DER SEEWOLF/THE SEA WOLF
Vielleicht sollte man aus gegebenem Anlaß mal wieder einen Blick in diesen Roman aus den ersten Tagen des so schrecklichen 20. Jahrhunderts werfen
Der Literaturkritiker Humphrey van Weyden wird bei einer Überfahrt zwischen Sausalito und San Francisco während eines Unglücks über Bord gespült und von dem Schoner „Ghost“ aufgegriffen. An Bord dieses Robbenfängers herrscht das eiserne Regiment des Kapitäns Wolf Larsen. Dieser läßt van Weyden keinen Augenblick im Unklaren darüber, was er vorhat: nämlich keineswegs umkehren und ihn absetzen. Vielmehr macht er ihn zum Kajütjungen, der sich seinen Unterhalt, bzw. das Recht auf Unterkunft und Verpflegung an Bord zu erarbeiten hat. So beginnt van Weydens Leidenszeit. Er untersteht dem Smutje Mugridge, der es nicht unterlassen kann, ihn zu quälen und aufzuziehen. Larsen kommt mehr und mehr dahinter, daß er in van Weyden jemanden getroffen hat, der seinen intellektuellen Neigungen entspricht. Larsen – wohl ein Autodidakt, doch von wachem und regen Verstande – ist durch und durch Materialist. Das Leben – ein Hefeteig, unsere Beinchen Gewimmel darin, die versuchen festen Grund zu finden; alle immer in einem Kampf aller gegen alle – stellt sich Larsen, der über fast übernatürliche Körperkräfte zu verfügen scheint (so stellt er diese einmal unter Beweis, indem er eine rohe Kartoffel zerquetscht) als sozialdarwinistischer Dauerkrieg dar, den er grundsätzlich und immer gewinnt. Jemanden zu töten wird in dieser Philosophie schlichtweg zum Beweis, daß der Mörder eben stärker und dadurch „lebensberechtigter“ sei. Van Weyden nun wird Larsen zum Erziehungsobjekt. Er betrachtet ihn als verweichlicht, er solle ein Mann werden mit Boden unter den Füßen. Während der Monate an Bord, in denen van Weyden schließlich durch diverse Unbilden zum Steuermann aufsteigt, ohne irgendeine Kenntnis dessen zu haben, was es dazu braucht, wird er mehrmals Zeuge von Larsens Brutalität und Bereitschaft, damit und dadurch zu herrschen. Es werden Männer einfach kielgeholt, bzw. hinter dem Schiff hergezogen, bis sie vor Erschöpfung nahezu sterben, einer verliert seine Fuß dabei durch einen Haiangriff. Einige Männer versuchen, Larsen umzubringen und werden doch nur Opfer seiner gewaltigen Kraft usw. Als die „Ghost“ ein Boot auftreibt, welches Larsen für eines der Robbenboote des Schiffes hält, mit welchem zwei Männer geflohen waren, kommt die Literatin und Lektorin Maud Brewster an Bord, der van Weyden schnell in Liebe verfällt. Auch sie wird nun Zeugin der herrschenden Verhältnisse – sei es das Spielchen, das Larsen dann mit den wirklichen Abtrünnigen spielt und das diese nicht überleben, sei es ein Vergewaltigungsversuch durch den Kapitän. Dieser wird zunehmend durch nachlassende Sehkraft und stechende Kopfschmerzen beeinträchtigt. Bei passender Gelegenheit fliehen van Weyden und Maud in einem der Robbenboote von der „Ghost“ und landen schließlich auf einem einsamen Eiland, wo Hunderte von Robben leben. Eine sogenannte „Rookerie“, eine Brutstelle der Robben, ist diese Insel offenbar unentdeckt. Hier bereiten die beiden sich darauf vor, zu überwintern. Doch eines Morgens liegt die gestrandete „Ghost“ am Strand. Larsen, allein, an Bord. Dieser ist mittlerweile, Wochen, nachdem van Weyden und Maud ihn das letzte Mal sahen, so schwach und fast blind, daß van Weyden nunmehr keine Angst mehr vor ihm haben muß. Larsen versucht dennoch, van Weyden zu töten, wird von Maud niedergeschlagen und nun von den beiden gefangen gehalten, bis er schließlich im Zwischendeck stirbt. Maud und van Weyden gelingt es nicht nur, das Schiff wieder fahr- und somit seetüchtig zu machen, sondern auch, sich gegenseitig endlich ihre Liebe einzugestehen.
