FLAMMENWERFER/THE FLAMETHROWERS

Rachel Kushner vermisst die 1970er Jahre neu

Da meint es jemand ernst mit den alten Parolen, jenen Slogans davon, daß das Politische privat und das Private immens politisch sei. Und dieser Zusammenhang wird auch noch anhand des Verhältnisses des „alten Europa“ zur jungen amerikanischen Nation ausgelotet. Rachel Kushner –Wunderkind der amerikanischen Literaturszene und sowohl für ihren Erstling TELEX FROM CUBA, als auch für das vorliegende THE FLAMETHROWERS für den National Book Award nominiert – taucht tief in die New Yorker Kunstszene der späten 70er Jahre, der Nach-Factory-Ära ein, bietet dem Leser ein breites Panorama und ein Panoptikum der Verlorenen und Vereinsamten, die nach Warhols Serialität und dem, was Susan Sontag einst ‚Camp‘ nannte, auf der Suche nach Ausdruck und Medialität sind. In diese Szene hinein kommt die junge Frau, nach ihrer Heimatstadt ‚Reno‘ genannt, die uns diese Geschichte der Unnahbarkeit größtenteils erzählt. Sie versucht Fuß zu fassen, will Filme drehen und Kunst produzieren, ja, will eine Karriere im Kunstbetrieb, landet bei einem nächtlichen Streifzug durch die angesagten Lokale in Ronnies Bett und bald steht sie als „Beziehung“ an der Seite des angehenden neuen Stars der Kunstszene Sandro Valera, Sprößling einer der großen norditalienischen Automobilherstellerfamilien. Mit diesen reist sie nach Italien, wo sie sich unvermittelt in die revolutionären Kämpfe der radikalisierten Jugend verstrickt findet. Eine Jugend, die für 68 zu spät kam und sich umso entschlossener gab, was die Härte ihrer Kämpfe anging.

Geschmückt mit Fotos, die nur sehr bedingt dem Handlungsablauf zuzuordnen sind, dafür aber den Inspirationsquellen entsprechen, die Kushner im Nachwort angibt, dreht sich hier alles um die Frage von Authentizität, Fiktionalisierung, sekundärer Wahrnehmung und der Frage, an welchem Punkt das eine ins andere übergeht, bzw. die Realität die Kunst wieder einholt und auf die Plätze verweist. Reno will Filme machen, arbeitet als ‚China Girl‘ – ein dem Film voran gestelltes Still, an dem die Filmvorführer Helle und Schärfe ausrichten können, im normalen Durchlauf eines Films (wir reden von Zelluloid) jedoch niemals zu erkennen ist – und müht sich, mit den verrückten Figuren, die sie kennenlernt, mitzuhalten. Da sind der schon benannte Ronnie, bei dessen Geschichten man nie weiß, was wahr, was erfunden ist und der diesen Schwebezustand zu einer Kunstform an sich erhebt; da ist Sandro, der Objektkunst macht, die lediglich auf die Objekte selbst verweisen und damit das Konkrete in die Kunst zurückholen will; da ist Giddle, die frei von jeder inneren Beziehung durch die Betten der verschiedensten Männer (und Frauen) turnt, der jedes Verhältnis von allem Anfang an zur Fiktion gerät. Es treten auf einige Galeristen und Künstlerfiguren, die an realen Vorbildern orientiert sind, ohne daß sie als Figuren sonderlich vertieft werden. Dem gegenüber stehen jene italienischen Großinidustriellen und Bourgeois, die die Familie Valera repräsentiert, wie auch Anarchisten und Revolutionäre, die sich von der Polizei mit Tränengas einsprühen lassen müssen und die gemeinsam mit Fabrikarbeitern für mehr Rechte der Fabrikbelegschaften eintreten. Und die sich bewaffnen, als einer der ihrigen bei Auseinandersetzungen an den Toren einer Fabrik getötet wird. Italien in den späten 70ern: Mehr noch als Deutschland mit seiner Roten Armee Fraktion, war es ein durch Terror von links wie rechts und einer sich dem Staat zusehends entziehenden Politikerkaste geprägt.

