DAS LEUCHTEN DER ERINNERUNG/THE LEISURE SEEKER

Paolo Virzi bietet in seiner ersten amerikanischen Produktion ein manchmal zu beschönigendes Bild einer Demenzerkrankung

John Spencer (Donald Sutherland), ein literarisch hochgebildeter pensionierter Lehrer, leidet an einer Demenzerkrankung. Gelegentlich weiß er nicht, wo er sich befindet, manchmal erkennt er die Menschen in seiner Umgebung nicht mehr. Die Daten der von ihm geliebten Dichter kennt er allerdings und lange Auszüge aus ihren Werken kann er immer noch rezitieren. Ella (Helen Mirren), seine Frau, erholt sich langsam von einer Krebserkrankung.Eine Folgebehandlung steht an und sie soll für eine gewisse Zeit in eine Reha.

Sie beschließt, das alte Wohnmobil, mit dem die beiden etliche Reisen durch die Staaten gemacht haben, noch einmal zu aktivieren und gen Florida aufzubrechen, um Hemingways Haus auf den Florida Keys zu besuchen, ein alter Traum von John. So  brechen die beiden in Massachussetts auf und John fährt den Camper mit der alten Leidenschaft und dem alten Können – das Fahren hat er nicht verlernt.

Unterwegs muß das Paar sich allen möglichen Widrigkeiten stellen: Ein Polizist hält sie an und will Johns Fahrtauglichkeit prüfen, Ella wird von ihrem Gatten nach dem Tanken an einer Raststätte vergessen und findet einen freundlichen Biker, der sie zum Camper bringt, zwei Jungspunde sehen in einer Panne des Wohnmobils ihre Chance gekommen, ein altes, scheinbar wehrloses Paar ausrauben zu können, was die resolute Ella mit der mitgeführten Flinte zu verhindern weiß. Während einer Kundgebung für Trump – es ist Wahlkampf – schließt sich der Demokrat John den Anhängern des Populisten an und fühlt sich pudelwohl, was Ella schier zur Verzweiflung treibt

Abends, auf den diversen Campingplätzen, wo sie Halt machen, zeigt Ella ihrem Gatten Dias aus gemeinsamen Zeiten, um sein Gehirn irgendwie aufzufrischen. Immer wieder schauen die kleinen Vorträge auch fremde Zuschauer, die dieses ältliche Paar anrührend finden. Doch es kommt auch immer wieder zu Momenten, in denen Ella nicht weiß, wie es weitergehen soll. John verliert immer häufiger den Bezug zur Realität, weiß gelegentlich nicht, wer sie ist und oft schaut er sich hilflos um, weil er Zeit und Ort verloren hat.

Daheim machen sich die Kinder des Paars große Sorgen, vor allem Sohn Will (Christian McKay) will wissen, wo die beiden stecken und sie heim holen. Seine Schwester Jane (Janel Moloney) sieht die Sache nach anfänglicher Besorgnis lockerer und so brechen zwischen den Geschwistern ernsthafte Konflikte auf, die Jahre lang unterdrückt wurden. Will wirft seiner erfolgreichen Schwester, einer College-Professorin, ihre Abwesenheit vor und daß sie immer das Liebelingskind gewesen sei.

John kommt vor allem in Momenten, in denen er Zeit und Raum verliert, immer wieder auf Ellas ersten Freund Dan Coleman (Dick Gregory) zu sprechen. Er verdächtigt Ella, mit diesem nach wie vor eine Affäre zu haben und schließlich nervt er sie so sehr, daß sie herausfindet, wo Dick lebt. Da sie selbst aus South Carolina stammt und der Weg die beiden so oder so durch den Staat führt, suchen sie Dan auf, der in einem Altenheim lebt. John fuchtelt mit der Flinte vor Dan herum und fordert ihn auf, ihm endlich zu erklären, woher Ella ihre Fixierung auf Boxershorts habe. Mit viel Glück gelingt es Ella, beide aus der ausgesprochen peinlichen SItuation zu befreien.

Johns an sich charmante Art bringt ihn immer wieder mit Gelegenheitsbekanntschaften, Kellnerinnen oder Nachbarn auf den Campingplätzen in Kontakt, die den alten 1975er Winnebago bewundern, den das Paar fährt. Ella findet diese Begegnungen nicht immer erfreulich, vor allem Johns Art, sich mit jungen Frauen anzufreunden, stößt auf ihr Mißfallen.

