DIE AKTE/THE PELICAN BRIEF
Alan J. Pakulas vorlertzter Film ist noch einmal ein Politthriller gewesen - leider nicht sein bester
Kurz bevor er ermordet wird, gibt ein Richter des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten von Amerika dem Reporter des Washington Herald Gray Grantham (Denzel Washington) ein Interview. Am gleichen Abend wie dieser Richter, wird auch ein Kollege von ihm getötet.
Die Jura-Studentin Darby Shaw (Julia Roberts) schreibt einen Aufsatz über die Morde, in dem sie Vermutungen darüber anstellt, wem diese nützen könnten. Shaw hat eine Beziehung zu ihrem Professor Thomas Callahan (Sam Shepard), einem brillanten Denker, dem höhere Weihen als Richter aufgrund seines Alkoholismus verwehrt blieben. Er liest Shaws Aufsatz und gibt diesen an einen alten Freund beim FBI, Gavin Verheek (John Heard), weiter.
Shaw und Callahan sehen ein Interview mit Grantham im Fernsehen und Callahan erklärt, daß er den Reporter sehr gut fände, er sei integer, erhlich und kritisch.
Am folgenden Abend gehen Shaw und Callahan aus Essen. Der Professor betrinkt sich, woraufhin Shaw die Mitfahrt in seinem Auto verweigert. Nach einem Streit auf der Straße steigt Callahan in seinen Wagen, zündet, die Zündung hakt, dann fliegt der Wagen in die Luft.
Shaw begreift, daß sie eigentlich mit im Wagen hätte sitzen müssen und gefährdet ist. Schnell trifft die Polizei ein und ein Beamter namens Rupert (Christopher Murray) befragt Shaw. Dann verschwindet er und ein anderer Beamter stellt ihr dieselben Fragen noch einmal. Shaw begreift, daß sie offenbar in sehr großer Gefahr schwebt.
Shaw checkt in einem Hotel ein und legt sich diverse Perücken und andere Kleidungsstücke zu, um sich zu verkleiden. Dennoch merkt sie, daß sie verfolgt wird, sogar Killer auf sie angesetzt sind. Sie nimmt Kontakt zu Verheek auf, der sie treffen will. Sie vereinbaren einen Treffpunkt in der Öffentlichkeit. Doch dort taucht Verheek nicht auf, stattdessen gibt es einen weiteren Mordanschlag auf Shaw, der wiederum von einem Dritten vereitelt wird.
Verheek wurde zuvor in seinem Hotel getötet. Der Killer konnte das Telefongespräch zwischen Shaw und Verheek verfolgen und wusste, daß die Studentin Verheek nie zuvor gesehen hatte, was er sich zunutze machen wollte, um an sie heran zu kommen.
Shaw wendet sich nun an Grantham. Der wurde seinerseits bereits von einer anonymen Quelle angerufen und auf Unstimmigkeiten hinsichtlich der Morde an den Richtern hingewiesen. Grantham trifft Shaw und nach einigem Hin und Her ist sie bereit, ihm alles zu erzählen was sie weiß und in der sogenannten Pelikan-Akte (THE PELICAN BRIEF) aufgeschrieben hat.
Es stand ein Urteil des Obersten Gerichtshofs aus, in dem es um einen jahrelangen Streit zwischen einer Umweltschutzorganisation und dem Multimilliardär Mattiece ging, der in den Küstenregionen Louisianas Bohrungen durchführen will, die die Umweltschützer ihrerseits verhindern wollen, da durch die Arbeiten die dortigen Pelikan-Kolonien bedroht seien. Die beiden ermordeten Richter standen den Umweltaktivisten inhaltlich näher, als Mattiece.
Derweil wird die Akte in immer höhere Kreise weitergereicht. Mattiece ist ein enger Freund des Präsidenten (Robert Culp), der ihm für enorme Wahlkampfspenden seine Hilfe hinsichtlich der Förderrechte zugesagt hatte. Nun könnten die Zusammenhänge für ihn gefährlich werden. Stabschef Coal (Tony Goldwyn) verspricht dem Präsidenten, alles zu tun, damit die Akte keine Rolle mehr spiele. Der Präsident seinerseits weist den FBI-Chef Voyles (David Sikking) an, die Untersuchung zu den Morden ruhen zu lassen.
