OPPENHEIMER

Christopher Nolan will das ganz große Drama und erzählt eine Beamtengeschichte

1959 soll Lewis Strauss (Robert Downey Jr.) zum ordentlichen Mitglied der Eisenhower-Administration ernannt werden. Wie immer in solchen Fällen, kommt es zu einer Anhörung im US-Kongress. Während dieser Anhörungen kommt auch Strauss Verhältnis zu J. Robert Oppenheimer (Cillian Murphy) zur Sprache. Den Wissenschaftler hatte Strauss nach dem Krieg in seiner Funktion als Leiter der Atomenergiebehörde zum Leiter des Beratergremiums berufen. Doch schon in den frühen 50er Jahre intrigierte Strauss gegen den Physiker, der als „Vater der Atombombe“ zu einem der weltweit bekanntesten Menschen geworden war. Da Oppenheimer ihn einmal öffentlich bloßgestellt haben soll und auch seine, Strauss, Autorität gegenüber Albert Einstein (Tom Conti) untergraben habe, sorgte Strauss im Jahr 1954 dafür, dass Oppenheimer nach einer extrem intensiven Befragung durch einen Ausschuss die Sicherheitsfreigabe verlor und somit auch seine exponierte politische Stellung.

Während dieser Befragung im Jahr 1954 musste Oppenheimer nicht nur etliche seiner persönlichen Daten und Begebenheiten seines Privatlebens offenlegen, sondern auch erleben, dass Menschen, mit denen er während des berühmten Manhattan-Projekts, bei welchem die Atombombe entwickelt wurde, zusammengearbeitet hatte, gegen ihn aussagten. Allen voran sein langjähriger Weggefährte und Widersacher Edward Teller (Benny Safdie).

Nach und nach zerrt der Ankläger Roger Robb (Jason Clarke) Oppenheimers Leben vor den Ausschuss: Wie der Wissenschaftler als junger Student in Europa die Bekanntschaften solch wesentlicher Forscher wie Werner Heisenberg (Matthias Schweighöfer) und Niels Bohr (Kenneth Branagh) machte, aber auch eine für ihn wichtige und lebenslange Freundschaft mit dem Physiker Isidor Isaac Rabi (David Krumholtz) schloss. In Europa entdeckte Oppenheimer vor allem seine theoretische Begabung und dringt in das bis dahin eher als Orchideen-Fach belächelte Feld der Quantenphysik vor.

Nach Stationen an der Ostküste und erneut in Europa, kehrte Oppenheimer in den USA zurück und wurde Dozent an der University of California in Berkeley. Hier kommt Oppenheimer mit der kommunistischen Partei und Gewerkschaftsaktivisten in Berührung, deren Ideen ihn ansprechen. Doch tritt er der Partei nie bei. Vielmehr bemüht er sich, eine Gewerkschaft für Hochschullehrer zu gründen, was auf massiven Widerstand bei seinem Vorgesetzten, Gönner und Freund Ernest Lawrence (Josh Hartnett) stößt.

In dieser Zeit lernt Oppenheimer auch Jean Tatlock (Florence Plugh) kennen. Die brillante junge Psychiaterin und Ärztin, ist nicht nur eine überzeugte Kommunistin, sondern auch ausgesprochen eigenwillig und freiheitsliebend. Oppenheimer und sie verlieben sich ineinander, doch je stärker der Faschismus in Europa um sich greift – vor allem seit dem Ausbruch des spanischen Bürgerkriegs 1936 – verlangt Jean weitaus größere Hingabe ihres Freundes an die kommunistische Sache, denn an die Sache der Physik. Oppenheimer weiß, dass er Tatlock nicht geben kann, was sie verlangt.

Zur selben Zeit lernt Oppenheimer aber auch Kitty Harrison (Emily Blunt) kennen, in die er sich ebenfalls verliebt – wenn auch weitaus weniger leidenschaftlich, was die eher kühle junge Dame auch nicht zuließe. Sie wird schließlich Oppenheimers Frau.

