SCHWARZE HUNDE/BLACK DOGS

McEwans größter Wurf

Ian McEwan ist einer der großen zeitgenössischen englischen Erzähler, sagt man. Zweifelsohne ist er ein Autor, der mit seiner Sprache, der Spannung, die er zu erzeugen vermag und den Figuren seiner Geschichten den Leser zu fesseln vermag. Dennoch gehört er für mich zu jenen Autoren denen gegenüber ich immer sehr skeptisch bleibe – aus politisch-ideologischen Gründen. SATURDAY, zuvor aber auch schon THE COMFORT OF STRANGERS entpuppen sich als zutiefst dem Bürgerlichen verpflichtete Literatur, die auch nur die Perspektive des Bürgerlichen kennen. In dem älteren THE COMFORT... wird des Bürgers Angst vor dem Moment, da er die Kontrolle, den Überblick verliert, noch genüßlich durchgespielt und somit auch sarkastisch-bösartig ausgestellt, allerdings fällt dem Bürger McEwan dazu auch nur klischeehaft Altbekanntes ein; in SATURDAY wird das gehobene englische Bürgertum dann mit dem konfrontiert, was McEwan für die Bedrohung schlechthin hält – dem EastEnder mit Migrationshintergrund, der zum Glück aber durch ein gutes Gedicht zu zivilisieren ist.

Daß McEwan auch anders kann (konnte?), beweist dieser schmale Band. Auf ihrer Hochzeitsreise hat die junge Kommunistin June ein einschneidendes Erlebnis, als sie auf einer Steilklippe zwei schwarzen Hunden begegnet, die sie als Symbole des absolut Bösen definiert. Die eigentlich materialistisch im marxistischen Sinne denkende Frau wird zusehends zur Mystikerin, wodurch der Entfremdungsprozeß von ihrem Mann, der weiterhin im Sinne der linken Aufklärung streng wissenschaftlich und vernünftig in die Welt schaut, bereits hier ein- und sich durch 40 Jahre Ehe hindurch fortsetzt, was Folgen für ihren Mann und ihre Tochter haben soll. Ihr Schwiegersohn erzählt uns diese Geschichte also 40 Jahre später auch als Reflexion auf den Fall der Mauer/des Kommunismus als Abschluß dessen, was das (nach Eric Hobsbawm) „kurze 20. Jahrhundert“ ausgemacht hat. So wird der ganze Text zu einer Art Reflexion über diese heftig-brutalen 75 Jahre, die die Geschichte, die Politik, letztlich aber auch das Leben eines jeden einzelnen geprägt haben, der in dieser Zeit bewußt leben musste.

Dies ist McEwans stärkster Text. Hier gelingt ihm eine Allegorie auf das 20. Jahrhundert und seine Prägungen/Ausgeprägtheiten, die Tiefe und tiefes Verständnis ausdrücken. Seine Perspektive ist noch nicht derart konservativ verbrämt, wie dies in seinen späteren Texten der Fall ist (also in denen, die ihm in den kommenden 10-15 Jahren den Nobelpreis einbringen werden, jede Wette). Die Sympathie des Ich-Erzählers liegt allerdings bei June und ihren ins Mystische wabernden Zweifeln. Also auch hier schon ist McEwans Hang zum Bürgerlichen, Religiösen, Erlösungshaften zu spüren. Dennoch bleibt er den Ideen des Sozialismus gegenüber und dem, was dieser in den Jahren des Hitlerfaschismus geleistet hat um sich der braunen Flut entgegen zu stellen, zumindest neutral.

Diese Auseinandersetzung über das Thema des Bösen als schlichte Tatsache, die nicht weiter belegbar sein muß und der Annahme, das Böses grundsätzlich menschgemacht ist und somit auch erklärbar (und bekämpfbar) ist sprachlich eng geführt, ohne Schnörkel, ohne einen Satz, ein Wort zuviel. Ökonomisch sinnvoll sozusagen. Dadurch erhält der Text jedoch eine Spannung, die selten bei eher reflektierenden Texten ist.

Für Neu-McEwanianer: Sehr empfehlenswert, für die, die McEwan kennen, diesen Text allerdings noch nicht: unbedingt lesen und für die, die den Text nicht mochten: lohnt sich, das nochmal zu lesen, bestimmt!

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