THE HUNTER
Ein australischer Ökothriller voller Symbolik und Mystizismus
Der Jäger Martin David (Willem Dafoe) wird von der Red Leaf GmbH beauftragt, den tasmanischen Tiger aufzustöbern, zu töten und dessen Erbgut sicher zu stellen. Obwohl das Tier seit 1936 als ausgestorben gilt, schenken die Verantwortlichen Berichten von Sichtungen Glauben.
David reist nach Tasmanien. Hier wird er von dem Zausel Jack Mindy (Sam Neill) in Empfang genommen, der ihn zu seiner Unterkunft bringt. Er soll bei der Familie Armstrong unterkommen, die in einer abgelegenen Hütte lebt. Schnell stellt David fest, daß er es hier mit schwierigen Bedingungen zu tun hat. Lucy Armstrong (Frances O´Connor) liegt sediert in ihrem Bett, die Kinder Sass (Morgana Davies), ein junges Mädchen, und Bike (Finn Woodlock), ein schweigsamer, wenn nicht gar stummer Junge, spielen allein im und ums Haus. Der Vater, so erklärt Sass David, sei vor einiger Zeit in die Berge aufgebrochen.
In der Hütte funktioniert so gut wie nichts. Der Generator ist beschädigt, es gibt weder Strom noch warmes Wasser. David behilft sich zunächst notdürftig und bricht dann für einige Tage zu einer ersten Expedition in die Berge auf, wo der Tiger gesichtet worden sein soll. Er muß seinen Auftrag sowohl vor Jack Mindy, als auch vor den Waldarbeitern, die ihm feindlich begegnen, da sie ihn für einen ökologisch angehauchten Professor von der Universität halten, sowie vor den im Wald hausenden Öko-Aktivisten geheimhalten.
Zunächst findet David keinerlei Spuren, die darauf hindeuten, daß der Tiger wirklich noch existiert. Er stellt Fallen auf, wofür er Tiere fängt und tötet, um sie als Köder zu nutzen, diese werden aber wieder und wieder zerstört, wofür er die Aktivisten verantwortlich macht. Obwohl mit allerlei High-Tech-Gerät und einem modernen Gewehr zur Jagd ausgestattet, versteht sich David aber auch darauf, Fallen zu basteln, die man als solche kaum erkennen kann und die so der Zerstörung entgehen.
Er kehrt immer wieder in die Hütte zurück. Er begreift, daß Lucy Armstrong offenbar aus Furcht um ihren Mann schwer tablettenabhängig ist. Er beginnt, den Generator zu reparieren, das Haus auf Vordermann zu bringen und macht sich daran, Lucy auf Entzug zu setzen. Mit der Hilfe der Kinder gelingt es ihm nach und nach, die Familie wieder auf die Beine zu bringen. Bike malt wie besessen Bilder, die David so interpretiert, daß Lucys Mann ebenfalls den Tiger gejagt hat. Er kann den Bildern aber auch entnehmen, daß er selbst offenbar an den falschen Stellen sucht.
Erneut bricht er auf. Diesmal findet er schließlich ein Skelett, von Outdoor-Kleidung zusammengehalten. Der Schädel weist ein Einschußloch auf. Anhand einer Trinkflasche kann David Lucys Mann identifizieren. Er begräbt die Überreste. Dann wird er wirklich mit einem Tier konfrontiert, das ein Tasmanischer Tiger sein könnte. Er verfolgt es und stürzt dabei eine Schlucht hinab. Als er zu sich kommt, sieht er eine Höhle, in der etliche Knochen herumliegen. Offenbar hat er eins der Verstecke des Tiers gefunden.
Zurück in der Hütte, kommt es zu einer Annäherung mit Lucy, der David allerdings nichts von seinem Fund erzählt. David hat begriffen, daß auch ihr Mann offenbar für die Red Leaf GmbH gearbeitet hat, doch Lucy erzählt ihm, daß der den Tiger habe töten wollen, um die elende Hatz auf das Tier zu beenden. Da der Konzern nicht nur an der DNA interessiert zu sein scheint, sondern auch an einer Besonderheit, die dem Tiger nachgesagt wird – er soll angeblich ein Gift entwickeln, das extrem lähemend wirkt – begreift David immer besser, auf was und wenn er sich eigentlich eingelassen hat.
Eines Tages kommen etliche der Öko-Aktivisten auf das Grundstück um Lucys Haus. Sie wollen ein Fest feiern, da ein Gericht die weitere Abholzung des Waldes untersagt hat. David hält sich abseits, doch er empfindet immer mehr Zuneigung zu diesen Leuten und ihren Anliegen. Mitten in der Nacht tauchen die Waldarbeiter auf. Sie sitzen in ihren Wagen und bedrohen die Festegsellschaft. Unter ihnen befindet sich, nahezu unsichtbar, auch Jack Mindy. David hat längst begriffen, daß Mindy offenbar ein Doppelspiel spielt, denn ihm ist klar geworden, daß der Lucy mit ewigem Nachschub an Medikamenten in die Abhängigkeit getrieben und darin festgehalten hat.
