VAMPYR – DER TRAUM DES ALLAN GRAY

Ein wieder zu entdeckendes Meisterwerk von Carl Theodor Dreyer

Der junge Allan Gray (Julien West), ein Träumer, der sich viel mit dem Okkulten, mit dem Übernatürlichen, auch mit Vampirismus beschäftigt hat, kommt auf seinen Wanderungen über den europäischen Kontinent in das Dorf Courtempierre. Unterwegs nimmt er seltsame Dinge wahr: Auf einem Fluß tanzen Spiegelungen von Figuren, die es aber nicht gibt, ein alter Mann mit einer Sense ruft eine Fähre und verlässt das Dorf, der Schatten eines Totengräbers lässt die Zeit rückwärtslaufen.

Allan findet Unterschlupf in einem Gasthof, dessen Schildfigur unangenehm jenen Spiegelungen ähnelt, die der Wanderer zuvor auf dem Fluß gesehen hat.

Allan legt sich bald schlafen, wird in der Nacht aber geweckt, weil sich eine Tür zu seinem Zimmer öffnet. Ein alter Mann (Maurice Schutz) betritt den Raum, schreitet langsam zum Schreibtisch, legt dort ein Päckchen nieder, beschriftet es mit der Zeile „Nach meinem Tode zu öffnen“, wendet sich Allan zu und sagt mit verzweifelter Stimme: „Sie darf nicht sterben!“ Dann verlässt er das Zimmer wieder durch die gleiche Tür, durch die er es betreten hat.

Allan steht auf und macht sich auf eine Runde durch den Gasthof und das Dorf. Durch verwinkelte Häuser und Gassen, in denen er seltsame Dinge beobachtet – unter anderem den Schatten des Dorfschulze, ein einbeiniger Soldat (Georges Boldin), der sich selbstständig macht und an den Wänden entlang durch das Dorf streift, bevor er zu seinem Besitzer zurückkehrt – kommt er in eine Burg. Hier sieht er erneut Schatten an der Wand, die tanzen. Er kann aber nicht erkennen, wer die Schatten wirft. Dann geht weiter unten im Hof der Burg eine Tür auf, eine alte Frau (Henriette Gérard) tritt ein und ruft in den Hof hinein „Ruhe!“, woraufhin die Schatten erstarren, die Musik, die sie begleiteten, verstummt und selbst die Räder einer Mühle zum Stillstand kommen.

Weiterhin begegnet Allan einem alten Mann (Jan HIeronimko), der offensichtlich der Arzt des Dorfes ist. Dieser geleitet die zuvor schon gesehene alte Frau eine Treppe hinauf und hilft ihr, sich in einem Stuhl nieder zu lassen.

Allan zieht sich zurück und folgt weiteren Schatten, bis er zu einem Schloß gelangt. Hier residiert der alte Mann, der Allan nachts in seinem Zimmer besucht hatte, mit seinen Töchtern Léone (Sybille Schmitz) und Gisèle (Rena Mandel). Léone ist krank. Seltsame Male bedecken ihren Hals.

Noch während sich Allan mit den Gegebenheiten des Schlosses vertraut macht, taucht der Dorfpolizist auf und erschießt hinterrücks den Schloßherrn. Allan eilt zur Hilfe, doch ist der Mann nicht mehr zu retten. Er stirbt in Allans Armen.

Nun öffnet Allan das Paket, das ihm hinterlassen wurde. Darin befindet sich ein Büchlein, welches den Leser über das Wesen des Vampirismus aufklärt. Allan beginnt zu lesen und lernt allerhand über das Wesen des Vampirs, seiner Verbundenheit mit dem Teufel und wie weit die Macht der Untoten reicht. Derweil schickt der Hausdiener (Albert Bras) einen Gesandten in die Stadt, um den Arzt zu holen.

Gisèle stellt erschrocken fest, daß ihre Schwester nicht mehr in ihrem Bett liegt. Sie bittet Allan um Hilfe bei der Suche. Als die beiden den Park des Schlosses absuchen, sehen sie Léone auf einer steinernen Bank liegen, während sich die alte Frau, die Allan in der Burg antraf, über sie beugt. Diese entfernt sich, Léone wird zurück ins Schloss gebracht.

Allein mit Gisèle zeigt sich, daß Léone bereits in einem fortgeschrittenen Stadium einer Infizierung mit dem Vampirismus ist. In einem langen Blick, den sie ihr zuwirft, kann Gisèle erkennen, daß Léone mittlerweile nach ihrem Blut giert, zugleich aber auch um die eigene schicksalhafte Verstrickung weiß. Gisèle flieht vor ihrer Schwester.

Als der Arzt mit der Kutsche ankommt, ist der Kutscher tot.

Der Arzt kümmert sich um Léone, stellt fest, daß sie an Blutarmut leidet und wahrscheinlich nicht mehr zu retten ist. Allan bietet an, sein eigenes Blut zu spenden. Der Arzt legt also eine Kanüle, stellt zugleich aber ein Giftfläschchen neben Léone. Wie das Büchlein Allan zuvor informiert hatte, stehen Vampire eben auch in Verbindung mit dem Teufel. Diesem übereignen sie ihre Opfer, indem sie sie in den Selbstmord treiben, wodurch ihnen ein christliches Begräbnis verwehrt bleibt und ihre Seelen leichter für den Leibhaftigen einzusammeln sind.

