DAS DEUTSCHE DEMOKRATISCHE REICH. WIE DIE EXTREME RECHTE GESCHICHTE UND DEMOKRATIE ZERSTÖRT

Volker Weiß untersucht einige Themenfelder genauer, die die äußerste Rechte momentan bespielt

Selbst der mit der Materie nicht sonderlich vertraute und vielleicht nicht einmal wirklich an dieser interessierte Beobachter des politischen Geschehens wird in den vergangenen Monaten und Jahren mitbekommen haben, dass die Rechte – ohne sie hier genauer zu definieren, gemeint ist allerdings das rechtsradikale bis rechtsextreme Spektrum, nicht eine konservative Partei wie bspw. die CDU; eine Abgrenzung, die wichtig ist und immer wieder hervorgehoben werden muss – zusehends damit begonnen hat, sowohl die Geschichte, als auch die ihr zugrundeliegenden Begrifflichkeiten zu besetzen und neu zu definieren, wenn nicht gar direkt umzuschreiben.

Hitler ist da plötzlich ein Kommunist gewesen, die Nazis waren links und die DDR ein zwar autoritärer aber an sich doch ganz knuffiger Staat, der das im preußischen Sinne Deutsche konserviert und gegen die westliche Dekadenz zu verteidigen gewusst habe. Da wird der Begriff des „Sozialismus“ hin und her gewendet und mit jeder Drehung fügt sich ihm eine ganz neue Bedeutung hinzu und die eigentliche (wenn es sie je wirklich gab), ursprüngliche geht zusehends verloren. Die Sowjetunion wird von ihrem ideologischen Erbe „befreit“ und als Gralshüter eines dem Deutschen im eigentlichen Sinne Verwandten beschworen. Eine alte, in sich widersprüchliche Russland-Bewunderung, zumindest ein Respekt vor dem riesigen Reich im Osten, macht sich (erneut) bemerkbar. Dieser Respekt speist sich aus historischen Begebenheiten wie der Konvention von Tauroggen, als sich die preußische Armee aus dem unfreiwilligen Bündnis mit Napoleon löste und sich den russischen Streitkräften anschloss, oder aus dem Vertrag von Rapallo, der 1922 das Verhältnis zwischen dem Deutschen Reich und der gerade entstehenden Sowjetunion normalisieren sollte. Beide geschichtlichen Ereignisse sind der äußersten Rechten Beleg dafür, dass es zwischen Deutschland und Russland in seinen unterschiedlichen Ausprägungen immer schon eine besondere Beziehung gegeben habe.

Auch das Auftreten von Politikern wie Donald Trump kann man in diese Reihung von historischen Neubesetzungen und Neudefinitionen einbeziehen. Es ist erstaunlich, wie es einem Mann, von Geburt an den oberen Zehntausend in den USA zuzurechnen, gelungen ist, sich als Vorkämpfer der an Bedeutung verlierenden Arbeiterklasse, der Entrechteten – solange es Amerikaner sind und keine illegalen Migranten – und Vergessenen zu stilisieren. Und doch ist es ihm gelungen, nicht nur einmal, sondern mit vierjähriger Unterbrechung erneut und seither immer wieder. Das geht so weit, dass seine Anhänger ihm nicht einmal übelnehmen, wenn er sie mit einer erratischen Zoll- und Steuerpolitik noch weiter ins Elend führt, die Inflation anfacht und zudem das Ansehen des Landes in der Welt massiv beschädigt. Außer natürlich bei seinem Kumpel Wladimir Putin, womit sich der Kreis zu Russland und dessen Verhältnis zu Europa und der deutschen Rechten, die zugleich Trump verehrt – ein weiterer Widerspruch -, wieder schließt.

Der Historiker und Publizist Volker Weiß, seit jeher ein genauer und strenger Beobachter der rechtsextremen Szene und des rechtskulturellen Vorfelds der AfD, nimmt sich der oben beschriebenen Widersprüchlichkeiten in seiner Studie DAS DEUTSCHE DEMOKRATISCHE REICH. WIE DIE EXTREME RECHTE GESCHICHTE UND DEMOKRATIE ZERSTÖRT (2025) eingehend an. In einem weiten Bogen gelingt ihm einerseits die Analyse der gegenwärtigen, teils also tagesaktuellen Versuche des rechten Vorfelds – namentlich genannt seien der Antaios-Verlag von Götz Kubitschek sowie Jürgen Elsässers Magazin Compact und die ihnen verbundenen Autoren, Publizisten und Aktivisten –, genau diese Zerstörung ins Werk zu setzen, andererseits führt er seine Leser*innen als Historiker immer wieder in die Geschichte zurück und vermittelt dabei profundes Wissen hinsichtlich der tatsächlichen Sachverhalte. So gelingt es ihm, einige Fakten vom Kopf auf die Füße zu stellen und mit einigen der momentan im Werden begriffenen Narrative des rechten Lagers aufzuräumen.