Heute ein Klassiker, werden dem Buch gern seine Schwächen vorgehalten, v.a. die Uneinheitlichkeit der Erzählung und die psychologische Ungenauigkeit der Figuren. Beides ist richtig und falsch zugleich. Es gibt schon einen Bruch im Buch, spätestens mit der Strandung auf der Insel. Die Psychologie läßt hier und da einmal nach, trifft meist jedoch. Daß dieser Menschenverächter, der Larsen ja nun einmal ist und sein will, van Weyden überhaupt aus dem Meer fischt (und diese ganze Szene, wie die Fähre gerammt wird und untergeht, hat schon eine gewaltige literarische Kraft), macht wenig Sinn. Nach seiner Philosophie müsste ein im Meer Treibender eben untergehen, wenn er nicht stark genug ist, sich selbst zu helfen. Und van Weydens Skrupel Larsen zu töten immerzu mit seinem christlichen Glauben an die unsterbliche Seele zu erklären, mag ebenfalls solange einleuchten, solange es noch keine „ernsten“ Zwischenfälle gegeben hat. Spätestens nachdem er Zeuge des Vergewaltigungsversuchs geworden ist, müsste die Figur van Weyden über sich hinauswachsen. Denn die Beschreibung Mauds durch den Icherzähler van Weyden ist derart konventionell und dadurch auch reichlich kitschig, daß man kaum erwartet, daß dieser Mann dann eben doch eher dem Machtbereich eines Wolf Larsen erliegt als den Reizen dieser Frau. Sie nicht zu schützen, entspricht sozusagen nicht der psychologischen Wahrheit des literarischen Ansatzes.
Die wirklich und wahrhaftig interessante Figur ist natürlich Wolf Larsen, der „Seewolf“. London behauptete, daß er nach einer Nietzschelektüre daran gegangen sei, diesen Typen als Angriff auf das Konzept des Nietzscheanischen ‚Übermenschen‘ zu entwerfen. Das macht das Unterfangen so interessant. Natürlich muß man während der Lektüre an den anderen großen seefahrenden Hasser der amerikanischen Literatur denken – an Kapitän Ahab aus Melvilles Jahrhundertroman MOBY DICK. Zu diesem allerdings verhält sich Larsen wie das schwarze Schaf der Familie zum erstgeborenen und erfolgreichen Sohne. Wo Ahab an einem Gott zweifelt, der sich in seiner Schöpfung offenbart und in der dieser Gott sich als möglicherweise böse zeigt, wo Ahab um seine Würde als menschliches Wesen und darum kämpft, unangetastet seines Lebens wider eine Natur streiten zu dürfen, die sich ihm als feindlich präsentiert, ist Wolf Larsen ein weitaus profanerer Mensch. Wird Ahab zur Lästerung Gottes schlichtweg getrieben, so hat sich Larsen längst selbst zum Gotte aufgeschwungen in seinem zwar begrenzten, dafür aber absoluten Herrschaftsraume. Nichts ist ihm heilig, nichts wird ihm transzendental. Wir sind Geworfene und müssen uns behaupten, Tag für Tag aufs Neue und immer gegeneinander. Das Leben – ein Kampf, fast schon ein Krieg gegen die Gattungsbrüder und -schwestern. Der Einzelne muß stark sein und sich nehmen, was er für sich beansprucht und er muß es verteidigen, immer und immer wieder.