Allan ist nach der Transfusion müde. Der Arzt fragt ihn, was los sei und Allan sagt, er habe Kopfschmerzen und fühle sich schlapp, sei aber bereit, weiteres Blut zu spenden. Das, so der Arzt, sei unnötig, denn er habe Allans Blut ja schon. Allan fällt in einen komatösen Schlaf.

Der Diener liest ebenfalls in dem Büchlein und stellt so fest, daß sogar das Dorf Courtempierre erwähnt wird. Dort habe einst ein weiblicher Vampir sein Unwesen getrieben. Es sei der untote Körper der Marguerite Chopin, schon zu Lebzeiten eine harte und unnahbare Person, die dort auf dem lokalen Friedhof begraben liege. Der Diener begreift, daß die Frau, die sich an Léone vergangen hat, eben diese Marguerite Chopin ist. Er kennt das Grab, bewaffnet sich nach den Anweisungen des Buches mit einem Eisenpfahl und macht sich auf zum Friedhof.

Allan erwacht und betritt den Raum, in dem Léone liegt. Er kommt gerade recht, um den Arzt davon abzuhalten, den Selbstmord zu inszenieren. Léone ist sich bewusst, daß sie verdammt ist, obwohl ihr die Krankenschwester, eine Nonne (Jane Mora), mehrfach zu versichern versucht, daß es noch Rettung gebe. Nach einem kurzen Handgemenge, kann Allan den Arzt vertreiben und das Gift an sich nehmen. Dann folgt er dem Arzt, der mittlerweile Gisèle entführt hat.

Im Park wird Allan von einer bleiernen Müdigkeit überwältigt und er lässt sich auf einer Bank nieder. Kaum in Schlaf gefallen, verlässt Allan seinen Körper und streift über das Anwesen, bis er in einen Schuppen kommt, wo ein Sarg steht. Darin liegt er selbst. Er hört den Polizisten kommen und gleitet in seinen katatonischen Körper im Sarg. Der Deckel wird geschlossen und durch ein Fenster kann Allan nicht nur sehen, wie der Polizist den Deckel vernagelt, sondern auch, wie erst der Arzt, dann die Vampirin in den Sarg schauen. Dann wird der Sarg angehoben und gen Friedhof getragen. Durch das Fenster beobachtet Allan den ganzen Weg aus der Perspektive eines auf dem Rücken Liegenden.

Es gelingt Allan, sich aus seiner Vision zu befreien und in seinen auf der Bank schlafenden Körper zu erwachen. Er folgt dem Diener zum Friedhof und gemeinsam öffnen sie das Grab der Vampirin, die schlafend darin liegt. Sie pfählen sie, wodurch der Spuk ein Ende hat.

Doch die Macht der Vampirin ist noch nicht gebrochen. Sie erscheint dem Arzt und dem Polizisten und veranlasst sie, zu fliehen. Doch weit kommen die beiden nicht: Der Polizist stürzt auf der Treppe, ein Schuß fällt und der Mann erliegt seinen Verletzungen. Der Arzt seinerseits flieht in eine alte Mühle, wo er ohne zu wissen, was er tut, in einen engen Käfig klettert, der sich hinter ihm schließt. Dann setzt der Mahlvorgang ein und Unmengen von Mehl stürzen auf ihn hinab. Langsam wird er darunter begraben wird und erstickt.

Allan ist es derweil gelungen, die gefesselte Gisèle zu befreien und in ein Boot auf dem Fluß zu bringen. Die beiden fliehen durch aufkommenden Nebel vom Schloss. Während der Arzt langsam und qualvoll stirbt, gelingt es Allan, das andere Ufer des Flusses zu erreichen und so Gisèle und sich in Sicherheit zu bringen.

Vampire und Vampirismus interessierten das Kino schon früh. Eines der großen Meisterwerke der Filmgeschichte ist ein Stummfilm, der lose auf Bram Stokers Werk DRACULA (erschienen 1897) basiert: Friedrich Wilhelm Murnaus NOSFERATU – EINE SYMPHONIE DES GRAUENS (1922). Zehn Jahre später drehte einer der heute fast vergessenen Meister des noch jungen Kinos, Carl Theodor Dreyer, mit VAMPYR – DER TRAUM DES ALLAN GRAY (1932) ein ebenso der Vergessenheit anheim gegebenes Meisterstück des Vampirfilms. Ein Jahr nachdem Tod Browning mit der Hollywood-Verfilmung von DRACULA (1931) einen riesigen Erfolg feiern konnte und damit Maßstäbe für die folgenden Dekaden setzte, wie der untote Graf zu inszenieren sei, konnte Dreyer mit seiner Herangehensweise kaum überzeugen. Und sein Film hatte auch lange Zeit nach Veröffentlichung keine wirklich gute Presse. Zu abstrakt, zu surreal sei das Werk, zudem bot es einen weiblichen Vampir, den man im Film kaum zu Gesicht bekam und dessen Bedrohung eher indirekt wirkt. Zudem basierte Dreyers Werk auf einem früheren Vampir-Roman, Sheridan Le Fanus CARMILLA (erschienen 1872), wobei vom Text im Film nicht mehr viel zu spüren ist. Es ist vor allem der Aspekt des Vampirs als weibliches Wesen, den Dreyer übernahm. Allerdings ist seine Vampirin alt und keineswegs sexuell verführerisch, wie jene der Vorlage.

