MAGDALENA SÜNDERIN

Lilian Faschinger rechnet ab...

Die Wiener Autorin Lilian Faschinger widmet sich in ihren Romanen fast immer extremen Frauenschicksalen; Frauen, die aus der engen Umklammerung eines konservativen katholisch-patriarchalen Umfeldes zu entkommen trachten; Frauen, die sich dem Zugriff von Männern zu erwehren suchen, welche meinen, Anrechte auf, Verfügungsgewalt über sie zu haben. Mal geschieht dies mit mehr, mal mit weniger Humor, eine gewisse Wiener Morbidität allerdings schimmert immer durch ihr Schreiben hindurch. So sind ihre Romane meist unterhaltsam und zügig zu lesen, auch wenn sie sich keineswegs einer einfachen Sprache befleißigen. Atemlos folgt man diesen sich in immer radikalere Bereiche hineinwindenden Berichten aus den beschädigten Leben. Und immer spürt man bei aller Unterhaltung, die einem geboten wird, sehr wohl die Dringlichkeit, die dies besitzt.

MAGDALENA SÜNDERIN steht exemplarisch für die Kunst der Autorin. Ihr vielleicht erfolgreichster Roman, in mehrere Sprachen übersetzt, berichtet uns in einer literarischen Volte mit zwei Ich-Erzählern von Magdalena, die mitten aus dem Ostergottesdienst heraus einen Priester entführt, verschleppt, auf einer abgelegenen Lichtung an einen Baum fesselt und so zwingt, ihrer Beichte zu lauschen. Berichtet wird uns dieser Handlungsrahmen von dem gefesselten und geknebelten Priester, der sich zunächst ausgeliefert fühlt, im Laufe von zweieinhalb Tagen jedoch nicht nur zusehends Empathie für diese Frau empfindet, sondern von derer schieren Lebensfreude, welche stark erotisch gefärbt ist, derart angesteckt wird, daß er auf höchst unkeusche Gedanken kommt. Den Großteil der Erzählung jedoch bestreitet Magdalena, die davon berichtet, wie sie aus dem Elternhaus flieht, wo ihr die Eltern wie die älteren Schwestern bereits einen Lebensentwurf als Karmeliterin zurecht gebastelt haben. Mit einem alten Seitenwagen-Motorrad macht sie sich auf gen Süden. Von dort beginnt schließlich eine Odyssee durch Europa, die sie nach Paris, nach England, nach Deutschland und schließlich wieder zurück nach Österreich führen wird. Motivation sind immer Männer. Und all diese Männer müssen leider ihr Leben lassen, weil sie Magdalena zu nah kommen oder sich zu weit entfernen, wenn sie sie braucht, weil die sie schlecht behandeln, Forderungen an sie stellen und alle, alle, alle nicht in der Lage sind, zu halten, was sie versprochen haben, bzw. was die Berührung ihrer Hände, was ihre Küsse, was ihre physische Nähe versprochen haben.

Der Klappentext will etwas wissen von einer modernen Scheherazade, eine Anspielung auf eine anderen Roman der Autorin, doch sollte man vorsichtig sein mit den Vergleichen. Wenn, dann ähnelt dies eher einer modernen, weiblichen Form des Blaubart-Motivs. Diese Frau fürchtet sich nicht, sie scheut sich nicht, zu sagen, was ist. Und es ist IHRE Lust, um die es geht, es ist IHR Leben, aus dem sie berichtet und auf das immer Männer oder aber die patriarchale Struktur der Kirche und der Familie Einfluß nehmen wollen. Es sind auch diese Institutionen, denen die Sünderin zu entkommen versucht. Dabei ist sie nicht männerfeindlich, alles andere als das. Im Gegenteil sind es Männer, die sie immer wieder vergöttert, vergöttern will und die sie allein wegen dieser Vergötterung natürlich nur enttäuschen können. Die Zwangsläufigkeit, mit der Faschinger diesen Reigen darstellt, ist dabei ebenso einleuchtend wie erschreckend. Und zutiefst amüsant. Fast jedem ihrer Gespielen erzählt Magdalena davon, wie es dessen Vorgängern ergangen ist und ein jeder ist sich sicher, daß ihn dies Schicksal nicht ereilen wird. Und fast alle irren. Faschinger stellt männliche Hybris nicht einfach aus, sie zerrt sie gnadenlos in eine Art Rampenlicht, beschienen vom Scheinwerfer der Liebe Magdalenas. Dem Leser werden eine ganze Reihe männlicher Eigenarten und Eigenheiten vorgeführt und DER Leser fühlt sich dabei ein ums andere Mal ertappt.

