THE BRONX/FORT APACHE – THE BRONX

Ein später Vertreter des 'New Hollywood'

Murphy (Paul Newman) und sein Partner Corelli (Ken Wahl) fahren Streife in der South Bronx. Während Murphy, Mitte 50, bei aller Ernüchterung frei von Zynismus geblieben ist, hat Corelli großes vor: Mindestens Polizeipräsident will er werden. Sich neckend, dabei freundschaftlich verbunden, verbringen die beiden ihre gemeinsame Zeit im Auto und an diversen Tatorten. Ihre Einsätze sind sich immer gleich: Verrückte, die es zu bändigen gilt, häusliche Streitigkeiten, Überfälle auf kleine Shops und Kneipenschlägereien. Gelegentlich wird es ernster, z.B. wenn ein offensichtlich verrückter Polizistenmörder frei herumläuft. Der neue Chef der Station „Fort Apache“, Connolly (Edward Asner), will seinen Stil – hart, gnaden- und kompromißlos gegen alles und jeden vorzugehen, schlicht jeden einzusammeln und zu verhaften, den irgendwer verdächtigen könnte – um jeden Preis durchsetzen, was in den Straßen vermehrt zu Unruhe und zum Teil zu Aufruhr ähnelnden Zuständen führt. Durch einen seiner Routineeinsätze lernt Murphy die Krankenschwester Isabella (Rachel Ticotin) kennen. Die beiden gehen miteinander aus und verlieben sich ineinander. Doch ist Isabella ein Kind des Viertels: Puerto-Ricanischer Herkunft, versteht sie die Zustände, versteht die Menschen hier, vor allem spricht sie ihre Sprache. Die Polizisten des Reviers, das gibt Murphy offen zu, sind größtenteils hier hin Strafversetzte, kaum einer identifiziert sich mit dem Bezirk. Schnell findet Murphy heraus, daß Isabella selbst Drogen spritzt. Sie beteuert zwar, nicht süchtig zu sein, doch belastet es die Beziehung. Während eines Aufstands, der durch eine Razzia ausgelöst wird, kommt es in einer Hochhaussiedlung zu einem Zwischenfall, als der Kollege Morgan (Danny Aiello) einen unschuldigen Jungen vom Dach schmeißt. Murphy und Corelli sind Zeugen des Vorgangs. Zumindest Murphy steckt in schweren Gewissensbissen, die Corelli ihm zunächst ausredet. Isabella hingegen hält Murphy vor, daß es keine Frage wäre, ob er die Täter anzeigen würde, wenn es sich um ihren Bruder handeln würde. Lediglich die Tatsache, daß es sich um Kollegen handele, ließe Murphy zögern. Sie steigt aus dem Wagen und geht zu ihren Dealern, um sich einen Schuß zu holen. Diese jedoch beobachten, daß sie mit einem Polizisten sprich, vermuten, sie könne den zu ihnen führent und geben ihr reines Heroin, wodurch sie später an einer Überdosis stirbt. Da die Dealer auch das Krankenhaus beliefern, in dem Isabella arbeitete, kommt es dort zu einer Geiselnahme, die für die Drogenhändler tödlich endet. Murphy stellt sich seiner Pflicht und berichtet seinem Chef, was er auf dem Dach gesehen hat. Dann quittiert er den Dienst…

New York ist heutzutage ein weitestgehend befriedetes Gebiet, wer den Namen spricht, meint aber sowieso meist Manhattan. Daß es vier weitere große Bezirke gibt – Brooklyn, Queens, Staten Island und die Bronx – wird gern vergessen. Das war einmal anders. Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre hatte nicht nur das Gesamtgebilde New York einen ausgesprochen schlechten Ruf als Hauptstadt des Verbrechens, sondern der Name „Bronx“ war zum Synonym für Gewalt, Bandenverbrechen und Spekulantentum geworden. War Harlem das verruchte Viertel der Schwarzen, am Nordende Manhattans gelegen, wo man den Blues und den Jazz hören und hervorragend Partys feiern konnte, so stand der nördlich von Manhattan gelegene Bezirk seit den 60er Jahren im Ruf, gefährlich zu sein, ein Treibhaus der Gewalt und der Drogenkriminalität. Dabei wurde gern vergessen, daß die Bronx weitaus größer ist, als z.B. Manhattan und sehr viel mehr zu bieten hat, als niedergebrannte Wohnsilos in ihren südlichen Gegenden. Denn es ist im Wesen die South Bronx, die gemeint ist, wenn der Name geraunt wird.

