ALLGEMEINE PANIK/WIDESPREAD PANIC

James Ellroy führt seinen Lesern einmal mehr das böse, düstere und verlogene Hollywood der 50er Jahre vor

Freddy Otash ist am Arsch. Das kann man wohl mit Fug und Recht behaupten. Seit achtundzwanzig Jahren verstorben, sitzt er in Zelle 2607 des Purgatoriums und hat sich nun endlich entschlossen, zu gestehen. Und zwar alles. Dann, vielleicht, hat er eine Chance darauf, eine Abteilung weiter zu kommen – zum Guten oder Schlechten, sei´s drum. Der Reaktionär, Hollywood-Hasser und Chronist des faschistoiden Amerikas der Nachkriegszeit James Ellroy hat der armen Seele Freddy O. in ALLGEMEINE PANIK (Dt. 2023; Original 2021 unter dem Titel WIDESPREAD PANIC erschienen) seine Stimme geliehen und so erfahren wir alles – na, fast alles – über dessen Machenschaften in den wilden 50er Jahren. Jener Dekade, die es Ellroy angetan zu haben scheint. Das Jahrzehnt des kältesten Krieges, des übelsten Antikommunismus und des schleichenden Niedergangs Hollywoods.

Freddy, ursprünglich einmal Polizist in Los Angeles, verdingt sich als Privatdetektiv, vor allem aber als Zuarbeiter für das Boulevard-Magazin Confidential, das allerdings mit nichts zu vergleichen ist, was wir lahmen Deutschen unter „Boulevard“ verstehen. Confidential bringt die ganz harten Sachen, Confidential weiß, wer mit wem was wann und wo, Confidential hat die Bilder dazu, Confidential stellt sie alle bloß: Die Stars mit Marihuana oder einem gut bestückten Kerl im Mund, die Fremdgeher in flagranti, also in Action, vor allem aber die Kommunisten und Sozialisten. Confidential zerstört Karrieren und Confidential zerstört Leben. Und wenn mal nichts los ist, dann macht Confidential seine Stories eben selbst. Und allerspätestens da kommt Freddy ins Spiel. Freddy der Zuhälter, der Kuppler, der Dealer, der Manipulator, der Spitzel und der Mörder. Er erpresst, er intrigiert, er spielt A gegen B aus und nimmt dafür C zur Hand. Und manchmal, ganz manchmal, stellt er sich – immer in Absprache mit seinen Chefs beim Blatt und jenen beim LAPD, denen er zuarbeiten muss, um überleben zu können – auch mal in den Dienst der guten Sache und schützt bspw. Rock Hudson, einen aufrechten, guten Amerikaner, zumindest auf der Leinwand, der sein Ding dummerweise gern in Jungs verschwinden lässt. Also arrangiert Freddy eine Partnerin inklusive Hochzeit und wenn es sein muss sogar gleich noch eine Nebenbuhlerin. Und immer so weiter, ad Infinitum. Aber selbst ein Kerl wie Freddy, in seinen Dreißigern und also voll im Saft, hat Gefühle. Und so wird er von seinem Gewissen eingeholt, nachdem er im Auftrag des LAPD einen Verdächtigen eiskalt weggeballert hat. Dessen Witwe lässt er monatlich einige gute Dollar zukommen, doch als sie ermordet wird, will er unbedingt herausfinden, wer dahintersteckt. Und deckt nach und nach eine Verschwörung der Reichen, Schönen und Mächtigen auf, das ihn in höchste Kreise führt – der damals angehende Senator Jack Kennedy spielt eine entscheidende Rolle – und schließlich zu Freddys Höllensturz beiträgt.

Wer James Ellroy kennt, der weiß, dass das Magazin Confidential und Männer wie Freddy Otash immer schon eine wesentliche Rolle in dem Kosmos spielten, den er vor allem in seinem L.A.-Quintett erschuf. Die vier Romane des Quintetts[1] dürften so ziemlich zum Besten zählen, was die amerikanische Literatur hinsichtlich der jüngeren Vergangenheit des Landes und dessen Betrachtung und Analyse hervorgebracht hat. Ellroy in seinen besten Momenten ist tatsächlich ein eiskalter und gnadenloser Chronist eines Amerikas, das sich als verkommen, durch und durch brutalisiert, immer kurz vorm faschistischen Kipppunkt präsentiert, ein Amerika, das nichts mehr mit dem Mythos, dem Glamour und dem Glanz der Leinwände zu tun hat. In diesem Amerika wirken alle Figuren – und Ellroy liebt es, seine Stories mit Figuren der Zeitgeschichte, Filmstars, Politikern, Polizisten, Celebrities, anzureichern – wie Kenneth Angers HOLLYWOOD BABYLON entsprungen. Jeder hat Dreck am Stecken, und die, die sich am rechtschaffensten geben, sind zumeist die größten Schweine. In Ellroys Diktion sind das vor allem Liberale, von echten Linken ganz zu schweigen.