Mit Ausbruch des 2. Weltkriegs wenden sich in Gestalt des Generals Leslie R. Groves (Matt Damon) das Militär und somit auch die US-Politik an Oppenheimer. Er soll den Bau einer Atombombe forcieren, über deren Möglichkeiten unter Fachleuten schon seit Jahren spekuliert wird. Da das Militär die Deutschen im Verdacht hat, bereits seit Längerem an einer solchen Waffe zu bauen, drängt die Zeit.

Oppenheimer, der sich mit seinem Bruder Frank (Dylan Arnold) eine Farm in Arizona teilt und den Westen der USA liebt, bekommt die Einwilligung, in New Mexico, im Örtchen Los Alamos, ein Zentrum aufzubauen, wo er die wesentlichen Forscher und Wissenschaftler, die er braucht, zusammenziehen und an der Bombe bauen lassen kann. Groves soll ihm den Rücken freihalten und dafür sorgen, dass Oppenheimer und seine Leute bekommen, was immer sie für ihre Arbeit brauchen.

Die Entwicklung der Bombe schreitet relativ schnell voran, auch dank der Unterstützung von Männern wie Rabi, Lawrence und Teller, die ihre Mitarbeit garantieren. Teller hofft dabei auf ein Folgeprojekt, die Wasserstoff-Bombe, von der er seit langem träumt.

Die Arbeit fordert die ganze Aufmerksamkeit der Wissenschaftler, weshalb Oppenheimer dafür gesorgt hat, dass deren Familien mit nach Los Alamos ziehen können. So sind die Mitarbeiter größtenteils von der Außenwelt abgeschottet. Jean Tatlock versucht in dieser Zeit mehrfach, Oppenheimer zu kontaktieren.

Schließlich trifft er sich ein letztes Mal mit ihr, kann ihr, die offenbar unter Depressionen leidet, aber nicht helfen. Er kann ihr nicht einmal sagen, woran er arbeitet und weshalb er für sie – der er nach ihrer Trennung als Liebespaar versprochen hatte, immer für sie da zu sein – keine Zeit hat. Im Januar 1944 bringt Tatlock sich um. Als Oppenheimer davon erfährt, stürzt ihn dies in eine tiefe Krise, aus der ihn schließlich Kitty, die immer um seine besondere Beziehung zu Tatlock wusste, befreien kann.

In Europa endet der Krieg im Mai 1945, doch der für die Amerikaner in mancherlei Hinsicht weitaus folgenschwerere Krieg im Pazifik gegen die Japaner dauert an. Groves und durch ihn auch Oppenheimer stehen unter Druck. Die Bombe, deren Einsatz so oder so nie gegen Europa, bzw. Deutschland, geplant war – sehr zu Oppenheimers Unbill, der als Jude um die Deportationen und das Leid seiner jüdischen Mitmenschen in Europa weiß – muss nun zeitnah einsatzbereit sein.

Am 16. Juli 1945 erfolgt der Trinity-Test, bei dem erstmals eine Atombombe erfolgreich gezündet wird. Kurze Zeit später gibt Präsident Harry S. Truman (Gary Oldman) den Einsatz der Bombe auf die Städte Hiroshima (6. August) und Nagasaki (9. August) frei. Der Einsatz ist – aus militärischer Sicht – ein überwältigender Erfolg. Japan kapituliert bedingungslos, der Krieg ist zu Ende, viele amerikanische Leben wurden geschont, da eine Invasion der japanischen Hauptinseln vermieden werden konnte.

Nach dem Krieg ist Oppenheimer nicht nur eine der bekanntesten Persönlichkeiten der Welt, sondern auch außergewöhnlich einflussreich. So wird er Leiter des Beratungsgremiums der Amerikanischen Atomenergiebehörde und in dieser Funktion eben auch mit Lewis Strauss bekannt.