Das läßt schon an Nietzsches Konzept dessen denken, der sich auf sich selbst besinnend frei macht von allem Glauben und allen Gottheiten und dadurch wächst, über sich und die Art hinauswächst und nicht verweichlicht und nicht im Endstadium der Gattung verharrt, sondern sich und sein Schicksal anpackt. Es ist hochinteressant, daß der sich zum Sozialismus bekennende Amerikaner London offenbar schon in den frühen Jahren des grausigen 20. Jahrhunderts begriffen hatte, daß Nietzsche da nicht nur ein unbedingt dem Individuum gerecht werdendes, sondern auch brandgefährliches Konzept entworfen hatte. Wolf Larsen genießt es ja nicht einfach nur, seine Philosophie zu leben und sich – gottgleich – an seiner Macht zu berauschen, ansonsten aber dem schnöden Mammon (den er sprachlich zum Fetisch erhebt und somit verehrt) zu frönen und die Seinen mit harter Hand an die Gestade zu treiben, die den größten Profit versprechen, nein, er handelt teils vollkommen kontraproduktiv, wo er meint, die seiner Philosophie entsprechenden Kämpfe des Menschen gegen sich und andere beobachten zu können. Nicht nur er wird zum Objekt des Hasses seiner Mannschaft und dadurch zum Ziel ihrer Angriffe, er genießt es ebenso, die quälerischen Kämpfe seiner Untergebenen untereinander zu beobachten und anzustacheln. Einige seiner Entscheidungen an Bord sind so offensichtlich wider die Vernunft, ein Schiff ordentlich zu versorgen, daß man merkt, wie London den unbedingten Moment der Selbstzerstörung, der in Nietzsches Konzept schon angelegt scheint, hier herauszuarbeiten sucht. Und letztlich läßt er Larsen ja auch genau daran zugrunde gehen, was dieser verachtet: Menschliche Schwäche. Wo van Weyden und Maud dem Altruismus und der Nächstenliebe das Wort redeten, hatte Larsen für all dies immer nur Verachtung und Spott über. Und dann ist er auf genau dies angewiesen. Doch läßt London ihm die Kraft, bis zuletzt gegen diese Form des Lebens – die christliche, sorgende, mitfühlende Art und Weise – zu opponieren.
Darin liegt die vielleicht größte Schwäche des Buches: Jack London, der ja selbst ein Abenteurerleben führte, kann seine Bewunderung für diesen Kerl namens Wolf Larsen (der angeblich einer real existierenden Person nachempfunden war) nicht unterdrücken. Van Weyden und auch Maud Brewster sind ihm, London, wohl verwandter, Büchermenschen, doch seine Bewunderung liegt beim Seewolf. London wird hier manchmal schriftstellerisch wirklich groß – sowohl die Beschreibungen der Stürme, vor allem, wie schon erwähnt, das anfängliche Fährunglück, aber auch das, was die Mannschaft an Bord der „Ghost“ durchstehen muß und auch die Fährnisse der Robbenjagd sind literarisch wundervoll – wenn er den Körper, aber auch, wenn er den Geist dieses Mannes beschreibt, den er dann ja doch zu verachten vorgibt. Man merkt, daß der Autor sich also von eben jener Faszination, die auch van Weyden spürt und die einen Mann wie Larsen erst überhaupt möglich macht in all seinem frühfaschistoiden Sein, selbst nicht frei machen kann.
Dieses bemerkenswerte Buch dürfte den meisten hierzulande vor allem durch den TV-Vierteiler des ZDF aus den 70er Jahren bekannt sein. Der jedoch nahm durchaus Elemente anderer London-Stories mit auf, wodurch zumindest der zweite Teil des Buches – van Weydens und Mauds Flucht und die Landung auf dem Eiland – komplett verfälscht wird. Gerade diese zweite Hälfte, wenn Larsen als intellektueller Sparringspartner wegfällt und van Weyden seine geliebte Maud aus der Einsamkeit befreien will, macht einen zwar aufregenden, jedoch eher oberflächlichen Abenteuerroman aus. Und genau das bleibt THE SEA WOLF im Pantheon der Literatur – einer der großen Abenteuerromane, der sich als philosophisch durchaus tief entpuppt, der literarisch große Momente aufweist und doch stellenweise zu Durchschnitt wird. Und Wolf Larsenn bleibt eine der großen Figuren der Abenteuerliteratur, die hineinweist ins 20. Jahrhundert mit seinen Existenzialphilosophien.
Ein lesenswertes Buch, immer noch.
Hi Gavin!
