EIN ANTISEMITISCHER DOPPELMORD. DIE VERGESSENE GESCHICHTE DES RECHTSTERRORISMUS IN DER BUNDESREPUBLIK

Uffa Jensen erinnert an ein düsteres Kapitel (west)deutscher Nachkriegsgeschichte

Deutscher Herbst – Landshut – die bleierne Zeit: Fast jeder wird etwas mit diesen Begrifflichkeiten, diesen Chiffren anfangen können und wahrscheinlich wird fast jeder sofort sagen: RAF, Terrorismus. Linksterrorismus. Es waren die späten 70er Jahre und die Rote Armee Fraktion, kurz RAF, forderte den deutschen Staat heraus. Doch wer erinnert sich an das Attentat auf das Münchner Oktoberfest – und wenn man sich erinnert, wer bringt es mit Terror in Verbindung? Wem ist die Wehrsportgruppe Hoffmann noch en Begriff und deren ideologischer Unterbau? Wer erinnert sich an den Doppelmord von Erlangen, bei dem Shlomo Lewin und seine Lebensgefährtin Frida Poeschke ermordet wurden? Und wer sich erinnert, wird der- oder diejenige diesen Doppelmord mit Antisemitismus und möglicherweise ebenfalls Terrorismus, Rechtsterrorismus, in Verbindung bringen?

Der Historiker Uffa Jensen, stellvertretender Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin, nimmt sich in EIN ANTISEMITISCHER DOPPELMORD. DIE VERGESSENE GESCHICHTE DES RECHTSTERRORISMUS IN DER BUNDESREPUBLIK (2022) genau dieses Doppelmords und der Geschichte an, die ihn umgibt, die ihm vorausgeht und ihm folgte. Das bedeutet, er untersucht eine Mentalitätsgeschichte, die Frage, ob ein solcher Mord wie der an dem Verleger und Rabbi Shlomo Lewin und seiner Lebensgefährtin, der evangelischen Christin Frida Poeschke, die sich schon als Gattin des Erlanger Bürgermeisters, später als seine Witwe und dann als Lebensgefährtin von Lewin um die Annäherung und Versöhnung jüdischen und christlichen Lebens in der Bundesrepublik bemüht hatte, ob also der Mord an zwei solchen Menschen im Jahr 1980 überhaupt als antisemitisch motiviert wahrgenommen wurde. Wobei die Fragestellung keinesfalls entschuldigend oder entlastend sein soll. Eher besorgniserregend.

Jensen arbeitet sich recht systematisch durch die Ermittlungsakten, er gibt – immer unter dem Hinweis, lediglich aus der Sicht des Historikers, nicht als Ermittler, also auch des Rückblickenden, der über weiterführende Hinweise und Erkenntnisse als die zeitgenössischen Ermittler verfügt – seine Version des Tathergangs wieder,  baut eine Indizienkette auf, um dem Leser verständlich zu machen, weshalb er den Wehrsportgruppengründer und -leiter (um nicht von „Führer“ zu sprechen) Karl-Heinz Hoffmann und seine spätere Frau und damalige Freundin Franziska Birkmann für Mittäter hält, nicht nur Bekannte des Haupttäters Uwe Behrendt. Allerdings arbeitet sich Jensen auch systematisch durch die Mentalitätsgeschichte der damaligen Bundesrepublik und fördert so einige völlig vergessenen und einige äußerst aufschlussreiche Tatsachen zu Tage.

Vor allem die Verbindungen der Wehrsportgruppe Hoffmann in den Nahen Osten, sprich den Libanon und die dortigen PLO-Kader, sind interessant, verbindet man doch die PLO gemeinhin ebenfalls gern mit den linksterroristischen Kadern der RAF. Die reisten in den frühen 70er Jahren in den Nahen Osten und ließen sich in PLO-Lagern an Waffen und Sprengstoff ausbilden. Umso verwunderlicher, dass die PLO offenbar gern auch mit der „anderen Seite“ paktierte, solange sie sich davon irgendeinen Erfolg versprach. Die WSG Hoffmann, wie sie kurz genannt wurde und wird, bildete im Libanon, vor allem in Beirut, eine Auslands-WSG, wodurch sie in Deutschland gerichtlicher Verfolgung zu entgehen hoffte. Doch Jensen kann nachweisen, dass zumindest Hoffmann, zeitweise aber auch andere Mitglieder, durchaus in und von Deutschland aus operierten und die WSG somit auch hier gerichtlich zu belangen gewesen wäre. Allerdings verübten sie einige ihrer übelsten Verbrechen im Libanon – so u.a. die Folterung von Abtrünnigen, die sich absetzen wollte.