Ein Film, wie der vorliegende FORT APACHE – THE BRONX (1981)[1] macht sich vermarktungstechnisch natürlich diese geraunte Propaganda zunutze und spielt mit dem schlechten Image. Doch sieht man den Film aus dem Jahr 1981 nach langer Zeit erneut, stellt man fest, daß es ein durchaus ambitioniertes Werk ist, das sich um Authentizität bemüht. Stilistisch dem die frühen 70er Jahre dominierenden ‚New Hollywood‘ verpflichtet, geben Drehbuch (Heywood Gould) und die Regie des weitestgehend unbekannten Daniel Petrie die Geschichte(n) zweier Polizisten wieder, die in der South Bronx ihren Dienst leisten, dabei versuchen, menschlich zu bleiben und den spezifischen Bedürfnissen ihres Bezirks gerecht zu werden. Das Drehbuch beruht auf der literarischen Vorlage zweier Beamter, die in den 60er Jahren ihren Dienst dort versahen.

Großteils an Originalschauplätzen gedreht, im Erzählfluß eher langsam, in den actionreicheren Szenen mit leicht angezogenem Tempo, weiß der Film durchaus zu überzeugen. Da es – trotz der oben gegebenen Inhaltsangabe – im Grunde keine kohärente Geschichte gibt, sondern Episoden aneinander gereiht werden, die sich teilweise aufeinander beziehen, teilweise nur sehr locker miteinander in Verbindung stehen und schließlich im dramaturgisch zugespitzten Ende kulminieren, hat der Film in seinen rund 125 Minuten Länge viel Zeit, sich umzuschauen: Die Straßen der Bronx in ihrem tristen Grau; die Menschen, die diese triste, oft Ruinenlandschaften ähnelnde Kulisse durchwandern; Straßensituationen, die oft erstaunlich echt und naturalistisch wirken. Seine eher losen, den Handlungsrahmen lediglich vorgebenden Erzählsträngen folgt der Film elliptisch, mal sind wir nah an einer der Handlungsebenen, dann wieder wendet sich das Werk anderem zu und man denkt fast, daß da etwas vergessen wurde. Schlußendlich löst der Film die angerissenen Themen jedoch auf, auch wenn der Betrachter dann mehr weiß, als die Handelnden. So dient der Beginn und der daraus resultierende Plot um den Polizistenmörder lediglich dazu, eine Grundstimmung zu fundieren, die Gereiztheit der Beamten des Reviers zu erklären und ein Handlungsmovens zu installieren, denn dieser Mord in der ersten Szene des Films, war offensichtlich nicht der erste der Serie. Und da wir während des Films zwei weitere Untaten des Mörders – der eine sie ist, abgründig schön und gefährlich gespielt von der Blaxploitationkönigin Pam Grier – sehen, wissen wir auch, daß es sich keineswegs um einen reinen Polizistenmörder handelt, sondern offenbar um eine psychisch oder durch Drogen erkrankte Person, die einfach aus Freude mordet. Daß der „Fall“ im Film nicht nur nicht aufgeklärt wird, sondern sich schließlich auch niemand drum zu scheren scheint, verdeutlicht auf nahezu lakonische Weise, wie abgestumpft in diesem Bezirk viele bereits sind. Die ganze Nebenhandlung scheint lediglich dem Ziel zu dienen, die Verrücktheit einer Gesellschaft zu verdeutlichen, in der selbst Mord schon etwas Nebensächliches geworden zu sein scheint, in der der einzelne lang schon verloren und unterzugehen droht. In dieser Lakonie, die den Film generell auszeichnet und bestimmt, erinnert er ebenfalls an das Kino der 70er Jahre, wo oft grausige und fürchterliche Geschichten mit einer Beiläufigkeit erzählt wurden, die einem Land und seiner Gesellschaft, in der so über Schmerz, Leid und Tod hinweggegangen wird, eine moralische Bankrotterklärung ausstellten. Allerdings steht dieser Film auch für einen Übergang: Denn ebenso, wie seine Bildsprache und auch die Anlage seiner Story und der Figuren durchaus (fast nostalgisch) an das notorische Kino der 70er erinnert, so antizipieren die Dialoge in ihrem gelegentlichen Zynismus bereits die aufkommenden 80er Jahre und Filme wie Walter Hills 48 HRS. (1982), die sich des naturalistischen Looks der 70er bedienten, um dann doch eher reaktionäre, einfache Weltbilder auszustellen. Doch bleibt FORT APACHE – THE BRONX letztlich dem ‚New Hollywood‘ mehr verhaftet, als daß er sich mit den neuen, populistischen Entwicklungen des Kinos[2] gemein machte.

