BOBBY
Emilio Estevez beschwört jenen Tag, an dem Robert F. Kennedy starb, als Gesellschaftsportrait einer besseren Zeit herauf
Los Angeles, 4. Juni 1968. Im Ambassador Hotel trifft man die Vorbereitungen für ein abendliches Großereignis: Robert F. Kennedy (Dave Fraunces), von seinen Freunden und Anhängern kurz RFK oder „Bobby“ genannt, will hier seinen allseits erwarteten Sieg bei den Vorwahlen zur Präsidentschaftskandidatur der demokratischen Partei feiern.
Im Foyer sitzt, recht unbeeindruckt von den Ereignissen, der ehemalige Türsteher John Casey (Anthony Hopkins) mit seinem Freund Nelson (Harry Belafonte) und spielt Schach. Casey erzählt dabei nahezu ununterbrochen von den glorreichen Zeiten des Hotels und wen er alles getroffen habe, damals in der guten alten Zeit, als er Türsteher gewesen ist…
Hotelmanager Paul (William H. Macy) ist derweil damit beschäftigt, dass die Vorbereitungen für den Abend reibungslos laufen. Er selbst ist Kennedy-Anhänger und glaubt an dessen progressive Ideen. Dazu passt überhaupt nicht, dass der Personalleiter Daryl (Christian Slater) sämtliche Latinos des Personals zu Doppelschichten eingeteilt hat. Sein Argument: Diese dürften eh nicht wählen, allerdings lässt Daryl auch keinen Zweifel daran, dass er der Meinung ist, sie sollten auch nicht wählen dürfen. Paul entlässt Daryl kurzerhand, da er – eben nicht zu Unrecht – Rassismus hinter dessen Motivation vermutet. Daryl solle als eine seiner letzten Amtshandlungen auf spanischsprachigen Zetteln dem Personal mitteilen, dass jeder zur Wahl gehen dürfe und auch zur Wahl gehen solle.
Durch Daryls Maßnahme läuft die Küchenhilfe José (Freddy Rodriguez) Gefahr, seine Karten für das Spiel der LA Dodgers am Abend verfallen zu lassen – ein Spiel, das historisch zu werden verspricht. José, der sehr stolz ist, die Karten überhaupt ergattert zu haben, ist zu Tode betrübt. Er hatte mit seinem Vater ins Stadion gehen wollen. Er erzählt seinem Kollegen Miguel von der Sache. Miguel, voller Wut auf das weiße Establishment, erklärt, die Latinos seien nun die zu unterdrückende Randgruppe, nicht mehr die Schwarzen. Er schlägt José vor, die Karten zu verkaufen.
Diane (Lindsay Lohan) ist eine junge Frau, die sich bei Miriam (Sharon Stone), der Frau von Paul, die das hoteleigene Maniküre-Studio leitet, für ihre bevorstehende Hochzeit mit William (Elijah Wood) zurechtmachen lässt. Sie erzählt der älteren Frau, dass sie ihren Bräutigam nur heirate, um dessen Einzugsbefehl zur Armee und damit den Einsatz in Vietnam zu verhindern. Dianes und Williams Hoffnungen ruhen auf Kennedy, der u.a. versprochen hat, im Falle seiner Wahl zum Präsidenten den Krieg in Fernost zu beenden.
Diese Hoffnung teilen sie mit Cooper (Shia LaBeouf) und Jimmy (Brian Geraghty), Wahlkampfhelfer, die auch noch am Wahltag selbst von Tür zu Tür geschickt werden, um für Kennedy zu trommeln. Auch ihnen droht der Militärdienst. Doch die beiden haben vernommen, dass ein bekannter Dealer namens Fisher (Ashton Kutcher) im Hotel abgestiegen sei. Also wenden sie sich an ihn, um einen Joint zu erstehen. Noch nie haben sie das Rauschmittel versucht und es reizt sie. Doch Fisher überredet sie, mit ihm gemeinsam einen LSD-Trip zu nehmen.
