A MOST VIOLENT YEAR
Eine Studie über New York, Korruption und die Spirale der Gewalt
New York City, 1981. Der im Heizölhandel tätige Abel Morales (Oscar Isaac), der einer Einwandererfamilie entstammt, gedenkt, sein Geschäft beträchtlich auszuweiten. Von einer Familie orthodoxer Juden will er ein großes, am Fluß gelegenes Grundstück, auf dem riesige Tanks stehen, kaufen. Er zahlt ein Viertel des Kaufpreises an und hat eine Frist von 30 Tagen, um den Rest des Geldes zu zahlen. Da seine Bank ihm bereits ein Darlehen zugesagt hat, sieht er keine Schwierigkeiten auf sich zukommen.
Morales und seine Frau Anna (Jessica Chastain) beziehen mit den Kindern ein neues Haus. Es ist eine Villa außerhalb der Stadt, frei gelegen. Für Morales ist es ein Zeichen des Wohlstands, den er sich mit eigener Arbeit erwirtschaftet hat. Anna, die der Familie eines Gangsters entstammt, von dem Abel einst sein Geschäft gekauft hatte, ist das Leben in Wohlstand gewohnt. Umso wichtiger ist es Morales, auf eigenen Beinen zu stehen.
Wie seit Monaten schon, wird erneut einer seiner Tanklaster gestohlen und der Fahrer, der junge Julian (Elyes Gabel) brutal verprügelt. Meist werden die Wagen später leergepumpt irgendwo aufgefunden. Morales kümmert sich um Julian, besucht ihn im Krankenhaus. Er weiß, daß der junge Mann gern in der Firma aufsteigen würde, möglicherweise zum Verkäufer. Das traut Morales ihm jedoch nicht zu.
Wer hinter den Diebstählen steckt, bleibt verborgen, doch Morales verdächtigt einen seiner Konkurrenten am schwierigen New Yorker Markt. Bei einer Einweisung für neue Verkäufer seiner Ware, die er auffordert, den Kunden auch die Vorteile neuer Ölfilter und -pumpen zu verdeutlichen, vermittelt er ihnen nicht nur, wie sie einen Kunden durch Blicke und Gesten einschüchtern können, sondern er macht auch keinen Hehl daraus, daß er die Konkurrenz vom Markt verdrängen will.
Die Probleme werden vielschichtiger: Die Staatsanwaltschaft der Stadt setzt die gesamte Branche, die im Verdacht steht, selten mit ehrlichen Mitteln zu arbeiten, unter Druck und scheint ausgerechnet an Morales Firma eine Art Exempel statuieren zu wollen. Er spricht mit Staatsanwalt Lawrence (David Oyelowo), versichert diesem, daß er sauber sei, nie oder nur selten „schummle“ und immer versucht habe, ein ehrlicher Geschäftsmann zu sein. Lawrence will ihm glauben, zeigt sich aber zurückhaltend bis skeptisch.
Nachts schleicht jemand um das neue Haus der Morales, anderntags findet Anna ihre Kinder mit einer Waffe spielend im Garten. Offenbar haben sie diese im Gebüsch gefunden. Sie wirft Abel vor, seine Familie nicht ausreichend zu schützen. Abel spricht sich nachhaltig gegen Waffen aus. Auch in der Firma, wo ein Gewerkschaftsvertreter fordert, die Fahrer zu bewaffnen, damit sie sich bei weiteren Übergriffen wehren könnten.
Als Abel und Anna nachts von einem Diner in der Stadt heimkehren, springt ein Hirsch vor ihr Auto. Abel ist mit der Situation überfordert, fragt sich, wie er das Tier töten soll. Anna tritt hinzu und erschießt es. Zuhause kommt es zu einer Auseinandersetzung zwischen den Eheleuten, da Abel ihr vorwirft, sich hinter seinem Rücken doch eine Waffe besorgt zu haben. Sie hält ihm erneut vor, daß er die Familie nicht schützen könne oder wolle.