1954 kommt es zu der besagten Befragung, bei der es um die Sicherheitsfreigabe geht. Oppenheimer wird diese verwehrt und damit schwindet sein Einfluss. Da unter dem Senator Joseph McCarthy die Hatz auf Kommunisten zu einer wahren Obsession wird, spielen Oppenheimers frühere Kontakte zur kommunistischen Partei, die Tatsache, dass sein Bruder Frank Parteimitglied gewesen ist, seine Liaison mit Jean Tatlock und schließlich die Entdeckung, dass Klaus Fuchs (Christopher Denham), den Oppenheimer höchstselbst ins Manhattan-Projekt geholt hatte, sich als Sowjet-Spion entpuppte, seinen Gegnern und Feinden in die Hände.

Zudem hatte Oppenheimer sich gegen die Entwicklung der Wasserstoffbombe ausgesprochen, was Edward Teller ihm persönlich übelnahm. Obwohl nie so eindeutig wie Albert Einstein, haben auch Oppenheimer Zweifel an seiner Erfindung befallen und er glaubt an das Gleichgewicht der Kräfte, um einen neuerlichen Einsatz der Waffe unmöglich zu machen. So kommt kurz sogar die Vermutung auf, er könnte Geheimmaterial an die Sowjets weitergegeben haben, damit die im Wettrüsten eine Chance hätten. Ein zu Zeiten McCarthys lebensbedrohlicher Vorwurf.

Einige Jahre später findet die Kongressanhörung zu Strauss´ Posten als Handelsminister statt, ein Amt, das er seit einem Jahr bereits kommissarisch bekleidet. Strauss hatte sich zuvor mehrfach gegenüber Untergebenen und Mitarbeitern despektierlich über Oppenheimer geäußert. Vor allem aber hatte er zugegeben, maßgeblich an den Vorgängen im Jahr 1954 beteiligt gewesen zu sein. Er habe dafür gesorgt, dass die Angehörigen, aber auch die Zeugen des damaligen Ausschusses, so ausgewählt wurden, dass Oppenheimer nie eine faire Chance gehabt habe, erneut eine Sicherheitsfreigabe zu erhalten.

Vor dem Kongressausschuss sagt schließlich David L. Hill (Rami Malek) aus, eine eher marginale Gestalt. Doch seine Aussagen führen dazu, dass Strauss der Ministerposten verweigert wird, nicht zuletzt durch die Stimme des jungen Senator John F. Kennedy.

Oppenheimer, der nach dem Verlust seiner politischen Ämter zu Forschung und Lehre und also in den akademischen Betrieb zurückgekehrt war, wird bereits 1963 durch Präsident Kennedy rehabilitiert, 1964 verleiht Präsident Lyndon B. Johnson ihm den Enrico-Fermi-Preis.

In der allerletzten Szene des Films wird offenbart, was Oppenheimer und Einstein besprachen – jene Szene, durch welche sich Strauss, der an dem Gespräch selbst nicht teilnahm, von Oppenheimer gegenüber Einstein düpiert fühlte. Es ging jedoch keinesfalls um den sich zu wichtig nehmenden Strauss, sondern um die Frage, ob der Trinity-Test eine Kettenreaktion in Gang zu setzen in der Lage sei, welche schließlich die gesamte Erde vernichten könnte. Dies sei tatsächlich nicht geschehen, resümiert Oppenheimer, in anderer Hinsicht allerdings…

Während Einstein fortgeht und dabei dem heraneilenden Strauss keinen Gruß erweist, da er in Gedanken ist, bleibt Oppenheimer zurück und wird von Bildern einer in einem nuklearen Supergau untergehenden Welt bedrängt. Zuvor war ihm von verschiedenen Freunden und Bekannten immer wieder beschieden worden, er verfüge über eine brillante Vorstellungsgabe, wodurch er Dinge sehen und imaginieren könne, die anderen verborgen blieben, die sich später aber durchaus als realistisch erweisen könnten.

