DIE IDEALISTEN/THE COMMITTED

Viet Thanh Nguyen legt den Nachfolger zu DER SYMPATHISANT vor und verhebt sich ein wenig am dialektischen Gewicht

Hui, hier nimmt es einer nochmal richtig ernst mit der Dialektik – oder zumindest einer Vulgärversion davon. Nach seinem aufsehenerregenden Debut THE SYMPATHIZER (2015), wofür ihm der Pulitzer Preis verliehen wurde, legt Viet Thanh Nguyen mit THE COMMITTED (Original 2021; Dt. DIE IDEALISTEN, 2021) den Nachfolger vor, nach der Aussage des Autors wohl der mittlere Band einer angestrebten Trilogie.

Der namenlose Held, der sich in seinen gefälschten Papieren den Scherz erlaubt, sich Vo Danh zu nennen – dem vietnamesischen Pendant zum westlichen Anonymus – und damit seinen Status als Namenloser, als Flüchtling unter Millionen Flüchtlingen betont, ist, nach seinen Erlebnissen in den USA und Vietnam, wohin er mit einer konterrevolutionären Kampftruppe eingesickert war, verhaftet, gefoltert und schließlich zu einem über 500 Seiten langen Geständnis genötigt worden war, das dann DER SYMPHATISANT wurde, in Paris gestrandet. Gemeinsam mit seinem Freund Bon, einem Kommunistenhasser, arbeitet er für seinen alten Boss, der nun nicht mehr in Revolution, bzw. Konterrevolution macht, sondern in Drogen.

Wer sich erinnern mag, weiß noch, daß der icherzählende Held im Herzen ein Kommunist ist, zugleich aber längst die Widersprüche und Untiefen dieser Ideologie entdeckt hat. Hinzu kommt die besondere Disposition seiner Abstammung: Die Mutter Vietnamesin, der Vater ein französischer Priester und Missionar, ist er zwischen der vietnamesischen Kultur und der französischen Dekadenz hin und hergerissen, kann er doch beidem allerhand abgewinnen. Und so zerreißt es ihn schier, kann er die dialektische Bewegung aus These, Antithese und Synthese, die sich allerdings nie zufriedenstellend einzustellen scheint, gleich an der eigenen Person empfinden. Im übertragenen Sinne ist er Herr und Knecht, basierend auf Hegels berühmten Gleichnis, in einer Person. Und so kann dieser Vo Danh, so kann Viet Thanh Nguyen, anhand der eigenen Geschichte über Kolonialismus, Rassismus, über Unterdrückung, Verachtung und, was vielleicht im Kontext dieses Buches das Wesentliche ist, über die Selbstverachtung, den Selbsthass jener reflektieren, die kolonialisiert wurden und oftmals in einem Bewußtsein vermeintlicher kultureller Unterlegenheit aufwuchsen.

Obwohl der Ich-Erzähler ganz offensichtlich über ein hohes Maß an Intelligenz und Selbstreflektion verfügt, bleibt sein Narrativ für den Leser allerdings prekär, schwierig einzuordnen. Wie der Leser am Ende von Band eins begreifen musste, es mit einem letztlich erzwungenen „Geständnis“ zu tun zu haben, wodurch all das zuvor Gelesene in Frage gestellt wurde, konnte man sich doch mit einmal nicht mehr sicher sein, ob hier einer Rechenschaft ablegt oder doch nur gefällig schreibt, um sein Leben zu retten – hinzu kam, daß sein Verhöroffizier sein früherer Blutsbruder Man war – so wird der Leser hier nun von Beginn der Erzählung an vor das Problem gestellt, nicht mehr zu wissen, mit wem er es zu tun hat. Mal ist von einem Ich die Rede, mal von einem Wir, womit wahlweise die zwei Seelen in der Brust des Erzählers bezeichnet werden, durchaus aber auch das Heer der Flüchtlinge oder das Kollektiv des vietnamesischen Volkes. So werden die Lektüren, denen er sich anvertraut und denen er vertraut – allen voran die Schriften Frantz Fanons – zur einzig verlässlichen Konstante der Erzählung.