Das ist wirklich ein bemerkenswertes Buch. Es ist schon länger her, dass ich es zuletzt las, und meine Erinnerung daran ist sicher auch durch die TV-Serie überlagert, aber es hat in der Tat eine außergewöhnliche philosophische Tiefe und sticht auch aus Londons Werk geradezu irritierend heraus. Hat mich sehr begeistert. London hatte ja der Überlieferung nach eine ausgesprochene Abneigung gegenüber Nietzsche, was sich, wie Du ja auch schreibst, in diesem Roman widerspiegelt (ganz besonders an einer kurzen Bemerkung auf der ersten Seite, in der Nietzsche namentlich erwähnt wird). Vereinfacht ausgedrückt scheint es ihm hier darum zu gehen den „Übermenschen“ in all seiner Pracht zu zeichnen und zugleich zu demontieren indem er zeigt, dass dieser eben letztlich als Einzelwesen, ohne die menschliche Gemeinschaft, nicht überlebensfähig und somit zum Scheitern verurteilt ist.
Das ist umso bemerkenswerter als London in anderen Erzählungen durchaus eine Art „Übermensch“ zeichnet ohne sie zu brechen. Nehmen wir nur seinen Elam Harnisch aus „Lockruf der Wildnis“, der mir so übertrieben und eindimensional „Übermensch“ war (mehr noch als Karl Mays „Old Shatterhand/Kara Ben Nemsi“), dass ich das Buch angeödet aus der Hand gelegt habe, ohne es zuende zu lesen. Zumal dies auch in Begleitung rassistischer Untertöne geschah. In der Tat war London zwar bekennender Sozialist, aber auch zutiefst überzeugt von der Überlegenheit der weißen Rasse. Ich erinnere mich auch an mindestens eine seiner Kurzgeschichten in der er einen sehr idealisierten weißen, blonden Naturburschen mit geradezu übermenschlichen Kräften schilderte. Das hat mir London dann doch sehr verleidet, der ansonsten auch durchaus sympathische Züge hatte. So soll er, der bestbezahlte Schriftsteller seiner Zeit, dennoch ständig Schulden gehabt haben, weil er haufenweise Freunde mit durchzog. Er war schon eine schillernde Persönlichkeit, die man intellektuell aber auch nicht überschätzen sollte. Ich bin mir insofern auch nicht sicher ob ihm, London, Van Weyden wirklich näher war, denn Londons Lebensweg ähnelte doch eher dem von Larsen. Und ich glaube, dass ihm diese Welt der Reichen, die es kaum nötig hatten sich die Hände schmutzig zu machen und nicht viel zu fürchten hatten, zeitlebens immer ein wenig fremd und vielleicht auch verhasst blieb.
Übrigens gibt es auch eine Anekdote darüber wie er Ambrose „Bitter“ Bierce, den „Old Gringo“, kennenlernte. Sie sollen in einer Kneipe aneinandergeraten sein und eine wüste Schlägerei angefangen haben, aus der sie schließlich ramponiert, aber als beste Freunde hervorgingen. Eine klassische Männergeschichte wie aus Londons Feder. Aber das nur nebenbei.
Besonders interessant finde ich übrigens wie Wolf Larsen in meinem Freundes- und Bekanntenkreis interpretiert wurde. Ein Kumpel von mir pflegte ihn sogar immer wieder zu zitieren, wenn er seine Weltanschauungen zum Besten gab. Dabei übersah er hartnäckig, dass Larssen eigentlich von Anfang bis Ende der große Verlierer der Geschichte war: ein zutiefst verbitterter, von Hass getriebener Mann, der trotz beeindruckender geistiger und körperlicher Kraft nichts daraus zu machen weiß (außer Kartoffelpürree), weil er beides nur destruktiv einsetzt und nicht begreift, dass der Einzelne ohne die Gemeinschaft nichts ist. Eine durchaus tragische Figur also.
Soviel erstmal. Verpflichtungen rufen. Liebe Grüße,
MB
Hallo M.B.,
interessant, daß Du zu der Einschätzung kommst, daß Londons eigene Vita eher der von Larsen entspricht, denn der van Weiydens. Aber London hat sich natürlich auch als Journalist, Lehrer, Radikalsozialist etc. versucht. In Joyce Carol Oates letztem Werk DIE VERFLUCHTEN, das Anfang des 20. Jahrhunderts in Princeton spielt, wo damals Woodrow Wilson Dekan war und ein junger, gerade ersten Ruhm genießender Upton Sinclair (ÖL) sich niederließ, gibt es eine herrliche Parodie auf einen Jack London, der vollkommen egozentrisch, brutal desinteressiert und bar allen Charmes Sinclair zwar als „brother in mind“ treffen will, dann aber nichts mit ihm anfangen kann und auch dauernd eher den leichten Damen hinterherschielt, als sich auf die revolutionäre Sache zu konzentrieren. Selten habe ich ein derartig unfreundliches Portrait eines Autoren (einer Autorin) über einen Kollegen gelesen…
Aber lustig isses, zumal Sinclair dabei ebenfalls eher als verkrampfter Sonderling geschildert wird.