 

Betreibt man ein kleines Blog im Internet, wo man einfach seine Gedanken zu den Filmen und Büchern niederschreibt, die man liebt und die man im Laufe eines Lebens so gesehen und gelesen hat, bleibt es natürlich nicht aus, dass in die eigenen Beurteilungen und Überlegungen einfließt, was man sich über die Jahre an Sekundärliteratur zu Gemüte geführt hat. Dennoch ist es meist so, dass man bei all den klugen Gedanken, die man sich aneignet, hier und da noch etwas Eigenes hinzuzufügen weiß. Im Falle von Christopher Nolans mittlerweile als heißer Oscar-Anwärter in etlichen Kategorien gehandeltem Biopic OPPENHEIMER (2023) ist es nun ausnahmsweise einmal so, dass es tatsächlich eine Besprechung des Films gibt, der man nahezu nichts hinzuzufügen hat. Denn Tobias Kniebe hat am 19.Juli 2023 in der Sueddeutschen Zeitung eine Besprechung veröffentlicht, welcher zumindest dieser Rezensent nahezu vollkommen zustimmen kann.

So bleibt eigentlich nur, ein paar Gedanken zu Christopher Nolan und seiner Themenauswahl niederzuschreiben. Und einige von Kniebes Anmerkungen zu bestätigen.

OPPENHEIMER kommt mit einer Länge von drei Stunden daher, was die Sache schon schwierig macht, denn man fragt sich schnell, ob der Stoff wirklich eine solche Laufzeit rechtfertigt? Denn im Kern geht es natürlich um den Bau der Atombombe, also das Manhattan-Projekt und Oppenheimers spätere Abkehr von, zumindest der Skepsis gegenüber seinem Werk. Und darum, wie diese Zweifel in einem extremen politischen Klima gegen ihn genutzt wurden.

Wer im (west)deutschen Schulsystem sozialisiert wurde, ist mit dem Kern dieser Geschichte so oder so bekannt, da Heinar Kipphardts IN DER SACHE J. ROBERT OPPENHEIMER – erstaufgeführt 1964, 1977 überarbeitet – lange Zeit zur Schullektüre gehörte und meist schon in der Mittelstufe behandelt wurde. Doch ist nicht das Stück die Vorlage für Nolans Film, vielmehr ist es die opulente Oppenheimer-Biographie AMERICAN PROMETHEUS – THE TRIUMPH AND TRAGEDY OF J. ROBERT OPPENHEIMER von Kai Bird und Martin J. Sherwin, die erstmals 2005 erschien und das Ergebnis einer jahrzehntelangen Recherchearbeit darstellt. Ein Standardwerk. Und schon die ersten Momente des Films lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass auch Nolan es nicht unter antiken Verweisen macht: Dass Oppenheimer ein moderner Prometheus gewesen sei, der die Menschheitsgeschichte verändert habe, wird dem Zuschauer direkt per Insert mitgeteilt. Damit ist die Fallhöhe des Films definiert. Und sein Anspruch: Standardwerk.

Sicher, Oppenheimer hat ein neues Zeitalter eingeläutet, keine Frage. Nach den Abwürfen der Bomben auf Hiroshima und Nagasaki war die Welt eine andere und – der Film weist selbst kurz darauf hin – viele Historiker behaupten gern, dass der Einsatz der Bomben gegen Japan im Grunde kein Schlussakt des 2. Weltkriegs mehr gewesen ist, sondern der erste Akt des Kalten Kriegs. Definitiv war damit markiert, was der Mensch zu tun in der Lage ist und Oppenheimer war ganz sicher auch schockiert über die Wirkung, die reine Wucht der Vernichtung, die seine Erfindung (wenn man es einmal so nennen will, waren doch viele, sehr viele Wissenschaftler daran beteiligt) erzielte. Über die Gründe, weshalb er sich der Entwicklung der weitaus perfideren Wasserstoffbombe verweigerte, kann man – von heute aus betrachtet – wahrscheinlich nur spekulieren. Dass er sich nach dem Krieg maßgeblich für die Einhegung der Atomwaffen einsetzte, ist unbestritten.

