HUNDSTAGE/DOG DAY AFTERNOON
Einer der Klassiker des 'New Hollywood'
Drei Männer stehen vor einer Bank, kurz bevor diese zur Mittagspause geschlossen werden soll. Es sind die Vietnamveteranen Sonny (Al Pacino) und Sal (John Cazale) und ein weiterer Freund. Sie betreten die Bank und packen Waffen aus – dies ist ein Überfall, der in 30 Minuten abgewickelt werden soll. Doch es kommt anders: Der dritte im Bunde merkt, als er eine Waffe auf den Wachmann der Bank richten soll, daß er der ganzen Sache nervlich nicht gewachsen ist und bittet Sonny, ihn gehen zu lassen, nörgelig überläßt er seinen Mitstreitern wenigstens die Schlüssel des Fluchtwagens, obwohl er nun mit der U-Bahn fahren müsse. Dann muß Sonny feststellen, daß die Bank gerade einmal 1000 Dollar an Bargeld zu bieten hat, er wurde falsch informiert, am betreffenden Tag wurde das Bargeld bereits früh morgens abgeholt. Als Sonny die Register über Schecks und Traveller-Schecks verbrennt, wird die Rauchentwicklung draußen wahrgenommen und ein Angestellter einer benachbarten Versicherung benachrichtigt die Polizei. Nun entsteht genau die Situation, die Sonny und Sal unter allen Umständen hatten vermeiden wollen: Sie sitzen mit dem Geschäftsführer und mehreren weiblichen Angestellten der Bank in den Kassenräumen fest, während draußen die Staatsmacht auffährt, was es aufzufahren gibt: Das NYPD mit Sergeant Moretti (Charles Durning) ist ebenso aufgefahren, wie das FBI in Person des Agenten Sheldon (James Broderick). Sonny und Sal sind nun nicht nur Bankräuber, sie sind Geiselnehmer. Moretti gibt sich Mühe, mit Sonny ins Gespräch zu kommen. Es gelingt ihm, eine zwar sachliche, doch auch verständnisvolle Atmosphäre herzustellen. In der Bank kommt es zwar zu einigen hysterischen Momenten zwischen Sonny und den Angestellten, doch im Großen und Ganzen kann er seinen Schutzbefohlenen klar machen, daß er sie weder verletzen, noch entführen will. Das Verhältnis wird zwar nicht freundschaftlich, doch zumindest freundlich. Nach und nach versteht Sonny, wie aussichtslos seine Lage ist. Immer wieder tritt er vor die Bank, wo sich nicht nur eine Menschenmenge angesammelt hat, sondern auch massenweise Medienvertreter sich aufgebaut haben. Live gehen die Bilder von dem Überfall über die nationalen Networks auf Sendung. Sonny fängt an, vor der Bank mit der Menge und den Medien zu flirten, er spielt sich als Volkstribun auf, wenn er mit ATTICA!-Rufen auf einen blutig niedergeschlagenen Gefängnisaufstand in New York im Herbst 1971 Bezug nimmt, bei dem relativ gnadenlos nicht nur die Geiselnehmer, also Häftlinge, sondern auch Geiseln – also Wachpersonal – getötet wurden. Zugleich stellt er kaum erfüllbare Forderungen: einen Hubschrauber zum JFK-Airport, dort eine Düsenmaschine, die ihn und Sal aus den USA fortbringen soll. Als er Sal fragt, wohin er will, sagt der: Wyoming. Sonny verliert zusehends die Kontrolle über die Situation, auch über sich. Er bittet die Polizei, seine Frau zur Bank zu bringen. Er gibt aber nicht den Namen seiner wirklichen Frau an, mit der er zwei Kinder hat, sondern den eines Homosexuellen, den er vor einigen Monaten „geheiratet“ hatte und der in einer Nervenheilsanstalt steckt. Nun entblättert sich vor der Polizei und der erstaunten Menge vor der Bank der wahre Hintergrund der ganzen Aktion: Sonny wollte seinem Freund eine Geschlechtsumwandlung bezahlen mit dem erbeuteten Geld. Dieser jedoch – Leon (Chris Sarandon) – macht in einem langen Telefonat klar, daß er eigentlich von dem aufbrausenden Sonny weg zu kommen versuchte, sogar eine Selbstmordversuch unternahm, um eine Trennung zu erzwingen. Sonny versteht langsam, daß niemand mehr zu ihm hält. Als auch ein Telefonat mit seiner Frau lediglich beweist, wie wenig die beiden noch miteinander zu tun haben, setzt er alles auf die bevorstehende Flucht. Vor der Bank hat nun das FBI die Organisation übernommen. Sheldon teilt Sonny mit, sie, das FBI, übernähmen das „Problem“ mit Sal, der zusehends nervöser und unberechenbarer wird. Sonny versteht nicht. Schließlich kommt wirklich ein Bus und bringt die beiden Bankräuber und ihre Geiseln zum Flughafen, wo die Polizei jedoch kurzen Prozeß macht und Sal mit einem gezielten Schuß tötet, Sonny verhaftet und die Flucht so also verhindert.
