IN EWIGER FREUNDSCHAFT

Klassentreffen mit Pia Sander und Oliver von Bodenstein

Nach Längerem zu einer Krimi-Serie zurückzukehren ähnelt ein wenig dem Besuch eines Klassentreffens. Man freut sich, die alten Bekannten und Schulkameraden wiederzusehen, man ist neugierig was so aus ihnen geworden ist, wen es wohin verschlagen hat, wer möglicherweise wen geehelicht hat. Aber es dauert auch nicht allzu lange, da fallen doch auch wieder die gleichen Manierismen und Eigenarten auf, die schon vor Jahren und Jahrzehnten genervt haben, da merkt man schnell, weshalb man irgendwann ganz froh war, all diesen Figuren entkommen zu sein.

So geht es einem auch, wenn man mal wieder einen Band aus Nele Neuhaus´ Reihe um Pia Sander und Oliver von Bodenstein zur Hand nimmt. Ach ja, der Henning, der etwas eitle Ex von der Pia, schreibt jetzt Bücher, Krimis, na siehste. Und die Cosima, die Ex vom Oliver, ist schwer krank. Ach nein, er will ihr seine halbe Leber spenden? Der Olli, immer noch ein edler Ritter und Retter. Und seine aktuelle Ehe ist auch schon wieder am Ende. Es tut einem leid. Nur die Pia, die hat sich ja kaum verändert.

IN EWIGER FREUNDSCHAFT (2021), der zehnte Band der Serie, erzählt dann aber doch eine so spannende Geschichte, dass man über 520 Seiten bei der Sache bleibt. Neuhaus mischt eine hübsch aufbereitete Verschwörungs-Geschichte aus dem Buchmarkt- und Verlegermilieu mit dem Auftauchen eines mysteriösen Tagebuchs und dem eines ebenfalls mysteriösen Manuskripts, die jeweils auf Geheimnisse aus uralten Tagen einer Teenager-Clique verweisen. Und ein, nein, zwei Morde gibt es auch noch. Sonst kämen die Ermittler ja gar nicht ins Spiel.

Da wird eine Lektorin umgebracht, die allseits gefürchtet war, da sie ebenso scharfsinnig wie scharfzüngig jeden sezieren und zerlegen konnte, der ihr und ihren Projekten im Wege stand. Diese war Jahrzehnte lang beim Winterscheidt-Verlag angestellt – unschwer als Karikatur des Suhrkamp-Verlags zu erkennen – , der ein Familienbetrieb ist und seit einiger Zeit vom jüngsten Spross des weitverzweigten Clans geleitet wird. Dieser ist geneigt, den einst als intellektuell und ausschließlich der Hochliteratur verpflichteten Verlag auf ökonomischen Erfolg zu trimmen, was bedeutet, man wird kommerziell. Verlegt solch triviales Zeug wie eben – Krimis. Unter anderem auch die Bücher von Pias bereits erwähnten Exmann Henning Kirchhoff, im Hauptberuf Leiter der Rechtsmedizin in Frankfurt a.M. Die erwähnten Bände tragen dann selbstredend die Titel EINE UNBELIEBTE FRAU und MORDSFREUNDE und damit also exakt die der beiden ersten Bände der Reihe aus der Feder von Nele Neuhaus. Soviel Selbstreferenzialität darf es dann schon sein. Allerdings ist es auch ein durchaus ironisches Spiel mit den eigenen Ansprüchen und Widrigkeiten als Autorin.

Da es, wie eigentlich immer bei Neuhaus, eine unendlich lange Reihe von Figuren gibt, die in diesem Fall auch noch alle miteinander verwandt, verheiratet, verschwägert oder mindestens befreundet sind, stellt die Autorin dem Roman eine Namensliste voran, die freundlicherweise auch gleich die jeweilige Funktion der Figuren mitliefert. Denn man läuft hier doch Gefahr, bald die Übersicht zu verlieren. Wen das nicht schreckt, der wird allerdings mit einigen recht amüsanten, manchmal sogar wirklich bösartigen Hintergrundgeschichten aus der Welt der Literatur und des darum existierenden Business belohnt. Die meisten Figuren sind liebevoll gezeichnet, einige sinken im Verlauf des Romans allerdings zur Karikatur herab, aber auch das ist in Ordnung. Spannend ist der Plot um das Geheimnis der fünf Freunde, welches aus vermeintlich unbeschwerten Tagen zu Beginn der 80er Jahre in die Gegenwart hineinreicht und nach und nach ans Tageslicht kommt. Neid, Eifersucht, Hinterhältigkeit und falsch verstandene Loyalität spielen eine wesentliche Rolle, womit die ganze Angelegenheit das Potential eines klassischen Dramas hat. Da denkt die Leser*in momentweise an Barbara Vine in ihren besten Tagen.

Auch die Hintergrundgeschichte um Oliver von Bodensteins gescheiterte Ehe – besser: scheiternde Ehe, denn Neuhaus schildert uns die letzten Züge dieser unglückseligen Verbindung in einigen drastischen und durchaus auch emotional angreifenden Szenen – und sein Bemühen um seine Exfrau, von der er vielleicht nie wirklich losgekommen ist, packt und man folgt der Sache gespannt. Ansonsten hält Nele Neuhaus sich hier angenehm zurück mit allzu viel privatem Kram der Ermittler. Dass Henning Kirchhoff neuerdings Kriminalromane schreibt und dabei seine Erlebnisse und die seiner Exfrau Pia, mit der er sich ja nach wie vor blendend versteht, als Vorbild nimmt, ist diesmal genug Stoff für allerlei Betrachtungen der Kriminalhauptkommissarin.

Wie so oft in modernen Krimis ist das Ganze dann um die Einhundert Seiten zu lang. Etwas straffer, etwas kompakter wäre sicher ganz gut gewesen, ein, zwei Umdrehungen weniger hätten es sicher auch getan. Doch warum kritteln, wo es nur wenig zu kritteln gibt? IN EWIGER FREUNDSCHAFT unterhält, hat eine ordentliche Fallhöhe, die es erlaubt, mit den einzelnen Figuren mit zu fiebern, es gibt ausreichend Grautöne, damit die Sympathien nicht von Beginn an zu einfach und zu plump verteilt sind, und genügend Verdächtige, damit die Suche nach dem Täter und das Rätseln, wer es sein könnte Spaß macht. So gesehen also ein recht gelungenes Klassentreffen. Man freut sich auf das nächste, in einigen Jahren.

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