Nolan – immer schon an Spielereien mit Zeit und Raum interessiert; viele seiner Filme handeln entweder explizit davon (INTERSTELLAR/2014) oder verarbeiten das Thema implizit (DUNKIRK/2017) – erzählt die Geschichte seines Films einmal mehr nicht chronologisch, sondern baut zwei Rahmenhandlungen ineinander, die es im Grunde so nicht gebraucht hätte, die es ihm aber erlauben, Spannung zu erzeugen. Zumindest scheint er zu glauben, dadurch Spannung zu erzeugen, dass er dem Zuschauer seine Story häppchenweise, vor- und zurückspringend in der Zeit, darbietet. Mag sein, dass er dem für Biopics so typischen Fall entgehen will, ein Leben so oder so nur in Aus- und Abschnitten zeigen zu können, was das Genre (wenn man es denn so nennen will) immer schon schwierig gemacht hat. Nolan macht diese Vorgehensweise, macht das Leben in Ausschnitten, zum Prinzip seines Films, ohne dass er dabei einer wirklich zwingenden Logik folgt. Die Protagonisten werden einerseits bei jener Anhörung gezeigt, die 1954 dazu führte, dass dem Wissenschaftler seine Sicherheitsfreigabe entzogen wurde, wodurch er seinen politischen Einfluss verlor. So kann anhand einzelner Aussagen wesentlicher Beteiligter Oppenheimers Werdegang nachvollzogen werden – wobei der Film auch sein Privatleben ausleuchtet, u.a. die Affäre mit Jean Tatlock, die im Film auch aufgrund der Zurückweisung Oppenheimers Selbstmord begeht, was sicherlich dem ausgesprochen komplexen Charakter der realen Person Jean Tatlock nicht gerecht wird. In der zweiten Rahmenhandlung ist es die Befragung von Lewis Strauss durch den Kongress, welche Nolan wiederum dazu dient, den Fall Oppenheimers zu thematisieren. Nimmt man es allerdings ganz genau, ist diese zweite Rahmenhandlung überhaupt nicht notwendig und scheint lediglich dramaturgischen Zwecken zu dienen.

Strauss sollte und wollte 1959 offiziell zum Handelsminister in der Regierung Eisenhower ernannt werden. Eine Position, die er bereits seit einem Jahr kommissarisch bekleidete. Doch war es letztlich sein Umgang mit Oppenheimer, an dem er Rache üben wollte, hatte der ihn doch einst öffentlich der Lächerlichkeit preisgegeben, wodurch Strauss´ Eintritt in das Regierungsamt verhindert wurde. Nicht zuletzt der junge Senator John F. Kennedy verweigerte Strauss seine Zustimmung.

Ob es nun tatsächlich die Enthüllungen um Strauss´ Rolle in der 54er-Befragung Oppenheimers war, oder nicht vielmehr sein Auftreten und ein ihm nachgewiesener Meineid, was schließlich zu seiner Demission führte, sei einmal dahingestellt. Nolan nutzt Strauss als Antagonisten, um seiner Story ein wenig Pfeffer beizumischen. Wie Tobias Kniebe es in seiner Besprechung bereits darlegt, war Strauss in Wirklichkeit kein sonderlich bedeutender Mann. Doch für Nolan, der ja das ganz große Drama erzählen will – Prometheus und so – braucht es halt einen angemessenen Gegenspieler und ein damit einhergehendes Gefühl. Gefühl, Emotion, ist für die große Tragödie, das Welten-Drama, die Schicksalhaftigkeit einer Erzählung unabkömmlich. Rachsucht ist natürlich ein solch großes Gefühl und die ihr zugrunde liegende Demütigung, die im Film allerdings keine sonderliche Rolle spielt, erst recht.

