SAVAGES

Oliver Stone bietet einen ultrabrutalen Drogentrip durch ein kalifornisches Paradies

Ben (Aaron Taylor-Johnson), Chon (Taylor Kitsch) und O (Blake Lively), die ihren Vornamen Ophelia auf seinen Anfangsbuchstaben gekürzt hat, leben ein nahezu paradiesisches Leben: Die Jungs haben eine veritable Marihuana-Zucht aufgezogen, erzielen dabei immer bessere Ergebnisse und haben über ganz Kalifornien ein Vertriebsnetz aufgebaut. Chon, ein ehemaliger Navy Seal, war in Afghanistan stationiert und hat hochwertige Samen der Wunderpflanze von dort mitgebracht, die er und Ben in jahrelanger Detailarbeit immer weiter verfeinert haben. O ist beider Freundin und sie leben eine Menage-à-trois, ohne Eifersucht und Neid. Ben, ein Altruist, steckt seine Gewinne aus dem Drogenhandel in allerhand Projekte in der Dritten Welt und ist viel auf Reisen, um sie zu besuchen und sich auch selbst dort einzubringen. Ihr Handel funktioniert auch deshalb so gut, weil sie von einem korrupten DEA-Agenten namens Dennis (John Travolta) gedeckt werden, der seinerseits ein gehobenes Mittelstandsleben führt, zwei Kinder unterhalten muß und seine sterbende Ehefrau begleitet.

Als Ben von einer seiner Reisen zurückkehrt, haben Chon und O schlechte Nachrichten für ihn: Mit einem äußerst brutalen Video hat ein mexikanisches Drogenkartell auf sich aufmerksam gemacht. Es will die Freunde als Partner gewinnen, um deren Produkt ebenso zu übernehmen, wie das Verteilernetz. Ben und Chon treffen sich mit den Mexikanern, die ihnen ein Angebot machen, das eine Geschäftsbeziehung vorsieht, die zunächst auf drei Jahre angelegt ist. Die Jungs lehnen ab, der Chefunterhändler, ein Anwalt namens Alex (Demián Bichir) erklärt ihnen, daß der Chef des Kartells, für das er arbeitet, nicht glücklich sein wird über diese Entscheidung. So erklären Ben und Chon sich bereit, noch einmal darüber nachzudenken, bekommen aber lediglich einige Stunden Bedenkzeit. Diese wollen sie nutzen, um aus Kalifornien abzuhauen.

Dennis empfiehlt den Jungs, sich mit dem Angebot zu arrangieren, die Mexikaner säßen so oder so am längeren Hebel. Doch das wollen weder Ben noch Chon akzeptieren. Ben, der mit Gewalt nichts am Hut hat und noch nie in der Situation war, auf jemanden zu schießen, geschweige denn zu töten, ist die Vorstellung ein Graus, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die für Dinge verantwortlich sind, die man auf dem Video zu sehen bekommt.

Während die beiden noch mit Dennis verhandeln, wird O, die eine letzte Shopping-Tour durch eine Mall macht, von dem Killer Lado (Benicio del Toro) entführt. Er und seine Crew arbeiten für das Kartell, deren Anführer eine Frau ist, wie O bald feststellt, als sie in ihr geheimes Versteck gebracht wird. Elena (Selma Hayek) gibt sich gegenüber anderen allerdings nie als Frau zu erkennen. Sie spricht durch Sprachprogramme mit Ben und Chon, die ihre Stimme verfremden. Nun macht sie folgenden Vorschlag: O bleibt ein Jahr in Geiselhaft, bis Elena sich sicher sein kann, daß die Jungs das Spiel mitspielen. Als Erstes sollen sie ihr eine große Lieferung ihrer Zucht zukommen lassen.

Chon verletzt Dennis, der sich zunächst weigert, ihnen zu helfen, mit einem Messer. Es wird deutlich, daß dieser ehemalige Kämpfer ein anderes Kaliber hinsichtlich der Frage von Gewaltanwendung ist, als Ben. Dennis verschafft den beiden Informationen über das Kartell. Auf diese Weise erfahren sie von einem Geldtransport, bei dem sie dem Kartell drei Millionen Dollar abknüpfen könnten. Die wären nützlich, um O aus Elenas Fängen zu befreien. Und sei es, indem sie Lösegeld zahlen. Mit der Hilfe einiger ehemaliger Kameraden von Chon gelingt der Überfall, wobei sie skrupellos sieben von Elenas Männern töten.

