WESTLICH ST. LOUIS/WAGON MASTER
Eine brüchig gesungene Hymne an jene namenlosen Männer und Frauen, die das Land einst urbar machten
Soll man Favoriten nennen, ist es schwer, sich auf einzelne Filme im Werk von John Ford festzulegen. Es scheint, als habe man es bei seinem Werk – zu dem auch Filme wie THE GRAPES OF WRATH (1940) oder THEY WERE EXPANDABLE (1945) gehören – mit einem narrativen Fluß zu tun, aus dem einzelne Werke, meist Western, wie Felsen hervorragen: Mal geschmeidig, fast elegant, wie SHE WORE A YELLOW RIBBON (1949), manchmal schroff und wild wie THE SEARCHERS (1956). Und oftmals in einer seltsamen Mischung aus beidem, was im Kern den ganz eigenen Stil von John Ford ausmachte – MY DARLING CLEMENTINE (1946) oder FORT APACHE (1947) zeugen unter anderem davon. Manche, nur ganz wenige dieser Werke, sind ein wenig vergessen und ducken sich wie verschämt in die Ecken weg – TWO RODE TOGETHER (1961) wäre so ein Beispiel oder eben dieser Film von 1950: WAGON MASTER. Ein Kleinod unter Fords Western, einer seiner schönsten.
Vieles ist anders und eigen an diesem Werk. Ford bietet uns eine für ihn ungewohnte Sequenz vor den Titeln, in der wir direkt mit dem brutalen Mord des alte Shiloh Clegg (Charles Kemper) an einem Bankangestellten konfrontiert werden. Wenn dann die Titel mit stimmiger Musik einsetzen und wir denken, nun begänne ein waschechter Ford, kommt die nächste Überraschung: Als habe man die ersten Credits einfach weg gelassen, lesen wir die Namen Ben Johnson und Harry Carey Jr.; Namen, die in Filmen von John Ford häufig, aber immer nach denen der Stars erscheinen. Typische Namen aus Fords ‚Stock Company‘. Wie auch Ward Bond, der den Treckführer Elder Wiggs gibt – einen Mann, der zwar stets einen Fluch auf den Lippen spürt, dank der Unterstützung von Adam Perkins in Gestalt von Russell Simpson – einem weiteren Ford-Gesicht – seine Seele aber Mal ums Mal erretten kann. Als habe der Meister seinen langjährigen Gefährten einen Film nur für ihre ganz eigenen Charaktere und deren ganz eigenen Fähigkeiten schenken wollen. Fords Figuren sind oft Typen, sie stehen manches Mal allegorisch für einzelne Gruppen und Schichten der Gesellschaft. WAGON MASTER wirkt ein wenig wie ein Geschenk, vielleicht eine Hommage an jene, die diese Typen immer bereitwillig und unter den Bedingungen des Genres gespeilt haben und denen der Regisseur nun einen Film schenkt, in dem sie diese Typen/Stereotypen mit einem Mehr füllen können, sie mit tieferen Charakteren ausstatten und vielschichtiger zeigen können. Dies setzt sich fort: Ford frönt seiner Vorliebe für gesellschaftliche Außenseiter und läßt also die Cowboys und Pferdetreiber Travis (Johnson) und Sandy (Carey Jr.) ausgerechnet einen Mormonentreck auf seinem Weg nach Utah begleiten, als Wagenführer, als ‚Wagon Master‘ eben. Auch die Mormonen sind Außenseiter, werden, was der Film deutlich zeigt, angefeindet und vertrieben und sind doch auch nur auf der Suche nach dem „Promised Land“, nach ihrer „Stadt auf dem Hügel“, dem „New Jerusalem“. Ford zeigt am Beispiel dieser Glaubensgemeinschaft noch einmal den „amerikanischen Weg“ im Kleinen, warnt dabei aber die eigenen Leute, sich der eigenen Geschichte zu erinnern und sich nicht eben genau so zu verhalten wie die Europäer sich einst gegenüber den Urvätern der amerikanischen Besiedlung verhalten und diese überhaupt erst gen Westen getrieben haben.