Kushner gelingen für beide Welten, beide Szenen eindringliche Bilder und Figuren, die die jeweilige Atmosphäre – hier der heilige Unernst der Künstlerszene, dort der heilige Ernst einer sich im revolutionären Abwehrkampf wähnenden Jugend – gut transportieren und dem Leser glaubwürdig erscheinen lassen. Die Klammer ist einmal Sandro, der in Amerika den Künstler gibt, den reichen Erben jedoch nicht verleugnen kann und daran auch immerzu von seinem der Armut entstammenden Freund Ronnie erinnert wird; zum andern Reno selbst, die wie ein Kind des Glücks zunächst von einer guten Gelegenheit zur nächsten stolpert und erst während ihrer Reise in den Kosmos der Valeras erstmals mit einer Wirklichkeit konfrontiert ist, die direkt, nicht sekundär durch die Brillen, Okulare und Objektive von Künstlern wahrgenommen wird und sich als ausgesprochen widerständig entpuppt. Schmerzhaft widerständig. In Italien muß Reno sich einer Realität stellen, die brutal ist, direkt, unumwunden und im Zweifelsfall tödlich. Zunächst fühlt sich Reno wie eine Aussätzige, wird sie doch von Sandros Mutter nicht nur geschnitten, sondern in entscheidenden Momenten auch verächtlich gemacht; Sandros Bruder Roberto läßt sie deutlich spüren, daß sie ihm leid tut, kann sie doch so gar nicht mithalten mit dem Mailänder Geldadel, den die Valeras darstellen. Und selbst der Gärtner Gianni scheint sie seine Geringschätzung spüren zu lassen. Bis ausgerechnet die Bekanntschaft mit ihm Renos Leben maßgeblich verändert. Kommt sie dann in revolutionäre Kreise, kann sie deren Zeichen und Gesten nicht lesen und steht auch zu dieser Szene eher auf einem Außenseiterposten. Kushner spielt so ein wenig Amerika gegen Europa aus: Was in der Neuen Welt oft wie ein Spiel wirkt, dessen Einsatz „nur“ das Innenleben der Spielenden ist, ihre Emotionalität und darin ihr Seelenheil, wird in Europa bitterer, tödlicher Ernst. Dort ist der Einsatz konkret – das Leben. Keine Kunst, die substituiert, sondern das nackte, blanke Leben selbst.

Das Personal dieses Romans wirkt manches Mal seltsam entfremdet, als stünden die Personen in keinem echten Kontakt zueinander, zum Leser, ja, nicht einmal zu sich selbst (exemplarisch dafür ist Giddle). Aber genau so scheint Kushner das auch angelegt und gewollt zu haben, es ist keine literarische Schwäche. Eine New Yorker Kunstszene wird da beschrieben, die nach den Effekten, der Explosion an Kreativität, die die 60er Jahre und auch die frühen 70er Jahre noch geprägt hatten, zur Ruhe kommt, indem sie immer schneller auf der Stelle tritt, ja rennt. Plötzlich wird das Leben selber zum Kunstwerk – eine hübsche Volte, die aber in sich schon wieder den Kern der Resignation trägt. Denn es wirkt, als falle all diesen Möchtegernkreativen auch nicht mehr viel ein. Mehr STUDIO 54 denn Factory, möchte man meinen. Da ist Ronnies „Kunst“, das eigene Leben in einen ewigen Narrationsstrang zwischen Fakten und Fiktion zu verwandeln weitaus eher „Kunst“, als Sandros Objekte, die kaum einmal beschrieben werden, Giddles scheinbar vollkommene Losgelöstheit aus allem Zwischenmenschlichen hingegen höchste Vollendung eines Kunstbegriffs, der sich zwar angeblich immer mehr dem Eigentlichen im Konkreten nähert, sich dabei aber seiner selbst zusehends entfremdet. Der wahre Künstler ist also nicht mehr der Maler, der Fotograf oder der Regisseur, der wahre Künstler ist derjenige, der sein Leben zu einem ewigen Event macht, sich in einem dauernden Als-Ob einrichtet: Als ob man Kellner wäre, als ob man obdachlos wäre, als ob man Kunst schaffen würde, als ob man eine Liebe hätte, als ob man…lebte.

All diese Versuche, das Leben zu fassen zu bekommen, wirken aber wie durch Plexiglasscheiben unternommen. Selten, daß dabei menschlicher Austausch eintritt. Als Reno die italienische Villa flieht und mit dem Gärtner gen Rom aufbricht, tut sie dies, nachdem sie durch Sandros Unachtsamkeit massiv verletzt wurde – was Sandro, dessen Innenleben dem Leser ein Rätsel bleibt, bis er im vorletzten Kapitel plötzlich „spricht“, scheinbar kalt läßt. Und auch Reno selbst scheint zwar verletzt, doch hat die Verletzung mehr mit Stolz denn mit Verlust zu tun. Sie weint, oder behauptet es zumindest dem Leser gegenüber. Es bleibt Behauptung, weil wir ihren Schmerz nicht wirklich spüren. Und genau das gelingt Kushner perfekt: Sie entlarvt die Sprache dieser Künstlerszene vortrefflich als genau das: Behauptung. Und wenn es dann in einer nächtlichen Szene in Ronnies Loft (denn natürlich leben Künstler in Lofts) zu einer ehrlichen Aussprache kommt, in der wahre Gefühle – Gefühle des Verlusts und der Trauer – zum Ausdruck gebracht werden, braucht es den Schutzschild der Ironie mindestens, eher des Zynismus, um dieser Herr zu werden. Es sind auch die selten über mehrere Seiten ausgeschriebenen Dialoge, die das Meisterstück dieses Romans sind.

