CAPOTE

Ein Biopic, das nur an der Oberfläche einer schillernden Figur kratzt

Am 15. November 1959 wird am Rande einer Kleinstadt in Kansas die Farmersfamilie Clutter ermordet.

Der Schriftsteller und Partylöwe Truman Capote (Philip Seymour Hoffman), der mit dem Romanen THE GRASS HARP und BREAKFAST AT TIFFANY`S große Erfolge gefeiert hat, will für den „New Yorker“ eine Reportage darüber schreiben, welche Auswirkungen ein solches Verbrechen auf eine kleine, konservative und gottesfürchtige Gemeinde hat. Dazu reist er mit seiner Jugendfreundin Nelle Harper Lee (Catherine Keener), der späteren Autorin des Megasellers TO KILL A MOCKINGBIRD, in die Kleinstadt Holcomb.

Nach und nach gelingt es Capote, die meisten Beteiligten des Falles – Freunde der ermordeten Familie, Ermittler des Falles und ganz allgemein die Menschen des Ortes – dazu zu bringen, mit ihm, einem offensichtlich homosexuellen Dandy von der Ostküste, nicht nur Fakten, sondern auch Gefühle zu teilen. In einer atemberaubenden Mischung aus Hypersensibilität, äußerster Egozentrik, Einfühlsamkeit, einem niemals zu unterschätzendem Charme, Skrupellosigkeit und dem dafür nötigen psychologischem Gespür, schafft Capote es, selbst abstruseste Situationen aufzufangen, aufzubrechen und zu lockern.

Schließlich gelingt ihm dies auch mit den Tätern, nachdem sie gefasst wurden. Vor allem der Gefangene Perry Smith (Clifton Collins jr.) hat es ihm in seiner menschlichen Hilflosigkeit und Naivität angetan. Die beiden freunden sich miteinander an. Doch Capotes Privatleben beginnt zu leiden, sein Lebensgefährte fühlt sich vernachlässigt und den Menschen, denen Capote etwas bedeutet, fällt immer stärker auf, daß er sich monströs zu verändern beginnt. Er will seinen „Tatsachenroman“ fertig stellen und dafür müssen die beiden Täter endlich hingerichtet werden…

Truman Capote war ein Egozentriker erster Güte. Das wusste, das weiß man. Sein Ego war monströs, sein Glaube ans eigene Genie ungetrübt. Seine Sottisen waren gefürchtet, seine Kommentare ebenso; er konnte fürchterlich verletzen und sich damit zugleich Liebkind bei allen denen machen, die gerade nicht gemeint waren. Doch er verfügte eben auch über die Gabe der Sprache. Sein Schreiben war großartig. Und sein Denken scharf. Eben in seiner Rolle eines Südstaatenabkömmlings hatte er ein waches Bewußtsein für Außenseiter, Ausgestoßene und Minderheiten. Und sein Tatsachenroman IN COLD BLOOD begründete ein vollkommen neues Genre literarischen Schaffens. Wobei das, was Capote beschrieb, maßgeblich dazu beitrug, in der amerikanischen Rechtssprechung psychologische Gutachten zuzulassen, ja, es half, generell das Vorleben und die Sozialisation von Tätern mitzubedenken. 1967 schuf Richard Brooks einen kongenialen Film, dem es erstaunlich gut gelang, vor allem die ausdifferenzierte Psychologie zwischen Perry Smith und seinem Kompagnon Richard „Dick“ Hickock (hier: Mark Pellegrino; allerdings wird diese Figur im Film gnadenlos runtergespielt) darzustellen, die ausgesprochen wichtig für das Motiv der Tötungen selbst war. Auch Capotes Buch legt starkes Gewicht auf das Verhältnis der beiden. Seine Zuneigung zu Smith war wohl echt, doch läßt er auch im Buch keinen Zweifel aufkommen, daß er es mit zwei wirklich kaltblütigen Mördern zu tun hatte.

