UNTER SCHWARZER FLAGGE/CAPTAIN KIDD
Ein kurzweiliges und schnell vergessenes Piratenabenteuer aus Hollywoods Fließbandproduktion
Ende des 17. Jahrhunderts wird der Pirat Captain Kidd (Charles Laughton), dem es gelungen ist, sich als Opfer eines Verrats durch Lord Blayne auszugeben, dessen Schiff The Twelve Apostles tatsächlich er mit Mann und Maus versenkt hat, von King William III. (Henry Daniell) beauftragt, mit einer von ihm zusammengestellten Mannschaft um Afrika herum gen Madagaskar zu segeln, um dort als Geleitschutz ein englisches Handelsschiff zu treffen, das einen Schatz, sowie Lord Fallsworth (Lumsden Hare) und dessen Nichte Lady Anne Dunstan (Barbara Britton) an Bord hat.
Kidd will das Schiff natürlich ausrauben und versenken, dann mit dem Schatz nach England zurückkehren und dort die Nachfolge von Lord Blayne antreten, indem er vom König in den Adelsstand erhoben wird und die Ländereien des in Ungnade Gefallenen überschrieben bekommt. Um den aristokratischen Ansprüchen zu genügen, hat sich der ungehobelte Captain einen Diener zugelegt. Mr. Shadwell (Reginald Owen) gibt sich alle Mühe, dem Kapitän Manieren beizubringen, merkt aber, daß er eine Mammutaufgabe vor sich hat.
Captain Kidd sucht sich seine Mannschaft unter zum Tode verurteilten Piraten, die im Gefängnis Newgate einsitzen. Dabei stößt er auf den Kanonier Adam Mercy (Randolph Scott), den er aber unterwegs bald verdächtigt, ein Spion des Königs zu sein. Auch des Captains alter Kumpan, mit dem er gemeinsam in Magaskar eine Schatztruhe verbuddelt hatte, Orange Povery (John Carradine) schließt sich der Mannschaft an.
So ist Captain Kidd mit ihm, seinen Adlati Jose Lorenzo (Gilbert Roland) und Bart Blivens (John Qualen) von drei jener Männer umgeben, die wissen, was seinerzeit auf der Twelve Apostles wirklich geschah.
Das Schiff kommt schnell voran und schließlich trifft es an der angegebenen Stelle nördlich von Madagaskar auf das englische Schiff. Kidd überredet den Kapitän, sowohl den Schatz, als auch Lady Dunstan und Lord Fallsworth an Bord seines Schiffes zu bringen, da er dort die besseren Verteidigungsmöglichkeiten habe, sollten die Schiffe angegriffen oder bei Sturm voneinander getrennt werden. Um seine Argumentation zu unterstreichen, behauptet er, sie seien auf der Fahrt von England zweimal von Piraten angegriffen worden.
Beim Verladen des Schatzes sorgt Captain Kidd dafür, daß Lord Fallsworth bei einem Unfall stirbt, desgleichen hatte er zuvor schon bei einem fingierten Unfall mit Blivens arrangiert.
Mercy, der sich Shadwell anvertraut hat, durchsucht Captain Kidds Kajüte und findet Hinweise, daß dieser Blayne getötet und die Twelve Apostles versenkt hat. Mercy offenbart sich Anne und Shadwell: Er ist Blaynes Sohn und sucht Beweise, um den Familiennamen reinzuwaschen. Anne ihrerseits hat begriffen, in welcher Gefahr sie schwebt, weil Shadwell ihr erklärt, daß die Angabe, sie seien Opfer von Piratenangriffen gewesen, nicht stimmt.
Lorenzo versucht, Anne zu bedrängen und es kommt zu einem Degenduell zwischen Blayne/Mercy und dem Wüterich, bei dem dieser schließlich im Meer landet und stirbt. Captain Kidd weiß zu schätzen, daß seine Kumpane auf diese Art und Weise reduziert werden. Nun muß er sich nur noch Poverys und Blaynes entledigen.
