AUS DEM NICHTS

Fatih Akins Dramatisierung der NSU-Morde

Katja (Diane Kruger) bringt ihren sechsjährigen Sohn Rokko (Rafael Santana) in das Büro ihres Mannes Nuri Sekerci (Numan Acar), der nachmittags auf ihn aufpassen soll, während sie sich mit ihrer schwangeren Freundin Birgit (Samia Chancrin) treffen will. Katja sieht eine junge Frau, die ihr Fahrrad unabgeschlossen an einen Laternenpfahl vor dem Büro anlehnt und weist diese darauf hin, daß das in der Gegend nicht wirklich sicher sei. Die Frau antwortet, sie käme gleich wieder.

Als Katja später zurück zum Büro kommt, ist die Straße  abgesperrt. Die Polizei teilt ihr mit, daß es eine Explosion mit Toten gegeben habe. Schnell begreift sie, daß das Büro ihres Mannes betroffen ist. Obwohl die Polizei zunächst nicht bestätigen will, daß es sich bei den zwei Toten, einem Mann und einem Kind, um Katjas Gatten und ihren Sohn handelt, befürchtet sie das schlimmste. Polizisten begleiten sie heim, um sich DNA zur Identifizierung zu sichern.

Katjas Mutter Annemarie (Karin Neuhäuser) und ihr Ehemann Michi (Uwe Rohde) kommen zur Unterstützung, auch Birgit ist bei Katja. Schließlich treffen auch Nuris Eltern ein. Gemeinsam erwartet man die Ergebnisse der Analyse. Schließlich teilt der Ermittler Reetz (Henning Peker) den entsetzten Angehörigen mit, daß es sich bei den Toten tatsächlich um Nuri und Rokko handelt.

Katjas Mutter greift ihre Tochter wegen der Heirat mit einem Türken an, vermutet, daß Nuri in Drogengeschäfte verwickelt gewesen ist. So hatten Katja und ihr späterer Mann sich kennen gelernt: Sie hatte während des Studiums Haschisch bei ihm gekauft, die beiden haben sich verliebt und geheiratet, während er im Gefängnis saß. Dort hatte Nuri ein Wirtschaftsstudium abgeschlossen und anschließend versucht, mit einem Steuer- und Übersetzungsbüro in Hamburg in einer bürgerlichen Existenz Fuß zu fassen.

Nuris Eltern möchten den Leichnam ihres Sohnes in die Türkei überführen und dort ein Begräbnis ausrichten. Katja wehrt sich dagegen. Sie reklamiert die Entscheidung, wie und wo ihr Mann und ihr Sohn begraben werden, für sich.

Auch die Polizei stellt die Vermutung an, daß Nuri erneut in Drogendeals verwickelt gewesen ist. Sie konfiszieren seinen Computer, durchsuchen Katjas Haus und stellen eine Menge für Katja despektierliche Fragen. Schließlich finden sie auch geringe Mengen Rauschmittel im Haus, die Katja sich allerdings selbst besorgt hatte, um sich über den ersten Schmerz hinweg zu trösten.

Ihr Anwalt Danilo Fava (Denis Moschitto) klärt Katja darüber auf, daß Nuri wirklich darüber nachgedacht habe, wieder mit Drogen zu handeln, um sein Geschäft finanziell anzukurbeln. Katja weiß nicht mehr, was sie glauben soll. Der Verlustschmerz quält sie, die Ermittlungen der Polizei quälen sie, die Ungewißheit, wer hinter dem Anschlag steckt quält sie. Sie vermutet früh, daß ein rechtsextremes, ausländerfeindliches Motiv zugrunde liegen könnte.

Zunehmend isoliert Katja sich. Sie schmeißt ihre Mutter und deren Mann raus, will auch Birgit nicht  mehr sehen und hält fast ausschließlich mit Danilo Kontakt. Eines Abends sieht sie in all dem Schmerz keinen Sinn mehr und versucht, sich umzubringen. Im letzten Moment beantwortet sie das schellende Handy und erfährt so von Danilo, daß ihre Vermutung richtig war: Die Polizei ist bestimmten Indizien nachgegangen und hat ein Pärchen verhaftet, das eindeutig Nazi-Ideologie anhängt.