Grantham muß sich vor seinem Chefredakteur, Smith Keen (John Lithgow), verantworten, dem die Beweislage zu dünn ist und der Grantham lieber auf eine andere Story ansetzen will. Mit viel Beharrungsvermögen schlägt Grantham 3 Tage für sich heraus, Er fährt in seine Waldhütte, wo er weiterhin recherchiert. Dort taucht eines Abends Shaw auf, die ihm zuvor mitgeteilt hatte, sie wolle überleben und lasse den Fall deshalb ruhen.
Gemeinsam recherchieren die beiden nun weiter und bringen nach und nach einige neue Details ans Licht. Allem voran die Identität jenes geheimnisvollen Anrufers, der Grantham auf die Morde aufmerksam gemacht hatte. Es ist ein junger Anwalt, Curtis Morgan (Patrick Winczewski), der mit dem Fall Mattiece vertraut war. Seine Kanzlei vertritt den Milliardär.
Shaw begibt sich unter falscher Identität in die Kanzlei, um Näheres über Morgan zu erfahren. Der aber ist mittlerweile angeblich bei einem Raubüberfall getötet worden. Shaw verlässt die Kanzlei, ahnend, daß sie und Grantham einer sehr viel größeren Sache auf der Spur sind, als gedacht.
Bei einem Besuch bei Morgans Witwe erfahren sie von einem Bankschließfach, zu dem es einen Schlüssel gebe. Die Witwe ist bereit, den beiden den Schlüssel und die im Bankfach befindlichen Unterlagen zu überlassen, wenn sie den Tod ihres Mannes aufklärten.
In dem Schließfach finden sie Unterlagen und ein Videoband. Daraus geht hervor, daß Morgan versehentlich eine nicht für ihn gedachte Notiz in der Kanzlei gefunden hatte, die verschlüsselt den Mordauftrag an den Richtern beinhaltet.
Als Grantham und Shaw in einer Tiefgarage den Wagen starten wollen, bockt dieser, wodurch Shaw sich an das Bombenattentat auf Callahan erinnert fühlt. In letzter Sekunde springen beide aus dem Wagen, bevor er explodiert. Dann werden sie von Killern durch das halbe Parkhaus gehetzt. Erneut hilft ihnen aber ein Unbekannter.
Grantham kann nun Keen überzeugen, daß sie es mit einem riesigen Skandal zu tun haben. Er zeigt seinem Chef das Videoband und die Unterlagen. Keen stimmt zu, das Material zu veröffentlichen. Als seriöser Reporter unterrichtet Grantham am Vorabend der Veröffentlichung sowohl Coal, als auch die Anwälte der Kanzlei, die involviert waren, über die bevorstehenden Artikelserie und bietet ihnen die Möglichkeit, Stellung zu beziehen.
FBI-Direktor Voyles taucht in der Redaktion auf und erklärt sich mit der Veröffentlichung einverstanden, auch wenn dies Erschütterungen bis in höchste politische Kreise in Washington nach sich ziehen könnte. Voyles klärt Grantham auch auf, daß Agent Rupert, der nach dem Anschlag auf Callahan Shaw befragt habe, zur CIA gehöre und von deren Direktor Bob Gminski (Wiiliam Atherton) höchstselbst zu Shaws Schutz abgestellt worden sei. Rupert war es auch, der Grantham und Shaw in der Tiefgarage geholfen hatte.
So wird nach und nach klar, daß Shaw ab eines gewissen Punkts nur eine Figur in einem größeren Spiel gewesen ist, im Grunde ein Köder. Voyles sichert ihr einen Freiflug in ein Land ihrer Wahl zu, damit sie fliehen kann. Man muß doch davon ausgehen, daß die Arme von Mattiece und seinen Häschern weit reichen könnten. Grantham sagt zu, daß Voyles im Fall der Fälle über ihn Kontakt zu Shaw aufnehmen könne.