Lucy und Martin David planen ein Picknick, als David einen Anruf seines Auftraggebers erhält. Dieser wurde von Mindy informiert, daß David sich nicht den Auftragsregeln konform verhalte. David, entnervt, macht sich umgehend auf in die Berge. Er will zu Ende bringen, was er angefangen hat. Er ahnt allerdings nicht, daß Red Leaf ihm einen Aufpasser, eher schon einen Killer (Callan Mulvey) hinterher geschickt hat. Dieser dringt nachts in das Haus der Armstrongs ein und kann hier die Koordinaten finden, die David zurückgelassen hat, damit man ihn findet, sollte er nicht wieder auftauchen.
David nimmt die Fährte des Tigers auf, wird aber unterwegs von seinem Widersacher abgefangen und festgesetzt. Dieser zwingt ihn, ihn zur Höhle zu führen. David, der die Lage seiner Fallen exakt kennt, gelingt es, den andern genau in eine solche hinein zu manövrieren. Es kommt zu einem Wettstreit, wer sich schneller befreien kann: Der Fremde aus der Falle oder David aus seinen Kabelbinder-Fesseln. Im letzten Moment gelingt es David, sich seines Gewehrs zu bemächtigen und den auf ihn zustürzenden Mann zu erschießen.
Nun macht er sich auf zur Höhle und schläft in dieser. Am Morgen des darauffolgenden Tages wird er des Tigers ansichtig. Mensch und Tier stehen einander gegenüber. Der Tiger macht keine Anstalten, die Flucht zu ergreifen. David legt mehrfach an und kann doch nicht schießen. Doch dann tötet er den Tiger und bricht weinend über dem Kadaver zusammen. Er entzündet ein Feuer und verbrennt die Überreste vollkommen. Er verstaut die Asche in dem Becher, den er Armstrongs Leiche entwendet hatte und verstreut sie schließlich auf einem Höhenzug.
Als er zur Hütte zurückkehrt, findet er diese niedergebrannt. Er sucht Mindy auf, der vollkommen verzweifelt ist und ihm erzählt, daß Lucy und Sass tot seien, der junge Bike in einem Kinderheim untergebracht wurde. David erklärt Mindy seine Verachtung, daß der alte Mann für das verantwortlich sei, was hier passiere. Dann lässt er den gebrochenen Mann zurück.
Er fährt in die Stadt und geht in das Heim. Bike sitzt alleine auf einer Bank. Als er David erblickt, hellt sich sein Gesicht auf und er läuft auf den Mann zu. Er ruft etwas, das wir jedoch nicht hören können. Daddy?
Willem Dafoe, neben dem fünf Jahre jüngeren Sean Penn der vielleicht beste Schauspieler seiner Generation, ist einer jener darstellenden Künstler, die einen Film mit ihrem facetten- und nuancenreichen Spiel alleine tragen, prägen und immer bereichern können. Gern nimmt er Rollen in durchaus trivialen Filmen an, um mit den meist höheren Gagen u.a. seine Theatertruppe finanziell zu unterstützen, doch ebenso oft findet man ihn in Produktionen, die schauspielerischen Mut erfordern, in denen er als Grenzgänger zwischen Kunst und Kommerz brillieren kann. Daniel Nettheims THE HUNTER (2011) ist selbst ein Grenzgänger zwischen kommerziellem Thriller und einem kunstvoll konstruierten Manifest für ökologische Erneuerung und den Erhalt der Natur.
Eingefasst in teils atemberaubend schöne Bilder Tasmaniens, erzählt Nettheim von der Jagd nach dem Erbgut eines bereits ausgestorbenen Tiers und davon, wie der titelgebende Jäger dieses modernen „Schatzes“, das dem beauftragenden Konzern Patente auf die DNA sichert, langsam an seinem Auftrag verzweifelt und eine tiefe Wandlung durchlebt. Dafoe gelingt eine unglaublich gute Performance in der Rolle dieses Jägers. Und bei aller Brillanz der Bilder, der Spannung der Geschichte und den ebenfalls gut besetzten Nebenrollen, ist es seine Leistung, die THE HUNTER zu mehr macht als einem jener Filme, die ihr Publikum mit einem Anliegen bedrängen, anstatt es selber denken zu lassen. Und THE HUNTER hat ein deutliches Anliegen.