Das eigentliche Problem dieses Werks ist, dass sich im Laufe dieser zähen drei Stunden Film-Zeit immer mal wieder die Frage stellt, wen das – vor allem in dieser Ausführlichkeit – eigentlich interessieren soll? Es gab in den vergangenen zwei Dekaden manchen Film, der sich intensiv mit jenen düsteren Jahren beschäftigte, in denen der Senator Joe McCarthy und sein „Komitee für unamerikanische Umtriebe“ ihr Unwesen trieben. Allen voran der brillante GOOD NIGHT, AND GOOD LUCK (2005), der vom Kampf des Radio-Moderators Edward R. Murrow und seines Teams gegen McCarthys Einfluss auf ihre Arbeit erzählte; aber auch ein Film wie TRUMBO (2015), der vom Kommunisten-Bann in Hollywood berichtete, speziell des Falls Dalton Trumbo, der trotz des Banns, der ihn traf, unter Pseudonym oscarprämierte Drehbücher schrieb. Immer schon hat Hollywood sich gern mit jenen Jahren beschäftigt, in denen es selbst Teil eines üblen politischen Kampfes wurde und in denen viele sich nicht sauber verhalten haben. Nun also OPPENHEIMER. Hier ist es nicht das Showbiz, sind es nicht die Medien, sondern es geht in die Herzkammer amerikanischer Machtpolitik: Jene Wissenschaft, die den USA die Rolle sicherte, die sie noch heute innehat, allerdings aufzugeben im Begriff ist.

Doch Nolan will natürlich noch mehr als das (sonst wären ja vielleicht 120 Minuten Lauflänge vollkommen ausreichend gewesen). Er will von einem Original-Genie erzählen, will bebildern, wie dieses Genie die Welt wahrnimmt; er will die großen Gefühle, wenn gelingt, was niemals hätte gelingen dürfen; er will die wissenschaftlichen Kämpfe und Auseinandersetzungen ebenso, wie die persönlichen; natürlich will er auch und unbedingt das politische Drama. Unter antikem oder klassischem Drama geht es aber natürlich nicht, weshalb der oben beschriebene Antagonist, der Gegenspieler, eingebaut wird, selbst wenn das Drehbuch dafür eine marginale Gestalt aufbauschen muss. Doch Nolan – und auch da behält Kniebe eben recht: Wer alles will, scheitert meist auf ganzer Linie – bekommt schließlich nichts von alldem.

Der Blick des Genies auf die Welt bleibt für den Zuschauer lediglich ein Blitz oder mehrere davon – schöne Bilder, doch nicht zu identifizieren und letztlich CGI-Getöse. Das persönliche Drama ist zu inkohärent und zergliedert erzählt, um emotional zu packen. Zudem lässt die Darstellung Oppenheimers durch Cillian Murphy kaum eine Identifizierung mit dem Mann zu, dafür wirkt er zu entrückt, zu abgehoben, aber auch zu besessen. Die wissenschaftlichen Auseinandersetzungen bleiben dem durchschnittlichen Betrachter ein Rätsel, weil er zwar eine Menge Worte hört – „Quantenmechanik“ und „Kernspaltung“ und „Kernfusion“ etc. – und dazu eine Menge auf Kreidetafeln geschriebene Formeln sieht, doch versteht er die zugrundeliegenden Probleme? Eher nicht, bis auf die wenigen im Publikum, die Physik-Leistungskurs belegt hatten. Und das politische Drama? Der Polit-Thriller gar? Erneut sitzen Männer in schmalen Räumen oder riesigen Sälen und erzählen sich gegenseitig, wer was wann warum wem gegenüber geäußert oder eben nicht geäußert hat.

Nolan bebildert wenig und lässt alles zerreden. Und bei alledem wirkt Oppenheimer eher wie ein Wissenschaftsmanager, denn wie der geniale Wissenschaftler, der er nun einmal war. Ein Kommunist in jungen Jahren, wie so viele seiner Generation, die den Faschismus in Europa aufkommen sahen. Ein Jude, dem – ohne dass der Film je erklären würde, wie er an diese Informationen gelangen konnte – bewusst ist, dass „sein“ Volk in Lagern verschwindet, weshalb er die Bombe gern gegen Deutschland eingesetzt sähe (was so nicht belegt ist); dass Oppenheimer zwischendurch immer mal wieder auf sein Judentum rekurriert und damit seine Besessenheit, die Dringlichkeit seiner Arbeit belegt werden soll, wirkt aufgesetzt und bleibt bloße Behauptung. Er ist ein Physiker, dem nicht viel an Mathematik liegt, ein Theoretiker, der sich die richtigen Leute hinzuzuziehen weiß, um seine Überlegungen in die Wirklichkeit übersetzen zu lassen. Sein Charisma wirkt nicht überzeugend, seine prägenden Charakterzüge würden jedem modernen CEO gut zu Gesicht stehen. Aber letztlich, vielleicht trifft Nolan da ja einen Nerv, war Oppenheimer ja auch so etwas wie der Geschäftsführer des Manhattan-Projekts.

