DESTROYER
Nicole Kidmans Passionsweg öffnet neue Räume für Actionfilme und Thriller mit weiblichen Hauptfiguren
Erin Bell (Nicole Kidman) ist Detective beim LAPD. Allerdings wird sie von den Kollegen eher mitgezogen, ist sie doch schwer alkoholabhängig, oftmals unberechenbar, kommt meist zu spät und neigt zu Alleingängen.
Allseits bekannt ist, daß sie vor 16 Jahren einen Undercovereinsatz mit dem FBI-Agenten Chris (Sebastian Stan) hatte, für den sie gemeinsam in eine Gang eingeschleust wurden, die im Großraum Los Angeles für ebenso brutale wie kostspielige Banküberfälle verantwortlich zeichnete.
Was niemand ahnt: Sie und Chris waren nicht nur auf dem Papier ein Paar, sondern sind sich im Laufe des Einsatzes wirklich näher gekommen. Der damalige Einsatz lief schließlich aus dem Ruder, als es bei einem Raubüberfall zu einer Eskalation kam und Chris seine Deckidentität aufgab, um Unschuldige zu retten, woraufhin ihn der Anführer der Bande, Silas (Toby Kebbell), erschoß.
Erin hat eine 16jährige Tochter, Shelby (Jade Pettyjohn), die ihrerseits nicht weiß, daß ihr Vater der damals veerstorbene Chris gewesen ist. Obwohl sie an ihrem Ziehvater Ethan (Scoot McNairy), der seinerseits schon lange von Erin getrennt lebt, hängt, droht sie zusehends zu verwahrlosen. Erin versucht mit allen möglichen Mitteln die Beziehung zwischen Shelby und Jay (Beau Knapp), den sie für einen Hochstapler und Gangster hält, zu unterbinden. Dabei geht sie soweit, dem jungen Mann Geld anzubieten, damit der die Stadt verlässt.
Eines Tages liegt ein Umschlag mit einer durch Farbe gekennzeichneten Banknote auf Erins Schreibtisch. Diese stammt offenbar aus dem Bankraub, bei dem Chris einst ums Leben kam. Erin Bell nimmt Witterung auf und folgt der Spur des Geldes. Ihr ist klar, daß dies durchaus ihr letzter Einsatz werden könnte und ignoriert alle Versuche sowohl ihres Partners, als auch ihrer Vorgesetzten und der Kollegen vom FBI, ihr zu helfen.
Immer tiefer dringt Erin in die Gangsterwelt von Los Angeles ein und greift dabei zu immer fragwürdigeren Methoden. Sie prügelt Zeugen und Mittler und kommt so – indem sie bspw. den Anwalt DiFranco (Bradley Whitford) schwer mißhandelt und sogar damit bedroht, seinem Sohn etwas anzutun – auf die Spur von Petra (Tatiana Maslany), einst Silas Freundin und wesentlicher Teil von dessen Bande.
Es gelingt ihr, Petra aufzustöbern, sie zu verfolgen und bei einem neuerlichen Bankraub zu überraschen. Zwar kann Erin den Überfall verhindern, richtet dabei aber heilloses Chaos an. Sie verfolgt Petra und kann sie gefangen nehmen. In einem Lagerhaus kettet sie sie an und zwingt sie, ihr einen Kontakt mit Silas herzustellen.
Während es zwischen ihr und Silas auf einem finalen Höhepunkt zuläuft, muß Erin sich nicht nur mehrfach mit Shelby auseinandersetzen, die ihre Mutter vollends verachtet, sondern auch mit den Dämonen ihrer Vergangenheit. Niemand weiß, daß es damals zwischen ihr und Chris eine Vereinbarung gab: Sie hatte Chris gebeten, die Seiten zu wechseln und den Überfall nicht nur durchzuziehen, sondern auch mit ihr abzuhauen. Wissend, daß sie schwanger ist, wollte Erin, die aus ärmlichen Verhältnissen stammt und nie Geld oder anderes Vermögen besaß, diese Chance ergreifen, für sich und ihr Kind ein wirkliches Leben aufzubauen. Chris hatte sich nach anfänglichen Bedenken einverstanden erklärt, solange der Überfall nicht eskaliere. Da dies aber passiert ist, waren auch Erins Träume dahin. Allerdings gelang es ihr damals, ca. 300.000 Dollar aus dem Raub abzuzweigen und zu verstecken.
Nun muß sie feststellen, daß allerdings auch dieses Geld von der Signalfarbe verfärbt wurde und wertlos ist. Die 10.000 Dollar, die unbeschädigt blieben, bietet sie nun Jay an, damit der Shelby in Ruhe lässt.