Liest man Anthologien und filmhistorische Abhandlungen, findet man häufig Hinweise dafür, wie unbeliebt und unterschätzt der Film immer war. Der Filmwissenschaftler und -historiker Jerzy Toeplitz, der eine mehrbändige Filmgeschichte schrieb[1], erwähnt Dreyer mehrfach, den Film allerdings eher abwertend nur ein einziges Mal und beschreibt ihn als Kolportage. Auch Kay Wenigers DAS GROSSE PERSONENLEXIKON DES FILMS (erschienen 2001)[2] beurteilt Dreyers Film eher abfällig, wobei man sich hier vor allem darüber wundert, wie wenig Weniger die Modernität des Films wahrgenommen zu haben scheint. Andererseits gilt VAMPYR spätestens seit den 70er Jahren Afficionados und einschlägigen Filmhistorikern eben auch als Meisterwerk. So wird er in William K. Eversons CLASSICS OF THE HORROR FILM (1974)[3] mit einem eigenen Kapitel geehrt und nicht, wie die meisten anderen klassischen Vampirfilme, in einem Sammelkapitel behandelt.

Diese zwiespältige Betrachtung des Films erstaunt insofern – vor allem dann, wenn dem Film wie bei Weniger vorgeworfen wird, im Grunde der Ästhetik des Stummfilms verhaftet zu bleiben und sein zeitgenössisches Publikum deshalb nicht habe fesseln können – , weil selbst dem heutigen Betrachter zu allererst auffällt, wie modern der Film eben nicht nur in seinen Tricks, Perspektiven und Einstellungen wirkt, sondern auch und gerade in der Beweglichkeit der Kamera und in der Montage. Kaum scheint diese Kamera einmal zu ruhen, immer scheint sie in Bewegung und vollzieht dabei erstaunlich elegante Fahrten und Schwenks. Sie folgt den Protagonisten, manchmal gleitet sie vor ihnen hinweg, oft erfasst sie komplizierte Räumlichkeiten ohne Schnitt, schafft Verwirrung durch scheinbar unstimmige Schwenke und Anschlüsse, lässt sich aber auch auf auch heute noch ungewöhnliche Einstellungen ein. Die berühmteste und eine auch heutzutage noch beeindruckende Szene ist jene, in der der Titelheld Allan Gray sich in seinem eigenen Sarg halluziniert und den Weg zum Friedhof, zu seiner Beerdigung, durch das Fenster im Deckel aus subjektiver Sicht verfolgt. Nicht nur entsteht hier einer der schauerlichsten Momente des Films, wenn zunächst die Gehilfen der Vampirin, die den Sarg schließen, zu beobachten sind, bevor die Alte selbst sich über das Fenster beugt und den imaginierenden Gray anstarrt, sondern es ist auch ein wirkliches filmisches Experiment, wenn wir aus seinen Augen die Decke der Scheune, aus der er hinausgetragen wird, die Bäume, den Kirchturm etc. aus extremer Untersicht beobachten.

Auch andere filmische Details sind interessant: Gemeinhin wird John Fords STAGECOACH (1939) als jener Film betrachtet, der in Halbtotalen von Innenräumen die Raumdecken erstmals bewusst als stilistisches Element einbezog. Man sollte gerade in den ersten Szenen von VAMPYR noch einmal ganz genau hinschauen: Bevor Gray aus dem Bett aufsteht und den labyrinthischen Gasthof  erforscht, in dem er abgestiegen ist, und der sich zu einer Burg zu erweitern scheint, wird er Zeuge, wie ein alter Mann sein Zimmer betritt, ein Paket beschriftet, ihn anstarrt, inständig beschwört, „sie darf nicht sterben!“ und den Raum dann wieder verlässt. Deutlich setzt Kameramann Rudolph Maté die Decken in Szene, betont damit die Enge des Raums und schafft eine leicht klaustrophobische Stimmung. Auch Grays anschließende Erkundung des Gebäudes wird dadurch unterstützt. Der Wechsel aus engen Gängen zu weiten, hohen Räumen, die man nicht mehr lokalisieren, in deren Verhältnis zueinander man sich nicht mehr orientieren kann, aber auch der spätere Wechsel ins Schloß mit seinen eher ausladenden Räumen, wird durch die niedere Höhe des Schlafgemachs konterkariert, vorbereitet und betont.