Es beginnt ein für Katja quälender Prozeß. Obwohl Danilo sehr zuversichtlich ist, daß es zu einer Verurteilung kommen wird – nicht zuletzt, weil Katja die junge Frau, die angeklagt ist, wieder erkennt als jene Frau, die am Tag des Anschlags ihr Rad unabgeschlossen vor dem Büro stehen ließ – ist die Prozedur für Katja fürchterlich. Unbeweglich sitzt sie im Gerichtssaal, lauscht den Beschreibungen der Gerichtsmedizinerin, die nüchtern die Todesursachen und Verletzungen aufzählt, die Nuri und Rokko erlitten haben, hört sich Zeugenaussagen an und lässt die Angriffe des Verteidigers Haberbeck (Johannes Krisch) über sich ergehen. Der zweifelt ihre Beschreibung der jungen Frau an, vor allem aber die Aussage des Vaters des Angeklagten. Jürgen Möller (Ulrich Tukur) setzt dem Gericht sehr genau auseinander, daß sein Sohn nicht nur ein ideologisch voll überzeugter Nazi ist, sondern in seiner Garage auch alle notwendigen Mittel und Zusätze für den Bau einer primitiven Rohrbombe aufbewahrte. Haberbeck sät Zweifel an der letztgültigen Gewißheit dieser Aussage. Zudem bringt er einen Zeugen bei, der ein Hotel in Griechenland betreibt und aussagt, daß die Angeklagten zur Tatzeit dort in Urlaub gewesen seien. Danilo gibt sich dennoch siegesgewiß. Er  konnte nachweisen, daß der Zeuge Nikolaos Makris (Yannis Ecodomidis) seinerseits ein Angehöriger der faschistischen Partei Die goldene Morgenröte ist, also ein Geistesverwandter der Angeklagten. Am Tag des Urteils erleben Danilo und Katja dann eine fürchterliche Überraschung: Die Angeklagten André (Ulrich Brandhof) und Edda (Hanna Hilsdorf) Möller werden aufgrund letzter Restzweifel – unter anderem konnte das Gericht nicht zweifelsfrei feststellen, ob nicht doch auch Dritte Zutritt zu der betreffenden Garage hatten – freigesprochen. Für Katja bricht eine Welt zusammen.

Katja erfährt, daß die Täter nach dem Prozeß gen Griechenland gefahren sind. Sie folgt ihnen, mietet ein Haus in der Nähe ihres Aufenthaltsortes und beschattet sie. Sie sucht auch das Hotel von Makris auf, wird dort aber schließlich erkannt und von dem äußerst aggressiven Mann verscheucht. Sie hat sich überlegt, mit dem ferngesteuerten Auto ihres Sohnes eine Bombe zu basteln, die sie unter das Wohnmobil, mit dem die Möllers unterwegs sind, deponieren und dann zünden will. Doch es gelingt ihr nicht. Ihre Gewissensbisse sind zu stark.

Erneut versinkt sie in die Lethargie, die sie auch schon vor dem Prozeß ereilt hatte. Sie antwortet auch Danilo nicht mehr, nimmt seine Anrufe nicht entgegen. Irgendwann hört sie die Mailbox ab und erfährt, daß ihr Anwalt dem Revisionsverfahren mit Zuversicht entgegen sieht. Diesmal bekämen sie die Täter bestimmt am Wickel. Katja ruft Danilo an und teilt ihm mit, daß es keine Revision mehr geben werde. Es habe alles keinen Sinn mehr. Dann bastelt sie die Bombe um, packt sie in ihren Rucksack, den sie sich umschnallt und geht zu dem Wohnmobil. Als sie sicher sein kann, daß die Täter beide im Mobil sind, dringt sie dort ein und sprengt sich und damit auch das Wohnmobil in die Luft.

Man erinnert sich mit Grausen an jene Tage im November 2011, als nach einer anfänglich seltsamen Meldung über ein brennendes Haus in Zwickau, ein Wohnmobil mit zwei Leichen darin und ein mehrfach verschicktes Video, sich nach und nach das Bild einer Art Mini-Terrorgruppe entlarvte, die sich Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) nannte und für die Morde an neun Mitbürgern mit Migrationshintergrund und den Mord an einer Polizistin, darüber hinaus für etliche Banküberfälle und mehrere Sprengstoffanschläge überall im Bundesgebiet verantwortlich zeichnete. Die Gruppe, die drei Mitglieder hatte, zwei männlich und eines weiblich, war jahrelang unbehelligt abgetaucht und – mit massiver Unterstützung durch Gleichgesinnte in Thüringen und anderswo, möglicherweise aber auch durch den Verfassungsschutz – konnte nach außen ein scheinbar normales, kleinbürgerliches Leben führen.