Fanons DIE VERDAMMTEN DIESER ERDE oder auch sein SCHWARZE HAUT, WEISSE MASKEN werden im Kontext von DIE IDEALISTEN zu Beglaubigungen jener Kämpfe der 50er und 60er Jahre, die die sogenannte Dritte Welt aus der imperialistischen Unterdrückung, aus den Fängen des Kolonialismus´ befreien sollten. Es sind Werke, die lange vor allen Colonial Studies der 70er und 80er Jahre begriffen hatten, daß es für die Opfer von zweihundert Jahren Imperialismus dringend und zwingend nötig war, ein eigenes kulturelles Bewußtsein zu entwickeln. Der Autor, Fanon, konnte sowohl aus einer eigenen Leidensgeschichte schöpfen, als auch aus seinen Erfahrungen während des Algerienkrieges. Er ist sozusagen durch sein Tun in seinen Werke beglaubigt. Damit zieht Viet Thanh Nguyen eine weitere, vielleicht die bissigste dialektische Ebene in sein Werk ein. Denn in Paris trifft der Erzähler, vermittelt durch seine Tante, die als Lektorin fest im Kulturbetrieb verankert ist, auf allerhand Intellektuelle und Salonbolschewisten, die zwar große Worte und totes Pathos wie eine Monstranz vor sich hertragen, im Buch aber allesamt als doppelzüngig, bigott und recht schamlos dargestellt sind. Vor allem, wenn es um die Befriedigung eigener Bedürfnisse geht. So gerieren sie sich alle nur allzu gern als Herrenmenschen, wenn auch postmodern ironisiert, wenn sie in einem Edelpuff sexualisierten Kolonialismus nachspielen.

Die Tante ist befreundet mit einigen Intellektuellen und Politikern, die unschwer als Parodien auf reell existierende Figuren zu erkennen sind. Allen voran BFD, der sich als intellektueller Politiker geriert und in dem unschwer eine Karikatur von BHL – Bernard-Henri Lévy – zu erkennen ist, ein Hansdampf in allen Gassen des öffentlichen politischen wie intellektuellen Lebens in Frankreich. Und auch eine mit der Tante befreundete Anwältin dürfte ihr Vorbild, wenn auch ein männliches, in der realen Figur des Jacques Vergès haben, ein Mann, der sich selbst gern als Sozialist bezeichnete, sein Geld vornehmlich aber damit verdiente, Massenmörder, Diktatoren und Kriegsverbrecher zu verteidigen – unter anderem zählte er Klaus Barbie, besser bekannt als „Schlächter von Lyon“, zu seinen Klienten. Vergès argumentierte seinerseits gern dialektisch, um die Auswahl seiner Mandate zu erklären.

Da die Geschichte, die DIE IDEALISTEN erzählt, 1981ff. spielt, wird unser ungewisser Erzähler allerdings auch mit einer weiteren dialektischen Ebene konfrontiert, die sein Selbstbild möglicherweise mehr erschüttert, als bspw. der Verlust seiner ideologischen Überzeugungen es könnte. Denn es ist die Zeit, in der sich nicht nur ein neues französisches Denken, repräsentiert durch Theoretiker wie Michel Foucault, Jean-François Lyotard, Jean Baudrillard oder Jacques Derrida, aufmachte, mit hermeneutischen Gewißheiten und dem eurozentristischen Blick auf Geschichte und globale Entwicklung aufzuräumen. Vielmehr ist es auch die Zeit, in der Theoretikerinnen wie Julia Kristeva, deren Werk DES CHINOISES (Original erschienen 1974; Dt. DIE CHINESIN, 1976) hier so oder so immer unterschwellig mitgedacht werden sollte, gerade, wenn der Erzähler sich in den Reflektionen darüber verliert, wie einstige Kolonialisten – die chinesischen Völker die bspw. die vietnamesische Urbevölkerung einst verdrängten; oder auch die Vietnamesen selbst, die ihrerseits Laos und Kambodscha überfielen – selbst zu Kolonisierten werden können, oder eine Hélène Cixous ganz eigene Schlüsse aus dem poststrukturalistischen Denken zogen und dem westeuropäischen Feminismus völlig neue Impulse gaben. Mit einem Werk von Cixous wird der Erzähler dann auch konfrontiert und begreift mehr und mehr, daß es neben den Unterdrückten und den Verdammten dieser Erde noch einen Bevölkerungsanteil gibt, deren Sprachlosigkeit und Elend viel universaler zu nennen ist – die Frauen.