Sie selbst spürt ihre Kräfte schwinden und immer öfter braucht sie Auszeiten, um sich von den Strapazen der Reise zu erholen. Eines Nachts, die beiden haben den Camper in einem abgelegenen Winkel eines Rastplatzes geparkt und sitzen vor ihren Dias, hören sie ein Geräusch und fürchten, daß wilde Tiere in der Nähe sind. Doch Ella verlassen die Kräfte und beide stürzen. Sie kann sich mit letzter Kraft in den Camper schleppen, John bleibt einfach auf dem Waldboden liegen und schläft ein.

Als sie bereits Florida erreicht haben, kommt es zu einer für Ella traumatischen Szene: John hält sie offenbar für die gemeinsame Nachbarin Lillian und macht dieser klar, daß die gemeinsame Affäre nun zuende sei, denn Ella bekäme ein Kind und er liebe seine Frau und wolle ganz für sie da sein. Zutiefst gekränkt, beschließt Ella, sich all der Widrigkeiten, die das Leben – und Reisen – mit einem demenzkranken Ehemann bedeuten, zu entledigen und bringt John mit einem Taxi in ein örtliches Pflegeheim, wo sie ihn einfach zurücklässt.

Die folgende Nacht wird ihr zu einer Katharsis. SIe trinkt viel zu viel, ruft ihre Tochter an, quält sich mit Gedanken an ein Leben, das plötzlich sinnlos und falsch erscheint und beschließt dann doch, ihren John zurück zu holen. Ohne viel Aufhebens fährt sie erneut zum Heim und holt John wieder in den Camper.

Sie fahren weiter und erreichen schließlich ihr Ziel. Hier findet eine Hochzeit statt und generell entpuppt sich das Haus des Autors als eine Touristenfalle, was John aber nicht davon abhält, sich unter die Gäste zu mischen, kräftig mitzufeiern und auch einem Tänzchen mit der Braut verwehrt er sich nicht. Er bekommt allerdings nicht mit, wie die vollkommen entkräftete Ella zusammenbricht und mit einem Notfallwagen in eine Klinik transportiert wird. Es ist Zufall und reinem Glück geschuldet, daß der hilflose John schließlich herausfindet, wo seine Frau abgeblieben ist. Er fährt zur Klinik.

Dort wird ihm mitgeteilt, daß Ella einen Tumor hat, der ihr nur noch wenige Wochen Lebenszeit gewährt. John versteht die komplizierte Sprache der Ärzte nicht. Ella, die sich halbwegs erholt hat, entlässt sich selbst. Abends im Camper schreibt sie einen Brief an ihre Kinder und erklärt ihr Verhalten und Vorgehen, wie sehr sie John liebe und immer geliebt habe und daß sie ihn nicht allein zurück lassen könne. Dann mixt sie für beide einen Cocktail, damit sie tief schlafen, und öffnet eine schon lange vor der Reise installierte Vorrichtung, um die Abgase des Campers ins Innere des Wagens zu leiten.

Am folgenden Morgen werden John und Ella tot geborgen. Sie werden in ihrer Heimat bestattet.

Spätestens seit Dustin Hoffmans Darstellung eines Autisten in Barry Levinsons RAIN MAN (1988) gelten Behinderte jedweder Art als sichere Bank, will man sich einen Oscar erspielen. Daniel Day Lewis bekam ihn für MY LEFT FOOT: THE STORY OF CHRSTY BROWN (1989), Robert De Niro konnte sich immerhin eine Nominierung für AWAKENINGS (1990) erspielen und Russel Crowe errang ebenfalls eine Nominierung für A BEAUTIFUL MIND (2001), wodurch auch psychische Erkrankungen wie Schizophrenie leinwandtauglich wurden. Und Julianne Moore errang den Oscar schließlich für ihre wirklich ergreifende Darbietung als Alzheimer-Patientin in STILL ALICE (2014). Damit war eines der letzten Tabus auf der Leinwand gebrochen und auch die Demenz fand Eingang in den Kanon der filmisch ernsthaft  zu bearbeitenden Erkrankungen.

