EIN HEISSES JAHR/2030
Leider kein sonderlich gelungener Versuch, gegenwärtige Katastrophen einerseits, andererseits das eigene Werk zu reflektieren
Philippe Djian hat sich – mit der Ausnahme seiner sechsteiligen „Soap Opera“ DOGGY BAG – nie in die Niederungen der Genreliteratur begeben. So stilbewusst sein Selbstverständnis, so wenig ist er an Story oder reeller Figurenzeichnung interessiert. Umso überraschter waren geneigte Leser*innen, dass sein zuletzt auf Deutsch erschienener Roman EIN HEISSES JAHR (2030, Original erschienen 2020; Dt. 2023) im Original den Titel 2030 trug und damit eindeutig als Vertreter des Science-Fiction-Genres gekennzeichnet war. Ein waschechter Genre-Beitrag; ein dystopischer Roman!
Die Handlung spielt im titelgebenden Jahr und der Klimawandel ist bereits massiv vorangeschritten. Genau an dieser Stelle kann man das Positive an diesem Roman schon herausstreichen: Djians Stil und sein Stilwillen machen es möglich, dass die Leser*innen diesen Wandel wirklich zu spüren bekommen. Die Hitze, die der Wandel mit sich bringt, strahlt hier aus jeder Seite. Und ebenso die extremen Wetterbedingungen, von denen allenthalben berichtet wird. Genau für solche atmosphärischen Details mag man den französischen Autor. Dass ihm darüber hinaus aber nicht viel einfällt, außer eine Variation altbekannter Motive seiner bisherigen Romane, macht die Lektüre selbst für Djian-Aficionados dann schwer erträglich.
Der Hauptprotagonist Greg arbeitet für seinen Schwager Anton in dessen Forschungs- und PR-Einrichtung. In dieser Position hat er gerade erst eine Studie zum Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft so zurechtgebogen – um nicht zu sagen: gefälscht – dass sie die von der Industrie gewünschten Ergebnisse ergab. Das allerdings nagt an seinem Gewissen. Erst recht, seit er in einem Artikel über „das Mädchen mit den Zöpfen“ gelesen hat, jene junge Frau, die eine Dekade zuvor mit einem Klimastreik eine globale Bewegung entstehen ließ, welche zumindest für kurze Zeit enorme Kraft entwickelte und auf die Gefahren des Klimawandels und der Umweltverschmutzung hinwies. Um seinem Gewissen zur Ruhe zu verhelfen, unterstützt Greg nun also seine Nichte Lucie, die sich in der Klimabewegung engagiert und zusehends bekannter wird. Und so lernt Greg durch Lucie Véra kennen, eine Verlegerin und Umweltaktivistin, die sich um Lucie bemüht, sie ein wenig unter ihre Fittiche genommen hat. Und da es sich hier um einen Roman von Philippe Djian handelt, muss Greg sich – auch, wenn er das eigentlich gar nicht will, weil er selber noch unter den Folgen eines persönlichen Schicksalsschlags und der daraus resultierenden Verluste leidet – emotional und vor allem sexuell zu dieser Dame hingezogen fühlen.
Djians Figuren, angefangen bei jenen Männern in den frühen, mittlerweile zu Kultstatus gelangten Romanen wie BETTY BLUE oder EROGENE ZONE, waren immer schon Egomanen, manche regelrechte Ego-Fucker. Aber auch immer Grübler, Zweifler, in den Niederungen der eigenen moralischen Vorstellungen Gefangene. Möglicherweise Angewohnheiten, die sie mit ihrem Autor teilen, denn definitiv muss man konstatieren, dass Djian immer schon glaubhafte Männergestalten entwarf. Hingegen sind ihm lange kaum einmal gute, sprich: authentische, Frauenfiguren gelungen. Betty, die Titelheldin zumindest der deutschen Ausgabe von BETTY BLUE, mag eine tolle Frau gewesen sein, sie mag eine starke Frau gewesen sein (und in der Darstellung von Béatrice Dalle in der Verfilmung von Jean-Jacques Beineix gar ein regelrechter Vamp) – sie war aber vor allem ein Abziehbild männlicher Fantasien. Wirklich gute Frauenfiguren hat Djian erst spät in seiner Karriere erschaffen, in Romanen wie „OH…“ oder MARLÈNE. Ähnlich verhält es sich nun mit Véra, aber auch mit der jugendlichen, aufmüpfigen und gut zwischen Selbstbehauptung und Selbstzweifeln dargestellten Lucie. Sie machen diesen Roman erträglich.
Denn was mit diesen immer stärker werdenden Frauenfiguren einhergeht, ist die eigentlich immer schon offensichtliche Schwäche, ja Jämmerlichkeit (im wahrsten Sinne des Wortes, neigen sie doch zu ausladender Jammerei) der Männerfiguren. Allerdings wurde dies nie so deutlich, wie in diesem Falle. Fast wirkt es, als wäre es hier das eigentliche Anliegen des Autors gewesen, diese Schwäche(n) endlich einmal (über)deutlich auszustellen. Und so wird Greg zu einem der armseligsten Exemplare männlicher Unzulänglichkeit in Djians Universum. Was in seinem Fall dann auch folgerichtig in der totalen Katastrophe endet. Ein dramaturgischer Schritt, den Djian in seiner Drastik bisher nie gewagt hatte, der aber vielleicht überfällig gewesen ist. Um der Ungeheuerlichkeit, der Aussichtslosigkeit dieses finalen Aktes zu entgehen, greift Djian dann aber einmal mehr auf eines seiner liebsten Stilmittel zurück: Die Auslassung. Wie in so vielen Werken zuvor, bleibt es auch diesmal den Leser*innen überlassen, sich das wahre Ausmaß der Katastrophe vorzustellen.
