THELMA & LOUISE

Ridley Scott stimmt den großen Gesang der Freiheit an

Die Freundinnen Thelma (Geena Davis) und Louise (Susan Sarandon) wollen gemeinsam in deren Thunderbird einen Wochenendausflug machen. Thelma ist eine Hausfrau, die unter ihrem despotischen Ehemann Darryl (Christopher McDonald) leidet, einem Angeber und Großmaul. Louise ihrerseits arbeitet als Serviererin in einem Diner und möchte einfach ihrem Alltag entfliehen.

Die beiden machen sich am Freitagnachmittag nach Louise´ Schicht auf. Thelma, die wenig Lebenserfahrung besitzt und allein die Tatsache, Darryl nicht Bescheid gesagt zu haben, als Abenteuer betrachtet, nötigt Louise, die eine weitaus lebenserfahrenere Frau ist, in einer Bar an einem Strip irgendwo im ländlichen Arkansas einzukehren.

Die beiden amüsieren sich leidlich, wobei Louise solche Läden kennt und nicht sonderlich beeindruckt ist von dem, was sie sieht. Thelma hingegen ist von den Annäherungsversuchen des mit Kleinstadt-Charme ausgestatten Harlan (Timothy Carhart) angetan. Die beiden tanzen, Thelma trinkt etwas zu viel.

Als Louise auf Toilette ist und Thelma schlecht wird, drängelt Harlan sie aus der Bar auf den Parkplatz – vorgeblich, damit sie frische Luft schnappen kann, doch in Wirklichkeit will er sie verführen. Als Thelma seinen jetzt schon rüderen Versuchen widersteht, wird Harlan schnell gewalttätig. Er schlägt sie und will sie vergewaltigen. Da spürt er den Lauf eines Revolvers im Nacken. Louise, die zu Beginn der Fahrt die Waffe, die Thelma aus unerfindlichen Gründen mitgenommen hatte, in ihrer Handtasche verstaut hat, befiehlt ihm, von ihrer Freundin abzulassen. Sie erklärt ihm mit klirrend kalter Stimme, daß, wenn eine Frau sage, sie wolle nicht, dies auch genau so gemeint sei. Dann drehen sie und Thelma ab. Harlan ruft Louise eine sexistische Beleidigung hinterher. Da dreht sie sich ihm wieder zu und schießt ihn unvermittelt nieder.

Die beiden Frauen fliehen Hals über Kopf vom Parkplatz. Louise setzt sich ans Steuer und fährt die Nacht durch. Sie will erst einmal Strecke zwischen sich und den Tatort bringen. Und sie ist sich schnell sicher, daß ihr Weg definitiv nicht zurückführt. Sie will gen Mexiko, wo sie sich einen Neuanfang erhofft. Ins Gefängnis, das ist ihr klar, will sie auf keinen Fall.

Derweil beginnen auf dem Parkplatz der Bar die Ermittlungen. Lieutenant Hal Slocumb (Harvey Keitel) übernimmt den Fall. Er erfährt durch eine Befragung der Bedienung in der Bar, daß Harlan öfters Probleme gemacht hat. Außerdem beteuert die Frau, daß die beiden Flüchtigen zu so einer Tat nie und nimmer fähig seien.

Thelma ist nach wie vor außer sich. Sie weiß weder, wie sie mit dem Vergewaltigungsversuch, noch mit Louise´ Tat umgehen soll. Fast apathisch lässt sie sich von ihrer Freundin führen. Am nächsten Tag stimmt sie dem Plan, nach Mexiko zu fahren, jedoch zu, auch wenn sie mehrfach die Meinung vertritt, sie sollten sich stellen. Doch davon will Louise nichts hören – es gäbe keine Zeugen für das, was auf dem Parkplatz geschehen sei, dafür aber jede Menge Zeugen für Thelmas Verhalten in der Bar. Und sie habe nun einmal viel getrunken und deutlich mit Harlan getanzt.