Daß man das Thema spielerisch bearbeiten kann, versuchte der deutsche Regisseur und Schauspieler Till Schweiger mit Dieter Hallervorden in der Hauptrolle in HONIG IM KOPF (2014) zu beweisen und traf kommerziell damit ins Schwarze; über die Qualität seines Films und die Verarbeitung des Themas kann man hingegen streiten. Der italienische Regisseur Paolo Virzi hat mit THE LEISURE SEEKER (2017) nun seine eigene, mit leisem Humor verfeinerte, dramatische Behandlung des Themas vorgelegt. Und beweist seinerseits, daß Humor und Drama, ja, vielleicht sogar Tragik, nicht weit voneinander entfernt liegen, sich möglicherweise sogar bedingen, will man das eine wie das andere glaubwürdig vermitteln. Daß eine Demenzerkrankung nicht komisch ist, weiß man. Und doch hat diese Krankheit ihre ganz eigenen komischen Seiten, die man gelegentlich sehen muß, um die sich darin entfaltende Tragödie, gerade als Außenstehender, überhaupt ertragen zu können. Das Verschwinden eines Menschen in sich selbst zu beobachten und miterleiden zu müssen, kann Angehörige und Freunde – oder eben Lebenspartner – auf eine der härtesten Proben stellen, die das Leben für uns bereit hält.

Donald Sutherland gibt den ehemaligen Lehrer John, der mit seiner an Krebs erkrankten Frau Ella – kongenial von Helen Mirren dargestellt, die ihrerseits eine Nominierung bei den Golden Globes 2018 als beste Hauptdarstellerin erringen konnte – einen letzten Trip mit dem Wohnmobil unternimmt. Sutherland beweist dabei einmal mehr, welch große schauspielerische Klasse er besitzt, ohne auf eine Nominierung oder Trophäe zu schielen. Überzeugend wirkt das. Überzeugend wirkt dieser alternde Lehrer, der sich gelegentlich einnässt, mit großer Hartnäckigkeit endlich wissen will, was aus Ellas erstem Freund geworden ist, der gerade noch eine herzerwärmende Geschichte über die gemeinsamen Kinder erzählt und im nächsten Moment nicht mehr  weiß, wo er ist. Und der in einer der ergreifenderen Szenen des Films darauf beharrt, daß er „Ich“ sei – Ich, Ich , Ich. Letzte verzweifelte Versuche, sich an sich selbst festzuhalten. So leicht Sutherlands Spiel die Krankheit zu antizipieren scheint, so leicht inszeniert Virzi sein Sujet. Mit Liebe zu seinen Protagonisten und sichtlich ohne Interesse, sie in allzu große Bedrängnis zu bringen, eher an inneren Kämpfen und innerem Leiden interessiert, als daran, „komische“ Situationen, resultierend aus der Konfrontation des Alters und der Hinfälligkeit mit einer rüden Wirklichkeit, zu generieren, entfaltet der Regisseur sein Road-Movie, das THE LEISURE SEEKER im Kern nun einmal ist.

Basierend auf dem Roman von Michael Zadoorian, schrieb Virzi mit Unterstützung einiger Bekannter das Drehbuch. Er konzentriert sich dabei ganz auf seine beiden Hauptdarsteller und stellt jenen Teil der Story, der ihre besorgten Kinder betrifft, deutlich zurück. Wissend, daß sie nur noch wenig Zeit miteinander haben werden, macht sich das Ehepaar auf den Weg von Massachusetts nach Florida, die Ostküste hinunter, um Hemingways Haus auf den Florida Keys zu besichtigen. Ein lang gehegter Traum. Unterwegs werden sie Opfer einiger Widrigkeiten – darunter ein versuchter Raubüberfall, den die energische Ella beherzt abzuwehren versteht – um schließlich in der Touristenfalle, die die Villa des Erfolgsautors mittlerweile darstellt, zu landen, wo es zu einer letzten dramatischen Entwicklung kommt. Unterwegs zeigt Ella ihrem langsam entschwindenden Gatten Dias aus der gemeinsamen Vergangenheit und müht sich, ihn so lange wie möglich in der Gegenwart zu halten. Einen Bruch führt erst sein ungewolltes Geständnis herbei, eine jahrelange Affäre mit der Nachbarin Lillian gehabt zu haben. Da er sich in Zeit und Raum verirrt, erklärt er Ella anstelle von Lillian, daß man sich trennen müsse, da Ella ein Kind erwarte. Doch auch diese Klippe umschifft Ella schließlich nach einer langen Nacht mit vielen in Whiskey ertränkten Tränen. Sie holt den zwischenzeitlich in einem Pflegeheim abgegebenen Gatten wieder zu sich und führt den Plan, den sie von Anfang an im Kopf hatte, präzise aus.