Julian kommt aus dem Krankenhaus und Morales, der ihn abholt, will ihn sofort wieder auf einem Laster sehen. Er schätzt den Jungen, weiß aber, daß der mit seiner linkischen Art nicht zum Verkäufer taugt. Obwohl Julian Angst hat, fährt er wieder. Entgegen der Anweisung seines Vorgesetzten hat auch er sich eine Waffe besorgt. Als es erneut zu einem versuchten Überfall auf seinen Laster kommt, setzt er sich zur Wehr und zwischen ihm und den Dieben kommt es zu einer Schießerei, die dadurch beendet wird, daß die Polizei auftaucht und alle – Diebe und Julian – fliehen.
Einer der neuen Verkäufer von Morales wird derweil bei einem Hausbesuch übel zusammengeschlagen und anschließend auf eine Mülldeponie geschmissen. Und auch die Staatsaanwaltschaft macht ernst und taucht während des Kindergeburtstags eines ihrer Kinder bei den Morales auf. Es gelingt Abel mit letzter Mühe, Unterlagen, die Anna, die in der Firma als Buchhalterin arbeitet, zu verstecken. Sie will prüfen, ob es irgendwo in den Büchern Unregelmäßigkeiten gibt, die Lawrence gegen sie verwenden könnte.
Aufgrund der Verwicklungen tritt die Bank von ihrem Versprechen, Abel ein großzügiges Darlehen zu verschaffen, zurück. Nun beginnt eine Hatz auf das ausstehende Geld. Der Verkäufer des Grundstücks verlängert zwar seine Frist um einige Tage, doch Abel steht mit dem Rücken zur Wand. Er beleiht ein Mietshaus, er treibt ausstehende Schulden ein und nimmt zu abenteuerlichen Konditionen sogar Darlehen bei einem Konkurrenten auf, der selber im Verdacht steht, mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung zu stehen.
Zugleich bemüht Abel sich, Julian aufzutreiben, damit dieser – um sich und seine Zukunft zu retten, aber auch Abels ehrliche Bemühungen zu unterstreichen – sich der Staatsanwaltschaft stellt. Schließlich gelingt es Abel, den Jungen zu finden. Er überredet ihn, doch bei der Überstellung an die Polizei, bei der Lawrence anwesend ist, flieht Julian erneut.
Wieder wird ein Laster geklaut, doch diesmal ist Abel zufällig in der Nähe. Er nimmt die Verfolgung des Wagens auf. Sie führt durch Nebenstraßen und abgelegene Wege hinter den Bahndämmen, bis sie abrupt beendet wird, als der Wagen umkippt. Einer der Räuber findet dabei den Tod, der andere flieht. Abel verfolgt ihn weiter und stellt ihn auf einem U-Bahnhof. Er schlägt den Mann zusammen und bedroht den mit dessen eigener Waffe, besinnt sich dann aber und lässt ihn laufen. Er wollte, daß der ihm die Namen seiner Auftraggeber preisgibt, doch der Mann sagt, daß er und sein Kumpel für niemanden gearbeitet hätten. Allerdings sagt er Abel auch, an wen er das Öl verkauft hat – einen von Abels Konkurrenten.
Abel sucht diesen bei ihrem gemeinsamen Frisör auf und setzt ihn unter Druck. Er verlangt kurzfristig die Summe dessen, was er durch die Raubzüge verloren hat. Dadurch wird die austehende Summe für den Kauf geringer, doch immer noch fehlt Geld. Abends teilt Anna ihm mit, daß die Bücher sauber seien, sie habe sie alle geprüft. Dann gesteht sie ihm, daß sie über die Jahre Geld aus der Firma abgezweigt und auf ein ebenfalls sauberes Sonderkonto gelegt habe, für Notfälle. Abel ist wütend und macht ihr Vorwürfe, sie habe ihn beklaut. Doch am nächsten Morgen dankt er ihr und nimmt das Geld. Damit ist die Kaufsumme komplett.
Ein weiteres Gespräch mit Lawrence ergibt, daß die Staatsanwaltschaft zwar ursprünglich dreizehn Einzelpunkte gegen Morales Firma aufgezählt habe, die meisten allerdings wegen Geringfügigkeit fallen gelassen würden. Abel habe vielleicht ein Ordnungsgeld zu fürchten, weitere Schritte gegen seine Firma seien aber nicht geplant.
