HÖCKE. EIN RECHTSEXTREMIST AUF DEM WEG ZUR MACHT

Frederik Schindler fasst die Karriere des Björn Höcke noch einmal zusammen, kann dem bisher Bekannten aber nur wenig Neues hinzufügen

Es ist alles mehrfach gesagt, nur noch nicht von allen – es sind Sprüche dieser Art, die manchmal langweilen, manchmal geradezu verärgern, manchmal aber eben doch auch zutreffend sind. Im Bezug auf die AfD bspw., die Alternative für Deutschland, scheint wirklich nahezu alles gesagt, diese Partei wird seit Jahren durchleuchtet, analysiert, filetiert und kritisiert, dennoch ist ihr der Erfolg immer noch hold und scheint auch nicht weniger zu werden. Warum also nun auch noch ein Buch, das sich dezidiert mit dem rechtesten der vielen Rechtsaußen dieser Partei, mit Björn Höcke beschäftigt?

Frederik Schindler schreibt seit nunmehr sieben Jahren, seit 2018, über die Partei, seit 2021 federführend als Redakteur der WELT und der WELT AM SONNTAG aus dem Hause Springer. Man darf ihm eine ebenso kenntnisreiche wie ausgesprochen kritische Haltung zu seinem Sujet unterstellen und es erstaunt den regelmäßigen Leser der Kommentarspalten unter seinen Artikeln nicht wirklich, wie stark die Anfeindungen des WELT-Publikums gegen diesen Autor ausfallen. Vom Stammpublikum der Publikation wird er als eine Art Nestbeschmutzer wahrgenommen. Nun hat eben dieser Frederik Schindler mit HÖCKE. EIN RECHTSEXTREMIST AUF DEM WEG ZUR MACHT (2025) also jenes weiter oben angesprochene Werk zu dieser trotz allem außergewöhnlichen Gestalt im AfD-Kosmos vorgelegt. Und leider stellt sich zumindest einem Leser, der sowohl die Partei als auch den Diskurs um sie herum aufmerksam verfolgt (und der nicht der einzige sein dürfte, dem es so geht), eben genau die weiter oben implementierte Frage: Warum?

Wirklich Neues weiß auch Schindler der Diskussion letztlich nicht hinzuzufügen. Er verdichtet und vertieft an einigen Stellen, er liefert hier und da zusätzliche Informationen, doch kann er das bereits bestehende Bild, welches man sich von Björn Höcke im Laufe der Jahre machen konnte, nicht wirklich erweitern. Höcke darf offiziell „Faschist“ bezeichnet werden, das ist gerichtsfest. Und wenn man ganz ehrlich ist, ist damit ja eigentlich alles gesagt. Es erstaunt, dass dieser Mann es geschafft hat, immer irgendwie im Zentrum der Partei zu sein, obwohl er lange eher den äußersten Rand markiert und symbolisiert hat. Er hat etliche Vorsitzende – mal gemäßigtere, mal weniger gemäßigte – überstanden, manche ausgesessen, manche, um ein besonders unappetitliches Wort aufzugreifen, das er selbst in die Diskussion eingebracht hat, „ausgeschwitzt“. Jede Assoziation, die damit einhergeht, ist gewollt. Denn das ist sein Metier: Sprache erweitern, oder, besser: Den Raum des Sagbaren ausdehnen, austesten, was geht, im Notfall ein wenig zurückschwimmen, einen neuen Ansatzpunkt suchen und das Ganze von vorn.