Spricht man über die technischen Details des Films, muß man natürlich auch die Tricks erwähnen, die Dreyer präsentiert und die nicht nur rein formal auch heute noch erstaunen, sondern wirklich Grauen erzeugen und zugleich einen guten Übergang zur inhaltlichen Besprechung des Films bieten. Wir werden Zeugen, wie der Schatten eines Dorfpolizisten, der sich als Helfer der Vampirin entpuppen wird, sich selbstständig macht und erst nach einem Rundgang durch das Dorf wieder zu seinem „Besitzer“ zurückkehrt, um dann mit ihm gemeinsam aufzustehen. Wir sehen, wie auf dem Fluß, an dem Gray entlangwandert, Spiegelbilder tanzen, es aber keine Referenz für die Spiegelungen gibt, wir sehen die Zeit rückwärst laufen, wenn immer wieder der Schatten eines Totengräbers gezeigt wird, der die Erde auf seiner Schaufel offensichtlich nicht wegschmeißt, sondern diese vielmehr auf das Gerät zurückfliegt. Das ist tricktechnisch brillant und überzeugend, erzeugt aber vor allem ein seltsames Gefühl der Entfremdung, der Unwirklichkeit, die die Gegend, in die Gray zu Beginn des Films kommt, schon charakterisiert: Ein Traumland, in dem die Regeln der Logik scheinbar aufgerhoben sind, was die Bewohner dieser Gegend jedoch nicht oder nicht mehr zu bemerken scheinen. Physikalische Prinzipien sind hier außer Kraft gesetzt, bzw. gehorchen einer anderen Kraft, einer vielleicht irrationalen Kraft, die über sie gebietet. Diese Kraft muß von der alten Vampirin ausgehen. Jedoch – nie wird uns erklärt, womit wir es da zu tun haben, worauf wir (und Allan Gray) uns da eingelassen haben.

An jene berühmten Einstellungen, in denen der Schatten des Polizisten sich selbstständig macht, schließt eine weitere an, in der wir Schatten an der Wand sehen, die offenbar von Tanzenden stammen. Doch sehen wir diese nie. Eine manisch wirkende Musik begleitet den Tanz, der vom Zuschauer fast automatisch mit jenen losgelösten Schatten zusammengebracht wird, die er zuvor gesehen hat. Es bleibt also offen, ob man es hier mit einem reellen Tanz der Dörfler zu tun hat, oder aber mit einem reinen Tanz der Schatten. Fest steht: Die Vampirin, die in eine weit unterhalb des vermeintlichen Tanzbodens gelegenen Raum eintritt, erhebt die Hand und ruft: RUHE!, woraufhin die Musik verstummt, die tanzenden Schatten zum Stillstand kommen und auch die sich drehenden Räder einer Mühle stehen bleiben. Offenbar hat diese Frau enorme Macht über Zeit und Raum und dem, was beide definiert. In einem berühmten Standfoto des Films sieht man sie, wie sie die Wölfe des Waldes zu sich ruft – eine Szene, die aus dem fertigen Film heraus geschnitten wurde, die aber die Macht der Alten ebenfalls noch einmal unterstrichen hätte. Möglicherweise war sie Dreyer zu nah an einer vergleichbaren Szene in NOSFERATU, was ihn dazu bewogen haben mag, sie aus dem Film zu nehmen. Definitiv hätte sie auch die Macht dieser Frau über die Natur belegt.

Everson schreibt, daß die Vampirin bei Dreyer schwach sei, auf Hilfe angewiesen. Man kann einzelne Szenen so interpretieren – wir sehen, wie der Arzt, neben dem Polizisten der zweite und wesentliche Helfer der Vampirin, ihr eine Treppe hinaufhilft, wie er ihr einen Sitz anbietet, bevor sie ihm das mitgebrachte Gift gibt, mit dem er später eines ihrer Opfer dem Freitod überantworten soll. Doch betrachtet man Henriette Gérards nahezu versteinert wirkendes Gesicht mit dem ebenso herrischen wie distanzierten Ausdruck, der sich in den wenigen Auftritten, die die Alte im Film de facto hat, nie verändert, wirkt sie keinesfalls auf Hilfe angewiesen. Vielmehr entsteht der Eindruck, daß hier eine Herrscherin ihre Lakaien losschickt, die niederen Arbeiten zu verrichten, bzw. ihnen die Gunst erweist, ihr auf einem Treppenabsatz helfen zu dürfen. Gegen die Interpretation, die Alte sei schwächlich, spricht auch jene Einstellung, in der Allan Gray und die Tochter des Schloßbesitzers deren Schwester im Park in den Klauen der Vampirin finden. Überhaupt gehört dieses Bild zu den grausigsten des Films. Mag das Wesen auch alt sein, mag es auch langsam sein – die Macht, die von ihm ausgeht, steht nie in Frage. Sie ist eine Kraft eigenen Rechts, die es mit den Naturgewalten, mit der Zeit selbst aufzunehmen versteht.