Es kommt zur Vertragsunterschrift und der Übergabe des Geldes zwischen Abel, seinem Anwalt Andrew Walsh (Albert Brooks) und Anna einerseits, den Verkäufern andererseits. Abel, Anna und Walsh besichtigen das Grudnstück, als Julian auftaucht. Er ist bewaffnet und es scheint, als wolle er Abel und die andern bedrohen. Er schreit, er habe so sein wollen, wie Abel, erfolgreich und gut aussehend. Abel zeigt sich gänzlich unbeeindruckt und antwortet ihm kühl: „Du warst dafür nicht vorgesehen.“ Julian bittet ihn, sich um seine Familie zu kümmern und erschießt sich dann selbst.
Als die Polizei und auch die Staatsanwaltschaft eintreffen, zeigt Abel Lawrence das Grundstück. Der weist ihn darauf hin, daß er mit diesem in eine neue geschäftliche Dimension vorgestossen sei und nun auch politisch Einfluß in der Stadt nehmen könne.
1981 gilt als eines der gewalttätigsten Jahre, die New York City in seiner an Gewalttätigkeit nicht gerade armen Geschichte erleben musste. Eine Höchstzahl an Überfällen und über 2000 Morde und Totschläge belegen dies. Der Ruf der Stadt, der seit Mitte der 1970er Jahre generell gelitten hatte, war auf seinem Tiefpunkt.
Dies ist der Hintergrund für J.C. Chandors Filmdrama A MOST VIOLENT YEAR (2014). In ruhigen, oft stehenden Bildern, erzählt der Independent-Filmer aus der Branche der Heizölhändler und von den Verteilungskämpfen, den Verdrängungswettbewerben, die dort herrschen. Korruption, aber auch Überfälle auf einzelne Tanklaster, sind an der Tagesordnung und wer, wie der Hauptprotagonist Abel Morales, sauber und ehrlich bleiben will, sieht sich erst recht kaum zu bewältigenden Anforderungen, hinterhältigen Anwürfen und juristischen Verdächtigungen ausgesetzt. In einem so umkämpften Gewerbe, so die Annahme der Staatsanwaltschaft, kann es kaum einzelne geben, die nicht betrügen.
Nominell als Thriller gehandelt, gelingt es Chandor jedoch, viel mehr als eine nur spannende Geschichte zu erzählen. Er erzählt vom amerikanischen Traum, davon, wie ein einfacher Mensch, ein Einwanderer gar, sich durchsetzen kann, daß es dazu ein gewissen Härte und Durchhaltevermögens, aber auch der richtigen Beziehungen bedarf. Sein Film wird so zu einer universellen Abhandlung des amerikanischen Kapitalismus und seiner durchaus raubtierhaften Seiten. Doch mehr noch bietet der Regisseur ein beeindruckendes Portrait der Stadt New York. Oft in Totalen, mit vergleichweise wenigen Kamerabewegungen, fängt Kamermann Bradford Young ein winterliches New York ein. Es sind Straßen, an deren Rändern und Bordsteinen sich schmutzige Schneehügel sammeln, Straßen, die nicht im pittoresken Manhattan liegen, sondern in den Toruisten meist unbekannten Vierteln von Brooklyn oder Queens. Es sind Backstreets, es sind Gassen hinter Verladebahnhöfen, Unterführungen unter den stadtauswärts führenden Gleisen gen Long Island, es sind die Bars, Diners und kleinen Shops und Friseurläden, die an den endlosen Boulevards liegen und wo sich ein reges Straßen- und Stadtleben abspielt. Kontrastiert wird dieses New York durch die Villa, die Morales sich und seiner Familie zu Beginn des Films kauft. Abgelegen, zwischen weißen Schneefeldern, steht sie für den Traum und dessen Umsetzung, den viele Amerikaner träumen, erst recht jene, die in das Land der unbegrenzten Möglichkeiten kamen, um hier Wohlstand, Ansehen und einen gewissen Frieden zu finden.