Sidney Lumet, dessen Liste herausragender Filme lang, sehr lang, ist, hat mit DOG DAY AFTERNOON (1975) nicht nur einen der besten Filme seines Ouvres, sondern zugleich auch eines der Schlüsselwerke jener Bewegung vorgelegt, die heute unter dem Sammelbegriff ‚New Hollywood‘ subsumiert wird. Nimmt man jene Merkmale, die für diese Art Kino stehen – Originalschauplätze als Drehorte, Abkehr von Spannungsnarration, Hinwendung zu „realistischen“ Szenarien und Figuren in deren „natürlichen“ Lebensumfeld, Abkehr von bisher gültigen filmtechnischen Regeln usw. – dann wirkt Lumets Film wie ein Paradebeispiel, wie ein Fabelfilm dieser Zeit. Es gelingt der Inszenierung, die mit Bildern des Alltags an einem heißen Sommertag – ‚Hundstage‘ nennt man jene heißen Tage im August/September, an denen die Luft flirrt vor Hitze und alle Bewegung in eine Art natürliche Zeitlupe verfällt – beginnt, vom ersten Moment an, eine nervöse Spannung aufzubauen. Gerade die ersten 30 Minuten in der Bank sind rasant gefilmt, wenn Pacino immer wieder zwischen dem Tresorraum und der Eingangstür auf glatten Sohlen der Bank hin- und herschlittert und die Kamera diese Bewegung durch den Kassenraum rasend verfolgt, durch die Montage und schnelle Schnitte aufgegriffen durch die Bewegung vor der Bank, wo Polizeiwagen, Rettungswagen, die Vans der TV-Stationen angerast kommen und chaotisch durcheinander parken. Je länger die Situation in der Bank anhält, desto ruhiger wird auch die Kamera, die sich schließlich erlaubt, auch das Innere der Bank nur noch in ruhenden Totalen einzufangen und dem Betrachter eher Panoramen bietet. So kommt auch die Hektik, die den Film zunächst ausmacht, in der Hitze dieses Tages zum Erliegen.
Lumet, der gerade in seinen Polizei/Korruptionsthrillern wie SERPICO (1973) oder PRINCE OF THE CITY (1981) auf einen nahezu dokumentarischen Stil Wert legte, greift auch hier zu einem ähnlichen Prinzip. Bei fast vollkommenem Verzicht auf Musikuntermalung (lediglich Teile des Vorspanns werden mit einem Song von Elton John begleitet), wirken die Aufnahmen gerade vor der Bank extrem authentisch, es werden sämtliche Straßengeräusche aufgegriffen, oft kann man einzelne Dialogstellen kaum verstehen, weil Sirenen und das Dröhnen von Helikopterrotoren die Tonspur beherrschen. Da die gesamte Geschichte auf einem „wahren Fall“ beruht, wurde u.a. vor der Bank gedreht, die wirklich das Ziel des Überfalls war, der original im September 1972 stattfand. Die Straßenszenen wirken sehr authentisch. Doch zugleich gelingt eine sehr subtile Inszenierung des menschlichen Dramas, das sich in der Bank, im Grunde in Sonny abspielt. Pacino, der zunächst Bedenken hatte, einen Homosexuellen zu spielen, gelingt hier eine der ganz großen Leistungen seiner frühen Karriere. Anfangs ist er ein zwar nervöser Bankräuber, aber zugleich auch einer, der das Herz am rechten Fleck hat. Erst mit zunehmender Filmdauer und dem Auftritt seiner Verwandten (seine Mutter taucht vor der Bank auf und wir begreifen, daß dieser Mann wahrscheinlich nie in einem familiären Konstrukt gelebt hat, das ihm Geborgenheit gegeben hätte), seiner Frau, die als keifende und offenbar ewig unzufriedene Gattin charakterisiert wird und vor allem mit dem (zwischen Pacino und Sarandon weitestgehend improvisierten) Telefonat zwischen Sonny und Leon, begreifen