Alice Addisons Buch und Daniel Nettheims Regie haben ein gutes Gespür für die Zwischentöne der Geschichte. Es gelingt dem Film, den Konflikt zwischen den Naturschützern und den Arbeitern, die Sorge um ihre in Tasmanien eh rar gesäten Jobs hegen, herauszuarbeiten, ohne dabei den Fokus auf die eigentliche Geschichte zu verlieren. Wie Defoes Martin David, der nie als Zyniker eingeführt wird, dessen Profession aber auch nie explizit erklärt wird, sich seiner Aufgabe nähert – professionell, kundig, zunächst auch kühl – und wie er sich sowohl anhand der Geschichte(n), mit denen er durch jene Familie, die ihn während seines Aufenthalts auf der Insel beherbergt, konfrontiert wird, als auch die Schönheit der Natur langsam zu verändern beginnt, gibt dem Film Wahrhaftigkeit. Geschickt vermeiden es Buch und Regie, die Perspektive derer einzunehmen, die von Anfang „auf der richtigen Seite“ stehen, also die Familie Armstrong, die wie Hippies im Wald leben und sich nahezu komplett selbst versorgen. Martin David ist genervt, als er merkt, bei wem seine Auftraggeber ihn da eingemietet haben. Er ist scheinbar ohne empathisches Empfinden gegenüber den Tieren, die er als Köder für jenen Tasmanischen Tiger, den er jagen soll, fängt, tötet und auslegt. Er stellt Fallen auf, darunter auch offenbar längst keine gängigen mehr, Schnappfallen, die Tiere durchaus leiden lassen können. Er scheint denkbar distanziert gegenüber dem Objekt seiner Jagd. Es ist die Mischung aus manchmal schon mystischem Naturerleben, der Grausamkeit seiner Auftraggeber, die offenbar bereit sind, für ihr Ziel über Leichen zu gehen, und der Erkenntnis, daß Menschen wie die Armstrongs in ihrem Kampf gegen die Zerstörung der Natur schlichtweg recht haben und dennoch auf verlorenem Posten stehen, die Martin David nach und nach erweichen und zu einem Umdenken verleiten. Oder vielleicht überhaupt erstmal ein Nachdenken über das, was er tut, einsetzen lässt. Und der Zuschauer kann und muß diese Wandlung ebenfalls durchleben, da der Film ihn nicht vom Haken lässt – wir sind in Davids Perspektive gefangen und folgen ihm, gnadenlos.
Man sollte THE HUNTER einen Gefallen tun, und den Film nicht als Thriller vermarkten, schon gar nicht als Actionfilm. Nettheims Inszenierung ist langsam, fast bedächtig, immer wieder lässt er Robert Humphreys Kamera in Flügen über die Bergkämme und Hochebenen Tasmaniens streifen, verweilt fast meditierend in stillen Blicken auf den sanft aufsteigenden morgendlichen Nebel, zeigt David auf seinen Streifzügen durch die bergige Landschaft, in der er manchmal zu verschwinden scheint. Da der Film in Herbst und Winter spielt, wirkt die Natur erhaben und einsam, entrückt und dem Menschen entzogen. Und doch ist der Mensch der Bezwinger dieser Natur. Ebenso fasziniert wie distanziert beobachtet die Kamera eben auch, wie eine schwere Maschine einen gefällten Baum in Sekundenschnelle entrindet und verarbeitet. Wir sehen die Zugfahrzeuge, die durch die Wälder brechen, hören die röhrenden Geräusche, die die Stille durchbrechen und erfüllen, wir müssen dies alles – im Kontrast zu den ruhigen Bildern der Natur – schier ertragen. Die Momente, die wirklich stören, sind immer die, in denen die Spuren menschlicher Anwesenheit auftauchen. David findet die sterblichen Überreste seines Vorgängers, die Knochen, die noch von der synthetischen Kleidung zusammengehalten werden, eine Trinkflasche aus Kunststoff in grellen Farben. Dies und die Maschinen, die Geräusche und das Aufeinandertreffen von Menschen sind Störungen eines scheinbar in sich geschlossenen Organismus.
