DARK BLUE

Es fühlt sich an wie ein Ellroy, es sieht aus wie ein Ellroy, siehe da - es ist ein Ellroy

Los Angeles 1992 – die Stadt wartet auf das Urteil im Fall Rodney King. Die beiden Special Agents Bobby Keough (Scott Speedman) und Eldon Perry (Kurt Russell) stehen vor einer internen Ermittlung, weil der Neuling Bobby bei einem Einsatz einen Mann erschossen haben soll. Perry, der den jungen Kollegen anlernen soll, gilt als zwar extrem harter, jedoch mit seinen Methoden eben auch erfolgreicher Cop. Zudem genießt er die Protektion seines direkten Vorgesetzten Jack van Meter (Brendan Gleeson), der einst Partner von Perrys Vater war. Die beiden Beschuldigten werden „freigesprochen“, lediglich Arthur Holland (Ving Rhames) hegt so seine Zweifel, ob hier alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Er hat große Ambitionen: Er will der erste afroamerikanische Poleizeichef der Stadt werden. Van Meter will das verhindern – u.a. mit Photos, die Holland eindeutig mit einer jungen Polizistin zeigen, die heute seine Assistentin ist. Eben diese – Beth Williamson (Michael Michele) – hat ein Verhältnis mit Bobby. Als die beiden feststellen, daß sie quasi auf „entgegengesetzten“ Seiten stehen, verläßt sie ihn. Van Meter überträgt Perry und Bobby den Fall eines Überfalls auf ein koreanisches Geschäft, bei dem vier Menschen getötet wurden. Als Perry ahnt, wer dahinter steckt, maßregelt van Meter ihn und gibt ihm fingierte Akten zweier Männer, die er anstatt der wirklichen Täter gefasst und bei der Festnahme getötet haben will. Die wahren Täter nämlich sind Handlanger van Meters, der wusste, daß der Koreaner heimlich ein Prostitutionsgeschäft laufen hatte und deshalb über große Bargeldmengen verfügte, die nun in van Meters Besitz sind. Bei der zuvor geplanten Festnahme zwingt Perry Bobby, einen der beiden Männer zu töten. Bobby bricht daraufhin zusammen und stellt sich Beth, damit sie ihn zu Holland bringt. Bobby und Beth fahren nach dem Treffen mit Holland zu der Adresse der wirklichen Täter, um diese in Schutzhaft zu nehmen. Van Meter hatte auch Perry dorthin geschickt und seine mörderischen Angestellten davon in Kenntnis gesetzt – er will, daß Eldon Perry stirbt, da er ihm zu unberechenbar geworden ist. Es kommt zu einer wüsten Schießerei, bei der Bobby stirbt. Perry verfolgt die Täter, während die Straßen langsam zu Schlachtfeldern werden: Das Urteil im Rodney-King-Prozeß wurde gesprochen – die Polizisten, die ihn mißhandelten, wurden freigesprochen. Perry gelingt es, einen der Männer lebend zu fassen und nimmt diesen mit zu der Feierlichkeit, die an diesem Tag stattfinden soll zu Ehren der neuen Lieutenants. Auch Perry sollte an diesem Tag befördert werden. Statt einer Dankesrede packt er vor der versammelten High Society des LAPD aus und begibt sich damit nicht nur selbst in einen juristischen Strudel, sondern reißt auch van Meter mit sich. Perrys Frau, die sich von ihm scheiden lassen will, und sein Sohn, der ihn verachtet, werden Zeugen, wie er versucht, wenigstens einmal etwas auf die richtige Art zuende zu bringen…

Spätestens seit den harten LAPD-Thrillern, in denen James Ellroy ein ultradüsteres Bild dieser Institution malte, wissen wir, wie korrupt gerade die Polizei von Los Angeles ist. Daß sie das in der Realität wohl auch war, weiß, wer sich etwas eingehender mit der Materie beschäftigt hat. Mord, Korruption, Nebenjobs in den Film- und aufkommenden Fernsehstudios oder bei Mickey Cohen und anderen Unterweltgrößen und ein seltsames Geflecht aus Geheimnissen, Gangstern und Glamour sind die Zutaten zu einem gefährlichen Gebräu. Und wenn das System überkompliziert wird, explodiert es in Gewalt oder bricht in sich zusammen – manchmal passiert das eine auch in Folge des anderen. Und so, wie der Großmeister sprachlicher Redundanz uns in seinen als Cop/Hard-boiled-Thrillern daherkommenden Gesellschaftsgemälden der 50er Jahre diese Härte gnadenlos vorführte, so tut es auch dieser Film – beruht er doch nicht nur auf der Vorlage einer Idee Ellroys, dieser hat auch am Drehbuch mitgearbeitet.