Blayne wird von Povery und dem Captain gewzungen, mit ihnen die Schatztruhe zu heben, die sie einst auf Madagaskar vergraben hatten. Als dies geschehen ist, schlägt Povery ihn bewusstlos und schmeißt ihn ins Meer. Zurück an Bord, verlangt der Kapitän von Anne, mit ihm in der Messe zu essen. Sie folgt der Anweisung, ist aber geschockt, daß Blayne tot ist.
Dieser ist zum Schiff geschwommen und bereitet nun die Schaluppe vor, um mit einem Freund und Anne zu fliehen. Shadwell soll an Bord bleiben und Captain Kidd im Auge behalten. Die Flucht wird entdeckt und Captain Kidd lässt auf die Schaluppe schießen. Shadwell versucht, dazwischen zu gehen und der Captain erschießt ihn. Das Boot wird getroffen, Blayne und Anne können aber entkommen.
Zurück in England will Captain Kidd seinen Lohn einheimsen und hat sich eine ganze Reihe von Lügen und Ausreden zurecht gelegt, warum Lord Fallsworth und Anne tot sind und weshalb er nur den Schatz retten konnte. Doch er wird mit den vor ihm heimgekehrten Paar Blayne und Anne konfrontiert und so seiner Untaten überführt. Er endet am Galgen, Anne heiratet Blayne, dessen Familiennamen reingewaschen ist.
CAPTAIN KIDD (1945) bot dem großen Charles Laughton eine Gelegenheit, sein außergewöhnliches Talent anhand der Rolle eines durch und durch verkommenen Piraten auszuprobieren. Mitnichten seine größte Rolle, sollte man die Titelfigur als eine Fingerübung betrachten. Doch angesichts eines eher durchschnittlichen Seeräuberabenteuers, das weitestgehend auf die handelsübliche Action verzichtet, lebt der Film, der doch erstaunlich unterhaltsam ist, fast durchweg von seinem Hauptdarsteller. Laughton gelingt es, oft nur mit seiner Mimik und der für einen derart beleibten Mann, der er mit seinen damals 47 Jahren war, erstaunlichen physischen Ausdruckskraft, etliche Szenen zu dominieren und sie unterhaltsam zu gestalten.
Für Regisseur Rowland V. Lee war CAPTAIN KIDD der letzte Film, den er als Regisseur verwirklichte. Lee, den man getrost als typischen Vertreter jener Regie-Riege des Studio-Systems betrachten kann, die zuverlässig Massenware, B-Movies jedweden Genres produzierte, gelang ein vor allem atmosphärisch schöner und dichter Film, der eine gehobene Ausstattung vorweisen kann und alle Zutaten eines zünftigen Piratenfilms bietet. Erhabene Schiffe, knarrende Wanten, einen bedrohlichen Bösewicht, finster dreinschauende Seeleute, einen wackeren und gutaussehenden Helden und, wenn auch spät in den 90 Minuten Laufzeit, eine wunderschöne Lady, die entführt wird und gerettet werden muß. Es gibt ein paar Seegefechte, ein Degenduell, Schätze, Inseln und Verrat und man sollte meinen, dies zu einem packenden Film zusammen zu rühren, kann nicht allzu schwierig gewesen sein. Dennoch hält der Film keinem Vergleich mit den Klassikern des Genres wie CAPTAIN BLOOD (1935), THE SEA HAWK (1940) oder THE CRIMSON PIRATE (1952) stand.