Kushner ist eben dies vorgeworfen worden: Die Figuren blieben platt, ihre Handlungen unmotiviert, ihr Sprechen eindimensional. Möglicherweise wollte die Autorin aber eben genau das ausstellen und beschreiben? Denn die Gewalt der Wirklichkeit, die Reno (und die Familie Valera) in Europa einholt und sich mit aller Brutalität behauptet, stellt zwar der Bourgeoisie ein maximal schlechtes Zeugnis aus (womit Kushner wahrscheinlich exakt ins Schwarze trifft), entblößt die New Yorker Kunstszene allerdings ebenfalls als bourgeois und vor allem jedweder Wirklichkeit, die sie angeblich dauernd einfangen will, abhold. Daß Sandro in genau dieser Szene ein Zuhause findet, wundert da nicht, im Gegenteil es leuchtet zusehends ein. Denn genau dort kann er sich verstecken, muß er sich weder der Auseinandersetzung mit einem übermächtigen Vater[1] stellen, noch der Tatsache, daß er qua Geburt niemals wird auf der „richtigen“ Seite stehen können. Also wird ihm auch das zu einem Als-ob: Als-ob man sich gemein machen könnte mit dem Proletariat, von dessen Ausbeutung man sich aber das Künstlerdasein finanziert.

Wenn schließlich der berühmte große Black-Out von 1977 New York City von jedweder Elektrizität abschneidet, in absolute Dunkelheit taucht und damit Plünderung und Chaos Tür und Tor öffnet, dann kommt auch der Roman zum Stillstand und zu einem erwartbaren Ende. Denn was soll am Ende dieser ebenso furiosen wie unterkühlten 550 Seiten anderes stehen als – Stillstand? Rachel Kushner beobachtet ihr Künstlerpersonal, das sich vollkommen ins Private zurückgezogen hat und läßt es – in Italien – auf eine brutal politische Wirklichkeit treffen. Und niemand wird die Diskrepanz zwischen dem Privaten und dem Politischen derart genau, fein und schmerzvoll austariert haben, wie Reno, wenn sie begreift, daß gewisse politische Aktivitäten (wenn auch krimineller Natur) nur dank ihrer privaten (immer privater werdenden) Anwesenheit bei den Valeras möglich sind/waren. IN dieser Diskrepanz kommt allerdings auch die zwischen einem Amerika, das sich fast asuschlielich mit sich selbst beschäftigt, und einem Europa zum Ausdruck, das sich in den letzten Nachwehen eines Zeitalters der Ideologien befindet und die Kämpfe der Alten noch einmal auszufechten scheint. Kushner weiß auch dies brillant einzufangen und wiederzugeben.

Ob THE FLAMETHROWERS letztlich das Meisterwerk ist, zu dem es von den Kritikern ausgerufen wurde (vor allem von New Yorker Kritikern, die es immer schätzen, wenn sich Literatur mit Kunst – am besten New Yorker Kunst – beschäftigt), sei einmal dahin gestellt. Solche Urteile tun Büchern meist nicht gut. Aber daß Rachel Kushner ein überaus lebendiger Roman gelungen ist, der nicht nur Zeitkolorit einfängt, sondern sich darüber hinaus auch den großen Fragen stellt, ist definitiv so. THE FLAMETHROWERS ist absolut empfehlenswert. Leichte Abzüge in der B-Note, weil das Personal dem Leser manchmal doch arg distanziert bleibt, dem letzten Drittel eine chronologische Erzählform vielleicht besser bekommen wäre, als die, die Kushner gewählt hat, doch sind das Marginalien. Man soll sich nicht darüber täuschen – hier liegt ein großer amerikanischer Roman vor!

 

[1]Die frühe Lebensgeschichte des alten Vallera schildert uns Kushner in frühen, eingeschobenen Kapiteln; sie steht exemplarisch für die Indifferenz gegenüber politischen Systemen, solange der eigene Gewinn stimmt und bildet einen maximalen Kontrast zu den Überzeugungen der Jungrevolutionäre, denen Reno begegnet.

 

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