Schindler verfolgt diese Karriere des Testens, Ausdehnens, Skandalisierens und Intrigierens noch einmal sehr genau. Er führt uns in das Elternhaus Höckes, durchleuchtet dessen Kindheit im Umfeld von Vertriebenen- und Heimatverbänden. Er kann nachweisen, dass schon Höckes Vater am rechten Rand recht umtriebig gewesen ist. Er erzählt Höckes Kindheit nach – wenn auch vor allem anhand dessen eigenen Aussagen, in denen er meist als wilder Bursche auftritt. Er zeichnet Höckes Werdegang als Sport- und Geschichtslehrer nach, folgt seinen Spuren an den Schulen, an denen er tätig und offenbar auch bei Schülern und in Teilen der Kollegien beliebt war. Auch den Aktivitäten von Höckes Kindern am rechten Rand des Meinungsspektrums spürt Schindler nach und hier wird Leser*innen doch ein wenig mulmig zumute. Muss man den Nachwuchs, egal wo er sich herumtreibt, ins Rampenlicht zerren, obwohl wenn keins dieser Kinder bisher politische oder andere öffentliche Ämter anstrebt oder gar ausübt? Darüber kann gestritten werden.

Schließlich berichtet Schindler noch einmal in aller Ausführlichkeit über die politische Karriere dieses Mannes, der einer breiteren Masse erstmals in der Talkshow von Günter Jauch im Jahr 2015 auffiel, als er ein Deutschlandfähnchen, wenn auch verkehrt herum, auf der Lehne seines Sessels platzierte. Natürlich werden all die Skandale, die Höcke im Laufe der Jahre produzierte, noch einmal aufgegriffen. Hier ist das Wort „produzieren“ übrigens so angebracht wie selten sonst, da es sich bei diesem Mann um eine Ein-Mann-Produktionsstätte politischer Skandale handelt – genau berechnet, intendiert und durchgezogen. Angefangen bei der mittlerweile berühmt-berüchtigten „Dresdner Rede“, bei der Höcke in Bezug auf das Holocaustdenkmal in Berlin bewusst doppeldeutig von einem „Denkmal der Schande“ sprach, tatsächlich aber einige Dinge vom Stapel ließ, die weitaus schlimmer waren als diese so offensichtlich gewollte Provokation. Es ist Schindler durchaus anzurechnen, dass er den Fokus dann auf jene Aspekte richtet, die in der öffentlichen Diskussion vielleicht etwas untergegangen sind.

So gebündelt ist das alles interessant, aber es ist eben auch nicht wirklich neu. Man erinnert sich an die pathetischen Reden, die Höcke mehrfach in Erfurt hielt und die immer auch von seiner Ich-Sendung zeugten, wenn er „Tausend Jahre deutscher Geschichte“ nicht hergeben wollte etc. Interessierte wunderten sich im Jahr 2018, dass das Buch, für welches sich Höcke von dem Maler und Bruder im Geiste Sebastian Hennig interviewen ließ, nicht viel mehr Aufmerksamkeit bekam, denn in diesem Werk äußert er Dinge, die tatsächlich auf eine tiefbraune Überzeugung, eine wirklich national-sozialistische Ideologie verweisen. Es dauerte, bis Äußerungen zu „wohltemperierten Grausamkeiten“ (tatsächlich ein Zitat von Peter Sloterdijk) oder dass „wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, […] Deutsche keine halben Sachen [machen]“, dass dann „die Schutthalden der Moderne beseitigt[werden]“ ihren Weg in die Öffentlichkeit und dort in den ihnen angemessenen Resonanzraum fanden. Nahezu alles, was Schindler hier zusammenträgt, konnte man wissen. Auch hinsichtlich Höckes Kindheit und Schulzeit, hat doch vor einigen Jahren bspw. ein ehemaliger Mitschüler in einem großangelegten Text für die Wochenzeitung DIE ZEIT über die gemeinsame Schulzeit geschrieben und sich darin gefragt, ob Höckes Werdegang bereits abzusehen, ob sie gar vorgezeichnet war.