Der Undurchdringlichkeit der Natur setzt der Film die Undurchdringlichkeit des menschlichen Wesens entgegen. Wir erfahren nie, wer genau dieser Martin David ist. Ein Wissenschaftler? Ein Söldner? Ein Jäger? Ebenso erfahren wir nie, wer wirklich hinter dem Namen Red Leaf GmbH steckt. Ein Großkonzern? Ein Biotech-Unternehmen? Ebenso, wie sich die Natur dem Menschen verschließt, verschließen sich ihm die modernen Kapitalströme und juristischen Winkelzüge, die es möglich machen, sich die Natur selbst patentieren zu lassen. Es mag klischeehaft anmuten, wenn der Konzern David eine Art Auftragsmörder hinterherschickt, der sicher stellen soll, daß der Jäger nicht nur seine Arbeit ordentlich erledigt, sondern auch liefert, was er liefern soll. In der Logik des Films und seines Kontextes ist dies aber nur allzu verständlich. Da Nettheim weder die Konfrontation mit den Waldarbeitern noch die mit dem Killer übermäßigt dramatisiert, bleibt THE HUNTER auch auf dieser Ebene seinem Sujet treu. Fast distanziert beobachtet er menschliche Händel, die im Angesicht der überwältigenden Natur immer unbedeutender erscheinen. Und doch – dafür steht die Rolle des von Sam Neill gespielten Jack Mindy, einem Einsiedler, der sich scheinbar um die Armstrongs kümmert und mit den Öko-Aktivisten befreundet scheint, in Wirklichkeit aber mit der Red Leaf GmbH gemeinsame Sache macht und David hintergeht – wirft THE HUNTER eben auch ein exemplarisches Schalglicht auf das menschliche Wesen, das sich zwischen den Ansprüchen eines natürlichen Lebens und den Anforderungen einer modernen Welt, in der alles in ökonomische Raster eingegliedert wird, entscheiden muß. Und in dieser Entscheidung nahezu zerrieben wird. Gerade Mindy, der seinen Fehler zu spät einsieht, steht stellvertretend dafür. Er ist zum Verräter an eben jenem Ort geworden, der ihn geprägt hat.
Nettheim traut sich schließlich viel, wenn er ein Aufeinandertreffen des Menschen Martin David mit dem so heiß begehrten Tasmanischen Tiger wie eine mystische Begegnung inszeniert. David hat längst begriffen, daß er die Jagd aufgeben kann, daß dies aber die Jagd nicht beenden wird. Wenn nicht er das Tier fängt, wird ein nächster und ein nächster und ein nächster Jäger kommen. In einer nächtlichen Unterhaltung mit Lucy Armstrong hat diese den bezeichnenden Satz gesagt, daß es unter Umständen vielleicht besser sei, ausgestorben zu sein, als auf ewig gejagt zu werden. Der CGI-generierte Tiger verhält sich zu David so, daß dieser und der Zuschauer fast annehmen müssen, er würde sich ergeben, gleichsam darum bitten, daß Martin David diese unwürdige Hatz endlich beenden solle – und sei es um den Preis des eigenen Lebens. Das Tier neigt sein Haupt, einem Opfer gleich. Und David – erlöst es? Es ist ein Moment, wie man ihn heutzutage nicht mehr oft in Filmen erlebt. Es ist ein existenzieller Moment, ein Moment tiefster Traurigkeit und zugleich tiefsten Verständnisses. Nettheim gelingt in diesem filmischen Moment ein wahres Kunststück, ja ein Kunstwerk. Und wir, die Zuschauer, spüren Martin Davids Schmerz, seine Trauer, durch und durch.
Einzig das Ende des Films bietet wirklichen Anlaß zur Kritik: Nachdem der Auftragsmörder das Haus der Armstrongs in Brand gesteckt und damit – willentlich oder unwillentlich – Lucy Armstrong und ihre Tochter Sass ums Leben gebracht hat, stellt sich David der Aufgabe, sich um den jungen Bike, ein scheinbar stummes Kind, das ihm mit seinen selbstgemalten Bildern geholfen hat, auf die Spur des Tigers zu kommen, zu kümmern. Im Kontext eines Films, der so stark auf Symbolik und Mystizismus setzt, findet hier auch eine Wiederherstellung patriarchalischer Muster statt. Die Frauen sind tot. Die Männer überleben. Man kann das äußerst kritisch betrachten. Man kann darin aber natürlich auch eine ironische Volte sehen. Wir zerstören Mutter Natur – wir zerstören die Frauen. Die Männer müssen weiterleben. Mit ihrer Schuld. Und ihrer Trauer.
Wenn man keinen herkömmlichen Spannungsfilm erwartet, erst recht keinen Actionstreifen, sondern ein eher ruhiges Drama, ein Drama, das sich im Innern eines Mannes abspielt und sich in der Umgebung, in der er sich bewegt, spiegelt, wird man bei THE HUNTER mit einem wirklich großartigen Film belohnt, der mit seinen Bildern und mehr noch mit der schauspielerisch brillanten Leistung seines Hauptdarstellers überzeugt. Ja, es ist ein Film, der seinem Publikum etwas mitteilen, ein Film, der sogar überzeugen will. Doch durch eine geschickte Konstruktion, die den Zuschauer zunächst auf der „falschen“ Seite positioniert, gelingt es ihm, sein Anliegen subtil zu vermitteln und den Betrachter sukzessive auf seine Seite zu ziehen. Wenn der Abspann läuft und der zurückhaltende Score noch nachklingt, wünscht man sich nur eins: Mehr davon!