DER ENGLÄNDER, DER IN DEN BUS STIEG UND BIS ANS ENDE DER WELT FUHR/THE LAST BUS

Ein Feelgood-Movie mit allem, was dazugehört - im Guten wie im Schlechten

Tom (Timothy Spall/Ben Ewing als junger Mann in den Rückblenden) lebt mit Mary (Phyllis Logan/Natalie Mitson als junge Frau in den Rückblenden) in John O´Groats, einem Kaff im nördlichsten Schottland. Hierhin hatte es die beiden in jungen Jahren verschlagen, nachdem sie ein Kind verloren hatten und nur noch weg wollten aus Land´s End, ihrer Heimat im äußersten Südwesten Englands.

Mary wollte nie zurück, obwohl Tom mehrfach vorgeschlagen hatte, noch einmal nachhause zu fahren. Zu tief der Schmerz ihres Verlusts.

Nun ist Mary – unheilbar an Krebs erkrankt, wie Tom selbst – gestorben und der Alte hat ihr versprochen, sie heim zu bringen. Um dieses Versprechen wahr zu machen, will er öffentliche Verkehrsmittel – vor allem die Busse – nutzen, da sein Seniorenausweis ihm erlaubt, den Nahverkehr umsonst in Anspruch zu nehmen.

So setzt er sich also eines Tages in den entsprechenden Bus und fährt los.

Er hat sich einen genauen Plan gemacht, wo er aussteigen und die Busse wechseln muß, für Übernachtungen hat er sich in diversen Pensionen eingemietet. Daß dabei nicht immer seine Wünsche – so wollte er bspw. in genau jenem Zimmer übernachten, in welchem er einst mit Mary schlief – in Erfüllung gehen, nimmt er nach kurzzeitigem Ärger hin.

Tom hat für die Menschen die ihm begegnen – ein junger Mann, der sich zur Armee melden will, aber nicht genau weiß, weshalb; einen Aufschneider, der morgens im Hotel von der Bedienung, aber auch von Tom wissen will, ob das nächtliche Liebesspiel mit seiner Partnerin irgendwen gestört habe; Menschen in Bussen und an Bushaltestellen, die warten – meist einen guten Rat parat, er interessiert sich für sie, er möchte mit ihnen in Interaktion treten und merkt doch, wie müde er ist. Ihn treibt die Angst um, es nicht zu schaffen, daß seine Kraft nicht reicht für die nahezu 1400 Kilometer.

Auch begegnen ihm hier und da unangenehme Zeitgenossen. Eine Junkie-Frau versucht, seinen Koffer zu klauen, in dem Marys Asche liegt. Mit Hilfe einer couragierten Mitreisenden gelingt es Tom, den Koffer zurück zu erhalten. Und doch rührt ihn das Schicksal der Frau, die ihn bestehlen wollte, und er gibt ihr Geld.

Bei anderer Gelegenheit landet er, leicht verletzt, auf den Straßen Glasgows, wo ihn ein Paar aufliest und mit nachhause nimmt, wo er Teil der Freude wird, die die stolzen Eltern über einen erfolgreichen Auftritt ihrer Tochter empfinden.

In einem Bus wird Tom Zeuge, wie ein junger Rüpel eine verschleierte Muslima anpöbelt. Tom greift ein und wird von dem jungen Kerl niedergestreckt, doch die Businsassen kommen Tom zur Hilfe.

Auf einem Bahnsteig in Liverpool gerät Tom zwischen eine Gruppe junger Mädchen, die einen Junggesellinnenabschied feiern, und einer Gruppe Fußballfans. Die beiden Gruppen singen um die Wette und ein alter Kerl, der sich an seinem Flachmann festhält, macht mit und singt Amazing Grace in das Tom schließlich einfällt und alle Anwesenden betört.

