SCHLAGENDE WETTER/HOW GREEN WAS MY VALLEY
Märchenhafte Erinnerungen an Zeiten des Aufruhrs
In einer langen Erzählung, im Grunde eine Aneinanderreihung von Rückblenden, berichtet der Film episodenhaft aus der Sicht des jungen Huw (Roddy McDowell) die Geschichte seiner Familie und seines Dorfes in Südwales kurz vor der Jahrhundertwende, Ende des 19. Jhd. Die jüngere Generation will eine Gewerkschaft gründen, einen Streik ausrufen um bessere Arbeitsbedingungen für die Männer, die alle ausnahmslos im Bergwerk arbeiten, zu erkämpfen; die junge Angharad (Maureen O’Hara) verliebt sich in den neuen Priester der Stadt, Mr. Gruffydd (Walter Pidgeon), der dem kleinen Huw eine Art Ersatzvater wird, als dieser mit seiner Mutter (Sara Allgood) im Eis einbricht und dabei fast seine Beine verliert. Huws leiblicher Vater (Donald Crisp) überwirft sich derweil fast mit der ganzen Stadt, da er gegen den Streik ist, schließlich verlassen ihn seine älteren Söhne. Erst das Unglück der Mutter und Huws läßt die Familie wieder zusammenstehen. Die Liebe zwischen Angharad und Mr. Gruffydd wiederum ist nicht von Glück gesegnet, denn es hält Lestyn Evans, Sohn des Bergwerkbesitzers bei Mr. Morgan um die Hand der wunderschönen Tochter an. Sie geht mit ihm nach Südafrika, während zwei von Huws Brüdern nach Amerika auswandern, später zwei weitere zur See fahren. Die Familie verteilt sich nach und nach über die ganze Welt. Doch Mrs. Morgan, der Huw in einem Atlas zeigen will, wo überall die Jungs sind, sagt, sie trüge sie immer bei sich, im Herzen, sie wären immer bei ihr. Schließlich kommt es im Bergwerk zu einem Unglück, ausgerechnet der Stollen, in dem Mr. Morgan arbeitet, stürzt ein. Mr. Gruffydd stellt eine Rettungstrupp zusammen, der junge Huw, der sich nach einem Jahr in einer Schule, wo er nur schlechte Erfahrungen sammeln musste, entschlossen hat, ebenfalls im Untertagebau zu arbeiten, schließt sich an. Er schließlich findet die Männer, sein Vater stirbt in seinen Armen. Angharad, seit einiger Zeit zurück in der Stadt, ohne sich bei ihrer Familie gezeigt zu haben – sie lebt in Scheidung von ihrem Mann und brächte somit Unbill über die ihrigen – läuft schnell zum Bergwerk, als sie von dem Unglück hört. So sehen sich die Liebenden und auch die Familie wieder.
Wir erfahren nicht, ob sich die Liebenden wiedergefunden haben. Nach einem Voice-Over, in welchem Huw, mit dessen Monolog als alternder Mann der Film auch begonnen hatte, uns erklärt, daß Männer wie sein Vater – harte Arbeiter, die den Wert dessen, was sie taten noch zu schätzen wussten – nicht sterben, sie seien immer da, schließt der Film mit einer Aneinanderreihung von Einstellungen, Bildern und kurzen Szenen, die uns Huw mit seiner Familie, in „glücklicheren Tagen“, zeigen.