Je mehr der Berichterstatter sich also in Fragen kultureller Prägungen, Eigenverantwortung, Ideologien und ihren inneren Widersprüchen und schließlich den eigenen Unzulänglichkeiten als Mann verliert, desto mehr wächst in ihm der Eindruck, das Einzige, was es zu verstehen, zu begreifen gäbe, sei das Nichts. Dabei verwahrt er sich allerdings strikt dagegen, als Nihilist bezeichnet zu werden. Vielmehr will er damit eine Abkehr von all diesen Items und Einzelgedanken markieren und in einen Kreislauf eintreten, der das Individuum sich selbst spüren lässt, die eigenen Gefühle und Gefühlswelten wahr- und annehmen lässt.

Das klingt, als habe man es hier mit einem hochphilosophischen Werk zu tun. Das stimmt sogar bis zu einem gewissen Grad. Allerdings gibt Viet Thanh Nguyen sich alle Mühe, darin ganz seinen Kollegen von der postmodernen Autorenschaft verwandt, zu banalisieren, zu vulgarisieren und die so hochtrabend wirkenden Gedanken sprachlich derart zu verunreinigen, daß all die Reflektion, all die theoretischen Überlegungen selbst bereits wieder in Frage gestellt werden. So scheut der Autor sich nicht, auch auf die „Dialektik der Hundescheiße“ einzugehen, ausgelöst durch das Malheur, in eben jene getreten zu sein. Der Unernst schwingt hier immer mit und es gelingt auch immer mal wieder, mit einem gewissen Witz von den höchsten Höhen theoretischen Denkens sehr schnell, manchmal mit einem einzigen Wort, in die Niederungen alltäglicher Verrichtungen und schließlich auch jenen verbrecherischen Machenschaften zu gelangen, mit denen diese Exilvietnamesen ihr Geld verdienen. Denn im Kern ist der Erzähler ein Drogendealer, der aufgrund seines unscheinbaren Äußeren und seiner devoten Art, die er zu seinen größten Talenten zählt, zudem all der Kontakte seiner Tante ein Verteilernetz für Haschisch und Opium unter der linken Intelligenzija und Schickeria aufzubauen.

Im Grunde enthält dieser als Politthriller gelabelte Roman auf seinen 491 Seiten erstaunlich wenig Handlung. Bon, der Kommunistenhasser, will den „Mann ohne Gesicht“ töten, den er für den Mord an Frau und Tochter verantwortlich macht und von dem er nicht weiß, daß es sich dabei um Blutsbruder Man handelt. Der Erzähler seinerseits will dies unbedingt verhindern, was am Ende des Romans zwangsläufig in die Katastrophe führt. Der Mangel an (spannender) Handlung wird durch die seitenlangen Reflektionen ausgeglichen. Allerdings – und hier muß die eigentliche Kritik ansetzen – wirken diese Reflektionen dann irgendwann auch redundant. Zum einen hat, wer sich mit den angeschnittenen Themen beschäftigt, das meiste davon irgendwann schon einmal gehört oder gelesen. Und auch Viet Thanh Nguyen weiß – trotz etlicher kluger und für einen westlichen Leser durchaus auch überraschender Gedanken – der Thematik nun auch nicht so viel Neues hinzuzufügen. So tritt irgendwann ein gewisser Wiederholungseffekt ein. Das ermüdet und vor allem tritt das Buch dadurch auf der Stelle. Und wenn dann Handlung einsetzt und vorangetrieben wird – in manchmal geradezu unerträglichen Szenen wie jener, in der der Erzähler und seine Kumpane, angeleitet vom Boss, wochenlang einen gefangenen Nordafrikaner foltern und befragen – wirkt dies häufig gehetzt und getrieben.

So bleibt nach der Lektüre ein zwiespältiges Gefühl. Hier nimmt es einer, wie gesagt, sehr ernst mit der Dialektik, weiß mit dem scheinbar so alten Konzept auch durchaus etwas anzufangen, nutzt eine Sprache, die durchaus entlarvend ist, für alle, auch für den Erzählenden, und die man kunstvoll (Dank an dieser Stelle an den Übersetzer Wolfgang Müller, dem es gelingt, sie kongenial ins Deutsche zu übertragen) nennen darf, die in ihrer gelegentlichen, sehr gewollten, Vulgarität und Drastik aber nicht zu schockieren versteht und dadurch oftmals aufgesetzt unernst wirkt.

Bleibt nun also abzuwarten, ob Viet Thanh Nguyen sein Vorhaben wahr macht und einen dritten, dann wohl in den USA angesiedelten Abschluß seiner Trilogie vorlegt. Bleibt zu hoffen, daß er dann – ganz dialektisch – die besseren Teile der Vorgänger zu einem großen Finale synthetisiert.

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