Dreyer und sein Ko-Autor Christen Jul setzen aber schon von der ersten Schrifttafel des Films, die sie mit einem Spinnennetz unterlegen, darauf, den Zuschauer in eine surreale, gelegentlich bizarr anmutende Welt zu versetzen, in der er sich nie sicher sein kann, ob er sich nicht so oder so im Traum eines anderen befindet. Allein schon der Originaltitel deutet dies ja bereits an. Zu diesem Zeitpunkt ahnen wir natürlich noch nicht, daß wir es mit Vampirismus zu tun haben (natürlich wissen wir es aus den Ankündigungen, doch der Film selbst gibt uns keine Hinweise). Der erste Text – ein deutlicher Rückgriff auf Methoden und Mittel des Stummfilms, obwohl VAMPYR kein Stummfilm ist – berichtet uns davon, daß Gray ein Träumer sei, der sich mit den vergangenen Jahrhunderten und ihren Konzepten des Bösen und Un- bzw. Übernatürlichen, aber auch mit Vampirismus beschäftigt habe und dem aufgrund dieser Studien die Grenze zwischen Realität und Fantasie zu verschwimmen drohe. Im Laufe des Films sehen wir, wie Gray das Paket öffnet, das der ihm fremde Mann, der nachts in sein Zimmer kam, beschriftet und hinterlassen hat. Es ist ein Büchlein, das über Vampire und Vampirismus Auskunft gibt. Gray liest mehrmals konzentriert und sehr interessiert darin. Es scheint in diesen Momenten so, als beschäftige er sich das erste Mal mit dem Thema – womit die Auskunft zu Beginn des Films, die den Eindruck vermittelt, daß Gray sich bereits mit diesen Themen auskenne, zumindest in Zweifel gezogen wird. Es gibt sowohl auf inhaltlicher, wie auf formaler Ebene des Films eine Menge solcher verwirrenden Widersprüchlichkeiten und verweigerte Erklärungen. Das beginnt mit den bereits erwähnten Schatten, die sich nicht zuordnen lassen, es setzt sich fort mit Grays scheinbarer Gleichmütigkeit, mit der er die seltsamsten Ereignisse – inklusive seines nächtlichen Besuchers – hinzunehmen scheint, führt uns in das Labyrinth dieses Dorfes und seines Gasthofs, der unvermittelt in eine Burg überzugehen scheint – Orte also, die wir nicht durchdringen, deren Topographie wir nicht erschließen  können – und mündet in die Selbstverständlichkeit, mit der später im Schloß hingenommen und gehandelt wird.

Im Schloß selbst residiert der Graf, der bald, nachdem er Gray das Paket hinterließ, einem Anschlag des Polizisten zum Opfer fällt, mit seinen beiden Töchtern, deren ältere – die von Sybille Schmitz gespielte Léone – bereits Opfer der Vampirin wurde und Merkmale der Verwandlung aufweist. In einer bedrückenden Nahaufnahme sieht man, wie sie in einer langsamen Drehung des Kopfes ihrer Schwester folgt, als diese sicherstellen will, daß die geschwächte Léone alles hat, was sie braucht. Während Kopf und Augen Gisèle, der jungen Schwester, folgen, kann man auf Léones Gesicht ein Wechselbad der Gefühle beobachten: Ein Wolfsgrinsen, das in einen flehentlichen Blick übergeht, welcher sich wiederum in ein gieriges Stieren wandelt, bis die vom Vampirismus Infizierte begreift, daß es ihre eigene Schwester ist, nach der sie giert. Schmitz war neben Maurice Schutz, der den Schlossherrn spielt, eine von zwei professionellen Schauspielern, die am Film beteiligt waren, alle anderen Rollen waren mit Laien besetzt worden. Wahrscheinlich wäre das, was sich da im Gesicht von Léone abspielt, von einem Laien auch nicht zu leisten gewesen. Allein für diese knappe Minute Filmzeit gebührt Sybille Schmitz ewiger Leinwandruhm. Selten wird Schrecken, ja Grauen, allein mit Mitteln der Mimik so eindringlich dargestellt worden sein, wie hier.

Im Schloß bekommt die Handlung des Films zum ersten Mal Stringenz. Wir können besser verstehen, weshalb Gray, Gisèle, der Hausdiener handeln, wie sie handeln. Sie wollen Léone retten und die Vampirin – die als Marguerite Chopin identifiziert wird und schon in dem Band, den der Schloßherr Gray hinterlassen hatte, Erwähnung findet – vernichten. Wir verstehen, daß Arzt und Polizist im Machtbereich der Vampirin gefangen sind und ihre Seelen schon lange dem Bösen verschrieben haben. Das Buch spricht von alldem. Vielleicht ist es der einzige offensichtliche Schwachpunkt des Films, daß Buch und Regie das Büchlein brauchen, um irgendwie Verständnis für das zu vermitteln, was wir sehen. Die Taten, die schließlich folgen – Gray, der Blut für Léone spendet und in Folge des Verlusts in jenen Schlaf fällt, der zu seinen Halluzinationen und dem Traum von der eigenen Beerdigung führen; das Vorhaben des Dieners, dem Treiben des Vampirs ein Ende zu bereiten; die späte Rache an Polizist und Arzt – erklären sich allesamt aus der Lektüre des Buches. Allerdings bleibt die surreale Atmosphäre auch erhalten, nachdem der Diener und Gray die Vampirin in ihrem Grab gepfählt haben. Gray und Gisèle steigen in ein Boot und fahren durch den Nebel, bis sie ein anderes Ufer erreichen und dann in ein Feld laufen, auf das die Sonne scheint. Dreyer drehte den Film ausschließlich während des Sonnenauf- oder -untergangs, wodurch die Bilder eine seltsam monochromatische, gräuliche Verfärbung annehmen, er arbeitete aber auch mit einer Reihe damals neuartiger Filter. So ist man sich nie sicher, ob Tag oder Nacht herrschen – oder ob in diesem seltsamen Land (das mit dem real existierenden Dorf Courtempierre immerhin reell verortet ist) gar kein Unterschied zwischen Tag und Nacht existiert.