John Ford, der sich einmal mit den Worten vorstellte „Mein Name ist John Ford, ich mache Western“, machte eben nicht nur Western. Zwar zeugen auch sie von sozialem Bewußtsein, sind immer auch Feiern der Außenseiter und Rebellen und stellen mit oft liebevollem Humor durchaus schwächere Seiten einer aufblühenden Gesellschaft aus. Doch klag sein Hauptaugenmerk dabei auf den Mythen und Legenden, die er erzählen wollte. Er wollte an der großen amerikanischen Erzählung mit seinen Mitteln mitschreiben. Ford spann Legenden, doch war er sich seines Tuns immer sehr bewußt und reflektierte es. Die Western erlaubten es dem Regisseur und Künstler John Ford, keine Stellung beziehen zu müssen, sich im Mythos zu bewegen. Daß er auch anders konnte, durchaus scharfe Kritik zu üben und klare Position zu tagesaktuellen Geschehnissen zu beziehen wusste, bewies Ford vor allem den beiden Filmen, die er im Sinne eines kruden Realismus in der Zeit von Roosevelts „New Deal“ drehte: THE GRAPES OF WRATH (1940) und eben HOW GREEN WAS MY VALLEY (1941). Beides sind Filme ganz in Roosevelts Sinne dessen, Mittel gegen die „große Depression“. Das Elend, das überhaupt erst zur Depression geführt hatte, musste dargestellt werden und Ford tat es. Allerdings ist der „amerikanische“ Film THE GRAPES OF WRATH dabei weitaus realistischer als HOW GREEN WAS MY VALLEY, der „walisische“ Film. Dieser verhält sich zu seinem amerikanischen Pendant, wie ein Märchen zu einem Dokumentarfilm. Wo der amerikanische Film fast dokumentarischen Charakter hat, auch durch die zeitliche Nähe zu dem, was er erzählt („Dustbowl“, die Reisen der sogenannten ‚Okies‘ nach Kalifornien usw.), wird hier, ganz im Sinne der Vorlage – eine möglicherweise auch etwas verklärten Kindheitserinnerung – von einer scheinbar fern zurückliegenden, besseren Vergangenheit erzählt.
Ford schildert seine Geschichte mit der ihm eigenen Liebe zu seinen Figuren, hat allerdings ein auch heute noch überzeugendes Ensemble zur Verfügung. Von Donald Crisps Vater über Walter Pidgeons Mr. Gruffydd, dem jungen Roddy McDowell (der ein echtes Naturwunder der Schauspielkunst gewesen ist) bis zu den vielen sehr gut besetzten Frauenfiguren – allen voran natürlich Sara Allgood als Mrs. Morgan und last but not least die wunderschöne Maureen O’Hara als Angharad – nimmt man diesen Darstellern ihre jeweiligen Figuren ab. Dabei wird mit Rhys Williams nur ein einziger echter Waliser in der Besetzungsliste aufgeführt.
Ursprünglich wollte Ford – der die Regie von William Wyler übernommen hatte – an originalen Schauplätzen in Wales drehen, ließ es jedoch aus kriegstechnischen Gründen bleiben und verwirklichte den Film in Kalifornien. Dafür ließ er das walisische Bergarbeiterstädtchen komplett nachbauen. Und diese Kulisse ist eine der besten, die es im klassischen Hollywoodfilm zu bestaunen gibt. Die Liebe und Detailversessenheit, die hier abgebildet sind, suchen ihresgleichen auch im Studiofilm der 30er und 40er Jahre. KING KONG (1933) mag einem einfallen, mit seinen einzeln auf der Mauer montierten Ranken, die den Affen vom Eingeborenendorf fern halten sollen. Die Kulisse in HOW GREEN WAS MY VALLEY ist einer der heimlichen Hauptdarsteller des Films. Das düstere Setting wird auch gerade durch diese Detailtreue definiert. Die Kamera tut ihr Übriges. Arthur C. Miller, der zuvor bereits mit Ford gearbeitet hatte, bietet uns immer wieder Einstellungen aus der Froschperspektive, die uns das sich langsam drehende Hauptrad des Stollens, der die Lifte mit den Bergleuten in die Tiefe bewegt, wie einen trägen und feisten, dennoch bedrohlichen Moloch über dem Dorf präsentieren. Konterkariert wird diese äußere Kälte durch die Wärme der Familie Morgan und ihrer Freunde. Einziger Negativpunkt an dieser Stelle: das Haus der Morgans wandelt sich prompt, sobald vom Außen ins Innere geschnitten wird: außen ein Zwerg, wird es innen zum Palast. Aber das sind Marginalien. Es wird sich an jedem Film der Welt etwas zum Mäkeln finden.