Der Treck muß Wüsten durchqueren, die Siedler müssen die Wagen durch Flüsse und unwegsames Gelände lotsen, es müssen Routen und Durchfahrtrechte mit den Indianern ausgehandelt werden. Unterwegs trifft man auf die Schauspiel- und Varietétruppe um Doc Hall (Alan Mowbray), der auch Denver (Joanne Dru) angehört, die schnell Travis‘ Aufmerksamkeit erregt. Sandy bandelt mit einer Siedlertochter an, was nicht jeder im Treck goutiert, ist er doch alles andere als ein Mormone – was ihn wiederum einer ganzen Reihe schrecklicher Dinge verdächtig macht, die die Mormonen geistig auch immer gleich parat haben. Einmal mehr gelingen Ford herrlich skurrile Typenzeichnungen. Schließlich müssen sich die Siedler der Gefahr durch Banditen in Gestalt der bereits als brutal und fies eingeführten Familie Clegg erwehren. Niemand im Treck will Gewalt anwenden, auch Travis und Sandy nicht, die jedoch nicht durch ihren Glauben gebunden sind und also frei zu handeln. Doch versichern sich beide gegenseitig, daß sie nie vorhatten, „Gunfighter“ werden zu wollen, sie verstehen sich als Cowboys; dann retten sie die Siedler, indem sie Gewalt anwenden.
Bewußt nicht im Monument Valley, sondern weiter nördlich in Utah und in schwarz-weiß gefilmt, geht WAGON MASTER noch einmal einen Schritt hinter seine vermeintlich nachdenklicheren Vorgänger MY DARLING CLEMENTINE (1946) oder SHE WORE A YELLOW RIBBON (1949) zurück und erzählt von der unter den Siedlern herrschenden ungebrochenen Aufbruchsstimmung. Diese Menschen wollen ihr eigenes Land bewirtschaften in einer Umgebung – der Wildnis Utahs – die ihnen die Möglichkeit und das Recht gibt, ihre Religion frei auszuleben. Ford zeichnet seine Protagonisten immer liebevoll, doch mit viel Humor, wobei er sie gelegentlich auch dem Spott preisgibt. Nie müssen wir jedoch ernsthaft zweifeln, wem die Sympathien des Regisseurs gehören. So wirkt der Film zunächst, als stünde er in einer Reihe mit den idealistischen Vorkriegsfilmen wie DRUMS ALONG THE MOHAWK (1939) oder STAGECOACH (1939). Und wirklich unterscheidet sich WAGON MASTER schon in seinem schwarz-weiß-Look maximal von seinem direkten Vorgänger SHE WORE A YELLOW RIBBON, der in seinen Technicolorfarben geradezu zu ertrinken droht. War der ältere Film eine sentimentale Meditation über Vergänglichkeit, Neuanfänge, darüber, wie man eine Balance zwischen dem Land und seinen Be-Siedlern herstellen könnte, scheint der jüngere Film in der Euphorie des Aufbruchs zu schwelgen und ein meist unkritisches Bild der Westbewegung der Siedler zu zeichnen. Doch manchmal trügt der Schein. Denn ca. 200 Jahre nachdem die Puritaner Neuengland erreicht hatten, greift Ford das Motiv einer religiösen Minderheit auf, die zwar nicht aggressiv vertrieben wird, aber da, wo sie herkommt, auch nicht sonderlich beliebt ist. Und auf ihrem Weg nach Westen offenkundig auch wenig Freundlichkeit erfährt – außer von Outcasts wie den beiden Cowboys oder den Indianern. Diese Menschen sind also – bei aller Freude auf einen Neuanfang – nicht unbedingt freiwillig unterwegs oder lediglich vom hehren Siedler- und Eroberergeist beseelt. Die Vorstellung einer Hymne auf die Eroberung des Westens bekommt somit deutliche Risse. Wie bereits erwähnt, nutzt Ford das Konstrukt seiner Erzählung auch, um vor historischen Wiederholungen zu warnen.