Lado will Elena zunächst nichts von dem Überfall verraten und das Geld auf eigene Faust wiederbeschaffen. Doch mit Hilfe des Computer-Nerds Spin (Emile Hirsch) ist es Ben gelungen, alle Verdachtsmomente für den Überfall auf den Anwalt Alex zu lenken. Elena, die eine Tochter hat, welche in Kalifornien lebt und mit ihrer Mutter und der ganzen Familie eigentlich nichts mehr zu tun haben will, ist selbst in die Staaten gekommen, um sich um die Probleme zu kümmern. Derweil sind Ben und Chon zu einem Treffen mit Lado aufgebrochen.

In einer alten Industriehalle müssen sie mit ansehen, wie Lado Alex foltert und diesen mit Drohungen gegenüber seiner Frau und den Kindern dazu bringt, den Verrat an Elena zu gestehen. Anschließend wird Alex mit Benzin übergossen und Ben soll ihn anzünden. Nach anfänglichem Widerstand tut Ben, wie ihm geheißen, um O nicht zu gefährden. Die muss – gemeinsam mit Elena – per Video der Folterung und Ermordung des unschuldigen Mannes zusehen. Weil Alex in den letzten Momenten seines Lebens Elena im Namen ihrer Tochter Magda (Sandra Echeverria) um Gnade anfleht, erfahren Ben und Chon von der jungen Frau.

Zurück in Kalifornien, bieten sie Dennis die erbeuteten drei Millionen Dollar für Informationen zu Magda. Dann entführen sie die junge Frau, um sie gegen O auszutauschen. Elenea ist außer sich. Sie hatte O während derer Gefangenschaft, in der Lado immer zudringlicher wurde, zu sich bringen lassen und es hat sich ein gewisses Vertrauensverhältnis zwischen den beiden aufgebaut. Elena erweist sich dabei als stockkonservativ, was Liebe und Ehe angeht. Sie habe nach dem Tod ihres Mannes, der ermordet wurde, nie mehr gelacht oder geweint und niemals würde sie einen anderen Mann in ihr Bett lassen. O ist erstaunt, das hinter der brutalen Frau ein Mensch mit solch klaren Wertevorstellungen steckt.

Es kommt zu einem Treffen mitten in der Wüste. Bevor Elena O gehen lässt, will sie wissen, wer den Aufenthaltsort von Magda verraten hat. Ben und Chon weisen auf Lado, der in diesem Fall zwar nicht der Übeltäter war, tatsächlich aber schon geraume Zeit auf eigene Faust arbeitet und Elena hintergeht. Diese hatte ihn wiederholt vor Untergebenen und vor allem Frauen, die er verachtet, gedemütigt. So ließ er es sich auch nicht nehmen, O ein Video vorzuspielen, welches sie und ihn in den ersten Tagen ihrer Gefangenschaft, als sie beständig unter Drogeneinfluß stand, bei einem brutalen sexuellen Akt zeigt. Lado hat O offenbar vergewaltigt. Nun kommt es in der Wüste zu einer wilden Schießerei – beide Parteien haben zuvor Scharfschützen postiert – bei der nahezu alle Beteiligten getötet werden.

Doch dann entpuppt sich dieses Ende als reine Vorstellung von O, die den Film aus dem Off erzählt. Statt zu dem Shooting kommt es zu einer Verhaftung, denn Dennis lässt es sich nicht nehmen, mit Elena einen wirklich dicken Fisch der Kartelle festzunehmen. Er sorgt dafür, daß Ben, Chon und O unbehelligt aus der Sache rauskommen. Die drei Freunde setzen sich gen Indonesien ab, wo sie ihre Wunden lecken und versuchen, ihr altes Leben und ihr Vertrauensverhältnis wieder herzustellen.