HOW GREEN WAS MY VALLEY ist sicherlich einer von Fords besten Filmen überhaupt, keine Frage. Er hat seinen Klassikerstatus zu Recht und kann auch Jahrzehnte nach seiner Erstveröffentlichung immer noch überzeugen. Er beschönigt nichts, er stellt das Leben der Arbeiter als hart und gefährlich dar. Er erlaubt es sich allerdings – im Unterschied zu THE GRAPES OF WRATH – diesen Menschen Erinnerungen zu geben, die von Glück erzählen. So hart dieses Leben auch war/ist, scheint der Film zu sagen, so schön ist es, wenn die Familie, die Gemeinschaft, die Gesellschaft zusammenstehen. Eine Zentralaussage für John Ford, der genau diesen Zusammenhalt in fast allen seinen großen Werken der frühen und mittleren Phase feierte. Die Zweifel kamen erst später. Doch muß man hier klar bemerken, daß Fords Sympathien bei den Arbeitern und ihren Bedürfnissen liegen. Gewerkschaft, Streik, Arbeiterrechte, Beschneidung der Macht der Kapitalisten – Fords Kommunitarismus, den er in seinen Western sehr viel besser, ungenierter, weil zeitlich enthoben, feiern konnte, steht einer sozialistischen Idee der Vergesellschaftung gewisser Mittel und Risiken weitaus näher, als allen reaktionären Ideologien, mit denen man den Regisseur gern in Verbindung bringen wollte. Mag er ein Wertkonservativer gewesen sein, mag er Bekanntschaft, ja Freundschaft zu teils ausgesprochen Rechtsauslegern wie Ward Bond, Darsteller in etlichen seiner Filme gepflegt haben – John Ford steht mit seinen Ideen und Idealen ganz sicher dem Liberalismus in seiner klassischen Form sehr nah und musste zwangsläufig als Kind seiner Zeit auch von wirklich linken Ideen Kenntnis nehmen, die er zumindest nicht verdammt hat. Und Berührungsängste zu Kommunisten hatte er nicht, zumindest tart er für seinen Regiekollegen Joseph L. Menkiewicz ein, als der in die Mühlen des HUAC zu geraten drohte.
Auch der beständige Auftritt des Bergarbeiterchors, der zwischendurch sogar eingeladen wird, der Queen (also Königin Victoria) vorzusingen, korrespondiert mit der links-liberalen Haltung und Botschaft des Films. Dieser Chor ist praktisch immer zur Stelle, wenn es etwas zu feiern gibt oder etwas Außergewöhnliches geschieht. Ford setzt ihn fast wie den Chor in der klassisch antiken Tragödie ein: Er kommentiert das Geschehen, beschwichtigt oder belobigt. Das alles mit walisischen Bergarbeiterliedern. Ford kann den Einsatz der Musik, des Chors, der ihm immer wichtig ist, in diesem Film auf sehr eindringliche und immanente Art und Weise nutzen. Wo im Western ein Chor auf der Tonspur erschallt, wenn es etwas zu bestätigen gilt („Ride away“ singt der Chor am Ende von THE SEARCHERS [1956], wenn Ethan Edwards in die Wüste hinausschreitet), kann Ford den Chor in diesem Film direkt und als Teil der Handlung und des Settings einsetzen. Und als Teil der Gemeinschaft. Das ist ein ausgesprochen wichtiger Bestandteil dieses Films, der fast in einem sozialistischen Sinne die Werte der Gesellschaft als Gemeinschaft, der ehrlichen Arbeit ehrlicher Arbeiter, des Miteinanders und vor allem der Loyalität besingt.