Für die abendliche Gala ist Virginia Fallon (Demi Moore) als Stargast vorgesehen, sie soll für Bobby Kennedy singen. Ihre Glanzzeiten sind vorbei, doch hofft sie durch diese Gelegenheit ihrer Karriere noch einmal Aufwind zu geben. Sie wird begleitet von ihrem Mann Tim (Emilio Estevez), der sich durch seine Frau nicht zuletzt dadurch gekränkt fühlt, dass sie ihn ständig mit ihrem Hund losschickt, Gassi gehen. Gern würde er sich von ihr trennen, allerdings mag er nicht auf seinen Lebensstil verzichten, der ihm nur durch ihr Geld möglich ist.
Im Hotel ist auch jede Menge Journaille unterwegs, was sich bei einem Großereignis wie diesem von selbst versteht. Darunter ist die tschechoslowakische Journalistin Lenka (Swetlana Metkina), die für eine progressive Zeitung ihres Heimatlandes arbeitet und auf ein Kurzinterview mit Kennedy besteht. Dessen Wahlkampfmanager Wade (Joshua Jackson) ist immer wieder damit beschäftigt, ihr zu verdeutlichen, dass Kennedy aus wahlkampftaktischen Gründen mit keiner kommunistischen Zeitung sprechen könne. Er beharrt auch dann auf seiner Position., als Lenka ihm erklärt, was sich in Prag im Frühling des Jahres abgespielt habe und wie wichtig die Unterstützung eines Manns wie Kennedy für die progressiven Kräfte in ihrem Land seien, die nach der Niederschlagung des sogenannten „Prager Frühlings“ durch die Sowjets komplett in der Defensive seien.
Wades Kollege Dwayne (Nick Cannon), ein Schwarzer und damit ein Novum im Wahlkampfteam eines – natürlich – weißen Kandidaten für ein hohes politisches Amt, träumt davon, selbst einmal erster schwarzer Kandidat oder zumindest Abgeordneter seines Bezirks zu werden.
Während sich das Ehepaar Jack (Martin Sheen) und Samantha (Helen Hunt) auf den Abend vorbereitet und Samantha fast einen Nervenzusammenbruch erleidet, weil sie die falschen Schuhe eingepackt hat und nun unbedingt neue braucht – ein Anliegen, welches Sam nicht wirklich versteht, seiner Frau aber nicht abschlagen kann und will, weil er sie über alles liebt – , bricht in der Hotelküche ein Streit zwischen Miguel und dem Küchenchef Edward Robinson (Laurence Fishburne) aus.
Es geht um Rassismus und die Haltung, die Angehörige der Minderheiten gegenüber der weißen Mehrheitsgesellschaft einnehmen sollten. Miguel vertritt dabei sehr harte, fast harsche Ansichten, die nicht von ungefähr an die eines Malcolm X gemahnen, Edison macht sich über ihn lustig und versucht zu vermitteln, dass auch einem Miguel, einem José oder ihm, Edward Robinson, alle Möglichkeiten offen stünden, wenn sie bereit seien, bspw. die Bildungsnagebote, die die Gesellschaft auch ihnen – nicht zuletzt durch Männer wie Kennedy – zur Verfügung stellten, zu nutzen. José, immer noch ausgesprochen unglücklich, nicht mit seinem Vater zum Spiel gehen zu können, neigt selber eher Edinsons Ansichten zu, versucht aber, sich aus dem Streit herauszuhalten.
Später kommt José mit Edinson noch einmal ins Gespräch, als die beiden unter sich sind. Edinson fragt nach den Karten, er habe gehört, José habe welche zu verkaufen. Doch José schenkt sie seinem Kollegen. Miguel sucht seinerseits José später auf und bringt ihm ein Transistorradio, das er aufgetrieben hat, damit sie das Spiel wenigstens am Radio verfolgen können.
Paul treibt es gelegentlich mit dem Zimmermädchen Angela (Heather Graham), was Daryl Miriam aus Rache mitteilt. Daraufhin kommt es zwischen den Eheleuten zu einer Aussprache, die damit endet, dass Miriam ihrem Mann sagt, wie sehr sie ihn liebe und zu ihm aufblicke und seine Haltung bewundere, allerdings nicht wisse, ob sie ihm verzeihen könne. Mehr als den Fehltritt selbst, nehme sie ihm übel, dass er zunächst alles abgestritten habe.
Samantha bekommt ihre Schuhe, Jack kauft sie ihr nur zu gern. Doch zurück auf dem Hotelzimmer bricht Samantha in Tränen aus. Sie gesteht ihrem Mann, dass sie letztlich nur versuche, vor dem Altern davon zu laufen und schreckliche Angst habe, ihre Attraktivität zu verlieren. Jack versichert ihr, dass er sie liebe, egal, wie sie aussähe oder wie alt sie sei.