Grantham kommt mit seiner Story groß raus. In einem TV-Interview versucht der Moderator ihm das Geheimnis von Shaws Aufenthaltsort zu entlocken. Doch Grantham kann diese Versuche ebenso charmant wie bestimmt parieren. An einem exotisch anmutenden Ort sitzt Darby Shaw am Strand und lächelt, als sie ihrem Freund im Fernsehen zusieht.
Alan J. Pakula hat mit THE PARALLAX VIEW (1974), mehr noch aber mit ALL THE PRESIDENT´S MEN (1976) zwei der wesentlichen Verschwörungsthriller der 70er Jahre vorgelegt. Damals waren es Beiträge zu jener neuen Welle im amerikanischen Kino, die als ‚New Hollywood‘ bekannt wurde. Eher linkes, mindestens liberales Kino, daß sich über den Umweg des Genres einer Wirklichkeit annahm, in der der Staatsmacht nicht mehr zu trauen war. Politische und ökonomische Entwicklungen wurden so anhand vergleichsweise einfacher oder in sich geschlossener Plots aufgegriffen und reflektiert. Pakula kehrte immer wieder zu politischen Themen zurück, doch eine echte Verschwörungsgeschichte erzählte er erst wieder in seiner Verfilmung des John Grishams-Romans THE PELICAN BRIEF (Roman 1992; Film 1993). Es war sein vorletzter Film, ein immenser Erfolg für den Regisseur, ebenso für den damals noch jungen und am Beginn seiner Laufbahn stehenden Denzel Washington und für Julia Roberts war es ein weiterer Hit in ihrer damals auf einem ersten Höhepunkt stehenden Karriere.
Betrachtet man THE PELICAN BRIEF heute, fast dreißig Jahre, nachdem er erschien, kann man vortrefflich die Unterschiede zwischen dem Kino der 90er und dem aktuellen feststellen. Der Film erzählt eine erstaunlich umständliche Geschichte in einem vergleichsweise ruhigen Tempo, in einem für heutige Sehgewohnheiten konventionellen Stil, bei dem sich Spannungsmomente, Action und ruhige Momente, Dialogszenen, abwechseln und eine vage Balance halten. Allerdings muß der Film sehr viel erklären, damit sich sein Publikum nicht heillos zwischen Figuren, Handlungsmomenten, Versatzstücken des aufzudeckenden Geheimnisses und unterschiedlichen Motiven verschiedener Personen und Organisationen verheddert. Dabei haben die Protagonisten – für einen Film eher ungewöhnlich, in der Literatur Gang und Gäbe – lange einen Informationsvorsprung gegenüber dem Zuschauer. Wir erfahren erst nach ca. der Hälfte der weit über zweistündigen Laufzeit, worum es sich bei der ominösen Akte, die der Originaltitel beschreibt, eigentlich handelt, während sowohl der von Washington gespielte Journalist Gray Grantham, erst recht die von Roberts gespielte Studentin Darby Shaw, die ja mit ihren Ausführungen die ganze Handlung erst in Gang setzt, längst wissen, worum es sich dreht.