Nun suchen sie den schnellsten Weg in den Süden, doch Louise weigert sich, den direkten Weg durch Texas einzuschlagen. Sie werde nie wieder einen Fuß in diesen Staat setzen. Auf Thelmas Nachfrage, was dort eigentlich geschehen sei, antwortet Louise – wie wohl schon zuvor – daß sie darüber niemals sprechen werde.

So treten die beiden Freundinnen den Weg nach Westen an, um Texas zu umfahren.

Die Ermittler sind schnell auf den Spuren der Frauen. Da die beiden die Staatsgrenze übertreten haben, fällt die Angelegenheit nun in den Zuständigkeitsbereich des FBI-Agent Max (Stephen Tobolowsky) ist aber bereit, Slocumb weiter an den Ermittlungen teilhaben zu lassen.

Thelma und Louise wissen, daß sie kein Geld mehr haben. Deshalb nimmt Louise Kontakt zu ihrem Freund Jimmy (Michael Madsen) auf. Die beiden mögen, ja lieben einander, doch ist ihre Beziehung kompliziert. Jimmy ist Musiker und viel unterwegs, sie sehen sich wenig. Louise bittet Jimmy, ihr Geld zu überweisen. Sie habe noch einen gewissen Betrag auf ihrem Konto, käme da aber jetzt gerade nicht dran. Jimmy will natürlich wissen, was los ist, doch Louise verweigert ihm jegliche Auskunft, sdie erklärt ihm lediglich, daß sie tief in der Klemme stecke. Jimmy erklärt sich einverstanden, ihr das Geld zu überweisen.

Derweil wurde bei Darryl zuhause eine Fangschaltung eingerichtet, sollte Thelma sich melden. Schon beim zweiten Anruf ist ihr klar, daß die Polizei mithört, da Darryl sich viel zu freundlich meldet. Louise verlangt den diensthabenden Officer zu sprechen. So kommen sie und Slocumb ins Gespräch.

Die beiden fahren weiter. An einer Tankstelle machen sie die Bekanntschaft von J.D. (Brad Pitt). Der junge Mann fragt, ob sie ihn ein Stück mitnehmen könnten, was Louise kategorisch ablehnt. Später sehen sie ihn erneut an einer Ausfahrt. Diesmal ist Louise bereit, ihn auf Thelmas Drängen hin einsteigen zu lassen.

Sie fahren nach Oklahoma City, wo Jimmy Louise ein Motel genannt hat, wo sie das Geld abholen kann. Als sie an der Rezeption nachfragt, spricht sie ein Mann hinter einer Zeitung an. Es ist Jimmy, der extra hergekommen ist, um sie zu sehen.

Während Louise und Jimmy die Nacht in seinem Zimmer verbringen und ihre Beziehung klären, steht plötzlich J.D., den Louise zuvor weggeschickt hatte, vor Thelmas Zimmer. Sie lässt ihn ein. J.D. entpuppt sich nicht nur als gutaussehender, sondern äußerst charmanter junger Mann, der Thelma nach und nach verführt.

Morgens – Louise hat Jimmys in ihren Augen zu spät gestellten Heiratsantrag abgelehnt, er ist unverrichteter Dinge wieder zurückgeflogen – trifft Thelma ihre Freundin im Frühstücksraum des Motels. Sie erzählt Louise von ihrem nächtlichen Erlebnis mit J.D. Louise freut sich für ihre Freundin, die durch die Liebesnacht wie ausgewechselt wirkt. Dann fragt sie sie nach dem Geld. Beide stürmen zurück ins Zimmer, aber J.D. ist fort, mit ihm Louise´ gesamte Ersparnisse.