SAVAGES (2012) – oder die Vertreibung aus dem Paradies. Zumindest könnte man Oliver Stones 19. Spielfilm mit diesem deutschen Untertitel versehen, auf den der Verleih gottseidank verzichtet hat. Dennoch trifft er die tiefere Wahrheit dieses Werks, das auf einer Romanvorlage des Thriller-Autors Don Winslow beruht. Denn was Stone hier in knalligen Farben beschreibt, ist – inklusive tief rassistischer Untertöne – genau dies: Die Vertreibung dreier Ur-Charaktere aus dem Paradies Südkaliforniens.

Die gesamte Exposition des Films zeigt uns die Freunde Chon und Ben und deren gemeinsame Geliebte O – ein Kürzel von Ophelia – in ihrem südkalifornischen Domizil. Das ist ein wunderbares Haus direkt am Meer. Sie leben davon, daß Chon und Ben eine Marihuanavariante gezüchtet haben, deren THC-Gehalt enorm ist und die deshalb reißenden Absatz findet. Ihr Vertriebssystem ist fair aufgebaut, erstreckt sich über ganz Kalifornien und beschert ihnen Millioneneinnahmen. Die wiederum nutzt der Menschenfreund Ben, um sich in den ärmsten Regionen der Welt – Afrika, Asien – zu engagieren. Chon hält derweil die Heimatstellung. Er ist ehemaliger Kämpfer einer Spezialeinheit der U.S. Forces und nach Einsätzen in Afghanistan und dem Irak schwer traumatisiert. Doch in der gemeinsamen Liebe zu O und zueinander haben die beiden Highschool-Freunde ein Zuhause gefunden. Das Paradies eben.

Das zerstörerische Moment kommt hier von außen, bzw. als Meta-Ebene, sozusagen durch die Hintertür. Es sind mexikanische Drogenkartelle, die in Konkurrenz zueinander stehen und sich gegenseitig auszustechen suchen. Da ist das kleine Imperium von Chon und Ben gerade das richtige, um auf einem bisher weniger abgegrasten (sic!) Markt Fuß zu fassen. Was wäre besser, als sich ein bereits bestehendes Produktions- und Vertriebsnetz zu eigen zu machen? So in etwa ist die Ausgangslage. Die vordergründige Geschichte des Films ist konventionelle Thriller- oder Neo-Noir-Handlung. Zerrieben zwischen den verfeindeten Parteien, werden die Freunde zu Spielbällen in einem Spiel, dessen Regeln sie zu durchschauen glauben, welches sie in Wirklichkeit jedoch kaum beherrschen. Weder kennen sie die (miesen) Tricks, mit denen hier gespielt wird, noch ahnen sie die ungeheure Gewalt und Mitleidlosigkeit, die hier herrschen. Als O ein Faustpfand in diesem Spiel wird, entführt von einer Kartellchefin, die Selma Hayek mit cooler Grandezza, autoritärer Machtgeste und plötzlichen Ausbrüchen von Hysterie spielt, müssen Chon und Ben sich ganz auf das Spiel einlassen – und verlieren dabei ihre Unschuld.

Das alles ist natürlich hochmanipulativ, sowohl in der Darstellung, als auch in der filmischen Umsetzung. Zwar steht das dauerbedröhnte Trio unter Protektion eines von John Travolta mit routinierter Lässigkeit und dem ihm eigenen Witz gegebenen DEA-Agenten, doch inszeniert Stone das Kifferparadies Kalifornien als scheinbar naturbeschützten Raum, in dem solche Belästigungen wie staatliche Eingriffe in den Drogenhandel im Grunde eh nicht vorkommen. Zudem tun die Freunde ja nur Gutes mit dem Zeug – neben all den Hilfen für Drittweltländer, sieht man auch ihre Anteilnahme an Kunden, die ihre Ware als einziges noch helfendes Mittel im Endstadium von Krebsleiden sehen etc. Das Innenleben dieses Liebesreigens wird als vollkommen harmonisch geschildert, Eifersucht und ähnlich widrige emotionale Hürden kennen die drei nicht. Da die Kifferei im Film eine große Rolle einnimmt, dürfen wir davon ausgehen, daß dessen Wirkung sich auch auf diese problemlose Ménage-à-trois positiv auswirkt.