In einem Zimmer abseits des Trubels heiraten William und Diane, nachdem er ihr zunächst gesagt hatte, dass er nicht wolle, dass sie ihn nur aus den bekannten Gründen eheliche. Doch sie ist sich mittlerweile sicher, sich auch in ihn verliebt zu haben.
Wade bekommt die ersten Prognosen und Hochrechnungen und kann seinem Chef mitteilen, dass er mit großer Sicherheit gewinnen werde, da er weit vorn liege. Kennedy macht sich für seinen Auftritt bereit. Ankündigen darf ihn Dwayne, für den dies, das weiß Wade, eine große Ehre ist. Kennedy hält eine flammende Rede und die Zuhörer sind ergriffen aber auch euphorisiert. Virginia Fallon singt für den zukünftigen Präsidentschaftskandidaten.
Dann soll Kennedy das Hotel auf Anraten seines Sicherheitspersonals durch die Küche verlassen. Hier sind einige der Menschen in der Menge, die wir zuvor im Film kennengelernt haben. Während Kennedy durch die Enge der mit Menschen vollgestopfte Küche geschoben wird, tritt ein Mann hervor und eröffnet das Feuer auf den Kandidaten, trifft aber auch Umstehende. Darunter befinden sich Samantha, die einen Streifschuss erhält, Cooper, Daryl, Wade und Jimmy. Wade behält trotz seiner Verletzung einen kühlen Kopf und verlangt nach einem Arzt. José tritt zu dem am Boden liegenden Kennedy und drückt ihm einen Rosenkranz in die Hand, da er weiß, dass Kennedy Katholik ist. Er hält dem sterbenden Mann die Hand. Notfallsanitäter bringen Kennedy im Rettungswagen fort, Ärzte und Personal kümmern sich um die Verletzten. Auf diesem Wege kommen auch Paul und Miriam wieder zueinander…
In einer Schrifttafel erfahren wir, dass Robert F. Kennedy in der Nacht zum 5. November 1968 im Krankenhaus seinen Schussverletzungen erlegen ist, alle anderen Verletzten jedoch überlebt haben.
Wie alle Nationen weist auch die amerikanische jene Daten auf, die allgemein als Wendepunkte in der Geschichte wahrgenommen wurden. Die etwas Jüngeren werden sich an den 11. September 2001 erinnern, der, ähnlich dem 7. Dezember 1941, als ein Tag in Erinnerung blieb, an dem Amerika angegriffen wurde. Aber gerade das 20. Jahrhundert weist einige Daten auf, die exemplarisch für die Bedrohungen stehen, die die Nation von innen heraus angriffen. Für die etwas Älteren wird ganz sicher der 22. November 1963 ein solcher Tag gewesen sein. Es ist der Tag, an dem John F. Kennedy auf der Daly Plaza in Dallas, Texas, erschossen wurde. Für viele Angehörige der Boomer-Generation gilt dies bis heute als „the day America died“ – der Tag an dem Amerika starb; gemeint ist damit, dass das Land an diesem Tag seine angeblich naive Unschuld, seinen Glauben, dass die Zukunft immer Besseres zu bieten habe, verlor.
Das Jahr 1968 weist gleich zwei solcher Daten auf, die eine jeweils eine ähnliche Dimension hatten, wie der Mord an Präsident Kennedy fünf Jahre zuvor. Als am 4. April gegen sechs Uhr abends Martin Luther King auf dem Balkon des Lorraine Motels in Memphis, Tennessee, von einem rassistisch motivierten Attentäter erschossen wurde, starb mit ihm nicht nur der Mann, der Amerika und seiner schwarzen Bevölkerung die Hoffnung auf ein besseres, ein gleichberechtigtes Leben gegeben hatte, sondern auch die Hoffnung, dass die sogenannten Rassekonflikte friedlich zu lösen seien. Nur zwei Monate später schließlich schoss der Palästinenser Sirhan Sirhan in der Küche des Ambassador Hotels in Los Angeles auf den angehenden Präsidentschaftskandidaten Robert F. Kennedy, jüngerer Bruder des ehemaligen Präsidenten, mit dem gemeinsam er als Justizminister die Kuba-Krise gemeistert hatte. Vielleicht starb mit Bobby Kennedy wirklich die letzte Hoffnung des liberalen Amerika, dem Land seinen Stempel aufdrücken und die Gesellschaft nachhaltig verändern zu können. Bald darauf begannen die dekadenten, brutalen und schließlich moralisch bankrotten 70er Jahre. Nixon übernahm die Regierung und eskalierte den Vietnamkrieg, bekämpfte die Bürgerrechtsbewegung und führte das Land in eine echte Staatskrise, als der Watergate-Skandal aufgedeckt wurde.
