DAS INSTITUT/THE INSTITUTE

Unterhaltsamer Verschwörungsthriller des "Königs des Horror", leider ohne Mehrwert

Eine der beliebtesten Verschwörungserzählungen der 50er und 60er Jahre war jene, die von geheimen Experimenten an Menschen in geheimen Labors des Militärs oder der CIA an dunklen, geheimen Orten berichten. Da wurden Menschen angeblich Chips eingepflanzt, sie wurden unter Drogen gesetzt, man versuchte, an geistige Kräfte heranzukommen, sie zu entfesseln, die Phänomenen wie Telekinese oder Telepathie entsprachen. Das Ulkige an diesen Verschwörungsnarrativen war, daß sie sich teils als wahr erwiesen. Es hat geheime Versuche an Menschen gegeben, vor allem in Kliniken für geistig Gestörte wurden immer wieder Experimente mit sogenannten bewußtseinserweiternden Drogen wie eben LSD durchgeführt.

Der Komplex „geheime Experimente“ wurde im Laufe der Dekaden ein gefundenes Fressen für allerlei Verschwörungsszenarien in Literatur, Film und Fernsehen. Von den Paranoia-Thrillern der 70er Jahre bis zu Serien wie THE X FILES (1993-2002/2016-2018) deckten immer wieder unbescholtene Bürger oder hartgesottene FBI-Agenten dunkle Machenschaften auf. In den Werken Stephen Kings schwangen solche Erzählungen oftmals mit, vor allem, weil sowohl Telekinese als auch Telepathie immer schon zu den bevorzugten Themen des Maestros gehörten. Eher verwunderlich, daß es lange dauerte, bis er einen Roman direkt zum Thema vorlegte. Das hat er dann 2019 mit THE INSTITUTE (Dt.: DAS INSTITUT; 2019) nachgeholt.

Berichtet wird von dem 12jährigen Luke, einem kleinen Genie, das bereits an mehreren Eliteuniversitäten der Ostküste angenommen wurde, um verfrüht sein Studium aufzunehmen. Doch eines Abends wird er aus seinem Heim entführt, seine Eltern werden ermordet. Luke findet sich in einer Einrichtung wieder, die irgendwo abgelegen in den Wäldern Maines liegt. Hier werden telepathisch begabte Kinder und telekinetisch begabte Kinder per Stimulation zu Höchstleistungen animiert. Niemand hier ist an Lukes Intelligenz interessiert, im Gegenteil. Es sind lediglich seine – eher schwach ausgeprägten – telekinetischen Fähigkeiten, mit denen er daheim manchmal, ungewollt, die Schranktüren klappern oder ein Blech vom Tisch fallen ließ, die hier zählen. Hier, im Institut, findet Luke aber auch neue Freunde. Und gemeinsam gelingt es ihnen, Luke zunächst zur Flucht zu verhelfen und dann ihre alten und die teils neu gewonnene Fähigkeiten – die Experimente zeitigen Folgen, die auch die Hüter der Labore nicht voraussehen konnten – derart zu nutzen, daß sie die Kontrolle im Institut übernehmen können.

Auf knapp 800 Seiten breitet King seine Story aus, was – leider – auch bedeutet, daß die sich bei ihm immer häufiger bemerkbar machenden Längen vorkommen. Der gleiche Autor, der einst durchaus auf Andeutung und manchmal subtile Hinweise gesetzt hat, scheint sich mittlerweile genau dieser Stilmittel nicht mehr sicher zu sein. Also wird einiges wieder und wieder erklärt, vor allem in jenen Abschnitten des Romans, die im Institut selbst spielen. Da finden sich einige Kinder und Jugendliche zu einer Zweckgemeinschaft zusammen, aus der heraus schnell „echte“ Freundschaften erwachsen, zarte Bande entwickeln sich zwischen einzelnen, man hat Verständnis für die Ängste und Eigenheiten der anderen und lernt so an einem bösen Ort, das Gute zu entdecken. Kommt uns das bekannt vor? Allerdings. Diese Konstellationen gehören zu Kings Grundmustern, die er ebenfalls wiederholt und wiederholt. Nur weiß er all seinen jugendlichen Gruppen und Grüppchen nach all den Jahren und etlichen Romanen, die das Muster aufgreifen, mittlerweile nichts mehr hinzuzufügen. Und so hat man hier letztlich eine Variation dessen, was er auch in früheren Büchern, allen voran ist wohl IT (ES; 1986) zu nennen, schon geboten hatte. Dann aber bleibt dem Rezipienten nicht viel übrig, als Vergleiche anzustellen und die variierenden Details zu beurteilen.