Verwirrend ist der Film so oder so. Zudem greifen das Drehbuch, das Pakula selbst nach Grishams Vorlage verfasst hat, und seine Regie auf einige Klischees zurück. Das betrifft vor allem die Darstellung der Institutionen. Der Präsident ist ein etwas schwerfälliger älterer Herr, den Robert Culp als ein wenig naiv, ein wenig verschlagen, aber durchaus machtbewußten Mann gibt. Im Grunde ist die Rolle so angelegt, daß man Donald Moffat erwarten würde, der in Philip Noyce` CLEAR AND PRESENT DANGER (1994) einen ähnlichen, ausgesprochen korrupten U.S.-Präsidenten, spielt. Der FBI-Chef ist bei Pakula der Ehrenmann, während der Chef der CIA mindestens als dubios gezeichnet wird. John Lithgow als Chefredakteur des Blattes, bei dem Grantham arbeitet, ist ein Zyniker vor dem Herrn, der natürlich nicht rechtzeitig merkt, daß sein bester Mann auf der richtigen Fährte ist und sich dann aber hinter ihn stellt – eine Abwandlung der Rolle des Ben Bradlee, die Jason Robards in Pakulas ALL THE PRESIDENT`S MEN spielte. So könnte man weitermachen. Fakt ist, daß THE PELICAN BRIEF oft wirkt, als sei der Film am Reißbrett genau auf die Wirkung hin entworfen worden, die er dann auch erzielt. Wohltemperiert. Ausgewogen. Leidlich spannend. Niemand erwartet, daß Julia Roberts ernsthaft in Gefahr gerät oder gar Opfer eines Anschlags wird. Das ist das Problem dieses Films, wie es das Problem vieler vergleichbarer Filme gerade aus den 90er Jahren ist: Man setzt auf Starpower und beraubt sich damit gewisser Möglichkeiten.
Es gab eine Diskussion darüber, ob Roberts und Washington sich im Film hätten verlieben können und ob dies vom Studio nicht gewollt war, da ein gemischtfarbiges Paar damals noch nicht vermittelbar gewesen sei. Wahrscheinlich ist da etwas dran. Rein dramaturgisch muß man allerdings festhalten, daß es dem Film im Grunde gut bekommt, daß diese Ebene ausgespart bleibt. Zum einen würde es die an sich schon vertrackte Handlung weiter verkomplizieren, zudem entspräche es einem uralten Hollywood-Klischee. So hat man es mit zwei eigenständigen Charakteren zu tun, die bei aller Sympathie füreinander vor allem in der Sache gemeinsam handeln. Da die Handlung zudem von Logiklöchern nur so strotzt, ist es für den Zuschauer von Vorteil, daß zumindest die beiden Hauptfiguren sich auf das Wesentliche fokussieren. Zudem wäre es ein nicht mehr zu stopfendes Logikloch gewesen, wenn die junge Dame sich ein paar Tage, nachdem sie ihren Partner, den Herrn Professor, in einem Feuerball hat sterben sehen, bereits dem nächsten zugewandt hätte. So bleibt THE PELICAN BRIEF auch auf dieser Ebene in der Balance.
Alan J. Pakula gönnte man den Erfolg seines Films, ein besserer Film wäre ihm am Ende seiner Karriere allerdings ebenfalls zu wünschen gewesen. THE PELICAN BRIEF ist sicherlich kein schlechter Film, die Kraft von ALL THE PRESIDENT´S MEN hat er aber beileibe nicht, nicht einmal im Ansatz. Auch nicht die Dringlichkeit. Zu seiner Zeit mag er das Publikum gefesselt haben, verglichen mit anderen Filmen aus den 90er Jahren hat er aber aufgrund seiner Ernsthaftigkeit, der Abwesenheit jeglichen Humors oder zumindest einer gewissen Ironie, das Nachsehen. Schon damals wirkte er ein wenig wie ein Relikt aus einer anderen Zeit, heute ist dies erst recht der Fall. So kann man ihn heutzutage vor allem deshalb gut betrachten, will man sehen, wie einige der maßgeblichen Hollywood-Stars geworden sind, was sie sind. Denzel Washington drehte ein Jahr später PHILADELPHIA, mit dem er endgültig seines Status als Superstar zementieren konnte; Julia Roberts hatte bereits einige Hits, spätestens mit PRETTY WOMAN (1990) war sie in die schauspielerische A-Riege in Hollywood aufgestiegen, doch auch in ihrer Karriere sollten noch einige Highlights wie NOTTING HILL (1999) oder ERIN BROKOVICH (2000), für den sie schließlich auch den Oscar als beste Hauptdarstellerin bekommen sollte, folgen. THE PELICAN BRIEF wird in beider Oeuvres wahrscheinlich nur als kommerzieller, weniger als künstlerischer Erfolg vermerkt werden.