Die amerikanische Kultur versuchte immer recht zeitnah, diese Traumata aufzuarbeiten. Dem Mord an Präsident Kennedy folgte ein endloser Rattenschwanz an Verschwörungserzählungen, die sich damit befassten, wer hinter dem Attentat stecken könne. Denn dass mit Lee Harvey Oswald ein Einzeltäter verantwortlich sein könnte, mutete dann doch sehr unwahrscheinlich an. Zu wissen, wo man in dem Augenblick war, als man vom Attentat erfuhr, wurde zu einem popkulturellen Topos in den USA. Im Falle von Martin Luther King verhielt es sich anders und es dauerte, bis dieser Mord angemessen kulturell verarbeitet wurde. Dieser Fakt an sich weist einmal mehr auf den immanenten Rassismus hin, der dieses Land nach wie vor beherrscht. Allerdings hatte man den Mörder nach dessen abenteuerlicher Flucht schließlich fassen und regulär vor Gericht stellen können. So ließ dieser Mord wenig Spielraum für etwaige Verschwörungsnarrative. Im Falle von Bobby Kennedy verhält es sich allerdings erneut so, dass die Nachwelt bis heute rätselt, ob Sirhan SIrhan wirklich der Einzeltäter war, als der er dargestellt wurde. Anders als im Falle seines älteren Bruders, sind im Falle des Mordes an Bobby Kennedy im Laufe der Jahre seriöse und nachvollziehbare Indizien aufgetaucht, die die ursprüngliche Theorie in Frage stellen und zumindest darauf hindeuten, dass in der überfüllten Küche, durch die Kennedy das Hotel verlassen wollte, zumindest noch ein zweiter Schütze anwesend war.
Hollywood verarbeitete den ersten Kennedy-Mord in dem ebenso anrüchigen wie großartigen Film JFK (1991), den Oliver Stone inszenierte, den eine lebenslange Obsession mit dem Thema umzutreiben scheint, legte er vor einiger Zeit mit JFK REVISITED: THROUGH THE LOOKING GLASS (2021) doch noch einen Dokumentarfilm nach, der angeblich ganz neues Material enthielt. Doch vor allem JFK galt lange als ebenso ultimative wie definitive filmische Abhandlung zum Thema. Peter Landesman bot mit PARKLAND (2013) eine eher ungewöhnliche Annäherung an das Thema: Sein Film erzählte multiperspektivisch von denen, die an diesem Tag involviert waren, sonst aber wenig Aufmerksamkeit bekamen. Hier stehen die Ärzte und Krankenschwestern des Parkland Memorial Hospital, wohin Kennedy nach dem Anschlag gebracht wurde, die Streifenpolizisten und Secret-Service-Beamten, Oswalds Bruder sowie Abraham Zapruder, der das wesentliche Filmdokument aufzeichnete, das von dem Attentat existiert, und etliche andere, die irgendwie an diesem Tag betroffen waren, im Mittelpunkt.
Möglicherweise hatte Landesman bei der Konzeption seines Films BOBBY (2006) im Sinn, welcher ähnlich aufgebaut ist. Emilio Estevez spielt nicht nur eine der Hauptrollen, sondern inszenierte den Film auch – basierend auf einem eigenen Drehbuch. Offenbar war ihm das Thema sehr wichtig. Herausgekommen ist ein Film, der leider nie wirklich zu wissen scheint, was genau er sein möchte – Gesellschaftsdrama? Historische Betrachtung? Eine Erinnerung an einen vermeintlich großen Mann? Oder die Beschwörung eines bestimmten Zeitpunkts innerhalb der amerikanischen Geschichte? Vieles spricht für Letzteres, denn so, wie sich die Handlung, wenn man denn von einer solchen überhaupt sprechen mag, darbietet, hätte es nicht dieser geschichtsträchtige Tag, der 4. Juni 1968, sein müssen. Erst im Moment des Attentats laufen einige der Handlungsstränge zusammen, als einige der Protagonisten, deren Wege wir in den knapp 2 Stunden zuvor verfolgt haben, von Kugeln aus der Waffe des Attentäters getroffen werden.