In einem solchen Vergleich kann THE INSTITUTE allerdings nicht bestehen. Wie auch? Das Original wird alle Varianten immer überstrahlen. Die vielleicht glaubwürdigste – und klischeebefreiteste – Gruppe junger Menschen hat King möglicherweise in FALL FROM INNOCENCE: THE BODY (Dt.: DIE LEICHE, in: FRÜHLING; SOMMER; HERBST UND TOD; 1984) beschrieben, das dann zur Vorlage zu dem wunderbaren Rob-Reiner-Film STAND BY ME (1986) wurde. In IT wurde das Prinzip von der Kurzgeschichte (oder Novelle, wie man will) dann auf Romanniveau gehoben. Im Original über 1500 Seiten stark, entstanden dort glaubwürdige Figuren Jugendlicher an der Schwelle zum Erwachsenwerden. Auch sie an einem „bösen“ Ort – ihrer Heimatstadt Derry – gefangen, wo sie sich einer Macht stellen müssen, die sie heillos überfordert. In THE INSTITUTE wird daraus dann eine sehr weltliche Macht, die sich und anderen weismachen will, daß ihr Tun – Kinder mit „besonderen“ Fähigkeiten quasi auszupressen, bis sie wesenhafte Zombies sind, die im Grunde nur noch ihre speziellen Fähigkeiten bündeln sollen, um damit bestimmte Menschen irgendwo auf dem Erdball zu töten, von denen man annimmt (Präkognition), daß sie irgendwann in der Zukunft den Weltfrieden bedrohen könnten – einer guten Sache dient. Man „opfert“ diese Kinder, um damit ein größeres, übergeordnetes Ziel zu erreichen.

King lässt nichts aus, was im weitesten Sinne in diesen Themenkomplex passt. Die Anfänge des Programms gehen natürlich auf die Nazis zurück, der OSS, die Vorgängerorganisation der CIA, hat sich die im besiegten Deutschland vorgefundenen Experimente natürlich zunutze gemacht, das Institut eingerichtet, welches mittlerweile Ableger überall auf der Welt unterhält. Sie alle sind miteinander vernetzt und bilden sozusagen eine geheime Regierung hinter den offiziellen Regierungen, weil man so wichtige Dinge wie den Weltfrieden natürlich nicht einfach den Diplomaten und gewählten Volksvertretern überlassen darf usw. usf. Doch über eine zugegeben recht geschickte Vermischung dieser Einzelteile, eine zugegeben oft spannende Konstruktion des Plots, kommt King nicht hinaus. Er lässt – ein Phänomen, das bei einigen seiner letzten Werke auffällt – eigentlich spannende Fragen, gerade die nach der Moral, unter den Tisch fallen. Er deutet sie an, wenn er von der im Grunde friedenserhaltenden Funktion des Instituts berichtet, verfolgt sie dann aber nicht weiter, da unser kindlicher Held und seine Freunde – ein Kleinstadtpolizist, der zufällig Zeuge vom Ende der Flucht des Jungen wird – selbstredend auf der moralisch richtigen Seite stehen und aus dieser Position heraus auch immer wissen, was zu tun ist. Keine Widersprüchlichkeit, keine Ambivalenz, nirgends.

King lässt also einige Möglichkeiten verstreichen, dennoch muß man konstatieren, daß gewisse Mechanismen immer noch funktionieren, selbst, wenn man sie schon während des Lesens durchschaut. Man folgt dieser Geschichte mit ihren Cliffhangern und manchmal vertrackten Doppelschauplätzen, man will schon wissen, wie das weitergeht und auch, wie es ausgeht. Wobei der Stephen King der 70er und 80er Jahre die Härte hatte, uns wirklich lange im Ungewissen über das Schicksal auch seiner jugendlichen Protagonisten zu lassen, weshalb wir arg mitfieberten. Und manchmal hatte er die Härte, ihnen auch ein schreckliches Schicksal angedeihen zu lassen. Aber heutzutage wissen wir schon zu Beginn eines 800-Seiten-Schmökers von King, daß es für zumindest die Hauptfiguren gut ausgehen wird. Egal was da kommen mag. Deshalb bleiben die Bedrohungen auch meist erträglich, weil die Vertreter des „Bösen“ sich letzten Endes nicht klug genug anstellen, um wirkliche Gefahr auszustrahlen.

Und dennoch liest man es. Seite für Seite. Und das wird dann wohl daran liegen, daß King sich im Laufe der Jahre ein nützliches Instrumentarium zugelegt hat, um den Leser mitzunehmen. Seine Szenarien, die Detailbeschreibungen, gelegentlich immer noch die Dialoge (früher eine seiner ganz großen Stärken), die falschen Spuren, seine Technik, teils mit dem Filmschnitt und filmischer Montage entliehenen Verfahren und Anschlüssen zu arbeiten, machen selbst aus eher durchschnittlichen Werken wie diesem zumindest eine unterhaltsame Lektüre. Aber eben auch nicht (mehr) mehr.  Das ist ganz gelungene Unterhaltung, allerdings ohne Mehrwert. Gesellschaftsrelevante Themen werden hier nicht mehr verhandelt, Kings oft liberale Positionen spielen hier keine wirkliche Rolle mehr. Lediglich seine tiefe Verankerung in dem, was gemeinhin Americana genannt wird, sein Blick auf amerikanisches Alltagsleben, auf die Ikonographie dieser Kultur, auf die gesellschaftlichen Zustände, Ängste und Hoffnungen, sind immer noch spürbar.

Und damit bleibt die Hoffnung, immer die Hoffnung, im nächsten Buch doch noch einmal jenen King zu bekommen, der einst wirklich Gänsehaut erzeugen, wirklich zupacken und auch weh tun konnte. Denn die Hoffnung, wie wir wissen, stirbt zuletzt.

 

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