FINDERLOHN/FINDERS KEEPERS

Stephen Kings zweiter Band der Krimi-Trilogie um den Privatermittler Bill Hodges

Stephen King hat ja bereits in SIE (MISERY; 1987) und auch in STARK – THE DARK HALF (THE DARK HALF; 1989) davon berichtet, was passieren kann, wenn ein Schriftsteller die Erwartungen seiner Fans – oder die seiner Figuren – enttäuscht. Hardcore-Fans mögen ja etwas Beruhigendes haben, wenn man das eigene Konto auffüllen will. Eher bedrohlich werden sie, wenn ihre Identifikation mit ihrem Idol Formen annimmt, die potentiell tödlichen Charakter haben, weil sie glauben, die Figuren besser zu kennen, als deren Erschaffer.

So ergeht es auch dem Schriftsteller John Rothstein in Kings Kriminalroman FINDERLOHN (FINDERS KEEPERS; 2015), dem zweiten Teil der Bill-Hodges-Trilogie, die mit MR. MERCEDES (2014) ihren Ausgangspunkt nahm. Rothstein – folgt man Kings Beschreibungen des Mannes, ist er eine Mischung aus J.D. Salinger und John Updike – hatte in den 60er Jahren drei Romane über Jimmy Gold, seinen Helden des amerikanischen Alltags, geschrieben, dann jedwede schriftstellerische Tätigkeit eingestellt und sich in die Einsamkeit des ländlichen Neu Englands zurückgezogen. Dort besuchen ihn im Jahr 1978 drei Einbrecher. Zwei von ihnen sind an dem angeblich in Hülle und Fülle im Haus des Autoren gelagerten Bargeld interessiert, der dritte jedoch, Morris Bellamy, sucht nach den angeblichen Notizbüchern, die Rothstein in den Jahren seines Schweigens mit neuen Ideen zu weiteren Jimmy-Gold-Romanen gefüllt haben soll. Und Bellamy will Rache dafür nehmen, wie Rothstein seine Figur im dritten Band entwickelt hat. Für den Schriftsteller endet die Begegnung mit seinem größten Fan tödlich. Aber auch für Bellamy geht die Sache insofern nicht gut aus, als daß er zwar nicht für den Raubmord an Rothstein und seinen Kumpanen verhaftet, sondern eines anderen Verbrechens bezichtigt und für nahezu 30 Jahre eingesperrt wird. Schlimmer noch: Als er im Jahr 2009 endlich wieder frei ist, wurde das Versteck, in dem er seinen Schatz – vor allem jene Notizbücher – gebunkert hatte, geräumt. Irgendjemand hat das erbeutete Geld und die Büchlein gefunden und mitgenommen. Für Bellamy beginnt eine qualvolle Suche nach seiner Beute. Für Peter Saubers hingegen, den jugendlichen Finder, beginnt eine Zeit der Angst, merkt er doch recht schnell, daß es nicht einfach ist, etwas an den Mann zu bringen, das eine Sensation darstellt im Literaturmarkt.

Mit Morris Bellamy ist Stephen King der seit langer Zeit überzeugendste Bösewicht in seinem Kosmos gelungen. Wie er diesen zunächst jungen Kerl charakterisiert, hat durchaus seine Art. Ein juveniler Hitzkopf, vollkommen von sich und der eigenen Großartigkeit überzeugt, arrogant, beflissen und skrupellos. Die ersten 20  Seiten allein sind schon ein Genuß, wenn er auf sein literarisches Idol trifft und dem erklärt, was der alles falsch gemacht hat mit seinem berühmten Protagonisten. Für einen Autor ist dies sicher Lust und Albtraum zugleich: Da hat er eine Figur erschaffen und damit Menschen erreicht, die sich mit ihr identifizieren, eine Figur, die diesen Menschen sogar Halt im Leben gegeben hat, ihnen vielleicht Anleitung gab und Leitstern gewesen ist – und die dann den Eindruck haben, sie verstünden diese Figur besser als der Autor selbst (was gelegentlich sogar der Fall sein mag) und daraus Anrechte ableiten. Ein Anrecht auf die Entwicklung dieser Figur reklamieren. Es ist ein schmaler Grat zwischen Verehrung und Überidentifikation. Was für Paul Sheldon – den Autoren, der in SIE auf seine Nemesis in Form eines sehr sensiblen und hochgradig erregbaren weiblichen Fans trifft – insofern noch glimpflich ausging, da er die Begegnung mit seiner glühendsten Verehrerin zumindest überlebt, wird für Rothstein zum letalen Finale seiner schriftstellerischen Tätigkeit. Immerhin lässt King ihm die Würde, seinem Richter mit angemessen schlechter Laune und ohne nachzugeben entgegen zu treten. Was er Bellamy an den Kopf wirft, beschäftigt diesen noch dreißig Jahre später.