Tom hilft einem Mann, dessen Wagen von der Straße zu schieben – nicht ganz ohne Eigeninteresse, da er Angst hat, seinen Zeitplan nicht einhalten zu können – , bei anderer Gelegenheit bittet er – erneut aus Angst, daß ihm die Kraft ausgeht und er keine Zeit mehr hat, um den Weg zurückzulegen – den Fahrer eines Busses, sich den Motorschaden des Wagens ansehen zu dürfen, er verstünde etwas davon, er sei Mechaniker gewesen. Tatsächlich gelingt es ihm, den Bus wieder in Gang zu bringen.

Bei all diesen Gelegenheiten filmt irgendwer mit seinem Smartphone die Vorgänge. Ohne sein Wissen wird Tom nach und nach zu einer Berühmtheit im Internet. Er ist der „Bus-Mann“.

Und immer wieder schläft Tom unterwegs ein, verpasst auch schon mal seinen Anschluß, weil er nicht rechtzeitig wach wurde und aussteigen konnte. Und in seinen Dämmerzuständen wird er von Erinnerungen geflutet, Erinnerungen an seine Reise in den Norden, damals, mit Mary. Und gelegentlich scheint ihn seine tote Frau heimzusuchen, ihm Mut zu machen – ihn aber auch zu rufen. Es ist Zeit, scheint sie ihm zu sagen.

Irgendwo in England schließlich verweist ihn ein Schaffner des Busses, weil der Seniorenpass ausschließlich für Schottland gelte. Tom steht einsam und allein auf einer Landstraße mitten im Nirgendwo. Ein Lieferwagen hält neben ihm. Ein ukrainischer Fremdarbeiter steigt aus und nötigt Tom mehr oder weniger, einzusteigen. Denn auch dieser Mann erkennt Tom. So landet er auf einer ukrainischen Geburtstagsfeier. Doch so schön das Fest ist – Tom muß weiter.

Die letzten Meilen seines Weges fällt Tom auf, daß ihn die Busfahrer durchwinken, niemand mehr sein Geld will. Im Gegenteil, sie scheinen stolz zu sein, daß der „Bus-Mann“ in ihren Wagen steigt.

Und so erreicht er schließlich Land´s End. Hier erwartet ihn bereits eine kleine Menschenmenge. Er wird beklatscht und in Empfang genommen. Doch Tom will keine weiteren Festlichkeiten. Er will endlich seinen Job erledigen, sein Versprechen einlösen – denn seine Kraft schwindet.

Und so verteilt er Marys Asche im Meer. Er besucht den Friedhof, auf dem ihr Kind begraben liegt und findet dort sogar noch den verrotteten Rest des Stoffhasen, den sie ihm einst gekauft hatten.

Und so endet Toms Reise – die durch Großbritannien, aber auch die Reise seines Lebens.

THE LAST BUS (2021) ist gut und gern als klassisches Feelgood-Movie einzuordnen. Leider ist er dann auch wirklich nicht mehr als das. Der Zuschauer wird auf die Sentimental Journey eines alten Zausels mitgenommen, der die Asche seiner verstorbenen Frau von der nördlichsten Spitze Schottlands, wohin er und seine Gattin einst zogen, weil eine schmerzhafte Tragödie sie aus ihrem Heimatort vertrieb, an den südlichsten Zipfel Englands bringen will, woher die beiden stammten. Er bedient sich des öffentlichen Nahverkehrs und hat sich eine Route ausbaldowert, die es ihm erlaubt, mit seinem Seniorpass umsonst lokale Busse zu nutzen. Zumindest denkt er das, bis er irgendwo in England von einem unfreundlichen Schaffner darauf hingewiesen wird, daß diese Regelung nur in Schottland gilt. Doch zu diesem Zeitpunkt ist der alte Tom bereits eine Berühmtheit, ein Internetphänomen. Denn unterwegs trifft er Menschen, wird in diverse Situationen verwickelt, stellt sich miesen Typen in den Weg und singt an einer Haltestelle Amazing Grace und wie es so zugeht im 21. Jahrhundert, wird er dabei natürlich immer mal wieder von Neugierigen gefilmt. Und diese Filmchen, wir ahnen es, landen durchweg im Internet, gehen viral, machen Tom, den „Bus-Mann“ zu einer Celebrity, wie man heutzutage sagt. Doch nichts, kein Widerstand, keine Hürde und auch keine neuen Freunde können ihn von seinem Ziel abbringen: Er muß nach Land´s End, um dort die Asche seiner geliebten Mary zu verstreuen. Und da auch in ihm der Krebs bereits wütet, ist sein Anliegen dringend und drängend, weiß er doch nicht, ob seine Kraft reichen wird, um den langen Weg zu schaffen.

