DIE INFORMANTEN/LOS INFORMANTES

Juan Gabriel Vasquez schildert annhand einer Familiengeschichte die Wirkmächtigkeit der Geschichte, des Verrats und der Erinnerung

Gern wird Juan Gabriel Vásquez als Nachfolger von Gabriel Garcia Marquez gehandelt, obwohl sein Schreiben oftmals eher an das eines Javier Marías erinnert. Was fällt auf? Eine Menge Namen, um einen aktuellen Schriftsteller zu definieren. Da wäre es vielleicht besser, den Autor als Solitär zu behandeln, einfach ohne Vergleiche auszukommen und ihm und seiner Sprache Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Vásquez früher Roman DIE INFORMANTEN (Original: LOS INFORMANTES/2004) weist bereits viel von jenem Können auf, das seine späteren Werke so aufregend und speziell macht. Die Vermischung von historischer Wirklichkeit und fiktionalem Erzählen, das dennoch oft dokumentarischen Charakter besitzt, die schachtelartigen, fast labyrinthischen Assoziationsketten, die von einer Figur zur nächsten führen, sie beschreiben, charakterisieren, Wesentliches ihrer Geschichte umreißen, um dann wieder zur aktuellen Szene zurückzukehren, die thematische Beschäftigung mir der Frage nach dem Bruch zwischen den Generationen – all das ist hier bereits angelegt und weit ausgearbeitet. DIE INFORMANTEN ist ein ebenso spannendes, wie in seiner Struktur ernüchterndes Buch, das geschickt mir der Realität, mit Annahmen und Spekulationen, mit Geheimnissen und den Wahrheiten dahinter spielt.

Ein junger Mann – der Ich-Erzähler Gabriel Santoro, ein Journalist – schreibt ein Buch über eine gute Freundin seines Vaters, Sara Guterman, deren Familie aus Nazi-Deutschland geflohen und in Bogotá ein neues Zuhause gefunden hatte. Der Vater, eigentlich Fabrikant von Beruf, eröffnete in der kolumbianischen Hauptstadt ein Hotel, in dem einst Deutsche, aber auch andere internationale Gäste abstiegen. Santoros Buch erscheint und findet wenig Aufmerksamkeit, bis sein eigener Vater, der ebenfalls den Namen Gabriel Santoro trägt (dies mag wohl wirklich eine Reminiszenz an Marquez und sein Jahrhundertwerk HUNDERT JAHRE EINSAMKEIT sein), das Büchlein öffentlich – zunächst in einer seiner Vorlesungen, er ist Professor für Rhetorik an der juristischen Fakultät, dann in einer führenden Zeitung – gnadenlos verreißt. Jahre später bittet der Vater den Sohn um einen Besuch. Es kommt zu einer Aussöhnung, ein paar wenige Jahre können die beiden noch einander wohlgesonnen verbringen, bis der Ältere bei einem Autounfall stirbt. Und jetzt erst, langsam, Schicht für Schicht, entblättert sich die wahre Geschichte hinter der Wut des Alten auf den Sohn beim Erscheinen von dessen Biographie der Gutermans.

Erinnerung ist eines der großen Themen dieses Buchs und in Vasquez Werk generell. Ein Foto, das wir immer schon kennen, eine Geschichte, die in der Familie immer schon auf gewisse Art, in einem gewissen Duktus erzählt wurde – und dann erfahren wir ein Detail, von dem wir bisher nichts ahnten und plötzlich ändert sich alles auf dem Bild, alles in der Erzählung. Was schon lang vertraut war, wird uns fremd. Vasquez gelingt es brillant, diese Veränderungen einzufangen und zu beschreiben, das Gefühl der Entfremdung zu vermitteln, das damit einhergeht, die besser kennen zu lernen, die wir immer zu kennen glaubten. Und umso größer die Entfremdung, wenn das eigentliche, das nie geahnte Thema Verrat lautet.

Während des 2. Weltkrieges ging ein Riss durch die deutsche Gemeinde in Kolumbien. Da gab es jene, die schon lange in der Fremde lebten und nur noch verklärte Erinnerungen an ein Deutschland besaßen, daß wilhelminisch geprägt in den 1. Weltkrieg stolperte, es gab aber auch jene, die das Aufkommen der Nazi-Diktatur begrüßten und trotz ihres Lebens in Südamerika deutsche Großmachtsträume träumten. Schwer, die einen von den andern zu unterscheiden. Und die, die mit den Nazis nichts am Hut hatten, kamen nicht immer umhin, mit jenen an einem Tisch zu sitzen, die sich selbst mit den Nazis identifizieren konnten. Es ist diese Melange, die dazu führt, daß Konrad Deresser, ein alteingesessener Deutscher, in die Mühlen der kolumbianischen Justiz gerät, als es dem Land nicht  mehr möglich ist, sich aus den Weltläuften herauszuhalten. Die USA verlangen nach Eindeutigkeit und Positionierung und so wird nicht mehr wirklich unterschieden. Umso schlimmer, wenn der eigene Name dann von einem Freund, einem vermeintlichen Freund, genannt wird und die Folgen Inhaftierung und sozialer Abstieg – über die Stationen Ächtung und finanzieller Ruin – sind. Gabriel Santoro der Jüngere muß über den Vater lernen, daß dieser ein Informant gewesen ist, mehr noch: Ein Denunziant. Und Santoro der Ältere muß jenes Buch, das der Sohn einst schrieb, wie einen Angriff aufgefasst haben, wurden hier doch Dinge aufgerührt, die nicht nur er, der an eigenes begangenes Unrecht erinnert wurde, obwohl es in diesem frühen Werk nirgends erwähnt wird – der Sohn hatte zu dieser Zeit keine Ahnung von den Zusammenhängen – gern in den Schatten der Vergangenheit, im Meer des Vergessens versteckt und versunken belassen hätte.