Bei genauerem Hinschauen merkt man, daß WAGON MASTER auf sehr subtile Weise ebenso kritisch und zweifelnd mit dem Erbe der amerikanischen Geschichte umgeht, wie dies auch FORT APACHE, MY DARLING CLEMENTINE oder SHE WORE A YELLOW RIBBON schon ansatzweise – mal mehr, mal weniger, immer aus anderer Perspektive – getan haben. So mag man denken, daß Ford auf den Handlungsstrang um die Cleggs genauso gut auch hätte verzichten können, steigert er doch durchaus die Spannung – aber handelt der ganze Film nicht eigentlich davon, wie sich die Planwagen entlang bizarrer Felsformationen durch die Ebenen Colorados und Utahs schlängeln, manchmal geradezu vorankämpfen? Geht es nicht darum, uns die Mühsal dieser schweren Zeit vor Augen zu führen, einen großen Gesang auf die Ahnen anzustimmen, jene zu preisen, die das Land einst aufgebaut haben? Ford nimmt sich auch wirklich sehr viel Zeit, dem Publikum die Mühen zu zeigen, die es bedeutete, diese ungelenken, oft auch instabilen Vehikel all die Tausenden von Meilen voran zu treiben. Schlamm, die Trockenheit der Wüste, Unwetter, die Unwägbarkeit des Geländes – ohne unnötig zu dramatisieren, eher einer reinen Beschreibung entsprechend, präsentiert der Film diese Hindernisse auf dem Weg ins gelobte Land. WAGON MASTER wirkt fast wie eine Dokumentation. Die schwarz-weiß-Fotografie gibt den Bildern eine Art von Authentizität und Organik, die das Land und seine Bezwinger scheinbar verschmelzen lassen und zugleich wie zeitgenössische Aufnahmen der historischen Vorbilder wirken. Ford und seinem Kameramann Bert Glennon[1] gelingen teils atemberaubende Bilder der Plateaus in den Canyonlands von Süd-Utah. Die Idee, diesmal nicht auf das Monument Valley als Drehort zurückzugreifen, erwies sich als Glücksgriff, wirken die abgekappten Berghänge, an deren Füßen sich der Treck hinzieht, doch dramaturgisch überwältigend: Diese Menschen, die sich so vollkommen den Launen der Natur aussetzen, begeben sich wahrlich in Gottes Hand, so bedrohlich und enthoben wirkt die Landschaft oft. In diesen Momenten bekommt WAGON MASTER eine ähnliche Qualität wie Raoul Walshs zwanzig Jahre älterer THE BIG TRAIL (1930), dem man schon quasi dokumentarischen Charakter attestieren kann, bedenkt man, daß Walsh und seine Leute das, was man auf der Leinwand sieht, de facto veranstaltet haben.
Weitere Risse im idealistischen Bild sind dabei zu entdecken. Denn diese Bilder – gerade in ihrer „authentischen“ Wirkung – entlarven eher, als daß sie verschleiern. Mühen sehen hier durchaus auch aus wie Mühen[2]. Wir gewinnen enormen Respekt vor diesen Menschen, die all das einst auf sich genommen haben. Es ist zunächst die Natur, die es zu bewältigen gilt. Zur Natur gehören – noch eine untypische Wendung für einen Western von 1950, auch und erst recht einen Western des früheren John Ford – hier ausnahmsweise nicht die Indianer. Wenn sie im Film auftauchen, meint Travis, der ihnen allein begegnet, zwar, sich in rasendem Ritt in Sicherheit bringen zu müssen, doch ist er dann ebenso überrascht wie der Zuschauer, daß sich Mormonen und Indianer schnell handelseinig sind. Die Siedler werden sogar eingeladen, an einem Fest teilzunehmen. Und während dieses Festes vergewaltigt einer der Cleggs eine junge Indianerin. Der Bruch geht von den Vertretern der weißen Majorität aus. Die Risse werden größer – nun ist es nicht mehr „die Natur“, die es zu bewältigen gilt, jetzt ist es plötzlich die „Natur des Menschen“.
Elder Wiggs läßt den Übeltäter für sein Verbrechen auspeitschen, was den Rachedurst der Indianer befriedigt, den Hass der Cleggs hingegen anstachelt. Das Auspeitschen ist die zweite, überaus brutale, für Ford eher untypische Gewaltszene, nach dem Mord zu Beginn des Films. Die historische (puritanisch-religiöse) Minderheit der Mormonen wird hier gleichgesetzt mit der (dem Film) zeitgenössischen Minderheit der Indianer. Sie sind „rein“, was die klare Idee von Natur, Arbeit, Moral und Strafe angeht – letztlich der Werte, denen sie sich unterwerfen wollen –, jedoch „weltfremd“, was die (ihre) Zukunft betrifft. Diese Implikation kann Ford voraussetzen. Die Mormonen blieben fremd in den U.S.A., die Indianer wurden vollkommen marginalisiert. Das war auch 1950 so. Die Gefahr für Leib und Leben geht von den Weißen, in dem Fall von den Cleggs aus. Und es sind Travis und Sandy, die im entscheidenden Moment auf Waffen zurückgreifen und sie nutzen können, gleich wie sehr sie zuvor beteuert haben, keine „Gunmen“ zu sein. Außerhalb der bis ins Letzte geregelten Dogmen einer Sekte, verwischen die Konturen schnell und es wird sich wer die Hände schmutzig machen müssen. Ohne daß Ford das so explizit ausstellt, bietet WAGON MASTER auch eine sich herkömmlicher amerikanischer Geschichtsbetrachtung und -beschreibung entziehende, fast dekonstruktive Lesart der historischen Begebenheiten.