Auch das eine Ergebnis dieser Recherche: Die WSG war kein homogenes Kommando, viel mehr ein heterogener Haufen, in dem bei weitem nicht alle ideologisch gefestigt waren. Einige suchten lediglich Abenteuer, andere brachten eine ausgeprägte Söldnermentalität mit. Behrendt und einige wenige andere waren wirklich überzeugte Neo-Nazis, was im Falle des erwiesenen Mörders von Shlomo Lewin und seiner Lebensgefährtin zu einem Suizid in der Wüste führte, da er für sich und seine Sache wohl keine Zukunft mehr sah.

Ein wesentliches Problem der damaligen Ermittlungen lag darin begründet, dass die Vorstellung der Ermittelnden von Terrorismus ausschließlich vom Linksterrorismus und damit seinen eher anarchischen Strukturen geprägt war. Dass es eine hierarchisch von oben nach unten durchorganisierte Terrorgruppe geben könnte, kam den Ermittlern schlicht nicht in den Sinn. Und so machten sie schon damals Fehler, die sich bspw. bei den Ermittlungen zu den Morden des NSU in den Jahren ab 2011 wiederholen sollten: Anstatt ein – naheliegendes – antisemitisches Motiv anzunehmen (Hoffmann selbst sprach in Bezug auf den Erlanger Doppelmord von Rache für das Oktoberfest-Attentat, welches seiner Meinung nach der Mossad begangen und der WSG dann in die Schuhe geschoben habe, zugleich war Lewin dem WSG-Anführer zum Zeitpunkt des Mordes nachweislich schon seit mindestens 2 Jahren bekannt, da er sich öffentlich und namentlich gegen die neonazistischen Umtriebe der Gruppe gestellt hatte), wollte man den Täter unbedingt im persönlichen Umfeld der Ermordeten finden. Da dies in Bezug auf Frieda Poeschke nun gar nicht möglich zu sein schien, begann man damit, auch öffentlich Lewins Leumund in Frage zu stellen. Dem Mann wurden plötzlich – allerdings auch von Bekannten aus der jüdischen Gemeinde, eine Tatsache, auf die Jensen ebenfalls genau eingeht und keineswegs unter den Tisch fallen lässt – unlautere Motive und ein halbseidener Lebenswandel unterstellt. Reine Erfindungen, wie Jensen aber ebenfalls nachweisen kann.

Es lohnt, sich noch einmal vor Augen zu führen, wie in den Jahren nach der „bleiernen Zeit“ der RAF und ihrer 2. Und 3. Generation vielleicht eine gewisse „Terrorismusmüdigkeit“ um sich griff, wie unwillig man war, anzunehmen, dass nur 35 Jahre nach Kriegsende und dem Ende der nationalsozialistischen Schrecken Täter, Mörder, wieder bereit sein könnten, sich zur Rechtfertigung ihrer Taten auf eben dieses Erbe zu berufen. Es lohnt aber auch, Jensen dabei zu folgen, wie er die markantesten Unterschiede zwischen Links- und Rechtsterrorismus herausarbeitet, wie er nachweist, dass der Bekenntnisdrang des einen dem andern vollends abgeht, dass der Terror von rechts oftmals im eigentlichen Sinne terreur war, also ad hominem bewusst einzelne Gruppen oder Menschen in Angst und Schrecken versetzen sollte, nicht „das System“ bloßstellen oder ihm die „demokratische Maske“ herunterreißen und darunter die „faschistische Fratze“ entblößen sollte, wie dies die RAF-Terroristen nicht müde wurden, in endlosen Bekennerschreiben zu formulieren.

Es lohnt aber vor allem, sich anhand dieses Beispiels vor Augen zu führen, wie virulent Antisemitismus in der bundesrepublikanischen Gesellschaft eben doch immer noch war – und ist. Jensen verweist im Fazit seines Buchs explizit darauf, dass er diesen strukturellen Antisemitismus nicht verantwortlich macht für den Mord. Für einen Mord ist immer noch der Mörder verantwortlich, der zur Waffe greift und aus meist niederen Motiven zur Tat schreitet. Jedoch ist der strukturelle Antisemitismus in diesem Falle mit dafür verantwortlich, wie ermittelt wurde und – mehr noch und in gewissem Sinne auch weitreichender als Folge – wie dieser Mord (und andere, auch das sei nicht vergessen) erinnert wurde. Nämlich gar nicht. Und erst recht nicht als die antisemitische Tat eines Terroristen, auch wenn dieser vielleicht als Einzeltäter auftrat und von der Justiz (der er sich durch seinen Selbstmord entzog) eingestuft wurde. Seine Mittäter und Mitwisser wurden zwar verurteilt, aber nicht dafür, hier Vor- und Mitarbeit geleistet, sondern lediglich dafür, an der Vertuschung mitgewirkt zu haben. Immerhin – und schlimm genug.

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