Für Louise bricht die Welt zusammen. In ihren Augen macht Thelma alles falsch, angefangen bei dem Flirt mit Harlan bis hin zu ihrem naiven Vertrauen in J.D. Die beiden fahren weiter. Irgendwo am Highway hält Thelma, die nun fährt, an und erklärt Louise, sie solle sitzenbleiben. Dann geht Thelma in einen kleinen Laden und kommt nur Minuten später herausgerannt und schreit Louise zu, sie solle den Wagen starten. Thelma hat den Laden überfallen. Sie hat sich dabei an die Beschreibungen von J.D. gehalten, der ihr nachts von den Überfällen erzählt hatte, die er auf Tankstellen und kleine Läden verübt hatte.

Nun wissen das FBI und Slocumb nicht nur, wo die beiden sich befinden, sondern müssen auch annehmen, daß sie zu allem entschlossen sind. Bei einem weiteren Telefonat erklärt Slocumb Louise, daß nun, nachdem sie sich nicht für eine Befragung zur Verfügung gestellt hätten, Mordanklage gegen sie erhoben würde. Er lässt durchblicken, daß er um jene Tat in Texas weiß, die Louise einst so erschüttert hat. Er versichert ihr auch, daß er auf ihrer Seite sei und alles täte, as in seiner Macht stehe, um ihnen zu helfen. Doch Louise legt auf.

Unterwegs begegnet den beiden Freundinnen mehrmals ein Lastwagenfahrer, der anzügliche bis offen sexistische Anspielungen macht. Sie lassen ihn links liegen. Irgendwo in den Felsen des Südwestens werden sie von einem Polizisten angehalten. Thelma bedroht diesen mit ihrer Waffe und zwingt ihn, sich in den Kofferraum seines Streifenwagens zu legen. Später begegnet ihnen erneut der LKW-Fahrer. Diesmal locken sie ihn auf ein Stück Brachland, locken ihn dann aus dem Wagen, machen sich über ihn lustig und schießen dann auf den Tanklastzug, den er fährt. Der Laster explodiert.

Währenddessen wurde J.D. gefasst und wird von Slocumb und Max verhört. Slocumb bittet seinen Kollegen um eine alleinige Unterredung mit J.D. Bei dieser macht er dem Jungen klar, daß der dafür verantwortlich sei, daß die Frauen sich immer tiefer reinritten, da sie auf Geld angewiesen seien. J.D. zeigt sich zwar nicht direkt einsichtig, doch versteht er, daß Slocumb es gut mit den Frauen meint und Schlimmeres verhindern will. Da Thelma ihm auch gesagt hat, wo die beiden hinwollen, gibt er die Info an Slocumb weiter.

Ein Großaufgebot der Polizei, die auch den explodierten Tanklaster findet, macht nun Jagd auf Thelma und Louise. Louise ist nicht bereit, sich zu stellen und Thelma signalisiert ihr, daß sie mitzieht. So kommt es zu einer wilden Verfolgungsjagd quer durch die Wüste, entlang des Grand Canyon. Schließlich werden die beiden gestellt. Vor ihnen erstreckt sich die monumentale Schlucht, hinter ihnen formiert sich ein riesiges Polizeiaufgebot.

Slocumb beschwört Max, ihn mit den Frauen reden zu lassen, doch der zeigt sich an diesem Punkt uneinsichtig. Derweil lächeln sich Thelma und Louise an, halten sich an den Händen, dann gibt Louise Gas und sie rasen über die Klippe in den Abgrund. Das Bild friert ein…

Als THELMA & LOUISE (1991) erschien, wurde sehr viel über den angeblich feministischen Aspekt des Films diskutiert. Regisseur Ridley Scott sei da ein Bravourstück gelungen, indem er ein Road-Movie gedreht habe, verquickt mit einem klassischen Outlaw-Stoff und statt der üblichen Männer zwei Frauen eingesetzt habe. Dieser Kniff wurde ihm als „feministisch“ ausgelegt. Zudem wollten – und folgt man der Wikipedia wollen – viele in dem Film eine „rabenschwarze Komödie“ sehen. Beides stimmt, wenn überhaupt, nur bedingt und beides wird dem Film, den Scott tatsächlich drehte, kaum gerecht.