So wird der Sohn zum Vatermörder, unwillentlich, was natürlich an die antiken Dramen anschließt und in einer vom Machismo geprägten Gesellschaft eine besondere Note erhält. Vasquez, dessen Ich-Erzähler kein sympathischer Mensch ist, ein Mann, der zugibt, keine Freunde zu haben, da Menschen für ihn im Grunde Material darstellen, bringt all diese Ebenen nahezu genial miteinander in Verbindung. Und lässt die Frage offen, wer eigentlich alles denunziert und informiert. Denn ohne die bereitwillige Auskunftsfreude seiner Freundin Sara Guterman hätte Santoro Junior nie erfahren, was sich einst abgespielt hat. Nur die letzte Freundin seines Vaters, jene Physiotherapeutin, die ihn nach einer schweren Herzattacke körperlich wieder auf Vordermann gebracht hatte, weiß um die Geschichten von einst – und breitet sie, nachdem die sich von ihrem Geliebten verraten gefühlt hatte – genüsslich im Fernsehen zur besten Sendezeit aus, um einen Nationalheiligen, zu dem der Professor nach seinem Unfalltod erhöht wurde, zu stürzen. So wird die Verratene zur Verräterin und Sara, die gegenüber Gabriel dem Jüngeren eine Verpflichtung empfindet aus alter Verbundenheit, muß ebenfalls zur Verräterin, zumindest aber zur Informantin werden, um den jungen Journalisten davor zu schützen, unvorbereitet in den Mühlen der öffentlichen Schande zerrieben zu werden.

Für einen deutschen Leser ist natürlich die Schilderung spezifisch deutscher Schicksale iin einem fernen Land im Krieg von besonderem Interesse. Selten, daß man diese Perspektive und die Bedeutung gespiegelt bekommt, die es hat, wenn Deutsche im Ausland zunächst miteinander ringen, was die Haltung zum Nazi-Regime betrifft, und dann Leidensgenossen werden, wenn sie ohne Differenzierung zu Feinden erklärt und inhaftiert, bzw. interniert, werden. Auch, wenn diese Inhaftierung ohne sonderliche Härten (Folter, Mord, verschärfte Verhöre) vonstatten ging, wird in Vasquez´ Buch doch deutlich, was Stigmatisierung bedeutet, worin die soziale Härte einerseits, der Verlust von Würde und Ehre andererseits besteht. Gerade am Beispiel des Konrad Deresser wird dieser Ablauf exemplarisch und kompromißlos durchgespielt. Anhand seines Sohnes, zu dem Gabriel Santoro der Jüngere schließlich Kontakt aufnimmt, kann der Leser sehr gut nachvollziehen, wie einst begangenes Unrecht, wie lange zurückliegende Begebenheiten, wie die Geschichte, auch Jahre danach noch Einfluß auf das Leben der Menschen nimmt. Zugleich ist aber an diesem Beispiel auch nachzuvollziehen, daß es auch einen ganz anderen Umgang mit der Geschichte geben kann. Einen gelassenen, vielleicht resignativen. Welcher Weg der bessere oder auch nur gangbarere ist, Vasquez lässt es offen und den Leser mit dieser Frage allein.

Es zeugt von großem Mut, wie hier wahrlich Unerhörtes (im Wortsinne) sich schließlich als ebenso willfährig, wie banal entpuppt, wie Leben beschrieben werden und sich oft doch anders entwickelt haben, als es ein junger Autor vielleicht gern hätte, im Sinne einer aufregenden Geschichte. Vasquez nutzt vielerlei (post)moderne Formen – Erzählung, Dialoge, Interviewfetzen, Verschachtelung, assoziatives Schreiben – um den Leser zu packen und doch immer auf sicherem Pfad in die Untiefen seiner Geschichte zu ziehen und dort entlang manchmal kaum mehr erkennbarer roter Fäden vorwärts zu führen. Dabei den Boden, das Ziel nicht zu verlieren, verdeutlicht das enorme schriftstellerische Vermögen. Sicher, vieles wirkt hier noch konstruiert, manches nicht hundertprozentig überzeugend, was Vasquez in späteren Büchern eleganter löst, besser aufbereitet und geschickter miteinander verquickt und vermischt. Doch zeugt schon DIE INFORMANTEN von der großen Könnerschaft dieses Autors, die ihn vielleicht zum besten zeitgenössischen Schriftsteller Südamerikas macht.

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