In der Annahme, damit ihre Dinge geregelt zu haben, stellt sich Erin, die auf ihrer Suche nach Silas selbst etliche Schläge und Tritte hat einstecken müssen und nun spürt, daß sie ernsthaft verletzt ist, ihrem Widersacher. Sie tötet ihn schließlich mehr oder weniger hinterrücks. Dann setzt sie sich in ihren Wagen, lauscht den Skatern, die unter einer Brücke ihre Kunststücke üben, beobachtet die sengende Sonne, hängt ihren Gedanken und Erinnerungen nach und stirbt.
Es gibt sie noch, diese dreckigen kleinen Thriller, die oft in Nischen entstehen, ihre Geschichte konsequent erzählen und dabei meist aus dem beschädigten (amerikanischen) Leben berichten. Filme, die mit kompromißloser Härte die Brutalität einer Gesellschaft ohne Mitleid ausstellen und dabei ebenso kompromißlos die Neurosen, Ängste, Brüche ihrer Protagonisten aufzeigen. Im Nachklapp des ‚Film Nor‘ der 40er und 50er Jahre und im Zuge des ‚New Hollywood Cinema‘ der späten 60er und der70er Jahre mit Werken wie William Friedkins THE FRENCH CONNECTION (1971) aufgekommen, boten auch die 80er und 90er Jahre entsprechende Werke. Seien es die frühen Filme eines Martin Scorsese, eines Michael Mann oder Walter Hill, sei es ein Film wie Phil Joanous STATE OF GRACE (1990) oder Paul Schraders AFFLICTION (1997) – meist entstanden sie abseits oder am Rande des Mainstreams. Doch schienen sie zu Gunsten größerer Produktionen, enormer Budgets und eines zunehmenden Verwischens von Blockbuster- und Arthouse-Kino langsam von der Bildfläche zu verschwinden. Doch so langsam tauchen sie wieder auf – Lynne Ramsay lieferte ein sehr gutes Beispiel mit YOU WERE NEVER REALLY HERE (2017) und auch Karyn Kusama zeigt mit DESTROYER (2018), daß es noch Raum gibt für ein Kino, das komplex, hart und durchaus erwachsen zu nennen ist. interessanterweise sind die letztegenannten Filme jeweils von Frauen gedreht – eher ungewöhnlich in Hollywood und erst recht, wenn es um die Produktion von Actionfilmen oder Thrillern geht.
DESTROYER erzählt vordergründig von der Aufklärung eines Mordfalls in Los Angeles, bei dem die ermittelnde Polizistin auf die Spuren eines Mannes stößt, der ihr vor etlichen Jahren entkommen ist und für den Tod ihres Kollegen und Freundes verantwortlich war. Erst nach und nach – und unterstützt durch eine kunstvolle Verschachtelung verschiedener Zeitebenen, die sich ebenfalls erst nach und nach offenbart – legt die Geschichte die Beschädigungen ihres Personals offen. Nicole Kidman, die gerade in den letzten Jahren ein Gespür für ebenso schwierige wie herausfordernde Rollen gezeigt und dabei wenig Angst vor komplizierten, durchaus auch unsympathischen Charakteren gezeigt hat, spielt die Polizistin Erin Bell, die hier die Ermittlungen auf eigene Faust durchführt. Der Betrachter erlangt zunächst den Eindruck, es ginge um eine Art Rachegeschichte und möchte DESTROYER – nicht zuletzt aufgrund des Titels – in jene Kategorie einordnen, die mit DEATH WISH (1974) ihren Ausgangspunkt nahm und bis zu THE BRAVE ONE (2007) reicht – die Kategorie des brutalen, reaktionären Selbstjustizthrillers. Doch allzu schnell spürt man, daß diese Geschichte anders ist, andere Schwerpunkte setzt und anders erzählt wird.
Erin Bell ist nicht unschuldig und sie ist aufgrund ihrer eigenen Verstrickungen in die damaligen Vorfälle, die zum Tod ihres Kollegen geführt haben, psychisch schwer angeschlagen. Sie trinkt zu viel, sie hat die Kontrolle über ihr Leben verloren, ihr Gesicht ist eine einzige Verwüstung. Nicole Kidman beweist hier durchaus auch Mut zur Hässlichkeit. Zu allem Überfluß sieht Erin Bell sich im Laufe der Handlung mit ihrem Versagen als Mutter konfrontiert. Ihre Versuche, zumindest an dieser Front die Dinge noch einmal ins Lot zu bringen, scheitern kläglich und sie muß dankbar sein, daß ihr Exmann, der nicht Vater des Kindes ist, sich um die Tochter kümmert, soweit ihm das möglich ist. Bell selbst greift zu immer fragwürdigeren Methoden, um für ihr Kind zu tun, was sie für nötig hält – bis hin zu dem Versuch, den Freund ihrer Tochter dafür zu bezahlen, daß er die Stadt verlässt.