Ridley Scott hatte bereits in seinem zweiten abendfüllenden Spielfilm, dem Sci-Fi-Noir-Thriller ALIEN (1979), einen ähnlichen Clou hingelegt. Held des Weltraumhorrors war eine Frau, die sich als einzige der mehrköpfigen, gemischtgeschlechtlichen Besatzung eines Transportschiffes einer unbekannten und äußerst tödlichen Spezies erwehren konnte. Auch damals war von „Feminismus“ die Rede. Nun, zwölf Jahre später, verfuhr der Regisseur erneut auf diese Art und Weise und wurde erneut mißverstanden. Denn in gewissem Sinne ist Scott in beiden Filmen dem, was gemeinhin unter Feminismus verstanden wird, bereits voraus. In der Zukunftswelt von ALIEN scheinen Geschlechtszugehörigkeiten keine wirkliche Rolle mehr zu spielen. Man arbeitet, lebt und leidet gleichberechtigt nebeneinander. Daß Ripley, wie die Hauptfigur hieß, überlebt, hat viel mit Glück, auch mit Geschick zu tun, sie ergreift Chancen, sie ist ihren männlichen Kollegen allerdings nicht überlegen. Der Skandal des Films besteht darin, daß hier einfach am Ende die Frau überlebt – aus eigener Kraft, ohne daß ihr ein männlicher Held zur Hilfe kommt.

THELMA & LOUISE geht allerdings einen komplett anderen Weg, erzählt eine komplett andere, in mancherlei Beziehung auch wirklich weibliche Geschichte, erfüllt seine feministische Sichtweise allerdings auf ähnliche Art und Weise, wie der frühere Film. Daß diese beiden Frauen, die eigentlich nur einen Wochenendtrip ohne Kerle machen wollten, zu Bandidas werden, hat mit dem Vergewaltigungsversuch zu tun, den eine von ihnen erleben muß und mit der Reaktion der anderen darauf. Die nämlich erschießt den Vergewaltiger, nachdem er sie sexistisch beleidigt hat. Der Film deutet immer wieder an, daß die Mörderin – Louise, brillant und überaus überzeugend von Susan Sarandon in einer ihrer Paraderollen dargestellt – eine Vorgeschichte „unten in Texas“ hat, die ihre Reaktion zwar nicht rechtfertigt, aber erklärt. Einer der besten Kniffe des Films ist es, daß weder Thelma – das Vergewaltigungsopfer, von Geena Davis ein wenig zu naiv, zu kokett, etwas zu quietschig gespielt – noch der Zuschauer je erfahren, was „da unten in Texas“ wirklich geschehen ist. Louise weigert sich, darüber zu sprechen. Der den Mord am Möchtegernvergewaltiger ermittelnde Beamte Slocumb – den Harvey Keitel mit den ihm immer verfügbaren Mitteln eines harten Hunds mit weichem Kern gibt, ohne dabei sonderlich viel zu tun zu haben – weiß ebenfalls Bescheid, verrät aber nichts. Es geht um Gewalt, das erfahren wir und das muß reichen.

Ab dem Moment, in dem Louise den Kerl auf dem Parkplatz einer Bar erschossen hat, verlässt Scott die realistische Ebene des Films und taucht tief in den Mythos ein. Seine Heldinnen verhalten sich einfach exakt so, wie Hunderte Kerle in Hunderten von Hollywood-Filmen zuvor es getan haben. Sie nehmen Reißaus, sie versuchen, ihre Spuren zu verwischen, sie brauchen Geld und besorgen es sich, als alles schiefläuft, eben auf illegale Weise. Sie legen keine anderen, vielleicht weiblichen Verhaltensmuster an den Tag, sondern eben genau die, die es braucht, um eine Banditenballade zu inszenieren. Es sind lediglich Frauen, die dies tun, keine Männer. So gesehen, hat man es in Scotts Filmen eher mit einer Art Meta-Feminismus zu tun, als mit einem klaren feministischen Statement, indem er schlicht keinen Unterschied macht.

