DIE SCHWARZE FRAU/THE BROKEN GIRLS

Ein feiner, unaufgeregt erzählter Debütroman

Das Mindeste, was man über Simone St. James DIE SCHWARZE FRAU (2019; THE BROKEN GIRLS; Original erschienen 2018) sagen sollte, ist, daß der Autorin hier ein wirklich stimmiger kleiner Thriller gelungen ist, der mit Elementen von Mystery und auch der Geistergeschichte spielt. Nötig wäre das nicht gewesen, denn der Stoff, den sie da anrührt, hätte auch hervorragend für einen Krimi gereicht, wobei selbst diese Beschreibung den eigentlichen Kern des Buchs nicht trifft.

Irgendwo in Vermont liegt das Mädcheninternat Idlewild Hall. Hier hat es immer schon seltsame Geschehnisse gegeben, die dort ansässigen Mädchen, größtenteils Verstoßene, „schwierige“ Kinder, uneheliche Töchter, Nachkommen, mit denen sich Familien nicht belasten wollen, können ein Lied davon singen, hat doch nahezu jede von ihnen schon die Präsenz von Mary Hand gespürt, einem Geist, der dort umgehen soll. In der realen Welt bedeutet der Hintergrund der Mädchen zu Beginn der 50er Jahre vor allem ein hartes Regiment durch die Schulleitung, strenge Auflagen und Strafen. In dieser Atmosphäre treffen Katie, Roberta, CeCe und Sonia aufeinander. Die eine wurde von ihrer Familie abgeschoben, weil sie zu aufsässig war, die nächste, weil sie nach dem von ihr beobachteten Selbstmordversuch ihres Onkels die Sprache verloren hat, eine ist die uneheliche Tochter des Arbeitgebers ihrer Mutter und die letzte eine Französin, über deren Geschichte die anderen nichts wissen, die aber wesentlich zum Handlungsmovens des gesamten Romans beiträgt. Und die nach einem seltenen Besuch bei Angehörigen nicht mehr zurückkehrt.

Im Jahr 2014 soll Idlewild, das seit den späten 70ern verlassen und verweist liegt, Instand gesetzt und neu eröffnet werden. Das ruft das Interesse von Fiona Sheridan hervor. Die Leiche ihrer damals 20jährigen Schwester wurde hier im Jahr 1994 gefunden. Nun will die Tochter eines Alt-Achtundsechzigers und linksaktivistischen Journalisten, die selber als Reporterin eines Lokalblattes arbeitet, wissen, wer hinter den Aktivitäten rund um Idlewild Hall steckt.

Simone St. James spinnt auf zwei Zeitebenen ein feines Garn. Während Fiona langsam der Wahrheit hinter dem Haus, seinen Geschichten und dem Tod ihrer Schwester näher kommt, erfahren wir von der Freundschaft der vier Mädchen im Jahr 1950, lernen sie gut kennen, ihre Charaktere und vor allem die Düsternis ihrer verschiedenen Geschichten. Und die reichen in einem Fall bis weit in die Vergangenheit des 2. Weltkriegs zurück, in das Konzentrationslager Ravensbrück.

St. James nutzt die Schrecknisse dieser Vergangenheit, jedoch geht sie sehr behutsam damit um, stellt sie nicht grell aus und verfällt nie der Versuchung reiner Kolportage. Daß auch die Geschichte des Holocaust irgendwann Gegenstand fiktionaler Literatur werden würde, war lange schon klar. Je mehr Zeitzeugen aussterben, desto häufiger werden sich Künstler der Geschichte annehmen und sie verarbeiten. Allerdings wird die Vergangenheit dabei nur allzu oft zur reinen Kulisse. Und genau das passiert St. James eben nicht. Die Handlungsstränge ihrer Geschichte laufen nahezu organisch ineinander, auch wenn die unterschiedlichen Taten und Motive nicht zwingend zusammenhängen. Vielmehr kann sie anhand des Geflechts aus Mord, Verdrängung und der Ignoranz bei einigen Beteiligten, aber auch in den Institutionen und Behörden, aufzeigen, wie Geschichte eben nicht vergeht, wie scheinbar Unzusammenhängendes einander bedingen, sich ineinander spiegeln kann, wie das eine auf das andere verweist.

Das Geistermotiv wäre nicht notwendig gewesen, kann aber getrost als metaphorische Ebene mitgelesen werden. Allenfalls verweist sie darauf, daß Gewalt, auch und gerade strukturelle Gewalt, die auf moralischen oder tugendhaften Motiven beruht, schon immer da war, immer virulent ist und wahrscheinlich auch niemals aufhören wird. Metaphorisch allerdings bedeutet die Geschichte um Mary Hand, die angeblich immer schon in Idlewild umgegangen ist, vor allem, daß die Geister der Vergangenheit uns immer begleiten, uns nicht loslassen und sich manifestieren. Wir können uns noch so viel Mühe geben, unsere Vergehen zu verdrängen, unsere Taten zu vertuschen, unsere Leichen möglichst tief in unseren Kellern zu vergraben – irgendwann kommt ein Unwetter und wäscht die Erde weg, kommt ein Beben und legt die Gräber frei, kommt jemand aus der Vergangenheit, Geist oder nicht, und dreht die Steine um, schaut in die Ecken, schlägt die vermoderten Akten auf. Und dann werden wir mir den Gespenstern unserer eigenen Geschichte konfrontiert. Vollkommen egal, ob es sich dabei um Weltgeschichte oder die ganz privaten, kleinen Dramen handelt.

Aber man soll auch nicht zu viel in einen Genreroman hineininterpretieren. Simone St. James hat einen spannenden, eher ruhigen, sich langsam vorantastenden Thriller geschrieben. Sie legt viel Wert auf die Entwicklung ihrer Charaktere und auf die Atmosphäre sowohl in der Schule, als auch in dem Ort, in dem Fiona lebt und der Idlewild Hall umgibt. Schnell entwickelt das einen Sog, dem man sich kaum entziehen mag. Glaubwürdig, gut recherchiert und in einem passenden Rhythmus erzählt, bleibt DIE SCHWARZE FRAU auch über die reine Lesezeit hinaus haften, was bei Genreliteratur selten genug vorkommt.

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