Was also bleibt von einem Buch wie Schindlers? Auf der einen Seite muss man konzedieren, dass vor allem der abschließende Teil, in dem der Autor Höckes Weggefährten und Vertraute noch einmal vorstellt, immer da interessant und aufschlussreich ist, wo es eben nicht um die allseits bekannten Gestalten wie Götz Kubitschek, Alice Weidel oder Alexander Gauland – die alle ebenfalls verhandelt werden – geht, sondern um Leute wie Stefan Möller, Robert Teske oder Torben Braga. Das sind Leute aus der zweiten oder gar dritten Reihe, deren Namen man zwar kennen mag, um deren Funktion im Höcke´schen Umfeld man aber vielleicht nicht so genau weiß. Hier vermittelt Schindler tatsächlich Einsicht und Aufklärung. Und man begreift, wie weitreichend Höckes Netzwerke sind, allerdings auch, wie sehr er auf andere angewiesen ist, da er selbst weder ein guter Organisator, noch wirklich am Kleinklein der Parteiarbeit interessiert ist. Und zudem ein zutiefst verunsicherter Mensch zu sein scheint, der ungern Entscheidungen trifft.

Es bleibt aber auch – selbstkritisch – festzuhalten, dass man sich bei der Lektüre mehrfach dabei ertappt, dass Höckes larmoyante Selbsteinschätzung, von den Medien zum „Leibhaftigen“ stilisiert worden zu sein, in gewisser Weise zutrifft. Denn natürlich liest sich das alles dann auch mit einem wohligen Schauer. Man fröstelt, dass eine Figur wie Björn Höcke, tatsächlich Vorsitzender eines vergleichsweise kleinen Landesverbands einer tatsächlich recht jungen und tatsächlich dann auch noch nicht so großen Partei, wie sie gern dargestellt wird, solch einen Einfluss nicht nur innerhalb der Gesamtpartei haben kann, sondern längst darüber hinaus auf das politische Geschehen in Deutschland. Im Grunde ist der Mann in all seinem Pathos, in seiner heillosen Selbstverliebtheit, seiner Eitelkeit und der darin begründeten Selbstüberschätzung, in seinem ewigen Opfer-Getue und mit seinem Nationalromantizismus nichts weiter als eine Witzfigur. Tatsächlich ist er schon auch der „man you love to hate“, derjenige, vor dem man sich gruselt, ja, gruseln will.

So bleibt zu guter Letzt die eigentliche Erkenntnis dieses Buchs jene, die Schindlers WELT-Kollege Robin Alexander bereits im Vorwort formuliert: Björn Höcke hat sich nicht verändert, der Mann ist sich selbst im Grunde sein Leben lang treu geblieben. Er war immer rechts außen, er ist ein Rechtsextremist, ja, wahrscheinlich ist er ein Faschist. Auf jeden Fall ist er ein Überzeugungstäter, jemand der – anders als wahrscheinlich die meisten andern in seiner Partei – tatsächlich an das glaubt, was er so von sich gibt. Nein, wirklich erschreckend ist die Erkenntnis, dass sich die AfD im Laufe ihrer nunmehr 12jährigen (sic!) Geschichte immer weiter auf Höcke und dessen Positionen zubewegt hat. Die Partei hat sich radikalisiert, nicht Björn Höcke. Der musste nur wie eine Spinne im Netz warten, bis sich die Fäden, an denen er zieht, wie eine Schlinge um den Hals dieser Partei zuziehen.

Und damit wird bestätigt, was immer mehr politische Beobachter hervorheben: Im Vergleich zu fast allen anderen europäischen Rechtsparteien ist die AfD ein Sonderfall. Denn sei es die österreichische FPÖ, sei es der frühere Front National, der heutige Rassemblement National unter Marine Le Pen, oder seien es die Fratelli d´Italia einer Georgia Meloni – immerhin eine dezidiert postfaschistische Partei – sie und etliche andere haben sich entweder tatsächlich gemäßigt oder aber sie haben sich zumindest gemäßigt gegeben, sobald sich eine Machtoption ergab oder sie an Regierungen beteiligt waren. Nur die deutsche AfD hat sich immer weiter radikalisiert. Deutsche Gründlichkeit? Spätestens, wenn ein Björn Höcke tatsächlich Macht, also gestalterische Macht, nicht rein destruktive, in Händen hält, wird man wissen, wie gründlich dieser Mann ist. Vermutlich werden wir alle erschrecken – doch dann ist´s zu spät.

 

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