Unterstützt wird dieses Glück durch die Art seiner Darstellung. Stone arbeitet spätestens seit NATURAL BORN KILLERS (1994) mit Verfremdungseffekten, die gelegentlich an Filme von Godard in seinen experimentellen Phasen erinnern, bleibt dabei dennoch nah am Genrekino und bedient sich auch immer wieder konventioneller Kino-Methoden. Hier, in SAVAGES, ist es vor allem die Farbdramaturgie, die den Zuschauer beeinflusst. Neben gelegentlichen Zeitraffer-Elementen, die eine ungeheure Sogwirkung entfalten und denen eine gewisse Poesie der Straßen eigen ist, sind es vor allem die im wahrsten Sinne des Wortes ins Auge stechenden Farben, die die Bildgestaltung maßgeblich bestimmen. Der Himmel von einem Blau, wie es kein Himmel je war; der Pool voller glitzernd gebrochener Sonnenstrahlen; das Grün der Pflanzen satt und gierig. Selten hat man Südkalifornien auf der Leinwand in diesem Licht gesehen – einem Licht, das einst überhaupt erst mit dafür verantwortlich war, daß die Filmindustrie sich hier niederließ. Der andere Grund dafür war im Übrigen Gewalt. Die Gewalt, die von Thomas Alva Edisons Schlägertrupps ausging, die für den Herrn des Verfahrens dessen Film-Monopol sicherstellen sollten. Und Gewalt ist der andere Aspekt in Stones Film, der maßgeblich ist. Als extremer Kontrapunkt zur Schönheit der Bilder, zumindest solange sie Südkalifornien zeigen, aber auch als Movens für nahezu alles, was innerhalb der eigentlichen Handlung geschieht.

SAVAGES präsentiert eine Form von Gewalt, wie sie seit den 90er Jahren auch im Mainstreamkino immer wieder gezeigt wird. Allerdings waren Filme wie SE7EN (1995) oder zuvor schon THE SILENCE OF THE LAMBS (1991) aufgrund ihrer Gewaltexzesse (die man in beiden Filmen im Grunde nie sieht – konfrontiert wird man viel eher mit deren Ergebnissen) Gegenstand langer Betrachtungen im Feuilleton. Im Jahr 2012 vermochte eine explizite Darstellung von Gewalt, wie Stone sie betreibt und damit auch weitertreibt als die meisten Kollegen, kaum noch zu überraschen. Zu gewohnt war – und ist – man mittlerweile selbst durch TV-Serien wie THE WALKING DEAD (seit 2010) diese exzessive Darstellung von Ekligem, Brutalen und teils reinem Splatter. Spätestens seit Quentin Tarantino zum Maß der Dinge erhoben wurde, gehört sie eher schon zum guten Ton des anspruchsvolleren Unterhaltungsregisseurs. Dennoch ist sie in SAVAGES brachial und darüber hinaus ein wesentlicher Bestandteil dessen, was erzählt wird und weshalb die Dinge, die erzählt werden, überhaupt geschehen. Die Kartelle wenden sich an Chon und Ben, lassen aber wenig Zweifel daran aufkommen, daß sie ein Nein zu ihrem Angebot nicht akzeptieren. Und sehr schnell wird klar, mit welchen Methoden sie ihre Bedingungen durchzusetzen gedenken. Ein Videoband zeigt die Enthauptung einiger armer mexikanischer Schlucker, die sich wohl als Drogenhändler versucht hatten.