Bis zu diesem Moment gemahnt Estevez´ Drama an einen Film wie den Garbo-Klassiker GRAND HOTEL (1932). Wir verfolgen Einzelschicksale, zu deren Präsentation Esteves ein wahrlich beeindruckendes Ensemble zusammentrommeln konnte. William H. Macy gibt den Hotelmanager Paul, Sharon Stone seine Frau MIriam, die im Laufe des Films seiner amourösen Fehltritte gewahr werden muss. Christian Slater spielt Daryl, einen der Personalleiter des Hotels, der gefeuert wird, weil er das gesamte Latino-Personal für diesen Tag zu Doppelschichten eingeteilt hat, da diese in seinen Augen so oder so nicht wählen dürfen und auch nicht wählen sollten. Dadurch muss die Küchenhilfe José, dargestellt von Freddy Rodriguez, seine Karten für ein Spiel der LA Dodgers verfallen lassen, gibt diese dann an den Küchenchef ab, den wiederum Lawrence Fishburne spielt. Und so weiter, und so fort. Die Liste an Stars und Sternchen, die hier auftreten, ist ewig lang. Shia LaBeouf, Harry Belafonte, Anthony Hopkins, Heather Graham, Lindsay Lohan, Helen Hunt, Ashton Kutcher, Martin Sheen (Estevez leiblicher Vater), Demi Moore, Elijah Wood – und es sind noch nicht alle genannt. Es drängt sich bereits bei der Auflistung das alte Sprichwort von den Köchen und dem Brei auf, der ja schnell verdorben ist.
Dabei gelingt es Estevez in seinem Drehbuch und auch in seiner Inszenierung durchaus, den vier, fünf Hauptsträngen seiner Geschichte gleichberechtigt Raum zu geben, doch gibt es mindestens zwei darunter, die nahezu nichts damit zu tun haben, worauf dies alles hinausläuft. Ein junges Paar will heiraten, wobei sie ihn lediglich will, damit er nicht gen Vietnam ziehen muss – scheinbar wollte Estevez den Vietnamkonflikt zwingend in die Handlung einbauen, was zumindest noch politisch-historisches Gewicht hat; dass ein Drogendealer zwei der Wahlhelfer von RFK verführt, auf LSD setzt und diese damit Erfahrungen jenseits ihres bisherigen Horizonts machen dürfen, scheint lediglich dem Zeitkolorit geschuldet, ist im Kontext der Handlung jedoch vollkommen überflüssig. Ähnlich verhält es sich mit der Figur des John Casey, von Anthony Hopkins als Hardcore-Melancholiker dargeboten. Casey war früher im Hotel angestellt, sitzt nun tagtäglich im Foyer herum und spielt Schach mit seinem von Belafonte gespielten Kumpel Nelson, der sich gutmütig Caseys alte Geschichten aus der Historie des Hotels anhört. Und auch die Geschichte um die alternde Diva Virginia Fallon, die Demi Moore allerdings äußerst überzeugend gibt, wirkt eher an den Haaren herbeigezogen und etwas deplatziert. Auch hier wird vergangene Größe und somit Historizität beschworen, was aber tautologisch wirkt, da es ein Fakt ist, der um sich selbst kreist: Zeit vergeht, weil sie vergeht…so ist das.