Dreyer hatte in seiner Arbeit immer ein Interesse an religiösen Aspekten des Lebens und deren – oft symbolischen – Rückschluß in die Gesellschaft. Gerade im direkten Vorgänger, LA PASSION DE JEANNE D´ARC (1928), seinem vielleicht bekanntesten Film, thematisierte Dreyer die Schnittstelle zwischen Glauben und der (politischen) Realität. In VAMPYR, der sich in weit höherem Maße symbolischer Bilder und allegorischer Momente bedient, ist die Interpretation schwieriger. Fragen von Gut und Böse werden verhandelt, wobei die Frage bleibt, ob man sich dem EInfluß des Bösen überhaupt entziehen kann? Der Arzt, der als einer der wenigen im Film einen kompetenten Eindruck macht, bleibt als Figur erratisch, er hilft der Vampirin, er ist es aber auch, der sich darum kümmert, daß Léone zunächst am Leben bleibt, der ihr dann wiederum aber auch das Gift zur Verfügung stellt, mit dem sie sich töten soll. Das Büchlein über Vampirismus berichtet davon, daß der Selbstmord der Infizierten dem Teufel, dem natürlichen Verbündeten der Vampire, Seelen zuführen solle, was den ewigen Pakt zwischen dem Herrn der Unterwelt und den Untoten immer wieder aufs Neue begründe. Die Menschen wirken in diesem Kontext lediglich wie Geworfene, die keinen Einfluß auf ihr Schicksal haben. Schon der alte Mann mit der Sense, den Allan Gray am Anfang des Films dabei beobachtet, wie er eine Fähre über den Fluß ruft, sie betritt und sich dann sinnend darauf niederläßt, deutet diesen Fatalismus an. Natürlich liegt hier der Schluß nah, daß wir den Tod sehen, wie er, unbeteiligt und ohne innere Beteiligung, seines Weges zieht – und der hier, in dieser seltsamen Gegend, wo eine alte, böse Gräfin ihn, den Tod, ja besiegt zu haben scheint, nichts zu verrichten hat.

Da VAMPYR nahezu auf jede erotische Anspielung oder Metapher verzichtet, vielmehr in den Léone betreuenden Krankenschwestern, die offensichtlich Nonnen sind, einmal mehr den religiösen Aspekt – also die Frage nach Gut und Böse – betont, verzichtet Dreyer auf einen wesentlichen Bezugspunkt des Vampirs. Ein Bezugspunkt, auf den bspw. Tod Browning im Jahr zuvor in DRACULA größten Wert legte. 1932 gedreht, also in einer politisch aufgewühlten Zeit, mit dem italienischen Faschismus bereits an der Macht und dem deutschen Nationalsozialismus im Aufstieg zur Macht, kann man, auch wenn Dreyer das so vielleicht nicht impliziert haben mag, VAMPYR gut und gern als politische Allegorie begreifen. Dieser Vampir, diese Frau, hat die absolute Macht – zumindest in ihrem unmittelbaren Einflußbereich. Sie kann, wie beschrieben, die Schatten ein Eigenleben führen lassen, ihnen aber auch jederzeit Einhalt gebieten. Ihr verfallen – vielleicht freiwillig, vielleicht gezwungenermaßen – wichtige Stützen der Gesellschaft (Polizist, Arzt). Ihre Gegner sind der Adel, also die alte Macht, der die Vampirin im Leben allerdings selbst entstammte, und ein junger verträumter Mann, sowie die Dienenden, die schließlich selbst zur Tat schreiten und sich durch Gewalt von der Gewaltherrschaft befreien. Definitiv hebt sie mit ihrem Einfluß die Grenzen zwischen Gut und Böse auf, mehr noch: Es gelingt ihr, gerade durch die Einbindung einiger „Stützen der Gesellschaft“, die Gegensätze umzudrehen – was Gut war verfault, was Böse ist, wird gut in dem Sinne, daß es Gültigkeit bekommt. Die Gegend, in der sich all dies abspielt, scheint sich lange schon mit der Herrschaft des Bösen abgefunden zu haben. All dies sind deutliche Implikationen, die auf in sich zerrissene Gesellschaften hindeuten, die ihren Weg, vielleicht ihren moralischen Kompaß, verloren haben.