Das Wesen des Road-Movies ist das Episodische. Bestenfalls wird die Reise zu einem Spiegelbild innerer Entwicklung und eines Reife- oder Erkenntnisprozesses. Auf diesen Aspekt allerdings verzichtet Virzi weitestgehend. Und wie sollte ein an Demenz Erkrankter noch eindringliche Erkenntnisse haben? Die Entwicklung dieser Reise ist einerseits rückwärts gewandt, da sich John zusehends rückentwickelt und Ella sich müht, ihn mit Bildern und Geschichten in das eigene Leben zurück zu holen, andererseits aber steuert sie auf einen finalen Fluchtpunkt zu, der sich logisch aus der Geschichte dieses Ehepaars und seiner Krankheiten ergibt. Johns ungewolltes Geständnis wird im Kontext des Films schlicht zu einem weiteren Umstand der Demenzerkrankung und Ellas Umgang damit reiht sich in jene gelegentlich eingestreuten Szenen, in denen durchaus gezeigt wird, wie sehr das Leben an der Seite eines seine Erinnerung und letztlich sich selbst Verlierenden anstrengen kann, wie sehr es an den Nahestehenden zehrt. Virzi zeigt eher „eines langen Tages Reise in die Nacht“ und setzt dabei auf die Liebe als letztgültige Motivation. Ein gelebtes Leben, die Höhen und Tiefen, die gemeinsam gemeistert wurden, das Vergehen der Leidenschaft, die Kameraderie – dies sind die wesentlichen Punkte dieses im Grunde heiteren Trips. So sind es einzelne Szenen, die den Zuschauer packen, weniger die Reise an sich, die sich en gros als problemlose Fahrt über die Highways und Freeways und nur gelegentlich in den Backroads darstellt. Dem kommt zugute, daß John bei aller Vergesslichkeit das Fahren immer noch beherrscht und es ihm große Freude bereitet.

Es werden ebenso schöne wie bedrückende Aspekte des Alters generell und des Alterns unter den spezifischen Bedingungen einer Demenzerkrankung aufgegriffen und gezeigt – so scheuen sich Sutherland und Mirren nicht, eine Sex-Szene zu spielen, die in ihrer Brüchigkeit ebenso anrührend wie komisch wirkt; ebenso wird aber auch gezeigt, was es bedeutet, wenn zwei Alte, deren Knochen nicht mehr so wollen, wie sie sollen, nicht mehr vom Waldboden hochkommen und mit letzter Anstrengung in den Camper kriechen müssen. Oder einfach draußen liegen bleiben, wie John, der die Situation weder als bedrohlich noch erniedrigend begreift. Es halten sich lebensmutige und lebenstragische Momente in der Balance, ergänzen einander und es entsteht ein generell eher unaufgeregtes Bild des Alter(n)s. Sei es die Episode, in der John Ella mehr oder weniger zwingt, ihren alten Freund Dan aufzusuchen, der sich als Schwarzer entpuppt und die aus South Carolina stammende Ella als lebenslangen Freigeist ausweist, sei es Johns Begeisterung für Trumps „Make America Great Again!“ – Geschrei: Nichts von alldem hat im Film eine tiefergehende Konsequenz oder Bedeutung, nichts zeitigt bleibende Folgen. Immer gelingt es Ella, John aus diesen Situationen zu befreien, nachsichtig mit ihm zu sein und so bleiben diese Episoden rein anekdotisch, haben scheinbar keinen tieferen Sinn, als den, zu unterhalten. Die wirklich tiefgreifende und erschütternde Veränderung, die ein Charakter durch eine Demenzerkrankung durchläuft, wird so eher oberflächlich abhgehandelt. Ellas Liebe wird – außer durch Johns ungewolltes Eingeständnis der Affäre mit Lillian – nicht in Frage gestellt. Manchmal fragt man sich als Zuschauer dann, ob das Ganze nicht doch ein wenig zu beschönigend, die Liebe als alles möglich machende Kraft zu romantisch dargestellt wird. Und letztlich braucht Virzi ein zumindest trauriges Ende, um seinen Plot dramaturgisch abzuschließen. Und selbst dieses Ende wird zur Beglaubigung der tiefgreifenden Liebe des Paars. Da erfüllt der Italiener in seiner ersten amerikanischen Produktion die Regeln Hollywood dann doch im Übermaß.

Alles in allem bietet THE LEISURE SEEKER gute Unterhaltung bei einem durchaus schwierigen Thema und wird diesem auf angenehme, manchmal vielleicht zu leichte Art und Weise gerecht. Ein entspannter Film ist das, der zwei extrem entspannten und am Ende ihrer Karrieren immer noch hervorragenden Schauspielern die Möglichkeit bietet, ihr ganzes Können noch einmal unter Beweis zu stellen. So ist der Film auch deshalb schon sehenswert, weil man diesem außergewöhnlichen Paar zuschauen darf.

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