Die Story ist zu durchschaubar, um zu packen, zugleich nicht tragisch genug, um das Publikum in Atem zu halten. Vorhersehbar, fast mechanisch, läuft der Plan des Freibeuters Kidd ab, dem es gelungen ist, sich in England als Opfer seeräuberischer Erpressung auszugeben und nun vom König beauftragt wird, ein Schiff der royalen Marine zu schützen, das er natürlich auszurauben gedenkt. Laughtons Spiel lässt keine Sekunde Zweifel an den finsteren Absichten des Mannes aufkommen und Randolph Scott ist von dem Moment an, in dem er rasiert ist, zu sehr Held, als daß seine edlen Absichten je in Frage stehen würden. Das fällt auch dem Drehbuch auf und somit recht schnell auch dem Käpt´n, wodurch ein durchaus ansehnliches Katz-und-Maus-Spiel zwischen den beiden entsteht, das Laughton natürlich schauspielerisch für sich entscheidet. Dem Darsteller wurde oft seine massive Präsenz vorgeworfen, die seine Mitstreiter allzu häufig an den Rand einer Szene zu drängen drohte. CAPTAIN KIDD bietet hierfür beispielhaftes Anschauungsmaterial. Für gehobene Nebendarsteller wie John Carradine in der Rolle des Unter-Bösewichts Orange Povery bleibt dabei kaum noch Platz, zumal sie nicht einmal die Klasse des anderen Adlatus Jose Lorenzo hat, den Gilbert Roland mit aller ihm zur Verfügung stehenden Schmierigkeit geben darf.
Für den nötigen und durchaus vorhandenen Humor sorgt Laughton im Wechselspiel mit Reginald Owen, der Mr. Shadwell spielt, einen Butler und Hausdiener, den Kidd sich zugelegt hat, weil dieser ihm die für einen zu Höherem Berufenen nötigen Manieren beibringen soll. Diese Facette von Laughtons Figur ist die interessanteste, denn sie erzählt von dem Wunsch nach sozialem Aufstieg und Anerkennung durch die gehobenen Kreise am Hofe König Williams III. Dieser Subtext hebt CAPTAIN KIDD dann doch von purer Massenware ab. Die Versuche des Kapitäns, sich zu mäßgen, sich gentleman-like zu geben und doch immer wieder an den einfachsten Dingen – eine Suppe nicht direkt aus dem Teller zu schlürfen, sondern den Löffel zu nutzen bspw. – zu scheitern, dabei auch seine Brutalität und Eiseskälte nicht verbergen zu können, gehören zu den besten Szenen des Films. Auf Laughton verlässt sich Regisseur Lee generell, denn er hat etliche Szenen, in denen er die ganze Verdorbenheit dieses Mannes genüsslich zeigen darf. Es fängt an, wenn er mit seinen Kumpanen eine Schatztruhe vergräbt und gleich mal einen von ihnen erschießt, um ihn dann scheinheilig betend zu begraben, setzt sich fort, wenn er eiskalt den Kapitän des englischen Schiffes, dessen Schutz ihm anvertraut wurde, hintergeht und endet nicht zuletzt, wenn er erst seine Kompagnons und schließlich Lord Fallsworth rücksichtslos aus dem Weg räumt.
Leider sind weder das Degenduell noch die spärlichen Seeschlachten wirklich überzeugend. Lee gelingt keine überzeugende Action, was dem Film aber erstaunlicher Weise nicht wirklich schadet. Das ist sicherlich der beste Beweis, wie sehr ein überzeugender bis hervorragender Hauptdarsteller einen Film beherrschen, ja dominieren, und dabei sogar retten kann. Es macht schlicht Spaß, Laughton zuzuschauen. Doch sind die anderthalb Stunden Laufzeit rum, Captain Kidd seiner gerechten Strafe zugeführt – er wird gehenkt, was Laughton in einer Abschiedsrede ein letztes Mal Gelegenheit gibt, die ganze Niedertracht dieses nach Reichtum und Ruhm Gierenden auszuspielen – und der Held und seine ihm Anvertraute endlich vereint, hat man schnell vergessen, worum es überhaupt ging. Ein typisches Hollywood-Abenteuer vom Fließband, unterhaltsam und kurzweilig.