Ein Manager eben. Wenn auch ein besessener Manager. Darüber hinaus für Nolan aber auch ein Seher, ein Gott oder Götterbote, der fallen muss, weil nur so die Tragödie funktioniert. Dass Oppenheimer zwar des Geheimnisverrats bezichtigt und damit in die Nähe des Hochverräters gerückt wurde, dass er in die Mühlen des Antikommunismus geriet und – wie so viele – ein Opfer seiner eigenen Vergangenheit wurde (wovon zu erzählen vor allem Kipphardts Anspruch gewesen ist), weil er irgendwann einmal auf den falschen Parteitreffen war (obwohl Oppenheimer nie Mitglied eben dieser kommunistischen Partei Amerikas gewesen ist) – all das kann der Film mit seiner spezifischen Un-Dramatik überhaupt nicht entsprechend würdigen. Stattdessen wird die Tatsache, dass Oppenheimer seinen Sicherheitsstatus verlor und damit den Einfluss auf die amerikanische Regierung, zu einem Popanz aufgebaut. Der Mann landete weder im Gefängnis noch gar auf dem elektrischen Stuhl, wie es anderen widerfuhr, die in die Mühlen des McCarthyismus gerieten. Er konnte weiterarbeiten, er wurde rehabilitiert und schließlich sogar mit Preisen überhäuft.

So stellt sich also die Frage: Wen interessiert das heute wirklich noch? Sind dies wirklich die relevanten Themen, die uns umtreiben? Und wenn ja, sollte man sie so erzählen? Nun ja – immerhin hat der Filme bereits etliche Preise gewonnen und wird wahrscheinlich der große Abräumer bei der Oscar-Verleihung 2024 werden. Er muss also viele, auch wesentliche, Leute überzeugt haben. Und natürlich ist es durch und durch ein Christopher-Nolan-Film. Hervorragend ausgestattet, in den Spitzen dessen, was er tricktechnisch zeigt, ausgefeilt, bis in die kleinsten Nebenrollen mit Stars und Charakterdarstellern aus der ersten Reihe besetzt. So darf bspw. Gary Oldman in einem ca. dreiminütigem Auftritt als Harry S. Truman nach seiner durchaus beeindruckenden Darstellung Winston Churchills in DARKEST HOUR (2017) nun ein weiteres Staatsoberhaupt seiner Sammlung hinzufügen. Für Matthias Schweighöfers Darbietung Werner Heisenbergs bleiben lediglich gefühlte fünfundvierzig Sekunden. Doch wenn Nolan ruft, kommen sie alle. Gilt der Mann doch als der Intellektuelle unter den Blockbuster-Regisseuren.

Doch bei all seinem Können, all der Raffinesse, die er seinen Geschichten normalerweise angedeihen lässt, all den Verwicklungen und Verwinkelungen seiner Erzählweisen – auch darin muss man Tobias Kniebe zustimmen: Diesmal hat der Meister sich schlicht verhoben. Doch ist es keinesfalls so, dass er dem Stoff nicht gewachsen wäre. Oder der Stoff gar ungeeignet wäre – ein anderer, Rod Lurie vielleicht oder James Gray, hätte möglicherweise etwas Packendes daraus gemacht. Es scheint schlicht so zu sein, dass der Stoff zu OPPENHEIMER nicht für die Art Erzählung taugt, die Nolan will. Und die er auch braucht, um sich selbst, seiner Art des Hollywood-Kinos, gerecht zu werden. Aber was solls. Ein Glückskind wie Christopher Nolan wird einen – oder zwei – schwächere Filme in seinem Oeuvre verkraften können. Und die Oscars und die Anerkennung bekommt er ja so oder so. Von den an den Kassen verdienten Dollars einmal ganz abgesehen.

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