Das Drehbuch, von einer Frau – Callie Khouri – geschrieben, weist allerdings eine Menge Klischees auf, die einem feministischen Standpunkt – zumindest 1991 – zuwiderlaufen. Überhaupt weist es eine Menge Klischees auf, was vielleicht für das Urteil verantwortlich ist, man habe es hier mit einer Art Komödie zu tun. Das fängt bei Thelmas Gatten, einem von Christopher McDonald am Rande der Hysterie gespielten Aufschneider und Prahlhans, und der Beziehung der beiden zueinander an und hört mit Michael Madsens Jimmy – ein Macho mit Herz, ein etwas weinerlicher Musiker, der Louise´ Standhaftigkeit und Entschlossenheit nicht gewachsen ist, ihr aber hilft, nicht ohne wenigstens einmal den Tisch im gemeinsamen Motelzimmer leerzufegen, als sie nicht bereit ist, ihm mitzuteilen, was eigentlich abgeht – noch lange nicht auf. Brad Pitt, der hier erstmals einem breiteren Publikum auffiel, gibt mit dem Cowboy und Gelegenheitsdieb J.D. einen Mann, der direkt der damals beliebten Werbung für Levi´s-Jeans entsprungen zu sein scheint.

Daß es allerdings seine Qualität als Liebhaber ist, die aus der verängstigten Thelma plötzlich eine selbstbewusste und zu allen Schandtaten bereite Gangsterbraut macht, hat dann schon ein Geschmäckle. Denn diese Wendung im Script erfüllt doch jenes Klischee, daß eine Frau nur mal gut „gefickt“ werden muß. Es ist also, anders als in Louise´ Fall, nicht Selbstermächtigung, basierend auf Leid und Gewalterfahrung, die Thelma „erwachen“ lässt, sondern der wahrscheinlich erste Orgasmus ihres Lebens – durch einen Mann. Die Wandlung geht dann allerdings so schnell vonstatten, daß dies kaum glaubwürdig ist. Daß der gleiche Mann – eben jener Cowboy J.D. – den Damen die letzten Ersparnisse klaut und Thelma letztlich diejenige ist, die es nicht kapiert hat und ihn allein im Zimmer zurücklässt, um mit ihrer Freundin einen Kaffee zu trinken, erfüllt wiederum das Klischee des naiven Dummchens.

Das alles kann man dem Film zum Vorwurf machen. Man verkennt dabei aber mit hoher Wahrscheinlichkeit, worum es Ridley Scott in THELMA & LOUISE eigentlich zu tun war. Denn dies ist kein Film, der sich wirklich Gedanken um Feminismus oder ein realistisches Bild des Geschlechterverhältnisses macht. Und gleich gar nicht ist es eine Komödie, auch wenn es gelegentlich Momente geben mag, die das Publikum zu Gelächter animieren. Nein, dies ist zu allererst ein Drama um zwei Frauen, die sich einer Welt zu entziehen versuchen, die ihnen nicht wirklich etwas zu bieten hat. Sie gehen auf den ur-amerikanischen Trip. Erst als Wochenendausflug, einem Kurzurlaub von der Wirklichkeit eines Jobs als Serviererin in einem Diner und als Gattin eines cholerischen Gatten, dann als Fluchtbewegung durch den Südwesten – in einem großen Bogen durch Arkansas, Oklahoma, Utah, New Mexico und schließlich Arizona, um den Staat Texas, in den Louise in keinem Fall je wieder einen Fuß setzen will, zu umfahren. Und damit treten sie in den amerikanischen Mythos ein. Sie bewegen sich im Outlaw-Country, dort, wo einst Billy the Kid, Wyatt Earp und all die mythischen Helden und Sagengestalten des Westens lebten und starben. Und genau dort will Scott sie haben.