In fünf großen Abschnitten nimmt sich Weiß einiger momentan die Rechte beherrschenden Themen an. Das betrifft den Ukraine-Krieg und damit jene antiliberalen russischen Vordenkern wie Alexander Dugin, die für Putin die intellektuelle Vorfeldarbeit verrichten, um dessen imperialen Träume historisch zu rechtfertigen; untersucht werden die Widersprüchlichkeiten der verschiedenen und teils sehr unterschiedlichen Lager der extremen Rechten und wie immer wieder versucht wird, die aufbrechenden Differenzen und Gräben zuzuschütten oder zumindest zu übertünchen; weiterhin widmet sich Weiß detailliert den geschichtsrevisionistischen Tendenzen, die die Rechte schon Jahre und Jahrzehnte bespielt und damit einhergehend den oben benannten deutsch-russischen Traditionen, auf welche sich in jenen Kreisen immer wieder berufen wird; analysiert werden die schon erwähnten Versuche, den Nationalsozialismus auf „links“ zu drehen und ebenso wird die Hinwendung zur und Umdeutung der DDR als Hort des „reinen“ Deutschen betrachtet, wobei gerade in diesem Zusammenhang die Widersprüchlichkeiten der Erzählungen, Argumentationen und Narrative der Rechten besonders ins Auge fallen.

Dabei bietet Weiß immer wieder tiefe Einblicke in die und Rückgriffe auf die Historie, um den Gehalt dessen, was er da untersucht, anhand der Fakten zu überprüfen. Man muss ihm vor allem zugutehalten, dass er es sich und seinen Leser*innen nicht dahingehend einfach macht, indem er einfach alles, was da aus der ultrarechten Ecke kommt, in Bausch und Bogen verdammt. Sicher, er bezeichnet Unsinn als genau solchen, wenn dies offensichtlich ist. Doch untersucht er eben sehr genau, auf welche Traditionen – auch intellektueller Natur bspw. der Zwischenkriegszeit und der Weimarer Republik – sich rechte Vordenker wie Kubitschek berufen, welcher sie sich bedienen und welchen Zweck sie verfolgen, wenn sie sich zum Beispiel darum bemühen, den Nationalsozialismus konsequent von Rechtsdenkern und Konservativen wie Oswald Spengler, Ernst Jünger oder Arthur Moeller van den Bruck zu lösen und behaupten, diese hätten mit jenem nichts zu tun gehabt.

Weiß ist ein viel zu guter Kenner der Geschichte, auch der Ideengeschichte und der intellektuellen Strömungen und Linien des 20. Jahrhunderts bis hinein ins 21. Jahrhundert, als dass er nicht wüsste, dass eben nicht alles reinweg Unsinn ist, was Kubitschek und Konsorten verzapfen. Im Gegenteil: Deren Kenntnisse, deren teils – wie Weiß es nennt – „besseres historisches Gedächtnis“, und auch ihre sehr genaue Lektüre jener, die sie eigentlich ablehnen – allen voran der Strukturalisten und Dekonstruktivisten vom Schlage Michel Foucault, Jacques Derrida oder Judith Butler – erlaubt ihnen Rückgriffe, die sie schwer angreifbar machen. Und es erlaubt ihnen, einst progressiv-linke, subversive Taktiken und Strategien nun gegen diese selbst zu wenden[1].