Das Spiel mit der Katastrophe, dem Katastrophalen, im Großen wie im Kleinen, das allerdings gehörte im Grunde immer schon zu Djians stilistischen Mitteln, nahm aber in den letzten Jahren immer mehr Überhand. Vielleicht hat es in der bereits erwähnten Soap DOGGY BAG begonnen, in der Djian immer, wenn er handlungstechnisch nicht mehr richtig weiterwusste, irgendein Unglück geschehen ließ. Überschwemmungen, Unfälle, Gewalt. Danach griff er – selten mehr als oberflächlich kaschiert – gern auf den Leser*innen meist noch geläufige Schrecklichkeiten wie Amokläufe etc. zurück. Nicht immer machten diese Mittel Sinn, bspw. wenn er Protagonisten einführte, die damit leben mussten, dass Familienangehörige Massaker begangen hatten etc., man sich aber fragen musste, wozu dies gut war, schien es doch auf die entsprechenden Figuren nicht mehr Einfluss zu haben, als wenn diese Angehörigen an schrecklichen Krankheiten gelitten hätten o.ä. Selten bis nie hatte man den Eindruck, dass diese doch recht einschneidenden Erlebnisse tieferen Einfluss auf das Leben derer hatten, die die Folgen, ob aktiv oder passiv, zu ertragen hatten.
Wie dem auch sei – dass Djian mit dem Klimawandel hier nun auf die maximale Katastrophe unserer Tage, oder der Tage unserer Kinder und Enkel, zurückgreift, scheint letztlich folgerichtig. Die Klimakatastrophe, auch wenn sie gern und viel geleugnet wird, wird wahrscheinlich die Nemesis der Menschheit in den kommenden Dekaden werden, gleich ob Politiker und Populisten dies glauben wollen oder nicht; gleich, ob wir die entsprechenden Studien im Giftschrank verschwinden lassen, fälschen oder einfach vernichten; wahrscheinlich sogar unabhängig von der Frage, ob wir noch Maßnahmen ergreifen, um das Schlimmste abzuwenden. Der Wandel kommt, er ist längst spürbar und er wird voraussichtlich heftig werden. Und es gibt genügend Studien – ernstzunehmende Studien – die erklären, dass der Point Of No Return wohl längst überschritten ist, dass es im Grunde keine Chance mehr gibt, der sich anbahnenden Katastrophe Herr zu werden oder gar zu entrinnen. Da hatte auch das „Mädchen mit den Zöpfen“ keine Chance mehr, noch einzuwirken und ernsthaft etwas zu verändern. Daraus ist dann vielleicht der Furor zu erklären, den sie gelegentlich an den Tag legte. Warum Djian Greta Thunberg nicht einfach beim Namen nennt, wird sein Geheimnis bleiben; wahrscheinlich dachte er, dass er seinem Roman so mehr Allgemeingültigkeit mitgeben könnte. Dieser Roman wirkt dann allerdings wie ein didaktisches Programm, mit erhobenem Zeigefinger vorgetragen.
In EIN HEISSES JAHR kommen einige Dinge zusammen, die Djian wohl mit sich und seinem Werk zu klären hatte: Die hier nun genauer besprochene katastrophale, wenn nicht gar apokalyptische Weltsicht, die Überzeugung, dass es vor allem Männer sind, die für den Zustand der Welt und der Menschheit verantwortlich zeichnen, die Egozentrik einer Generation – seiner Generation der um 1950 (Djian erblickte 1949 das Licht der Welt) Geborenen, die so vieles besser machen wollten und in Vielem schlicht versagt haben – und die Frage, wie man all dies in einem Roman zusammenbringt, dabei aber seinem Stil und also sich selbst treu bleibt. Wirklich gelungen ist das nicht. Es mag die Dringlichkeit sein, die man hier spürt, auch gegenüber den Nachwachsenden, denen wir eine Welt hinterlassen werden, die kaum noch lebenswert ist, es mag die Fülle der Thematik sein, der er nicht gerecht werden kann, es mag die Zerrissenheit sein zwischen seiner ureigenen Typologie und dem Versuch, sie zu sprengen, über sie hinauszureichen, die vielleicht sogar zu dekonstruieren – am Ende kommt das alles nicht zusammen, mehr noch: Es steht sich gegenseitig im Wege.
Vielleicht ist das ausgesprochen düstere, eben katastrophale Ende des Romans dann einfach ein Eingeständnis: Es funktioniert nicht, man(n) hat sich übernommen, in jederlei Hinsicht. Und dann ist der letzte Ausweg vielleicht nur noch die Möglichkeit, Schluss zu machen. Hoffentlich macht der nunmehr 77jährige Philippe Djian noch nicht Schluss und beschert uns doch noch das ein oder andere Werk, das seinem Vermögen, seinem Werk und dem, was er in vielen, vielen Jahren und Jahrzehnten zu geben imstande war gerecht wird.