Ford spielt ein hintergründiges Spiel mit Ideen wie Pazifismus, der Religion und jener Kraft, die Amerika immer vorangetrieben hat, manchmal im Guten, meist im Schlechten – der Gewalt. Vielleicht konnte er doch nicht so ganz auf den Handlungsstrang um die diabolische Familie (die, wie die Clantons in MY DARLING CLEMENTINE oder die Plummers in STAGECOACH, eine Familie ohne Frauen sind) verzichten? Jedenfalls wird in der Wahl des (religiösen) Sujets und der Auseinandersetzung mit den Cleggs sehr deutlich, daß wir es hier nicht mit einem „idealistischen“ Werk des Regisseurs und Autors in Personalunion zu tun haben. So sehr WAGON MASTER an der Legende der Eroberung des Westens strickt, so sehr er sein Teil zur großen Saga des Landes beiträgt – er unterwandert die reine Hymne permanent. Allerdings gehört dazu, wie oft bei Ford, eine gehörige Portion Humor. Der Grundton ist von leichter Ironie, was es Buch und Regie erlaubt, eben jenen liebevollen Blick auf das Personal zu werfen und – es gehört sicherlich zu Fords eindringlichen Leistungen, diesen Zug im Western vertreten zu haben – bei aller Spöttelei einen jeden als das menschliche und fehlbare aber würdevolle Wesen zu zeigen, daß er oder sie nun einmal ist. Außer die Cleggs. Da ist das Buch unerbittlich, diese Truppe verkörpert all den Abschaum, das Verkommene und Bösartige, was der Mensch so in sich trägt. Allerdings erlaubt die Boshaftigkeit der Cleggs Ford auch abrupte Wechsel zwischen humorigem Intermezzo und ernsthafter Brutalität. Der Film hält die Balance zwischen beidem. Die Action besteht weniger aus der Darstellung von Gewalt, was die Momente, in denen sie ausbricht, allerdings umso intensiver macht. Großteils besteht die Action aus der Bewegung der Reiter im Raum; Bewegung herrscht – da ist WAGON MASTER seinem direkten Vorgänger SHE WORE A YELLOW RIBBON ausgesprochen ähnlich – überhaupt viel auf der Leinwand.
So ist der Film vor allem unterhaltsam, sind wir immer eingebunden in diese Bewegungen oder aber wir werden in Staunen versetzt mit einem weiteren Panoramabild der gewaltigen Landschaft und des verschwindend kleinen Wagenzugs darin. WAGON MASTER bietet Unterhaltung, Schauwerte, Dramatik und Action, fügt dabei aber dem Werk seines Regisseurs wesentliche und vor allem ausgesprochen schöne Teile hinzu. Denn dies ist ganz sicher einer der schönsten Western des Künstlers. Ein weniger beachtetes Kleinod zwischen all den großen und anerkannten Meisterwerken. Aber dennoch ein Meisterwerk. Wenn MY DARLING CLEMENTINE eine Ballade ist, SHE WORE A YELLOW RIBBON eine Ode, dann mag WAGON MASTER ein Hymnus sein, gesungen mit brüchiger Stimme.
[1]Glennon war mit seinen Bildern für STAGECOACH maßgeblich dafür verantwortlich, daß das Monument Valley den Beinamen ‚John Ford Country‘ erhielt.
[2]Wobei gerade ein Film wie WAGON MASTER zu einer Metadiskussion einlädt: Haben wir es hier nicht de facto mit einer Dokumentation zu tun? Ob wir nun „echte“ Planwagen sehen oder eine Reihe von Planwagen, die man zusammengeschustert und vor einer Kamera aufgebaut hatte, läuft in der Frage der Authentizität im digitalen Zeitalter fast auf dasselbe hinaus. Auch diese Diskussion dockt an die zu THE BIG TRAIL an.