King kehrt in FINDERLOHN zu einer gesunden Härte zurück, ohne sich in allzu grafischen Beschreibungen von Gewalt und Exzess zu suhlen. Er treibt die Handlung voran und es gelingen ihm immer wieder hervorragende Dialoge, die ein ätzendes Licht auf den Literaturbetrieb, mehr noch auf den Sekundärmarkt werfen, wo Literatur nicht mehr um ihres Inhalts Willen gehandelt wird, sondern aufgrund von Seltenheit. Als Rarität, als Wert an sich, der – wie im Kunstmarkt – als finanzielle Anlage betrachtet wird. Obwohl die Bill-Hodges-Figur nur auf Umwegen in die Handlung gerät – Saubers Schwester hat Angst um ihren Bruder und wendet sich an eine Freundin, die wiederum aus Fall Nr. Eins noch Kontakt zum Privatermittler hat – ist das Gesamtkonstrukt der Handlung flüssiger, organischer und vor allem in sich geschlossener als in MR. MERCEDES.

Einmal mehr gelingt es King auch, einen klaren Blick auf die amerikanische Wirklichkeit zu werfen. Die Saubers sind Opfer der platzenden Immobilienblase in den Jahren 2007/08 und die Familie wandelt am sozialen Abgrund entlang, wie es vielen Amerikanern erging, als im Zuge der Krise der Lehmann-Bank Millionen Kredite plötzlich nichts mehr wert waren. Ohne Überdramatisierung, fast nüchtern, beschreibt der Autor die soziale Realität hinter einem für Viele nur abstrakten Zeitungsereignis. Die Verwahrlosung der Innenstädte, der Abbau sozialer Einrichtungen, die Arbeitslosigkeit und die daraus resultierenden Verwerfungen auch und gerade in den Familien, spielen in Kings Buch eine die Handlung grundierende Rolle. Peter Saubers, den aufgrund der familiären Situation zunächst vor allem das Geld interessiert, das er gemeinsam mit ca. 140 Notizbüchern findet, mit denen er nur wenig anzufangen weiß, unterstützt seine Familie anonym. Im Laufe der Jahre zwischen seinem Fund und dem Wiederauftauchen von Morris Bellamy entwickelt er sich allerdings zu einem wahren Rothstein-Experten, lernt anhand von dessen Werken die Literatur verstehen und lieben und wird von King gleichsam als Gegenentwurf, als im doppelten Sinne literarischer Antagonist zu Bellamy aufgebaut. Es gibt eben auch den positiv besessenen Leser, der die Literatur wirklich verehrt und sich ihr erkenntlich zu erweisen versteht, indem er versteht, daß der ideelle Wert weitaus höher anzusiedeln ist, als der rein materielle, den ein Fund wie der, den Peter Saubers macht, bedeutet.

Man kann es King nur hoch anrechnen, daß er in seinen Kriminalromanen nicht zu jenen Übertreibungen neigt, die seine phantastischen Geschichten manchmal etwas anstrengend werden lassen. Hier läuft alles auf einen im Grunde konventionellen Krimi-Plot hinaus, da wir aber als Leser die Figuren sehr zu schätzen wissen, sie gleichsam wie Freunde oder gute, alte Bekannte betrachten, bangen wir mit ihnen und freuen uns, wenn es Hodges und seinen Kompagnons, allen voran seiner Assistentin Holly, gelingt, den Gefahren zu begegnen und sich ihnen zu stellen. Etwas weniger tragisch als der Vorgänger, hält FINDERLOHN aber genügend dramatisches Potential bereit, um den Leser gespannt auf Band drei der Trilogie um Bill Hodges warten zu lassen.

Also auf ein Neues in MIND CONTROL (END OF WATCH; 2016).

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