So liefert er mit seinen fiktionalen Figuren zwar tatsächlich hervorragende Psychogramme eines bestimmten faschistoiden, immer gewaltbereiten amerikanischen Männertypus, doch angesichts der Hintergründe, vor denen diese Typen agieren, wirken sie dann wiederum wie zwar zynische, aber zumeist realistisch denkende und auch so agierende Menschen. Das nimmt ihrem Hass und ihrer Brutalität immer ein wenig von deren Schärfe. Und transportiert Ellroys eigene Vorurteile. Denn er liebt es, vor allem uns lieb gewordene Stars – James Dean, Natalie Wood, Sal Mineo sind es in diesem Roman – als schwul, brutal und drogenabhängig zu outen. Da alle diese Menschen tot sind, können sie sich nicht mehr wehren. Ein Vorteil. Und um das klar zu stellen: Es ist nichts daran auszusetzen, schwul zu sein, allerdings ist etwas daran auszusetzen, wie ein Autor wie Ellroy dies darstellt. Nämlich als verkommen, skandalös und verlogen, was es in einem Fall wie Rock Hudson sicher auch war. Nur wissen wir heute, wie sehr er – oder auch ein Mann wie Montgomery Clift, der daran zerbrach und sich umbrachte – darunter gelitten haben. Sie sind nicht an ihrer Sexualität zerbrochen, sondern an einer gnadenlos verkommenen und verlogenen Moral, die durch Männer wie John Wayne, Senator Joe McCarthy und eben jene Typen wie Freddy O., Zuarbeiter der Mächtigen, verbreitet wurde.

Einerlei. Ellroy ist sicherlich ein führender Schriftsteller unter den amerikanischen Gegenwartsautoren und ganz sicher ein scharfer Beobachter amerikanischer Wirklichkeit. Nur gelingen ihm nicht immer Analysen auf gleichem Niveau. Momentan arbeitet er an einer neuen Trilogie, deren ersten beiden Bände bereits erschienen sind. Und auch da merkt man, dass seine kreative Kraft doch nachlässt. Stilistisch verkürzt und verknappt er seine Sätze immer mehr, mittlerweile hat er bereits einen Telegramm-Stil erreicht. Das ist hier allerdings anders. Freddy O. arbeitet schließlich für ein Revolver-Blatt und solche Magazine sind vor allem eins: Angeber-Blätter. Schaut her, wir ham´s: Die harten Sachen, die bösen Fotos, die ganze Story. Hereinspaziert, wir lassen nichts aus, wir stellen alles ins grelle Scheinwerferlicht. Und genau so ist Freddy O. – ein Angeber vor dem Herrn. Und James Ellroy hat sich einer seiner Schwächen hingegeben, denn seine Literatur ist, bei allen Stärken und Vorteilen, bei aller Spannung und Detailgenauigkeit, eben auch immer das: Angeber-Literatur. Und der Angeberei frönt Ellroy hier gnadenlos. All seine Manierismen – die laaaaanggezogenen Voooookaaaaaale, grundsätzlich Hollywild, statt Hollywood zu schreiben, die ewigen Alliterationen – werden hier bis zum Exzess ausgespielt. Nur auf die sprachliche Verknappung, auf die hat er (leider) verzichtet.

So liest man sich durch diese 430 Seiten wiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiilde Hollywood-Stories der 50er. Das macht zunächst Spaß und man ergötzt sich natürlich auch daran, wie bööööööööse Freddy O., aka James Ellroy, ist, nur ermüdet das auch schneller, als man es von Ellroy-Romanen gewohnt ist. Und spätestens, wenn Freddy bei Teil III seiner Purgatoriums-Beichte anlangt, ist es einem egal. Man hat eh längst den Überblick verloren, wer nun wen wann wo befriedigt oder vergewaltigt hat, wer weshalb wann gefoltert oder erschossen wurde, und auch bei Freddys Gespielinnen kommt man nicht mehr so recht mit. Und wie oft bei Ellroy, nimmt man diesem Mann dann auch seine plötzlichen heißen Tränen ob seiner Schandtaten – diese Schuldgefühle kommen bei seinen Männer-Figuren regelmäßig vor – auch nicht mehr ab. Bzw. es ist einem egal, wie sehr dieser Kerl leidet. Das nämlich kommt zu allem Übel hinzu: Freddy Otash ist eben auch ein selbstmitleidiger Waschlappen. Da haben frühere Ellroy-Antihelden ihre Schicksale doch mit mehr Gleichmut hingenommen. Aber die saßen natürlich auch noch nicht seit achtundzwanzig Jahren im Vorraum zur Hölle. Deren Hölle war das Irdische. Schlimm genug.

 

[1] DIE SCHWARZE DAHLIE, BLUTSCHATTEN, STADT DER TEUFEL (mit Russel Crowe, Kevin Spacey und Kim Basinger prominent verfilmt), WHITE JAZZ.

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