Fakt ist: Aus all diesen Strängen wird im Showdown in der Hotelküche eine Person von einer der Kugeln aus Sirhan Sirhans Pistole getroffen. Alle – außer Bobby Kennedy, den Dave Frauncers mit erstaunlicher Ähnlichkeit sowohl im Aussehen als auch in der Mimik und Gestik in den wenigen Szenen spielt, in denen er wirklich auftritt, der Film bedient sich ansonsten gern und häufig bei Originalmaterial der damals übertragenden Fernsehsender – überleben das Attentat. Das berichten uns Schrifttafeln am Ende des Films. Man wundert sich ein wenig, denn es gab tatsächlich weitere Verletzte, doch sind es explizit nicht die, die im Film portraitiert werden. Die Schüsse wirken hier, in Bezug auf diese fiktiven Figuren, kathartisch. Denn sie führen Menschen zusammen – oder wieder zusammen – die sich im Laufe des Films begegnen, manchmal entfremdet haben, oft keine Kenntnis voneinander nahmen. So kann Estevez ein Stimmungsbild am Vorabend dieser damals als entscheidend wahrgenommenen Vorwahl zeichnen, dass noch einmal den Zusammenhalt feiert, der Amerika – zumindest dem Mythos nach – auszeichnet. Die einzelnen Handlungsstränge erzählen von dem damals (und teils heute immer noch, was zu denken geben sollte) die Gesellschaft beherrschenden Themen: Rassismus, Vietnam, Drogen, die Gegenkultur, aber auch freie Liebe, zunehmend liberale Ansichten, die aber eben auch – die Ehe von Paul und Miriam zeigt es – neue Probleme und Verletzungen mit sich bringen. Dass Estevez (fast) alle diese Geschichten in gewisser Weise „gut“ ausgehen lässt, zeugt von einem positiven Weltbild, vom Willen, den Glaube an ein besseres Amerika, das es immer sein wollte, zu erhalten, wirkt aber auch reichlich naiv.
Der Rassismus eines Mannes wie Daryl lässt sich nicht durch den aufrechten Vorgesetzten ausmerzen, nur weil der ihn feuert. Die Zweckehe zwischen William und Diane entpuppt sich schließlich als Liebesheirat und auch Paul und Miriam finden irgendwie wieder zueinander, zumindest deutet der Film dies an. Aber damit ist weder der Vietnamkrieg beendet, noch sind die Probleme moderner Ehen behoben. Sicher, soweit würden BOBBY als Film und Estevez als dessen Autor und Regisseur sicher nicht gehen wollen, doch scheint hier in der Entwicklung der Figuren etwas zu unreflektiert noch einmal der oben angesprochene amerikanischer Geist beschworen zu werden.
Allerdings gelingt auch manches. Fishburnes Auseinandersetzung in der Küche, der Dialog über Rassismus und wie man als Betroffener damit umgeht, hat durchaus etwas, trifft auch ins Schwarze und tut sogar ein wenig weh, weil er wahr ist. Demi Moores Darstellung der alternden Diva wurde bereits erwähnt und auch wenn dieser Handlungsstrang nicht zwingend ist, beschwört er doch den Untergang einer Epoche und deren Stars, verdeutlicht zugleich aber auch die Verlogenheit, die sich hinter dem Glitzer Hollywoods und des amerikanischen Showbiz immer verbarg. Das Setting, die Ausstattung und der Set im engeren Sinne sind hervorragend. Estevez und sein Team durften im originalen Ambassador Hotel drehen, kurz bevor es abgerissen wurde. Es gelingt dem Film, eine recht authentische Atmosphäre der späten 60er Jahre und der gerade mit dieser Vorwahl verbundenen Hoffnung und Stimmung wiederzugeben. Das gesamte Ensemble ist exquisit, Kamera und Schnitt sind hervorragend und fangen gerade jene dramatischen Momente in der Hotelküche brillant ein.
BOBBY erinnert also noch einmal an eine Zeit, in der Amerika sich vermeintlich noch auf der besseren Seite fühlen durfte, als die Gegensätze klar zu benennen gewesen seien, als es trotz all der schrecklichen politischen und gesellschaftlichen Umstände noch Hoffnung gegeben habe. Dies erzählt in einer Zeit – 2006 – als die USA sich in Folge der Anschläge auf das World Trade Center in verschiedenen Kriegen verzettelt hatten und sich mit dem Gefängnis in Guantanamo Bay auf Kuba eine moralische Bankrotterklärung leisteten. Vor diesem zeitgenössischen Hintergrund wirkt dieses Werk dann allerdings fast schon wieder wie ein Propagandafilm der smarten Art: Die Selbstvergewisserung eines Landes, einer Gesellschaft, dass man, trotz aller Verfehlungen, zumindest auf etwas Gutes zurückblicken könne und vielleicht ja in der Lage sei, noch einmal dahin zu gelangen. Wer weiß…