Erst in den Folgejahren wurde das ganze Ausmaß deutlich, daß die Taten hatten und vor allem, wie lange die Ermittler, anstatt von ausländerfeindlichen Taten auszugehen, die Opfer unter Verdacht stellten, selber in kriminelle Machenschaften wie Drogen- oder Waffenhandel verwickelt zu sein. Da die beiden männlichen Täter sich durch Selbstmord einer Verhandlung und einem Urteil durch ein ordentliches Gericht entzogen hatten, wurde im Jahr 2018, nach einem fünfjährigen Prozeß, die letzte Überlebende des Trios zu lebenslanger Haft verurteilt.

Noch während der Prozeß lief, verarbeiteten sowohl das ZDF in einem Fernsehfilm, wie auch die ARD in einer Spielfilm-Trilogie, die sich jeweils den Tätern, den Opfern und den Ermittlern widmeten, die Geschehnisse. Vor allem der Film DIE OPFER – VERGESST MICH NICHT (2016) zeigte beeindruckend, wie die Ermittlungen die Familien belasteten und lange vollkommen in die falsche Richtung liefen. Ein Jahr später brachte der türkischstämmige Regisseur Fatih Akin mit AUS DEM NICHTS (2017) eine stark fiktionalisierte und veränderte Bearbeitung des Gesamtkomplexes auf die Leinwand. Es ist ein bewegender, vor allem aber sehr geschickt mit Versatzstücken dessen, was wirklich geschah, arbeitender Spielfilm geworden, der sich Freiheiten nimmt, um tiefere Wahrheiten aufzudecken.

Akin wurde in Hamburg geboren, er ist Deutscher. Das ist wesentlich zum Verständnis des Films. Denn er zeigt keineswegs ein Opferdrama um Migranten, die von einer feindlich gesinnten Gesellschaft im Stich gelassen werden. Viel mehr gelingt es ihm, einen Angriff auf eine pluralistische, eine freiheitliche Gesellschaft zu zeigen, von dem Deutsche ebenso betroffen sind, wie Ausländer. Er macht es seinem Publikum – und sich – nicht leicht in dem von ihm und Hark Bohm verfassten Drehbuch. Es beginnt mit der Konstellation einer deutschen Frau, die einen wegen Drogenbesitzes vorbestraften Mann im Gefängnis heiratet, sie haben ein gemeinsames Kind, der Mann versucht, sich nach seiner Haftentlassung ein bürgerliches Leben in Hamburg aufzubauen. Eine Bombe reißt ihn und den Sohn in den Tod. Akin verfolgt die Leidensgeschichte der Frau, ihre Zweifel, als sie erfährt, daß ihr Mann möglicherweise doch wieder in Drogengeschäfte verwickelt gewesen ist, ihre Trauer, in der sie sich von ihrer Mutter – bewußt als einer prekären Unterschicht entstammend charakterisiert – distanziert, selbst Drogen nimmt und schließlich, vertreten durch einen befreundeten Anwalt, lernen muß, daß Recht und Gerechtigkeit im deutschen Strafjustizsystem nicht zwingend deckungsgleich sind. Keine der Figuren in diesem Film wirkt heldenhaft oder unschuldig. Das ist seine besondere Stärke. Diese Menschen sind auch nicht zwingend sympathisch. Sie sind aber ehrlich und wirken authentisch. Menschen mit Fehlern.

Als Hauptdarstellerin rekrutierte Akin die sehr deutsch wirkende, sehr blonde Diane Kruger, die man bisher eher aus amerikanischen Blockbuster-Produktionen und französischen Filmen kannte und die hier viel Mut für eine Rolle zeigt, die es erfordert, nicht nur schwach, verletzlich, manchmal sogar unsympathisch  zu wirken, sondern auch ungeschminkt aufzutreten, was ihrem Image – man muß konstatieren, daß Kruger eine wirklich schöne Frau ist – zuwiderläuft. Kruger spielt diese Katja Sekerci überzeugend. Sie zeigt deren Schmerz, die Wut, auch den Hass, sie zeigt, wie Katja sich auch gegen Menschen wendet, die es „gut mit ihr meinen“. Akin zeigt die kulturellen Brüche, die innerfamiliären Zwistigkeiten, die eine Ehe hervorbringt, in der ein patriarchal ausgelegtes kulturelles System – das die türkischen Eltern des toten Ehemannes verkörpern – auf ein Milieu trifft, für welches vor allem Katjas Mutter steht, das deutliche Vorurteile gegenüber Ausländern im Allgemeinen, diesen Ehemann, der als eine Art Verbrecher betrachtet wird, im Speziellen hegt. Nicht nur die Ermittler, sondern auch Katjas Mutter und deren Freund verdächtigen schnell den Toten. Nicht zuletzt, weil die Familie scheinbar über ihre Verhältnisse lebt. Sie wohnen in einem großen Haus, fahren schicke Wagen. Zudem hat Sekerci  eine Vorgeschichte und das Vorurteil, daß „die Türken“ natürlich in kriminelle Machenschaften, vor allem in den Drogenhandel, verwickelt sind, ist weit verbreitet und tief verwurzelt.