Die Story klingt ein wenig klischeehaft und das ist sie auch, zudem hat sie einige Logiklöcher. Und dennoch hat man es hier mit einem hervorragenden Film zu tun. Das liegt zum einen an den Darstellern, allen voran Kurt Russell, der wieder einmal zeigen darf, daß er weit mehr drauf hat, als den reinen Actionhelden oder primitiven Haudrauf zu geben. Es liegt zum anderen aber auch am heimlichen Hauptdarsteller dieses Films und der Art, wie er – eigentlich eine sie – in Szene gesetzt wird: das Licht in Los Angeles. Wollte man den Film rein semiotisch betrachten, dann müsste man sagen, daß es nur einen Grund gegeben haben kann, ihn zu drehen: Es ist eine Studie über Licht. Dem Kameramann Barry Peterson gelingt es, dieses spezielle Licht, das diese „Stadt“ in den 1910er Jahren für Filmemacher so verführerisch werden ließ  – dieses weiche Gelb, das materiell wirkt, das sich wie Honig um einen legt, einen umschmiegt und umschmeichelt – als eigenständiges Merkmal dieses Films, wie einen Protagonisten oder vielleicht wie eine Bedingung für das Geschehen zu inszenieren. So fahren diese Männer, wenn sie auf ihren Ausflügen zum Töten sind, durch ein wundervoll weiches Licht, das eine Welt der Helligkeit und des Friedens suggeriert, wenn es seine nachmittäglichen Pastelltöne auf die erdfarbenen Hauswände legt. Es ist der stärkste denkbare Kontrast zu der realen Welt dieser Männer, die von Gewalt, Korruption und Hinterhältigkeit geprägt ist. Dieser harte Kontrast wird noch einmal verdeutlicht durch das extrem künstliche, metallisch blaue Licht der meisten Innenaufnahmen. Was außen trügerisch ist, wird im Inneren zur offenen Bedrohung. „Dark Blue“ ist das Blau der Polizeiuniformen, auf die jemand wie Holland einst so stolz war. „Dark Blue“ sind aber auch die Seelen der meisten Figuren hier. Und Bobby ist schon weit auf die „dunkle“ Seite gekippt, bevor er verzweifelt versucht, doch noch das Richtige zu tun.

Ron Shelton setzt diese Geschichte teils wie einen Noir-Thriller, teils wie eines der harten Copdramen der 70er Jahre (FRENCH CONNECTION, 1971; u.a.) in Szene. Korruption in der Polizei haben andere ebenfalls schon angeprangert, allen voran Sidney Lumet in seinen Meisterwerken SERPICO (1973) und PRINCE OF THE CITY (1981), und oft sind diese Filme auch realistischer. Doch hier ist es das feine Gemisch aus der Darstellung eines korrupten Systems (das im Film auch einmal klar so benannt wird, wenn Perry zu Bobby sagt, der solle sich mal keine Sorgen machen, sondern „auf das System vertrauen“), einer persönlichen Verflechtung (Bobby/Beth; Beth/Holland) und dem sehr realistischen Szenario um den Rodney-King-Prozeß. DARK BLUE wird spätestens an diesem Punkt zu einem jener Genrefilme, die Hollywood immer schon hervorgebracht hat, die als System- und Gesellschaftsanalyse oft besser funktionieren als 600seitige soziologische Wälzer.

Solange weiße Männer „auf das System“ vertrauen können, solange wird sich auf den Straßen nichts ändern und erst recht nicht in den Köpfen – aller. Diesen Zusammenhang erfasst der Film (das Drehbuch) genau. Und deshalb haben wir es weder mit einem rassistischen Film (denn an allen Ecken und Enden wird jemand „N****r genannt), noch mit einem Film über Rassismus zu tun. Hier haben wir es mit einem Film zu tun, der Rassismus als gesellschaftliches Phänomen einfach voraussetzt, ihn weder wirklich anklagt, noch erklärt, sondern schlichtweg als gegeben hinnimmt und daraus die Kraft bezieht, dem „System“ ein vernichtendes Zeugnis auszustellen. Hier ist zu besichtigen, wie ein korruptes System immer komplizierter wird, immer weitere Kreise zieht und schlichtweg nur noch – dem Gordischen Knoten gleich – mit Gewalt zu lösen ist. Einer Gewalt, die von allem Anfang an schon immanent war, eingepflanzt in dieses System – ein schleichendes Gift. Wenn es akut anfängt zu wirken, dieses Gift der Gewalt, und wenn sie dann ausbricht, die Gewalt, dann haben wir es mit Redundanz zu tun. Maximaler Redundanz, sozusagen.

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