Doch sollte man diesen Roman – erschienen im Jahr 1995 – nicht einfach der feministischen Literatur zuordnen und dann meinen, ihm gerecht geworden zu sein. Das sollte man mit feministischer Literatur sowieso niemals tun, doch hat man es hier durchaus noch mit einer ganz anderen Variante zu tun, denn Faschinger läßt ihre Geschlechtsgenossinnen nicht so leicht davonkommen. Denn mit jeder Seite, die man lesend umblättert, fragt man sich schon, wieso diese Frau, Magdalena, sich bei all ihren Erlebnissen, den teils durchaus wenig lustigen Erfahrungen, die auch Gewalt einschließen, immer wieder geradezu auf Männer einlassen muß, als seien die ihr Elixier, ihr eigentlicher Lebensinhalt. Weder erscheint uns hier je ein Anflug homosexueller Leidenschaft, noch scheint diese Frau ein wesentliches Bedürfnis nach Freundschaft zu haben. Und so zeigt die Autorin den Geschlechterkampf als ein Ringen, bei dem sich die KontrahentInnen geradezu ineinander verkeilen. Vampirartig saugen sich die Geschlechter gegenseitig aus und es bedarf schon großer Anstrengung, schmerzhafter Reflexion und – vielleicht – echter, tief empfundener Liebe, um sich aus einem Kreislauf zu befreien, der schlußendlich nur Verlierer kennen kann.

Und während wir dem allen folgen, diesen teils immer unglaublicheren Geschichten folgen, desto mehr begreifen wir, daß hier möglicherweise jemand auch nur erzählt, um des Erzählens Willen. Aber ob nun Wahrheit oder Erfindung – eine gute Geschichte, eine gut erzählte Geschichte ist manchmal mehr wert als jedwede Authentizität. Faschingers Magdalena rächt sich also erzählend an den Männern allgemein, an der Familie als männlich geprägter Institution im Besonderen und an einem Kirchenmann ganz besonders, indem sie diesen subversiv verführt, mit Gesten, mit Sprache und den Bildern, die ihre Sprache zwangsläufig evoziert. Am Anfang war das Wort…

Wie bereits angemerkt, wurde der Text bereits Mitte der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts geschrieben und dementsprechend mag einiges des Beschriebenen im Jahr2015 selbst in Österreich nicht mehr ganz so im Argen liegen, dennoch hat der Roman an Bedeutung und auch Relevanz nicht wirklich eingebüßt. Faschinger schreibt elegant, manchmal erinnert ihre Sprache an die Schimpfereien eines Thomas Bernhard, manchmal an die Abgründe einer Elfriede Jelinek. Doch anders als die Genannten, liegt Faschinger nicht so viel daran, den Leser verstört oder beleidigt zurück zu lassen. Sie unterhält ihn und agitiert dabei ausgesprochen suggestiv. Dabei scheut sie sich auch nicht, in entscheidenden Momenten die Ebene des Realen zu verlassen oder aber vollends ins Apologetische zu wechseln. Man fühlt sich wohl in diesem Text und merkt erst sehr, sehr spät, wie gefährlich er ist. Große Literatur.

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