wir, daß wir es eben mit einem widersprüchlichen und schwierigen Charakter zu tun haben. Zugleich zeigt Pacino gerade in den Auftritten vor der Bank, wo die 30, 40 Meter links und rechts des Eingangs wie eine Bühne funktionieren, ausgeleuchtet mit den riesigen Scheinwerfern der Polizei, wie dieser Typ, Sonny, sich in der Situation selbst langsam verändert. Aus dem innerhalb der Bank eher verstörten und extrem nervösen Mann, wird dort draußen ein Darsteller seiner selbst, ein Möchtegern-Robin-Hood, der mit einem Schweißtuch wedelnd versucht, die Menge aufzuwiegeln. Eine Menge übrigens, die mit der Erkenntnis, es it einem Schwulen zu tun zu haben, umschwenkt und anfängt, Sonny zu verhöhnen, während ein anderer Teil der Menge deutlich als Vertreter der Homosexuellenszene gekennzeichnet wird, die Sonny nun auf ihren Schild gehoben hat. Lumet – das nur am Rande – greift hier nicht zum ersten und erst recht nicht zum letzten Mal (man denke an seinen ein Jahr später erschienenen Film NETWORK) das Thema der Massenmedien und der Manipulation durch selbige auf.
DOG DAY AFTERNOON beginnt wie ein Krimi oder ein Thriller um einen Banküberfall, mit zunehmender Spieldauer entpuppt sich dieser Film jedoch mehr und mehr als ein verkapptes Familiendrama. Die Art, wie Lumet das inszeniert, wie er den Plot langsam kippen läßt und dennoch Spannung aufrecht zu erhalten weiß, zeugt von der großen Könnerschaft dieses Regisseurs. Dank einer hervorragenden Schauspielerschar -neben Pacino müssen nicht nur Durning und Sarandon erwähnt werden, sondern auch die Darstellerinnen der Bankangestellten, denen es ebenfalls gelingt, dem Film den Flair des Authentischen zu geben; ganz besonders sei der viel zu früh verstorbene John Cazale erwähnt, der Sal etwas derart Abgründiges gibt, ohne dafür auch nur 15 Dialogzeilen zur Verfügung zu haben, daß man jedes Mal fröstelt, wenn Sal sich erhebt oder vorbeugt, um Sonny irgendetwas zuzuflüstern – gelingt es, den Film so glaubwürdig werden zu lassen. DOG DAY AFTERNOON steht also als Monument jener Jahre, in denen Hollywood anfing, sich dem europäischen Autorenkino, also Kino als gewollter Kunstform, anzunähern; er ragt aber auch als Meilenstein seines Regisseurs und seines Hauptdarstellers aus deren jeweiligem Ouvre heraus. Ein Film, der auch fast 40 Jahre nach seinem Entstehen noch zu packen weiß, der spannend ist in den Konflikten, die er darstellt und ausbreitet, der aber auch exemplarisch für jene Jahre des amerikanischen Kinos steht. Er drückt aber auch das Gespür seines Regisseurs aus, dem es gelingt entgegen der damals gültigen Haltung, die Polizei nicht einfach nur als rüpelhafte Truppe gewaltsüchtiger Machos darzustellen, sondern zumindest in der Figur des Sergeant Moretti auch zu zeigen, daß selbst in dieser Truppe durchaus Verständnis und Toleranz zu finden sind. In der Art freilich, wie das FBI dargestellt wird – kalt, namenlos, Ausdruck einer faschistoiden und zu allem entschlossenen Staatsgewalt – kann man anhand dieses Films doch auch deutlich ablesen, worauf das ‚New Hollywood‘ reagierte.
So besticht DOG DAY AFTERNOON auf mindestens drei Ebenen: Als Film, der spannend zu unterhalten weiß, als Dokument seiner Zeit und als Vertreter des ‚New Hollywood‘ – bestechendes Schauspielerkino, authentisch, rasant, packend, problembewußt.