Wie stark der EInfluß dieser übernatürlichen Macht ist, zeigt das Ende des Films: Nachdem sie gepfählt wurde, erscheint das Gesicht der Vampirin riesenhaft am Fenster des Raums, in dem Arzt und Polizist sich aufhalten. Daraufhin begeben sich die beiden in jeweils für sie schließlich tödliche Situationen: Der Polizist erliegt einem Schuß aus seiner Flinte, bei dem wir nicht sicher sein können, wer ihn abgegeben hat. War es ein Unfall, weil der einbeinige Beamte die Treppe hinuntergefallen ist? Hat sich der Mann schlicht auf Geheiß seiner Herrin selbst erschossen? Oder war es der Diener? Der Arzt scheint fliehen zu wollen, doch macht seine Flucht keinen Sinn – er geht in die Mühle und sucht dort einen Käfig auf, der hinter ihm schließt. Dann setzt der Mahlvorgang ein – oder setzt ihn der Diener in Gang? – , wodurch der Arzt in einer schier endlos anmutenden Szene vom Mehl bedeckt wird und schließlich darunter erstickt. Es ist die mit Abstand grausamste Sequenz des Films und sie dauert in der französischen Fassung noch deutlich länger, als in der deutschen[4]. Gleiches gilt auch für die Pfählungsszene am Grab der Marguerite Chopin, die in der französischen Fassung deutlicher ausgespielt wird, indem wir den Pfahl sehen, der mit Hammerschlägen langsam in die Brust und das Herz der Vampirin getrieben wird. Es bleibt aber die Frage, ob es sich hier um einen reinen Rachenakt handelt – der Arzt sieht den Diener des Schlosses über einen Steg der Mühle laufen und bittet darum, ihm zu helfen, was darauf hindeutet, daß er leben will und sich zumindest partiell dem Einfluß der Vampirin entziehen kann – oder ob sich der Arzt und zuvor der Polizist auf Geheiß ihrer Herrin in Situationen begeben, von denen sie wissen, zumindest ahnen müssen, daß sie ihren Untergang bedeuten können. Die Vampirin ist also – und das ist sicher Dreyers ureigene Diktion – eine Gestalt des Bösen, wenn nicht gar das Böse selbst – obwohl das nun schon oft zitierte Büchlein deutlich darauf hinweist, daß Vampire mit dem Teufel im Bunde stehen, nicht aber Auswüchse seines direkten Machtbereiches sind, was ihre Herrschaft profaner, weltlicher wirken lässt – auch wenn dies in Anbetracht ihrer Wesenheit als Untote paradox klingt – deren Einfluß über den eigenen endgültigen Tod hinausreicht.

Man sollte bei solchen Interpretationen allerdings nicht zu weit gehen. Dreyer wird es eher um den metaphysischen Aspekt gegangen sein. Er selber zeigte sich später erstaunt, daß sein Film als „abstrakt“ angesehen wurde. Er gab aber zu, daß man den Film genau so betrachten kann. Es wurde ja hier schon mehrfach auf die Desorientierung hingewiesen, die Dreyer auf vielfältige Weise hervorruft. Nimmt man einmal das Thema des Vampirismus aus der Rechnung heraus – was natürlich schwierig ist, aber durchaus funktioniert, wenn man bedenkt, wie wenig Leinwandzeit die Vampirin hat – könnte man VAMPYR auch das Etikett „Horrorfilm“ entziehen und ihn schlicht als ein Werk des Surrealismus mit expressionistischen Einflüssen betrachten. Die traumartige Atmosphäre, die Bedrohlichkeit unwirklicher Ereignisse, die sich weder aus sich selbst erklären, noch überhaupt einer Erklärung zu bedürfen scheinen, entsprechen sie doch einer Traumlogik, seltsame Begegnungen, die die Betreffenden jedoch wenig zu erschüttern scheinen, die selbstverständliche Hinnahme über- und unnatürlicher Elemente im Alltag – VAMPYR vereint all diese surrealen Elemente wie selbstverständlich. Und sein Titelzusatz „…DER TRAUM DES ALLAN GRAY“ deutet ja bereits an, daß wir uns wahrscheinlich schon in dem Moment, da wir in den Film einsteigen, innerhalb eines Traumes befinden.

Da Dreyer bis auf die erwähnten Darsteller des Schloßherrn und seiner älteren Tochter nur mit Laienschauspielern arbeitete – eine Tatsache, die auch seinen Schwierigkeiten mit der  Finanzierung des Films geschuldet war – kann man auch darüber staunen, daß die meisten Darstellungen durchaus funktionieren. Vor allem die des Arztes, dessen Aussehen, Gestik und Mimik Roman Polanski Dekaden später für eine zentrale Figur seines Vampir-Films THE FEARLESS VAMPIRE KILLERS (1967) kopierte und Dreyer damit seinen Respekt zollte, sei hier hervorgehoben. Gray seinerseits wird von einem der maßgeblichen Finanziers des Films gespielt. Der Baron de Gunzburg, hier unter dem Namen Julian West, lieh dem verträumten jungen Mann sein Antlitz. Nun kann man darüber streiten, ob dessen gleichbleibend ruhige Art, auf die Geschehnisse im Dorf und auf dem Schloß zu reagieren, mangelnder schauspielerischer Begabung geschuldet ist, oder ob Dreyer diese Ausstrahlung genau so wollte. Fakt ist, daß seine Darstellung die träumerische Atmosphäre des Films maßgeblich unterstützt. Selbst seine eigene Beerdigung, die den im Traum träumenden Gray in ihren Bann zieht, scheint diesen nicht sonderlich zu entsetzen. Da uns die allererste Tafel des Films ja schon darauf hinweist, daß dieser Allan Gray durch seine Beschäftigung mit dem Übernatürlichen in Verwirrung geraten sei, ihm die Grenze zwischen Realität und Fiktion, Traum und Wirklichkeit verwischt, erklärt sich zumindest seine gleichbleibend ruhige, gelegentlich zwar verängstigte, doch immer mutige und vor allem neugierige Reaktion auf das Geschehen. So wird diese Darstellung zu einem prägenden Element des Films.