Je länger Bells Suche nach ihrem alten Feind dauert und je mehr sie sich ihm nähert, dabei jede Menge Schläge und Verwundungen einsteckt, sich immer weniger um das eigene Wohlbefinden kümmert, desto deutlicher wird, daß man es hier mit einer Passionsgeschichte zu tun hat. Einer weiblichen Passionsgeschichte. Für diese Frau, man ahnt es früh, wird es keine Erlösung geben. Ihr steht als Letztes nur der Versuch zur Verfügung, zumindest einige Fehler der Vergangenheit gerade zu rücken. Und das tut sie mit gnadenloser Härte und ohne sonderliche Skrupel. Anders als ihre männlichen Kollegen in diversen Filmen ähnlicher Machart, wirkt sie dabei allerdings nie sympathisch, es gelingt ihr auch nicht, zumindest Verständnis des Publikums oder anderer Figuren des Films für ihr Verhalten zu generieren. Und Drehbuch, Regie und Kidmans Darstellung lassen keinen Zweifel daran, daß dieses Verständnis auch gar nicht gewollt ist. Dadurch wirkt DESTROYER nicht nur kompromißlos und brutal, sondern auch gnadenlos realistisch. Es gibt keine Gnade, keine Vergebung und kein Mitleid in dieser am Tage von Sonnenlicht durchfluteten Stadt, die nachts zu einer Neonhölle wird.
Look und Design des Films orientieren sich durchaus an jenen Großstadt- und Neon-Thrillern, die das Markenzeichen eines Regisseurs wie Michael Mann (HEAT/1995; THE INSIDER/1999; COLLATERAL/2004) geworden sind. Die Kameraarbeit von Julie Kirkwood ist exquisit und fängt ein Los Angeles der Freeways, Boulevards und gesichtslosen Hintergassen, der Industriegebiete und anonymen Vorstädte ein, durch die Erin Bell sich manchmal wie in Trance zu bewegen scheint. Hell das Sonnenlicht, doch verheißt es keinen schönen Tag, sondern Hitze, es brennt in den Augen und treibt den Schweiß. Kusamas Regie hält eine Äquidistanz zu dieser Stadt, wie auch zur Hauptprotagonistin und der Story generell. Wir folgen den Geschehnissen, sie berühren uns und doch bleibt auch der Zuschauer in dieser Distanz, sieht ein nahezu schicksalhaftes Uhrwerk ablaufen, dessen Ende früh absehbar ist.
Ohne daß dies irgendwo explizit würde, ist DESTROYER ein Emanzipationswerk. Von einer Frau gedreht, erzählt es den Passionsweg einer Frau, die schuldig geworden ist, die zu einem falschen Zeitpunkt eine falsche Entscheidung getroffen hat und den Rest ihres Lebens den Preis dafür zahlt – in Form von Schuldgefühlen und selbstauferlegter Buße. Diese Buße sieht nicht viel anders aus, als bei männlichen Figuren – Suff und Misanthropie, gepaart mit Selbstekel. Doch anders als bei männlichen Figuren meist, sieht man hier deutlicher, welch Zerstörungswerk solche Buße hinterlässt, körperlich, seelisch und in der Psyche. Indem Kusama und Kidman diese Figur einführen und konsequent zuende erzählen, geben sie ein starkes Statement über weibliche Figuren auf der Leinwand ab. Erin Bell ist ein neuer Typus im Personal von Thrillern und Dramen. Sie ist autark, sie ist nicht angewiesen auf die Liebe oder Zuneigung des Publikums, ja, sie ist nicht einmal auf dessen Verständnis angewiesen. Daß allerdings macht Erin Bell bedrohlich – für den Zuschauer, für ihre Gegenspieler und für ihre (männlichen) Kollegen auf der Leinwand. Darin mag das eigentliche Verdienst dieses Films liegen.