Kameramann Adrian Biddle fängt für Scott diese Landschaften entlang der Freeways und Highways und schließlich der Blue Highways – jener Straßen, die kaum mehr vermerkt sind auf herkömmlichen Karten – kongenial ein, er lässt dieses Land in seiner Schönheit und mit dem Versprechen von Freiheit auferstehen und scheut dabei ebenfalls kein Klischee. Biddle war Brite. Und wie so oft ist es somit ein Europäer, der diese Weite und ihre Verheißungen filmt, bebildert, definiert. Der Mythos vom ewigen Highway, dem Weg nach Westen, in die Freiheit, in ein gelobtes Land, wo es immer noch eine Möglichkeit, eine zweite Chance, gibt. Manchmal denkt man dabei an die Bilder aus der in den 80er Jahren von solchen Motiven bestimmte Werbung, oft denkt man an die Bilder anderer Europäer, die diese Landschaften eingefangen haben. Robby Müller bspw., der für Wim Wenders PARIS, TEXAS (1984) gefilmt hat und dessen Aufnahmen ikonographisch für die 80er werden sollten. Biddle bietet Hochglanzbilder, er zeigt die braugrauen Felder, das Grün der Prärie, das unendliche Blau dieses niemals endenden Himmels. Er zeigt den Staub, wie ihn zuvor nur John Ford in einem Film wie SHE WORE A YELLOW RIBBON (1949) gezeigt hatte, er liebkost geradezu den Chrom und das Resopal der Tische in den Diners, er liebt das Neonlicht vor dem dämmrigen Himmel der einbrechenden Nacht, er betrachtet ehrfurchtsvoll die bizarren Gesteinsformationen, die die Landschaft des südwestlichen Colorado, des südlichen Utah und des nördlichen Arizona beherrschen. Eine Landschaft, deren mythischer Gehalt sich vor allem aus den Western ableitet, die hier einst gedreht wurden. Und auch, wenn Ridley Scott nicht im Monument Valley gedreht hat – größtenteils ist der Film in Utah und Kalifornien entstanden – so ist der Geist eines John Ford, dieses größten Erschaffers von Western-Mythen, doch immer irgendwie zu spüren.

Ford hatte das Monument Valley einst für sich entdeckt und hatte hier mit dem Western STAGECOACH (1939) ein frühes Roadmovie gedreht, in welchem eine Postkutsche sich durch feindliches Indianerland vorankämpft und dabei u.a. einen Outlaw wider Willen, gespielt von einem damals noch sehr jungen John Wayne, beförderte. Ford kehrte später immer wieder für seine Western hierher zurück. So kam dieser Landstrich zu dem Titel John-Ford-Country. Scott, davon ist auszugehen, war sich dieses Zusammenhangs absolut bewusst. Biddle ebenso. So ist ihre Darstellung dieser Gegenden unter bewußter Auslassung des Monument Valley selbst an sich schon ein Spiel mit Mythos und Verweis. Und die symbolische, aber sichtbare Einordnung ihres Films.

Das betrifft auch die inhaltliche Ebene. Denn nichts in diesem Film referiert auf eine Wirklichkeit. Wer einen realistischen Film zu einem ähnlichen Thema sehen will, sollte sich Valerie Despentes´ BAISE-MOI (2000) anschauen, der im Grunde die gleiche Geschichte erzählt, nur sehr viel rauer, roher und mitten aus dem Leben der französischen Banlieue gegriffen. Der Referenzrahmen für THELMA & LOUISE ist eindeutig ein filmischer. Was ihn im besseren Sinne des Wortes auch zu einem postmodernen Film macht. Khouri und Scott bedienen sich selten aus der Realität, um eine glaubwürdige Geschichte zu präsentieren, vielmehr fügen sie ihrem Film bei, was es braucht, um eine Outlaw-Ballade um Freiheit und den Wunsch nach Selbstbestimmung zu erzählen.

