nur sie und sie allein. Und so beschwört der Autor eine große, romantische, leidvolle und mit vielen Problemen belastete Liebe, die so nur literarisch funktionieren kann. Der Roman, den man in der Hand hält, wird also zur utopischen Realität.

Man spürt die Kraft des Autors in jeder Zeile dieses Romans und wundert sich kaum, was für ein wesentlicher Schriftsteller aus Joseph Conrad dann werden sollte. ALMAYERS WAHN lässt sich gut lesen, ist weit über reines Interesse an einem Autor, dessen Meisterwerke später entstanden, ein Buch voller Spannung, voller Konflikte und immer wieder erstaunlichen Einsichten. Dies umso mehr, wenn man bedenkt, wie weit entfernt Conrad von den heutigen Diskussionen um koloniales und imperiales Erbe gewesen ist. Hier gelingt es einem Schriftsteller, wesentliche Themen des menschlichen Daseins in eine packende Geschichte zu binden, die doch immer über ihren eigentlichen Kern, ihren abenteuerlichen Mittelpunkt, hinausweist.

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