All das scheint CAPOTE (2005) als Film nicht zu interessieren. Regisseur Bennett Miller offeriert dem interessierten Publikum ein Psychogramm äußerster Schärfe. Am Ende dieses fast zweistündigen Films bleibt der Zuschauer mit einem madigen Geschmack zurück und sieht einen Menschen vor sich, der vollkommenen moralischen Bankrott erlitten hat. Hier – das allerdings merkt der Zuschauer erst nach geraumer Zeit – geht es nur um die psychologische Betrachtung des Autors und eine Analyse seines Verhaltens in diesem besonderen Fall. Gleichsam ein Gegenstück zu Capotes Buch, daß sich stark um psychologisches Feingefühl für die beiden Täter generell, aber auch und vor allem für die spezifische Situation und das spezifische Verhältnis der beiden untereinader müht, wird hier der Autor als Teil eines Ensembles untersucht. Sein Verhalten, sein Mittun. Allein – es geht nicht auf. Der Film liefert dafür nicht genügend Belege, im Grunde immer nur ein und denselben in unterschiedlichem Gewande.

Truman Capote als Figur hatte ungemein viele Facetten und sein Wirken als öffentliche Figur reichte bis weit in die 70er Jahre und selige Studio-54-Zeiten hinein, neben Andy Warhol et al. Sein Verhältnis zu Harper Lee und sein Anteil an deren Erfolg mit TO KILL A MOCKINGBIRD wird lietraturwissenschaftlich gern und häufig analysiert. Man könnte viele Einzelheiten seines Lebens herausgreifen und darauf basierend seinen Charakter untersuchen (ein homosexueller Mann aus den Südstaaten, worauf der Film einige Male anspielt, aber dann schlicht als Hinweis stehen läßt, ohne daraus etwas Greifbares zu machen) – doch es muß diese Geschichte um den Mord an den Clutters sein, vermeintlich die aufregendste Episode dieses Lebens. Je nach Standpunkt. Doch was wir dann sehen, ist die zwar delikate, doch letztlich eindimensionale Darstellung dieses Mannes. Philip Seymour Hoffman spielt Capote durchaus tuntig, doch er übertreibt es nicht und schafft damit Differenz. Das ist in einigen Szenen wirklich atemberaubend, doch kann er das nicht durchhalten, allein das Drehbuch verfällt zu häufig darauf, sich zu wiederholen und das ewig gleiche auszustellen. Immer wieder sehen wir Capote in Gesprächen, in denen er das Geschehen – egal, ob da jemand sitzt, der gerade die beste Freundin verloren hat oder ein leidender Freund – an sich zieht, auf sich be-zieht und darum anfängt von sich zu erzählen. Das ist ein, zwei Mal gut ausgespielt, doch dann verflacht es, weil zu wenig hinzukommt und zu wenig daraus gefolgert wird.

Ab etwa der Mitte des Films sehen wir also auch keiner schauspielerischen Analyse eines zutiefst Verstörten zu (der Capote sicherlich auch war, der Film zeigt es, aber wenn er es zeigt, trägt er es auch besonders dicke auf), sondern wir erleben den Skandal: Da macht einer Hoffnung und zieht sich dann zurück, da hat einer die materiellen Möglichkeiten, gute Anwälte hinzuzuziehen und tut so, als fände er keine, schließlich erbittet sich da einer den Tod zweier Menschen, damit er endlich, endlich das Buch beenden kann, das von diesen beiden handelt – doch an dem Punkt angelangt, haben wir es längst kapiert: Capote war ein Schweinehund, was das anging.

So wiederfährt diesem Film, der nicht mal ein wirkliches Biopic ist, stellt er doch wirklich nur dreieinhalb Jahre im Leben seiner Titelfigur aus, das Schicksal der meisten Biopics: Irgendwo verflacht das alles, mangelnder Tiefgang wird mit erlesenem Dekor und famoser Schauspielkunst übertüncht und man denkt, was Wunder das alles toll ist und fragt sich erst später, warum einem der Film dann doch so lang vorkam? Hier kann man einem sehr guten Schauspieler bei der Darstellung eines leidlich interessanten Falles von Omnipotenz zusehen. Viel mehr ist es nicht.

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