Die Parallelgeschichte von Julian, eines Fahrers in Morales Firma, verdeutlicht die andere Seite dieses Traums: Wie man immer wieder an den Bedingungen und sich selber scheitern kann. Was den allermeisten ja auch genau so passiert. Julian wird auf einer seiner Fahrten überfallen, er wird schwer verletzt und obwohl Morales sich um ihn kümmert, findet der junge Mann nicht mehr zu seiner alten Unbekümmertheit zurück. Er bewaffnet sich – gegen die Absprachen in der Firma – und wird prompt erneut überfallen. Es kommt zu einer Schießerei, die für Julian bedeutet, daß er seinen Arbeitsplatz verliert. Er wird von der Polizei und der Staatsanwaltschaft verfolgt, weiß nicht mehr, wo er unterkommen, wie er seine Familie unterstützen soll. All diese Faktoren führen schließlich zu seinem Selbstmord. Chandor, der seinen Film auffallend unaufgeregt inszeniert, seine hervorragenden Darsteller – allen voran Oscar Isaac und Jessica Chastain, aber auch der Rest des Ensembles – in langen Einstellungen dialogische Szenen durch- und ausspielen lässt, lotet mit den beiden Polen des letztlich sich durchsetzenden Abel Morales und des gescheiterten Julian die ganze Bandbreite von Erfolg und Mißerfolg in einem Land aus, das wenig Mitleid mit den Verlierern hat. Morales Reaktion auf Julians Selbstmord und die Anklage, die dieser zuvor führt, zeigt dies überdeutlich. „Du warst dafür nicht vorgesehen.“, ist alles, was Morales zu der Klage des jungen Mannes einfällt, der so sein wollte, wie der bewunderte Besitzer der Firma.
Wie sehr Beziehungen nötig sind, um sich durchzusetzen, deutet Chandor an: Morales, der sehr gut aussieht und einen eleganten Stil pflegt, hat die Tochter eines Gangsters geheiratet, dem er zuvor die Firma abgekauft hat. Morales weiß, daß er in einem Geschäft tätig ist, in dem man nie ganz Kontakte zu Verbrechern und der Unterwelt wird vermeiden können, schon gar nicht in einer Stadt wie New York. Zugleich braucht es aber ebenso gute Verbidnungen zur Justiz und in die Politik. Er ist gewillt, sein Geschäft ehrlich zu betreiben und äußert sich so auch dem Staatsanwalt gegenüber, der nun gerade an seiner Firma ein Exempel zu statuieren gedenkt. So ehrlich, wie irgend möglich, erklärt Abel Morales, und der Staatsanwalt versteht ihn. Daß eine gewisse Härte ebenfalls vonnöten ist, zeigt Chandor aber ebenfalls. Morales, der weder durch die Inszenierung, noch durch Isaacs Darstellung übermäßig sympathisch wirkt, springt mit seinen Schuldnern nicht zimperlich um, er ist bereit, Erpressung als Mittel der Geldbeschaffung einzusetzen, als ihm klar wird, wer zumindest für die Aufkäufe des ihm gestohlenen Öls verantwortlich ist, und er scheut sich nicht, seinen jüngeren Bruder dazu zu drängen, eine Hypothek für das ihnen gemeinsam gehörende Mietshaus zu unterschreiben, von der der andere nichts hat. Und als er eines der Diebe, die es mehrfach auf seine Tanker abgesehen haben, habhaft wird, verfolgt er ihn gnadenlos und schlägt ihn schließlich brutal zusammen. Allerdings lässt er ihn am Leben.
Die Härte, die Abel Morales ausstrahlt wird nur übertroffen von der Härte seiner Frau Anna, die als Tochter eines Gangsters einiges gewohnt ist. Nachts springt auf dem Weg zu ihrem Haus ein Hirsch auf ihr Auto und liegt sterbend im Schnee. Während Morales hilflos überlegt, wie er das Tier mit einem Wagenheber von seinem Leiden erlösen kann, tritt Anna hinzu und tötet das Tier mit einem gezielten Schuß aus ihrer illegal erworbenen Waffe. Die Beziehung dieses Ehepaars zueinander ist einer der interessantesten Aspekte des Films, denn hier wird ein Paar in einer sich zuspitzenden Situation gezeigt, ohne daß es zu melodramatischen Auftritten oder Ausfällen kommt. Wir sehen sie sowohl miteinander streiten, als auch immer wieder kleine Gesten der Versöhnung austauschen, liebevolle Gesten, die zeigen, daß diese beiden iin keiner Ehekrise stecken, sondern unter dem äußeren Druck leiden, der durch die Umstände auf die ausgeübt wird. Nachts schleicht ein Einbrecher ums Haus, der eine Waffe im Schnee verliert, mit der anderntags die Kinder spielen, während der Geburtstagsfeier für eines der Kinder taucht die Staatsanwaltschaft auf und will eine Hausdurchsuchung durchführen, das Gefühl einer gewissen Bedrohung erfasst die beiden, die zugleich mit allen Mitteln gemeinsam versuchen, die Firma zu retten. Ohne es auszuspielen, lebt A MOST VIOLENT YEAR auch von den Spannungen dieser Ehe. Ein Mann, der im Geschäft Erfolg haben will, eine Gattin, die ihn unterstützt, das Bewußtsein, daß sie mit ihrem Hintergrund über Mittel verfügt, die er nicht hat – Chandor versteht es geschickt, diese Faktoren anzudeuten und zugleich nie in den Fokus zu stellen, wodurch sein Film an Glaubwürdigkeit, an Realismus, gewinnt.