Londons Schreiben sehe ich persönlich auf einer Schwelle zwischen durchaus gut gelungener Unterhaltung, ernsthafter Literatur, die etwas über Amerika an der Schwelle zur Zivilisation zu berichten hat und einem Vulgärsozialismus, für den der Autor nie einstehen musste.
Sei mir gegrüßt,
auf bald,
Gavin
Hi Gavin!
London hatte sicher Züge von beiden seiner Hauptfiguren, beziehungsweise sie von ihm. Aber London kam aus zwar im Gegensatz zu Larsen gebildeten, aber armen Verhältnissen und hat sehr hart arbeiten müssen um hoch zu kommen. Seinen großen Erfolg verdankte er denn ja auch wohl sehr stark dem Nimbus des Abenteurers, der weiß wovon er schreibt. Insofern ist Larsen vermutlich zumindest ein gutes Stück weit ein Spiegelbild seiner selbst. Allerdings offenbar nicht insoweit, dass er seinen ethischen Idealen entspräche. Da war ihm zweifellos Van Weyden näher, den er allerdings auch nicht ohne Kritik davonkommen lässt. Ich könnte mir vorstellen, dass London auf seinem Weg nach oben öfter mal den Wolf Larsen in sich gespürt hat. Vielleicht sogar in mehrererlei Beziehung. Er war wohl auch recht aufbrausend mitunter.
Meine London-Phase war kurz und ist lange her, deshalb habe ich nicht mehr alles auf dem Schirm, was seine Haltung und seine Vita betrifft. Vor einiger Zeit lief auch mal eine Doku über ihn auf Arte, wo auch sein Rassismus zur Sprache kam, der für mich seinerzeit einer der maßgeblichen Gründe war, warum er in meiner Gunst abstürzte – neben seinen teils arg stereotypen Figurenzeichnungen. Den von mir oben genannten Ambrose Bierce etwa schätze ich weit mehr. Auch eine sehr interessante, bemerkenswert ambivalente Persönlichkeit übrigens.
Vor dem Hintergrund dessen was ich über London so erfahren habe und auch im Kontext seiner anderen Romane und Erzählungen kommen mir manchmal Zweifel ob „Der Seewolf“ wirklich von ihm ist. Er muss da wohl einen lichten Moment gehabt haben. Aber es gibt durchaus noch andere lesenswerte Texte von ihm. Z.B. habe ich „Bevor Adam kam“, eine Geschichte aus der Vorzeit, in guter Erinnerung. Als Aufhänger dient allerdings esoterischer Firlefanz: eine spirituelle Rückversetzung in ein früheres Leben, Reinkarnation und Spiritismus also. Londons Mutter war ja Spiritistin. Vermutlich daher.
Londons Werk sehe ich ähnlich wie Du. Sein Werk ist zwar durchaus durchsetzt mit allerlei philosophischen Ansätzen, die in ihrer Tiefe und Qualität aber sehr schwanken, finde ich. Was seinen Sozialismus anbelangt bin ich mir nicht sicher. Er war natürlich einerseits reich, war aber offenbar nicht knauserig mit seinem Reichtum, auch nicht versnobbt, und nutzte immerhin seine Literatur um seine Ideen einem sehr breiten Publikum zu unterbreiten. Mich würde dennoch sehr interessieren ob er sich heute oder vor 80 Jahren nicht eher im rechten Lager wiederfände. Erfahren werden wir es natürlich nie und sicher bin ich mir auch nicht. Aber überraschen würde mich das nicht. Obwohl gerade „Der Seewolf“ massiv dagegen zu sprechen scheint.
Sei herzlich gegrüßt,
MB