Verantwortlich dafür ist der Handlanger Lado, den Benicio del Toro als eines der widerlichsten Leinwandmonster gibt, die man lange gesehen hat. Dieser Mann, frei von Menschlichkeit, Skrupeln oder auch nur einem Funken Mitgefühl, tötet zunächst für Selma Hayek, dann auf eigene Rechnung. Zudem malträtiert er seine Familie, der er gern eine konservativ-katholische Haltung vermitteln möchte, welche aber nicht reicht, ihn von Vergewaltigung in der Ehe und der dauerhaften Demütigung der eigenen Kinder abzuhalten. Sein Auftreten ist derart dreist und brutal, daß der Zuschauer geradezu Angst vor ihm bekommt. Und wir begreifen als Zuschauer sehr schnell, daß sich dieser Wucht und Gewalt nur Chon wird entgegenstellen können. Er, der auf seinen Auslandseinsätzen „Schlimmeres“ gesehen und getan hat, wie er behauptet. So sind es am Ende die Bürgerkinder Ben und O, die aus ihrer behüteten Welt aus- und in eine Hölle eintreten werden, die sie lehrt, ebenfalls keine Skrupel mehr zu haben. Ben wird schließlich selbst zum Killer, nachdem er zunächst mit Hilfe eines seiner Handlanger das Leben eines ebenfalls für Hayek arbeitenden Anwalts zerstört hat.

Stone macht sich einen Spaß daraus, diese Vertreibung aus dem Paradies als eine verspätete Coming-of-Age-Story anzubieten, wobei das Erwachsenwerden hier damit gleichgesetzt wird, daß die Betreffenden bereit sind, massive Gewalt auszuüben. Und natürlich muß jemand wie Ben, der Menschenfreund, dabei einige seiner Ideale aufgeben. Zum Spaß gehört aber auch, zwei Gesellschaften gegeneinander zu stellen – die bunte amerikanische und die verwaschene mexikanische – in denen vollkommen unterschiedliche Wertesysteme das Verhalten bestimmen. So brutal die Drogendealer vorgehen bei nahezu allem, was sie tun, so konservativ, fast reaktionär, sind sie innerhalb ihrer Familien, in ihren Wertesystemen. Die Kartellchefin wird geradezu rührselig, sobald es um ihre Tochter geht, die ein ruhiges und ebenfalls behütetes Leben in Kalifornien führt. Auch in deren Leben bricht die Gewalt ein, als Ben und Chon beschließen, sie zu entführen und als Austauschmittel für O zu nutzen. Während ihrer Gefangenschaft wird O ein wenig zu einer Vertrauten für die Chefin der Drogenhändler und wir lernen hier etwas über ein Frauen-, Ehe- und Sexualleben, das für Amerikaner nahezu vorgestrig anmuten muß. Erst recht für eine Hippiefrau wie O.

Der Tod der Familie wird da betrauert, Hayek erklärt, daß sie seit dem Mord an ihrem Mann nie wieder einen Liebhaber hatte, daß sie nie weine und nie lache, da sie innerlich versteinert sei an dem Tag seines Todes. Eine Unbedingtheit tritt da zutage, die sich natürlich in der Gewalt widerspiegelt, die von ihr und ihren Männern, vor allem den moralisch völlig verkommenen und schwer kontrollierbaren Lado, ausgeht. Vordergründig gelingt hier vielleicht ein Spiel mit verkehrten moralischen Rollen, doch geht Stone dabei nicht genug in die Tiefe, um etwas wirklich Substanzielles zum Thema hervorzubringen. Die Schauwerte und Action, die zumindest die zweite Hälfte des Films bestimmen, überlagern jedweden kritischen Ansatz maximal. Zudem ist die Darstellung der Mexikaner im Film mindestens zweifelhaft, wenn nicht gar offen rassistisch. Kein einziger Mexikaner begegnet uns – wie auch den Figuren im Film – auf Augenhöhe. Entweder sie sind arme Schweine, Opfer, die mal eben so geköpft, verbrannt oder nebenbei erschossen werden, oder sie sind grausame Killer und Machtmenschen, die sentimental die eigene Familie beweinen, zugleich aber nie Skrupel haben, den nächsten Mord auszuüben oder anzuordnen.