Timothy Spall, der hier auch als Produzent in Erscheinung trat, spielt diesen Tom. Ein aufrichtiger Mann, der das Herz am rechten Fleck trägt, der ein ordentliches Leben gelebt hat, eine große Liebe hatte und mit dieser einen großen Verlust erleiden musste. In Rückblicken und Erinnerungsfetzen wird dem Zuschauer von diesen Eckdaten in seinem Leben berichtet. Wie er und Mary einander begegneten, wie sie sich verliebten, ein Kind bekamen und verloren und aufgrund dieses Verlusts so weit wie irgend möglich von ihrer Heimat wegwollten. Und das war eben John O´Groats im hohen, hohen Norden. Hier haben sie ihr Leben gelebt, hier erfuhr Mary von ihrer Krebserkrankung und hier ist sie auch gestorben – wohl wissend, daß es ein Fehler war, nie nach Land´s End zurückzukehren, sich möglicherweise dem Schmerz zu stellen, der ihrer beiden Leben überschattete. Nun will der ebenfalls sterbenskranke Tom sein letztes Versprechen einlösen und sie „nachhause bringen“.

Es ist eine One-Man-Show, die Regisseur Gillies McKinnon und Drehbuchautor Joe Ainsworth hier für ihren Hauptdarsteller bereiten. Spall trägt den episodenhaften und ein wenig zerrissen wirkenden Film nahezu allein. Einmal mehr kann er seine außergewöhnliche Schauspielkunst unter Beweis stellen, seine Befähigung, einen grummeligen Unterton mit Charme zu verbinden, der es erlaubt, ihn immer liebenswert zu finden. Es ist sicherlich nicht seine anspruchsvollste Rolle, aber dafür eine seiner wärmsten. Tom ist unterwegs und er ist entschlossen – aber auch voller Trauer und Melancholie. Ohne viele Worte gelingt es Spall genau diese Mischung erlebbar zu machen und es gelingt der Regie, immer die passenden Bilder dazu zu liefern. Allerdings lässt sie dabei viele Möglichkeiten aus. Denn anfangs wirkt dies auch wie der Trip eines aus der Welt Gefallenen, der dieses Land, Großbritannien nach dem Brexit, nach langer Abwesenheit unter die Augen nimmt. Daß der trauernde Tom sich nicht wundert, im Gegenteil das, was ihm begegnet, immer weise und gleichmütig hinzunehmen bereit ist, sollte nicht verwundern. Daß aber der Film, McKinnons Regie und die Kamera von George Geddes sich ebenfalls nicht sonderlich über dieses Land zu wundern scheinen, fällt doch auf. Stattdessen bieten sie das Portrait eines Landes, das auf angenehme Art fortschrittlich wirkt: Gemischtrassige Paare, die den alten Mann aufnehmen, hilfsbereite Menschen, die auch mal hinter einer Junkie-Frau herrennen, die dem alten Tom den Koffer klauen will. Und die dann selbst derart hilfsbedürftig ist, daß Tom ihr gleich mal zehn Pfund schenkt.