Die Glaubwürdigkeit des Films, den man nicht mit einem Spannungsfilm verwechseln sollte, gründet sich also auch und gerade aus den häuslichen Szenen zwischen Morales und seiner Frau, die seinen Willen, keine krummen Geschäfte oder verbotenen Dinge zu tun, unterstreichen. Als sie sich die Waffe zulegt, mit der sie nachts auf der Straße das Tier tötet, wirft er ihr dies ebenso als illegal vor, wie er ihr verübelt, daß sie über Jahre Geld aus der Firma abgezweigt und auf ein Sonderkonto eingezahlt hat, das letztlich für genau den Notfall gedacht war, der nun eingetreten ist. Die Geldbeschaffung, um den Kauf eines am Fluß gelegenes Grundstücks fristgerecht zu finanzieren, ist Dreh- und Angelpunkt des Films. Gespräche mit der Bank, Anwälten, Darlehensgebern, mit dem Staatsanwalt und Mittlern werden immer wieder ausführlich gezeigt. Doch Chandor versteht es auch, jene Szenen glaubwürdig zu inszenieren, die andere vielleicht genutzt hätten, um ihren Film mit Action aufzupeppen. Sowohl die Schießerei, in die Julian auf dem Highway verwickelt wird, als auch die Verfolgung und Überwältigung eines der Tanklasträuber, werden distanziert und mit der gleichen Ruhe in Szene gesetzt, wie der Rest des Films. Das sind keine Actionszenen, sondern vergleichsweise realistische Momentaufnahmen der Angst und der Wut, die normale Bürger empfinden, wenn sie in Situationen geraten, die sie nicht kennen und denen sie vielleicht auch nicht gewachsen sind, und die sie zu Taten treiben, die ihrem Naturell nicht entsprechen.
Oft muß man bei A MOST VIOLENT YEAR an die New-York-Filme eines Sidney Lumet denken, dessen Inszenierungsstil Chandor zumindest zitiert. Auch Lumet bediente sich in Filmen wie SERPICO (1973) oder PRINCE OF THE CITY (1981) vordergründig des Thriller-Genres, erzählte aber immer von sozialen und politischen Bedingungen der Stadt, von Korruption in den Behörden, von Gewinnern und Verlierern im großen kapitalistischen Spiel. In dieser Tradition sollte man J.C. Chandors Film unbedingt betrachten und einordnen. Keinesfalls sollte man einen spannungsgeladenen oder gar actionreichen Reißer erwarten. Man wird mit einer Studie über eine Stadt, eine Gesellschaft in der Krise und Menschen, die sich mühen, persönliche Krisen zu bewältigen, belohnt, wie man sie lange nicht in dieser Genauigkeit auf der Leinwand bewundern durfte. Es ist aber auch eine Studie darüber – man bedenke den Titel – wie Gewalt Gegengewalt erzeugt, ohne daß dieser Film das Thema je ausbeutet oder gar spekulativ behandelt. Er stellt Gewalt und ihre Auswirkungen, vor allem auf die Psyche von Menschen, dar und untersucht die Kreise, die sie zieht. Wobei sich Chandor sehr bewusst ist, daß Gewalt nicht erst dort, wo der herkömmliche Hollywoodfilm sie verortet, sondern bereits bei der Angst beginnt, die ein nachts ums Haus Schleichender auslösen kann. Mit der Angst beginnt die Gewalt. Und damit erzählt A MOST VIOLENT YEAR wahrscheinlich auch sehr viel über das zeitgenössische Amerika des Jahres 2014ff. Wieso es wurde, was es ist.