Der andere Film, der sich 1981 mit der Thematik „South Bronx“ beschäftigte und eine vollkommen andere, eher in die Zukunft weisende – fort von der Problembeschreibung, hin zu mystischer Verblendung – Herangehensweise bemühte, war der Öko-Horrorfilm WOLFEN (1981) von Michael Wadleigh. Der seinerseits ein Wegbereiter des ‚New Hollywood‘ gewesen ist, stellte er doch federführend den Film über das WOODSTOCK-Festival (1970) her. Betrachtet man sich beide Filme, die die Bronx thematisieren, im Doppelpack, hat man eine interessante Mischung aus zwei Filmen, die in ihrem realistischen Rahmen einiges gemeinsam haben, die jedoch in zwei unterschiedliche Richtungen verweisen und exemplarisch zu einer Zeitenwende im amerikanischen Kino erschienen. An beiden lässt sich gut ablesen, was im amerikanischen Kino einmal möglich war, wohin es hätte führen können und – bedenkt man, wo es heute steht – wohin es geführt hat.

FORT APACHE – THE BRONX bleibt ein sehr guter Film aus einer anderen Zeit, bietet einen sehr guten Paul Newman in einer seiner besten späteren Rollen und funktioniert nicht nur als Drama auch heute noch, sondern auch als Fenster in ein New York, das damals einen komplett anderen, eine gefährlicheren Ruf hatte, als das heutige Post-9/11-Post-Giuliani-New-York. Und auch davon kann dieser Film berichten.

 

[1]Der Titel beruft sich auf den amerikanischen Begriff ‚Fort Apache‘, was so viel bedeutet wie: Allein in Feindesland gelegen. Doch evoziert er natürlich auch den Titel eines berühmten Westerns von John Ford, FORT APACHE (1948), der von General Custers Untergang am Little Big Horn erzählt. Die Art, wie der neue Vorgesetzte Connolly hier in FORT APACHE – THE BRONX auftritt, erinnert durchaus an Henry Fondas Darstellung des Lt. Col. Thursday im älteren Film; die Szenen der Aufstände erinnern durchaus an Szenen der Belagerung durch Eingeborene – die die Aufständischen ja auch sind, im Gegensatz zu den meisten Polizisten des Reviers.

[2] FIRST BLOOD, der erste Rambofilm, erschien nur ein Jahr später; an ihm ist hervorragend abzulesen, wie man die Mittel des ‚New Hollywood‘ durchaus auch nutzen kann, um zutiefst reaktionäre Botschaften – oder zumindest äußerst ambivalente – auszusenden.

 

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