Die Stärke des Buches liegt darin diese kulturellen, gesellschaftlichen und auch institutionellen Verwicklungen auszustellen, ohne sie jemals explizit zu thematisieren. Dadurch erhält der Film eine Authentizität, die ihn auszeichnet. Die erste Hälfte widmet sich vor allem Katjas Schmerz, ihrer Trauer und der Verletzung durch die Ermittlungen und schließlich durch einen ebenfalls traumatischen Prozeß, in dem das Gericht nicht den erdrückenden Indizien folgt, sondern einem Restzweifel an der Schuld der Angeklagten. In dubio pro reo.

Es ist diese erste Hälfte, respekive die ersten zwei Drittel des Films, die absolut überzeugt. Die Volte, die Geschichte  aus der Perspektive einer Deutschen zu erzählen und somit eben nicht nur das Leid von Migranten zu zeigen, sondern zugleich die Schwierigkeiten einer interkulturellen Verbindung, sehr realistisch die Trauer und Verlorenheit zu schildern, das Loch, in das Katja fällt und vor allem die eisige Atmosphäre des Prozesses, die sachlich-nüchterne Schilderung der tödlichen Verletzungen der Opfer durch eine Mitarbeiterin der Pathologie, den zynisch wirkenden Anwalt, der natürlich für seine Klienten das Beste rauszuholen versucht, das kühl verlesene Urteil, gibt dem Film eine tiefe Glaubwürdigkeit. Es ist Akin gelegentlich vorgeworfen worden, die Lebensumstände der Familie seien unglaubwürdig. Eine studierte Germanistin, ein Drogenhändler, das zu groß, zu wohlhabend wirkende Haus – das passe alles nicht zusammen. Doch gerade darin liegt eine Stärke des Films: Hier hat man es eben nicht mit Abzieh- und Klischeebildern von Opfern zu tun, wie man sie erwartet, Dies scheinen reelle Menschen zu sein, die individuelle Lebenswege beschritten haben und eine Vergangenheit aufweisen. So wirkt auch Katjas Schmerz authentisch, weil es überzeugend ist, daß hier wirklich eine Familie mitten aus dem Leben gerissen wurde.

Nach dem Freispruch fällt Katja in ein Loch. Dann beschließt sie, selber tätig zu werden. Sie reist den entlasteten Verdächtigen nach Griechenland hinterher, wo diese bei einem befreundeten Nationalsozialisten der griechischen Partei Die Goldene Morgenröte unterkommen, der den Angeklagten im Prozeß ein wenn auch schwaches Alibi verschafft hatte. So verdeutlichen Akin und Bohm – auch dies wie nebenbei und deshalb umso eindringlicher und bedrückender – die Vernetzung von Rechtsextremen und Neo-Nazis europaweit. In Griechenland will Katja Selbstjustiz verüben. Doch ihre Versuche werden durch ihr Gewissen konterkariert. Es gelingt ihr offensichtlich nicht, in sich die Mörderin zu finden, die, „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, in der Lage ist, Rache zu üben. Erst, nachdem ihr Anwalt ihr versichert, die Revision werde Gerechtigkeit bringen und dabei genau so überzeugt klingt, wie zuvor schon beim ersten Prozeß, entscheidet sie sich, die andern nicht einfach zu töten, sondern in einem Fanal sich selbst  mit diesen in die Luft zu sprengen.