Das beginnt mit dem bereits erwähnten Gatten, der schlichtweg ein Trottel ist, zieht sich durch die Darstellung nahezu aller Männer, die im Film vorkommen, mit Ausnahme von Slocumb, betrifft etliche Einzelepisoden, die erzählt werden und auch die Maßnahmen, die gegen die Frauen aufgefahren werden. Dies ist kein Krimi, also sehen wir auch keine kohärente Ermittlung. Slocumb bekommt die richtigen Informationen immer zum richtigen Zeitpunkt, damit die Handlung ihr hohes Tempo beibehält. Die Polizei fährt eine kleine Armee auf, um dieser Frauen habhaft zu werden – was eher an Filme wie SUGARLAND EXPRESS (1974), CONVOY (1978) oder THE CANNONBALL RUN (1981) erinnert, denn an eine realistische Verfolgungsjagd. Und die Polizisten in den die Frauen verfolgenden Wagen benehmen sich auch ähnlich trottelig wie jene in den genannten Werken. Auch Logiklöcher gibt es zuhauf – so kommen die beiden trotz tagelanger Flucht nicht auf die Idee, ihren sehr auffälligen Thunderbird gegen einen unauffälligeren Wagen einzutauschen. Ein Schachzug, den Janet Leigh in Hitchcocks PSYCHO (1960) schon wenige Stunden nach Beginn ihrer „Verbrecherkarriere“ draufhatte.

Alles hier geschieht etwas zu schnell, etwas zu eindeutig, etwas zu rigoros. Die Dinge geschehen, wie sie in Filmen geschehen. Louise tötet einen Mann und denkt im Grunde nicht eine Sekunde darüber nach, sich zu stellen. Sie will nach Mexiko, was bedeutet, sie lässt ihr gesamtes bisheriges Leben einfach hinter sich. Die etwas dümmliche Thelma schließt sich an, ebenfalls ohne groß darüber zu reflektieren. Die wenigen Momente, die wir in ihrem Heim erleben, müssen genügen, um diese Entscheidung zu rechtfertigen. Sie hat das oben beschriebene Erweckungserlebnis mit Brad Pitt und übernimmt ab diesem Zeitpunkt die Führung des Duos. Sie überfällt einen Gemischtwarenladen, was sie vorher im Leben nie getan hätte, jetzt aber – wir sehen ihren Auftritt auf einem Überwachungsvideo, das sich die Ermittler angucken – geht ihr so ein Raubzug wie nichts von der Hand. Sie imitiert einfach J.D., der vor ihr mit seinen Überfällen geprahlt hatte.

Der Film ist voller solcher Unwahrscheinlichkeiten, die er aber in die fantastischen Bilder von Biddle einbettet und mit hohem Tempo und in einem packenden Rhythmus, unterlegt mit einem sehr griffigen Blues- und Boogie-lastigen Soundtrack, erzählt. Überwältigungskino in Reinkultur. Man kann und will sich dem Sog, der dabei entsteht, nicht entziehen, man fiebert mit diesen beiden Frauen, die zu modernen Heldinnen der Landstraße werden, die stellvertretend für das Publikum die große Sause machen, Freiheitsträume ausleben, sich zur Wehr setzen und somit Rebellen sind. Sie könnten direkt mit Peter Fonda und Dennis Hopper durch EASY RIDER (1969) oder andere Road-Movies der 60er und 70er Jahre flitzen. Auch damals nutzte Hollywood das neuentstandene Genre als Ausdruck für Aufbruch und Freiheitsdrang, auch damals endeten die Geschichten meist tragisch.