Oliver Stone, der in den 80er Jahren mit den Filmen SALVADOR (1986), PLATOON (1986) und WALL STREET (1987) seinen Ruhm begründete, hatte immer ein Problem, fremde Kulturen adäquat zu zeigen. Er sieht sich selbst als Liberalen, in früheren Aussagen gab er sich sogar gern links, doch gerade in den beiden erstgenannten Filmen kann man beobachten, daß seine Perspektive immer eine amerikanische ist und gerade bei PLATOON nehmen die Vietnamesen in etwa die Rolle ein, die in den frühen Western die Indianer hatten: Sie sind gesichtslose Feinde, grausam, was ihre Tötung moralisch einwandfrei erscheinen lässt. Stones Blick auf den Vietnam-Krieg, den er in BORN ON THE 4TH OF JULY (1989) und HEAVEN & EARTH (1993) leicht variierte, ist immer ein amerikanischer Blick, der Krieg im Grunde eine inneramerikanische Angelegenheit. In HEAVEN & EARTH erzählt er zwar von einer vietnamesischen Familie, doch flieht diese aus dem Land und gelangt nach Amerika, wo sie zwar kein neues Glück finden, aber zumindest eine sichere Heimat. Mit fremden Kulturen und ihren Besonderheiten tut sich Stone als Autor – er ist nahezu an allen Drehbüchern, die er verfilmt, beteiligt und erfüllt damit eigentlich den Status eines klassischen Auteur – und Regisseur denkbar schwer. In SAVAGES sind es also die Mexikaner und dem Autor (wie auch seinen Mit-Autoren, darunter Winslow selbst) fällt sichtbar nichts anderes ein, als all die Klischees zu reproduzieren, die weiße Mittelklasseamerikaner mit dem Land südlich ihrer Grenze verbinden. Sicher werden viele sagen, dies sei ja genau so gewollt und Teil der postmodernen Strategie des Films – Klischees zu übertreiben und damit ad absurdum zu führen – doch dazu bleiben Witz und wirkliche Ironie hier zu schnell auf der Strecke und werden durch Spektakel und Überwältigungseffekte ersetzt.

SAVAGES macht Spaß, so, wie Tony Scotts nach einer Vorlage von Quentin Tarantino entwickelter Märchenthriller TRUE ROMANCE (1993) Spaß macht. Als postmodernes mediales Spiel mit Zitaten und Anspielungen, als übertriebenes Gewaltspektakel, das vielleicht gar nicht so ernst genommen werden will. Zugleich ist es aber auch ein Genrebeitrag zum Neo-Noir-Thriller und dem modernen Actionfilm. Unentschieden wirkt das, kaschiert seine Dellen und Unebenheiten aber eben hinter all dem Krach und Radau, mit einem Tempo und Rhythmus, welche den Zuschauer nie aus ihrem Bann entlassen, mit Bildgewittern, die überwältigen und wenig Raum und Zeit bieten, um das, was man sieht, zu reflektieren oder gar kritisch zu hinterfragen. So bleiben wir als Zuschauer immer auf der Seite von Chon, Ben und O und erfreuen uns an der gruseligen Präsenz von Lado. Ohne es wirklich zu merken, werden wir Komplizen und vor allem Connaisseurs der Gewalt.

Derart kompromittiert, gelingt es uns zumindest, aus diesem Film eine Erkenntnis hinsichtlich Manipulation und eigener Korrumpierbarkeit mitzunehmen. Wie das doppelte Ende des Films, das uns einmal eine wilde Schießerei zeigt, bei der alle Beteiligten – auch die drei Freunde – getötet werden, das sich als falsch herausstellt und lediglich von O fantasiert – sie erzählt uns den Film aus dem Off – , so erweist sich SAVAGES als doppelbödig und hinterhältig in seiner Wirkung auf den Zuschauer. So wohl wir uns in dem kleinen Drogenparadies zu Beginn des Films fühlen, ganz auf der Seite von Ben, Chon und O, so sind wir eben auch bereit, den ganzen Weg in die Hölle mitzugehen. Wir akzeptieren die zusehends brutaleren Methoden, derer sich auch Ben und Chon bedienen und wir akzeptieren auch, daß Ben dabei nach und nach zu einem ebenfalls immer brutaleren Menschen wird. Ein Wilder, wie der Titel aussagt. Am Ende ist das Paradies verloren, denn wer einmal mit dem Teufel tanzt, hat keine Unschuld mehr. Daran lässt Stone keinen Zweifel. Ob wir, die wir schon so viel Gewalt auf der Leinwand konsumiert haben, je noch einmal in den Zustand der Gnade zurückkehren können? Schwer zu sagen…

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