Es gibt einige weitere geschickte Volten im Drehbuch, was dieses alles in allem schwächere letzte Drittel des Films dennoch überzeugend wirken lässt. Akin und Bohm – und das muß man ihnen hoch anrechnen – lassen die Täter, überzeugte Nationalsozialisten, wie der in einer Nebenrolle auftretende Ulrich Tukur als Vater des Hauptangeklagten verdeutlicht, nicht zu Wort kommen. Ihre Aussagen vor Gericht, so diese denn stattgefunden haben, spart der Film aus. Wir sehen lediglich, wie sich die beiden verschwörerische Blicke und ein Lächeln zuwerfen, als sie freigesprochen werden. In Griechenland gibt es einen kurzen Dialog, den Katja belauscht, der aber nur das Weltbild bestätigt, das dem brutalen Pärchen eh unterstellt wird. Es tut gut, einmal nicht den Tätern lauschen zu müssen, es tut gut, daß  hier einmal nicht den Gründen, Motiven, der Psyche der Täter nachgespürt wird, wie dies noch dem ersten der drei ARD- Filme DIE TÄTER – HEUTE IST NICHT ALLE TAGE (2016) sehr plausibel gelang. Akin und Bohm unterstellen zurecht, daß das Publikum, ihr Publikum, in den vergangenen Jahren genug Zeit und Gelegenheit hatte, sich mit den ideologischen und psychischen Dispositionen auseinander zu setzen, die dazu führen, im 21. Jahrhundert einer Nazi-Ideologie nachzuhängen. Geschickt dabei übrigens auch, die Täter nicht, wie es den realen Vorbildern entspricht, aus dem Osten, sondern sie aus Schleswig-Holstein stammen zu lassen. Das Phänomen „Rechtsextremismus“ war, ist und bleibt ein Gesamtdeutsches.

Die beiden Täter – dies dann allerdings ein deutlicher Verweis auf das originale Trio des NSU – reisen in einem Wohnmobil durch den sonnigen Süden. Die beiden männlichen Täter des NSU nutzten ein solches, um ihre Fahrten durch die Republik unauffällig zu gestalten und auch als Rückzugsraum nach Überfällen und Mordaktionen. Auch war es ein Wohnmobil, in dem sie sich umbrachten. Katja ihrerseits nutzt ein ferngesteuertes Spielzeugauto ihres toten Sohnes, um daraus zunächst eine Bombe zu basteln, die sie unter dem Caravan deponiert, um ihre Feinde in die Luft zu sprengen. Doch nachdem ihr dies zunächst aus den erwähnten Gewissensgründen nicht gelingt, schnallt sie sich die Bombe schließlich in einen Rucksack gepackt um und jagt sich, nachdem sie das Wohnmobil betreten hat, in die Luft. Natürlich evoziert dies Bilder all jener Selbstmordattentäter, die in Paris, Brüssel, in Madrid und London für fürchterliche Anschläge mit Dutzenden, ja Hunderten Toten, verantwortlich waren. Dieser Dreh des Buches birgt enormen Interpretationspielraum, Sprengkraft, sozusagen. Da wird eine als vollkommen durchschnittlich und eher egoistisch gezeichnete Frau aus dem Hamburger Kreativ-Milieu zu einer Selbstmordattentäterin. Wenn man lang genug in den Abgrund schaut, schaut der Abgrund auch in einen. Obwohl den Zuschauer irgendwo während der Griechenland-Episode das Gefühl beschleicht, daß das Drehbuch nun doch die zuvor so realistische Basis der Erzählung verlässt und entweder zu einem passenden Ende kommen, oder aber eine Aussage – der Wut und der Trauer – treffen will, ist Katjas Entschluß folgerichtig und im Kontext des Films auch nachvollziehbar.

Man ist froh, daß die realen Opfer des NSU nicht rot sahen und zu Mitteln der Selbstjustiz gegriffen haben, umso froher (und erstaunt), wenn man bedenkt, wie ihnen mitgespielt wurde, und zwar über Jahre. Ein Film hingegen darf sich dafür entscheiden, über die Realität hinaus zu gehen und in eine Sphäre einzutauchen, die „größer ist als das Leben“ – bigger than life. Es ist gerade  dies das Recht der Kunst, es ist gerade dies vielleicht die Pflicht der Kunst. Und diese Wendung, die doch kein Triumph ist, im Gegenteil eher ein Ausdruck absoluter Verzweiflung, ja lebensverneinender Resignation, unterscheidet Akins Film eben von den gut  gemeinten und auch gut gemachten Fernseh-Bearbeitungen. Es ist, im besten Sinne des Wortes, ein Kino-Film. Ein Drama, das sie Mittel des Kinos nutzt – Andeutungen, Blicke, Gesten, Streifungen – um tieferen Wahrheiten nachzuspüren und vielleicht, ganz vielleicht, ein wenig Gerechtigkeit walten zu lassen, wo es juristisch vielleicht keine Gerechtigkeit geben kann. Aber, und auch das ist eben ein Mittel des Kinos, genauso weiß das Buch, weiß der Film, weiß das Drama darum, daß sogar Vergeltung nicht mehr reparieren kann, was einmal zerstört ist. Und da, in dieser Erkenntnis, beginnt die Tragödie. Fatih Akin ist ein sehr guter Film zu einem sehr schweren Themenkomplex gelungen.

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