EIN DRECKIGES GESCHÄFT/SHIFTY´S BOYS

Chris Offutts zweiter Ausflug in die Bergwelt Kentuckys

Der zumindest in der deutschen Veröffentlichung zweite „Kentucky Krimi“ von Chris Offutt EIN DRECKIGES GESCHÄFT (SHIFTY´S BOYS, Original erschienen 2022, Dt. 2023) nimmt das Genre-Label ernster als der Vorgänger UNBARMHERZIGES LAND, wartet allerdings immer noch mit genügend Nebenhandlungen und Alltagsbeschreibungen von Land und Leuten auf, um sich und seinem Humor treu zu bleiben. Allerdings tritt diesmal der Fall doch deutlicher in den Mittelpunkt, wodurch der Roman auch ernsthafter, härter und tiefgehender wirkt.

Mick Hardin, der als Ermittler beim CID der U.S.-Army arbeitet, wurde bei einem Einsatz schwer verletzt und verbringt seine Rekonvaleszenz in seiner Heimat. Das ist Rocksalt, irgendwo in den Bergen und Wäldern von Kentucky, also im Land der Hinterwäldler, der Rednecks, ein Umfeld, dem Mick einst so dringend entkommen wollte. Einige Altlasten – allen voran seine Scheidung von Peggy, mit der er weit über zehn Jahre verheiratet war und die nun mit dem Kind eines anderen und mit neuem Partner zusammenlebt – sind noch abzutragen; anderes geht Mick zwar nichts an, lässt ihn aber nicht kalt. So zum Beispiel die anstehende Wiederwahl seiner Schwester Linda, erster weiblicher Sheriff im County. Mit ihr verbindet Mick eine komplizierte, auf Distanz beruhende Liebe. Als nun die Leiche von Fuckin´ Barney, dem ältesten Sohn von Shifty Kissick, gefunden wird, bittet Linda ihren Bruder, sich bitteschön aus allen Ermittlungen herauszuhalten, da sie keinen Ärger – schon gar keinen familiären – rund um die Wahl braucht. Shifty hingegen bittet Mick – den sie noch aus dem vorhergehenden Aufenthalt in der Gegend (siehe Band 1) kennt, wenn auch nicht sonderlich schätzt – um das exakte Gegenteil: Er soll sich an die Spuren des Mörders heften und diesen ausfindig machen. Erst recht, als wenige Tage nach dem ersten Mord auch Mason, Shiftys nächstältester Sohn, umgebracht wird.

War der Fall im Vorgängerband eher ein Vehikel, um Mick Hardin, Linda und einige Nebenfiguren einzuführen und dem Publikum mit eingehenden Beschreibungen von Flora und Fauna – vor allem immer wiederkehrende Beschreibungen der Vogelwelt in Kentuckys Bergen standen dafür – einen Eindruck dieser ansonsten gern vergessenen Gegend der USA zu vermitteln, geht es in diesem Band nun doch mehr zur Sache. Mick wird für den Leser greifbarer, wir lernen mehr über sein Innenleben, welches er vor Gott und der Welt – vor allem seiner Schwester Linda – geheim zu halten versucht; wir begreifen, wie verletzt Mick innerlich ist und dass seine immer wiederkehrende Frage, was aus ihm hätte werden können, wäre er nicht zum Militär gegangen, hätte er nicht an weit entfernten Orten gedient – was bedeutet: getötet – hätte er nicht mehr von der Welt gesehen, als die meisten derer, mit denen er aufgewachsen ist, sich auch nur von ihr erträumen können, was diese Frage für ihn bedeutet. Doch er ist ein Drifter, ein Verlorener, dem es nicht gelungen ist, eine Ehe vernünftig zu führen, nicht einmal, sie vernünftig zu einem Ende zu bringen, er hat keine Kinder, im Grunde auch keine Freunde, und ist völlig in sich selbst verschlossen. Immerhin lernt er diesmal eine junge Frau kennen, die für seine Schwester arbeitet und die ihn ebenso fasziniert, wie er sie zu faszinieren scheint. Und doch ist er am Ende des Buchs eben auch wieder weg, auf dem Weg zum nächsten Einsatzort.

Chris Offutt bietet nun nichts bahnbrechend Neues, sowohl die Figuren kommen einem bekannt vor als auch das, was ihnen widerfährt. Doch erzählt er in einem lakonischen und eben auch immer wieder witzigen Stil von den Fährnissen in Eldridge County. Da werden Linda und ihr Deputy immer wieder zu scheinbar völlig sinnlosen Einsätzen gerufen – bspw. ist ein Hund einer Katze in einen Baum gefolgt und hängt nun dort oben fest; allerdings, das gehört dann auch zu Offutts Stil, können Linda und der kurzzeitig zum Deputy ernannte Mick das Tier nur noch tot bergen – von welchen der  Autor aber mit viel Liebe zum Detail und einem eben sehr trockenen Humor berichtet. Und die dann eben doch auch wichtig sind, weil Linda jede Stimme im County für die Wiederwahl braucht und bereit ist, dafür so viel Kuchen zu essen, so vielen Geschichten zu lauschen und im Notfall auch so viel Alkohol zu trinken, wie eben nötig ist.

Und mit diesen scheinbar so sinnlosen, völlig alltäglichen und nicht sonderlich aufregenden kleinen Episoden gelingt es Offutt dann auch, diese Menschen, die sogenannten Hinterwäldler, zu charakterisieren und zu beschreiben. Sie sind redselig, solange es um die gute alte Zeit geht, sie sind aber ebenso schweigsam, sobald die Gegenwart mit ihren Problemen angesprochen wird. Hier zählt das Gesetz des Stärkeren und ganz sicher das der Familie. Shifty Kissick ordert ihren letzten verbliebenen Sohn Raymond, seinerseits bei einer Spezialeinheit in San Diego stationiert, zurück nachhause. Und Raymond, das ist klar, muss das Gesetz der Berge exekutieren: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ausgerechnet Mick, der einst den aktiven Militärdienst quittierte und zum CID wechselte, weil er das Töten satthatte und es hasst, wenn Menschen das Gesetz in die eigenen Hände nehmen, wird zu Raymonds Kampfgefährten. Das hat zwar auch damit zu tun, dass hinter den Morden an den Kissick-Jungs weitaus mehr als der allseits angenommene Drogendeal steckt und das, was da buchstäblich zu Tage tritt, ausgenommen widerlich ist, doch muss Mick sich eben auch fragen, wie viel von der Archaik der Berge noch in ihm steckt? Nicht zuletzt deshalb ist er froh, wenn er am Ende dieser Story einmal mehr der Enge der Bergtäler entfliehen kann.

Chris Offutt ist da eine ganz interessante Figur gelungen, die, richtig ausgearbeitet, noch einige spannende Abenteuer in petto haben dürfte. Allerdings muss bei der Lektüre darüber hinweggesehen werden, dass dies eben auch eine Huldigung soldatischer Ehre, Treue und Pflichterfüllung ist. Und auch, dass Offutt diese Menschen, die er da portraitiert, nicht bloßstellt, sondern ihnen auch ihre Würde lässt, gleich, wie reaktionär, rückständig und verroht sie auch anmuten mögen. Ob der Autor dies beabsichtigte oder nicht: Seine Beschreibungen tragen immerhin dazu bei, einen bestimmten Typus Amerikaner besser zu verstehen. Und dieser Typus gehört zu jenen, die bereit sind mit Donald Trump einen Mann zu wählen, der wenig für sie und ihresgleichen übrighat. Diesen Widerspruch allerdings kann auch Offutt nicht erklären.

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