Daß für diese Selbstermächtigung, dieses Ausleben von Freiheitswünschen, ein Mensch gestorben ist, daß dies der Ausgangspunkt allen Handelns war, vergisst der Film allerdings nicht und kommt auch immer wieder darauf zurück. Doch beginnt Thelma zu einem späten Zeitpunkt, als den beiden bereits halb bewußt ist, daß ihre Flucht möglicherweise nicht gut enden wird, haltlos zu kichern, als sie an das Gesicht des Mannes denkt, der sie beinah vergewaltigt hätte und der durch Louise´ Eingreifen zu Tode kam. Er habe derart überrascht geschaut, als könne er nicht begreifen, was da geschieht: Frauen, die sich wehren. Louise weist sie darauf hin, daß dies nicht wirklich lustig sei, kann sich aber selbst ein Lächeln nicht verkneifen. Zwar wird THELMA & LOUISE weder an dieser noch einer anderen Stelle zynisch, aber Drehbuch und Regie lassen doch zumindest durchblicken, daß der Mord an dem Kerl auf dem Parkplatz zumindest in Kauf zu nehmen ist. Und wenn Slocumb in einer der letzten Einstellungen des Films gegenüber seinem Kollegen vom FBI einfordert, daß „dieser Frau nie wieder Gewalt angetan werden darf“ – womit er auf Louise´ Erfahrungen in Texas anspielt – dann haben sich Ursache und Wirkung der ganzen Geschichte doch bereits verkehrt.

Thelma und Louise entscheiden sich schließlich für den Ritt in den Sonnenuntergang, den mythischen Tod, der sie unsterblich macht. Und genau so inszeniert Ridley Scott das Ende seines Films. Sie stehen, von etlichen Hundertschaften bewaffneter Polizisten umzingelt, am Rande des Grand Canyon – und geben Gas. Als der Wagen über die Klippe hinausschießt, friert das Bild ein und wandelt sich in eine Zeichnung. Diese Frauen werden nie dort unten aufschlagen, sie werden niemals sterben. Sie werden immer zwischen Himmel und Erde verharren und in den Kanon all jener legendären und mythischen Figuren eingehen, die der Westen hervorgebracht hat. Die Unsterblichkeit. Es kam immer mal wieder das Gerücht auf, es gäbe ein alternatives Ende, das die beiden am Strand irgendwo in Mexiko zeige. So sehr man ihnen (und sich) ein solches Happy-End auch wünschen mag, in der inneren Logik des Films ist es gut, so wie es ist.

THELMA & LOUISE ist ein großer Gesang von Freiheit und Abenteuer, von Aufbruch und Emanzipation. Es ist ein wirklich durch und durch amerikanischer Film, geschrieben von einer Amerikanerin, aber gedreht von Briten. Briten, die sich nicht scheuen, noch einmal den Blick auf ein Amerika zu werfen, welches es so nie gegeben hat – außer in Hollywoodfilmen. Ein Amerika der großen Versprechungen und der bitteren Enttäuschungen. Ein Amerika, das immer noch einen Highway zu bieten hatte. Ein Amerika, das wir geliebt haben.

Nein, dies ist kein „feministischer“ Film, sondern ein Film, der auf die alten Mythen zurückgreift und sie lediglich in ein neues Gewand kleidet. Die großen Versprechungen gelten eben nicht mehr nur den Kerlen, sondern auch Frauen können sich die Freiheit nehmen, die der Westen immer versprochen hat. Daß diese Freiheit nur in den Köpfen von Künstlern, Literaten und Filmemachern existierte, daß sie immer nur ein Versprechen war und blieb, daß sie um einen fatalen Preis erkauft werden muß – das alles verstehen Ridley Scott und Drehbuchautorin Callie Khouri nur allzu gut. Sie scheuen sich nicht, diesen Preis zu zeigen, aber sie sind nicht bereit, ihn zu zahlen. Deshalb friert das Schlußbild ein, deshalb darf nie gezeigt werden, wo das alles in bitterer Realität enden würde. THELMA & LOUISE korrespondiert nicht mit einer Wirklichkeit und deren feministischen Theorien, THELMA & LOUISE korrespondiert mit einer langen Geschichte solcher und ähnlicher Freiheitserzählungen – und fügt ihnen ein grandioses Kapitel hinzu.

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