Das hat zunächst zur Folge, daß wir uns vielleicht nicht wirklich gruseln, weil wir von allem Anfang an schon den Eindruck gewinnen, in eine Welt entführt zu werden, die mit der unsrigen nicht viel zu tun hat. Ein weiterer Beleg dafür, daß wir es eben nicht mit einem Horrorfilm zu tun haben, zumindest nicht im herkömmlichen Sinne. Doch das, was dann geschieht, die Art, wie Dreyer es inszeniert und die Gleichförmigkeit, mit der all das vor unseren Augen abläuft, verstört uns dann eben doch – und das auch noch fast neunzig Jahre nach der Veröffentlichung des Films. So haben wir es hier also durchaus mit einem Meisterwerk des Horrorfilms zu tun. Wir haben es aber eben auch mit einem Meisterwerk der Filmkunst zu tun, dessen Modernität, Eindringlichkeit und technische Finesse auch heute noch wirken.

Dreyer gilt heute unter Filmhistorikern als Visionär und seiner Zeit oft weit voraus. Der breiten Masse hingegen ist er nicht oder kaum mehr bekannt. Gerade VAMPYR wäre es wert, dies zu ändern. Dieser Film – neben Murnaus NOSFERATU – bietet brillantes Anschauungsmaterial, wie anders denn in Hollywood ein Thema wie Vampirismus im Film behandelt werden konnte. Es wäre eine ganz eigene Studie wert, einmal zu untersuchen, wie unterschiedlich die Konzepte des Schreckens sind, die Murnau, Tod Browning in DRACULA und Dreyer verfolgen. Während Murnau ganz auf die Erscheinung des Grafen Orloc[5], unterstützt durch die an sich schon beeindruckende Gestalt seines Hauptdarstellers Max Schreck, setzte, zeigt Browning seinen Hauptdarsteller Bela Lugosi als eleganten Gentleman, durch und durch ein Adliger, wobei der Schrecken des Films eher durch die Behauptung, dies sei ein Vampir, erzeugt wird, als durch reell im Film Gezeigtes. Bei Dreyer hingegen ist alles Atmosphäre. Er lässt den Zuschauer eher die Macht der Vampirin spüren, ihren EInfluß auf die Menschen, die Gesellschaft und die Natur, als daß er sie selbst zu einer Schreckensfigur macht – obwohl sie in den wenigen Auftritten, die sie hat, durchaus grauenerregend wirkt.

Dreyers Konzept eines Vampirfilms ist und bleibt eines der interessantesten und auch überzeugendsten. Es ist sowohl dem Film, wie auch seinem Erschaffer, zu gönnen, daß beide wiederentdeckt werden. VAMPYR verbreitet eine eindrucksvolle, künstlerisch nahezu perfekt hergestellte Atmosphäre. Es ist ein Meisterwerk und wird hoffentlich auch zukünftige Generationen noch überzeugen. Allerdings muß man sich auf ihn einlassen, muß sich dem Zauber dieses Films ergeben und sich auf seine seltsame, im wahrsten Sinne des Wortes ver-rückte Welt einlassen. Doch gelingt dies, ist hier Großartiges zu entdecken.

 

[1] Toeplitz, Jerzy: GESCHICHTE DES FILMS. 5 Bände (Original sechsbändig); 1955-1990.

[2] Weniger, Kay: DAS GROSSE PERSONENLEXIKON DES FILMS: DIE SCHAUSPIELER, REGISSEURE, KAMERALEUTE, PRODUZENTEN, KOMPONISTEN, DREHBUCHAUTOREN, FILMARCHITEKTEN, AUSSTATTER, KOSTÜMBILDNER, CUTTER, TONTECHNIKER, MASKENBILDNER UND SPECIAL EFFECTS DESIGNER DES 20. JAHRHUNDERTS. Berlin, 2001.

[3] Everson, William K.: KLASSIKER DES HORRORFILMS. München, 1980.

[4] Dreyer drehte den Film gleichzeitig in drei Fassungen – einer deutschen, einer französischen, einer dänischen. Die vorliegende Rekonstruktion des Films in der Edition der MASTERS OF CINEMA-Serie setzt sich aus Teilen aller drei Fassungen zusammen. Dieser Edition liegt ein umfangreiches Booklet bei, das erschöpfende Auskunft über die technischen Details sowohl der Produktion als auch der Rekonstruktion gibt.

[5] Orloc war der Name, den der Graf im Film trug. Murnau fürchtete Streitereien über rechtliche Fragen mit Bram Stokers Erben und hoffte diese durch gewisse Abänderungen zum Roman zu umgehen.

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