Eigentlich wäre dies eine hervorragende Gelegenheit gewesen, dieses Land einmal genauer in Augenschein zu nehmen und man fragt sich, was bspw. ein Mike Leigh aus solch einer Vorlage gemacht hätte. Aber nun war es eben Gillies McKinnon, der Regie führte, und dem schwebte offenkundig anderes vor. So lässt er Spall durch einige Situationen stolpern, die letztlich nur dadurch zusammengehalten werden, daß sie irgendwer filmt und online stellt. Und dabei wird das Bild einer Gesellschaft gezeichnet, in der alles irgendwie modern und halbwegs gerecht zugeht, ein Land, das Tom gut seiner Zukunft überlassen kann. Da gibt es kaum Berührungspunkte zwischen dem Alten und denen, die er trifft, mal mehr, mal weniger kennenlernt. Sie ziehen an ihm vorbei, wie er an ihnen. Tom und Großbritannien scheinen sich immer nur momentweise zu begegnen und nur selten zu berühren. Seine Mission ist ihm das Wichtigste, was im Kontext des Films auch einleuchtet.

Allerdings ist es wenig um anderthalb Stunden Filmlänge spannend zu füllen. Zu vorhersehbar sind die Ereignisse, die dem Alten begegnen und widerfahren, zu vorhersehbar seine aufrechte Haltung, wenn er bspw. als einziger in einem Bus eine verschleierte Muslima gegen die Angriffe eines jungen weißen Rüpels verteidigt. Am ehesten fällt dabei noch auf, daß es hier fast ausnahmslos Männer sind, die die Ordnung stören, die sich ungebührlich betragen und aggressiv auftreten. Die Junkie-Frau ist da die Ausnahme und so, wie McKinnon sie zeigt, erregt sie bestenfalls Mitleid, sicherlich ist sie keine echte Bedrohung. Sie ist ein Opfer. Das Einzige übrigens, das der Film im Grunde zeigt. Man gewinnt den Eindruck, daß sie als eine Art Alibi-Opfer eingeführt wurde, damit dieser Trip nicht zu positiv ausfällt. Eine freundliche Gesellschaft, die fröhlich und begeistert an dem Schicksal des Alten teilnimmt. Das ist erbauend und macht gute Laune, aber es ermüdet dann auch ein wenig, daß es gar keine zweite Ebene gibt, keinen Spannungsbogen, keine Entwicklung. Tom fährt Bus und gerät immer wieder an helfende Hände – und kann hier und da auch selbst mal helfen.

Nun gut, warum nicht? Was ist gegen einen Film einzuwenden, der einmal nicht vom Grauen dieses Lebens und dieser Gesellschaften erzählt, sondern davon, daß es auch viel Solidarität und Hilfsbereitschaft gibt? Ein Film, der positive Lösungen und Entwicklungen beschreibt, anstatt von Häme und Gewalt zu erzählen? Nichts. Gar nichts ist dagegen einzuwenden. Es ist halt – als Film, wohlgemerkt – irgendwann langweilig. Es folgt keiner Dramaturgie und wirkt dadurch eben einfach wie der bebilderte Trip eines Busreisenden. Es erinnert ein wenig an diese Dia-Abende, an denen Freunde von Freunden ihre Bilder von ihrer Radtour durchs Himalaya oder das australische Outback zeigen und man mit Geschichten von freundlichen Menschen und allerlei skurrilen Situationen unterhalten wird. Man hört eine Weile zu, zunächst auch interessiert, doch nach und nach merkt man, wie man abschweift, über die Termine des kommenden Tags nachdenkt oder darüber, was die Kollegin heute eigentlich mit dieser Bemerkung am Kopierer gemeint hatte. Das Interesse lässt nach und man ist froh, daß man jederzeit wieder in den Fluß der Erzählung einsteigen kann, ohne Wesentliches verpasst zu haben.

So bleiben vor allem Timothy Spall und sein Spiel hervorzuheben. THE LAST BUS ist als Film schlicht zu durchschaubar und zu vorhersehbar. Spall geht, nein, er stapft, wankt und stolpert durch die Abenteuer des alten Tom und bewahrt immer seine (und dessen) Würde, gleich ob er verloren an einer Bushaltestelle im Nirgendwo sitzt oder verletzt im Regen in einer Gasse in Glasgow hockt. Dieser Tom muß dem Publikum einfach ans Herz wachsen – und um das zu unterstützen, wird Tom zum Internetstar. Jeder mag ihn, also auch der Zuschauer. Timothy Spall sei´s gegönnt.

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