Erin Bell sollte eben deshalb keineswegs mit Erica Bain in THE BRAVE ONE (2007) oder gar Paul Kersey in DEATH WISH (1974) verglichen werden. Diese Figuren sind in ihrer maßlosen Wut dringend auf die Gunst des Publikums angewiesen, weshalb die Filme, die sie bevölkern, auch zwingend manipulativ sein müssen. Dadurch geraten diese Werke aber eben auch schnell in den Verdacht des Rassismus, mindestens aber, zutiefst reaktionäre Gefühle zu bedienen. Sie bauen Gegner auf, die eindimensional sind, die das Publikum hassen kann und für die es wenig bis kein Mitgefühl empfindet, wenn sie dann durch Privatpersonen gerichtet werden. Nun ist Silas, Bells Gegenspieler, ebenfalls kein Sympath, doch wird er alles andere als eindimensional gezeichnet, im Gegenteil. Man begreift fast automatisch das Charisma dieses Mannes und weshalb er Macht über seine Gefolgsleute hat. Doch geht es bei Bells Feldzug im Grunde nicht um ihn. Sicher – e ist der Mörder von Bells großer Liebe. Ja, er ist der Mörder des Vaters ihrer Tochter, zu der sie den Kontakt zu verlieren droht. Er ist aber vor allem das Symbol für jenen Fehler, den Erin Bell höchst selbst und in Eigenverantwortung begangen hat. Sie war schwach, sie erlag der Versuchung. Das mag einen religiösen Aspekt haben, erst recht in Verbindung mit der Idee des Passionsweges, den sie zu gehen hat. Buch und Regie verstehen es aber, diesen Aspekt in eine soziale Wirklichkeit, sowie eine psychologische Bedingung einzubetten und damit nachvollziehbar zu machen. Hier geht es eben nicht um Rache, auch nicht um Selbstjustiz. Es geht darum, für einen Fehler zu bezahlen, koste es, was es wolle. Bell nutzt, wenn auch ebenso gnaden- wie kompromißlos, die Möglichkeiten ihrer Profession, um eine Schuld zu begleichen. Sie zahlt dafür aber auch einen hohen, einen finalen Preis, den sie wohl von Beginn ihrer Ermittlung an in Betracht gezogen hat.
So bleibt als Überraschung schließlich nur, daß das Publikum erst spät die komplizierte Verschachtelung der Zeitebenen restlos durchschaut. Und dies mag zunächst auch der einzige wirkliche Kritikpunkt sein, den DESTROYER sich gefallen lassen muß: Wirklich notwendig scheint diese Verschachtelung nämlich nicht. Andererseits stört sie den Ablauf und das Verständnis des Films auch nicht sonderlich und mag insofern der Aufmerksamkeit nicht wert sein. Immerhin führt sie die Geschichte an ein logisches Ende, das sich aus sich selbst erklärt. Doch steckt mehr dahinter, was aber erst auf Umwegen kenntlich wird. Denn so manipulativ der Einsatz der verschachtelten Zeitebenen anmuten mag, gerade in dieser Verschachtelung kommt auch zum Ausdruck, wie wenig manipulativ der Film inhaltlich ist. Vor der formalen Manipulation hebt sich umso klarer ab, daß wir es hier eben nicht mir Rassismus oder reaktionärem Gedankengut zu tun haben. Sondern mit der tiefempfundenen Schuld einer Frau, die am Ende ihres Weges angekommen ist und rücksichtslos das Zeichen setzen will, das ihrem Leiden zumindest Sinn einzuschreiben vermag. Das ganze fürchterliche Ausmaß dieses Zeichens kann sich also nur nach und nach und in der Rückschau entfalten. Auch, um sich deutlich von den Rächern und Selbstjustizlern abzugrenzen. Und so macht die Verschachtelung plötzlich wieder Sinn.
Man wünscht sich mehr dieser kleinen, dreckigen Filme, die unter dem Radar des kommerziell bedingten Gefallen-Müssens bleiben und damit viel weiter gehen können, als ihre Verwandten mit den großen Budgets, den Superstars und teuren Werbekosten. Hier können letzte Wahrheiten und tiefliegende Begründungen verhandelt werden, hier können Drehbuchautoren konsequent von menschlicher Schuld und deren Auswirkungen erzählen. Und sie können das Publikum dabei durchaus auch mit Zumutungen konfrontieren, die nachwirken und beschäftigen. Die gelegentlich auch weh tun. Es ist schließlich Schauspielerinnen wie Nicole Kidman dafür zu danken, daß sie sich immer wieder für Produktionen wie diese einsetzen und bereit sind, auch die eigenen Möglichkeiten wieder und wieder auszuloten und dabei Risiken eingehen. Das – erwachsene – Publikum dankt es ihnen ebenso, wie all jene, die versuchen, andere, vielschichtige Figuren auf die Leinwände zu bringen. Auch und gerade, was das weibliche Personal gerade in jenen Genres angeht, die so gern als Männerdomäne betrachtet werden.