Denn die Resignifikation bekannter Begriffe und Symbole, meist abstrakter Natur – ‚Freiheit‘, ‚Sozialismus‘, ‚Demokratie‘ etc. – erlaubt es der Rechten, nicht nur Geschichte um- und neu zu schreiben (in der steten Behauptung, diese sei immer schon anders gewesen; eine Übung auf die sich bspw. der ehemalige Geschichtslehrer und heutige AfD-Vorsitzende in Thüringen Björn Höcke hervorragend versteht), sondern auch, den herrschenden Diskurs zusehends zu zersetzen, neu zu besetzen und vollends zu bestimmen (ein manchmal erstaunlich dekonstruktiver Vorgang). Indem scheinbar bisher eindeutige Bedeutungen neu definiert, damit untergraben und letztlich ausgehöhlt oder gar ausgetauscht werden, wird der Diskurs, wird die Grundlage der Verständigung, geradezu ad absurdum geführt. Denn die Bezeichnung (Signifikant) mag dieselbe bleiben, die Vorstellung (Signifikat) dessen, die evoziert wird, verändert sich jedoch massiv. Es wird tatsächlich immer schwieriger, überhaupt einen begrifflichen Konsens zu finden, auf dessen Basis man sich überhaupt einigen kann, worüber man spricht.

So dürften bspw. die Vorstellung von „Sozialismus“, wie dieser bisher wohl mit großer Wahrscheinlichkeit begriffen wurde, und die Idee, die ein Joseph Goebbels davon hatte, maximal divergieren. Und den meisten wird wohl die Kenntnis davon abgehen, weshalb der originäre Faschismus des 20. Jahrhunderts als Massenbewegung überhaupt mit einem Begriff wie dem des „Sozialismus“ operierte. Doch sind dies Voraussetzungen, um zu verstehen, womit man es zu tun hat, wenn Alice Weidel meint behaupten zu können, dass Hitler ein Kommunist, die Nazis eigentlich „links“ gewesen seien, und sich als Beleg auf den Namen „Nationalsozialistische Arbeiterpartei“ – NSDAP – beruft.

Es ist ein Verdienst dieses Bandes, dass sich der Autor in genau diese Niederungen begibt und noch einmal sehr genau jenen Zitaten nachforscht, auf die sich bei solchen Behauptungen gern berufen wird und davon ausgehend gerade den spezifischen Gebrauch des Wortes „Sozialismus“ im NS-Kontext untersucht. Und darüber hinaus noch einmal daran erinnert, wie die deutsche Sprache grammatikalisch und also auch semantisch eigentlich funktioniert. Denn „national“ ist im Kompositum immerhin der bestimmende Teil.

Es sind genau diese Wege, die das Buch geht, die es im momentanen Diskurs so wertvoll machen. Denn es gibt Halt und hilft, diesen Diskurs zu verstehen, ihn aufzunehmen und – hoffentlich – auch zu bestehen. Denn auch wenn uns die Einsicht nicht gefällt: Man hat es auf der Rechten nicht mit tumben Schlägern zu tun, im Gegenteil. In jenen Jahren, da es nicht so aussah, als hätten sie eine reelle Chance, ihre Vorstellungen in eine politische oder gesellschaftliche Wirklichkeit zu überführen, haben sie zumindest ihre Hausaufgaben gemacht und haben „Feindschau“ betrieben, wie sie es wahrscheinlich nennen würden. Sie haben sich mit einstigen Vordenkern der progressiven Linken wie Antonio Gramsci vertraut gemacht und wenden dessen Idee der „kulturellen Hegemonie“ nach und nach gegen die Linke – oder auch einfach nur die offene, liberale, progressive Gesellschaft der Nach-, Spät- oder Postmoderne. Oder schlicht gegen die Moderne selbst. Und leider ist ihnen das zumindest in Teilen der östlichen Bundesländer nach und nach auch gelungen. Es ist an der Zeit, dagegenzuhalten!

[1] Wobei man – von Kubitschek und einigen wenigen anderen in seinem Umkreis vielleicht einmal abgesehen, deren Wirken nicht zuletzt dadurch so gefährlich ist, weil sie tatsächlich ein gewisses intellektuelles Niveau bedienen – bei den meisten derer, sie sich so vehement gegen das Gendern, differenziertes Denken und den allseits gehassten „Wokismus“ wenden, getrost davon ausgehen sollte, dass sie nie auch nur eine Seite, in manchen Fällen nicht einmal einen Satz der genannten Theoretiker gelesen haben. Sonst würden sie, gerade was das Gendern betrifft, nicht solch blühenden Blödsinn absondern, wie man ihn allenthalben in entsprechenden Interviews und Äußerungen gewärtigen muss.

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