SHANGHAI-EXPRESS/SHANGHAI EXPRESS

Josef von Sternbergs vierte Zusammenarbeit mit Marlene Dietrich bietet ein Abenteurer vor der exotischen Kulisse Chinas

Während des chinesischen Bürgerkriegs findet sich eine illustre Reisegruppe in der 1. Klasse des Shanghai-Express ein, eines Schnellzugs, der Peking mit Shanghai verbindet.

Neben dem britischen Captain Donald „Doc“ Harvey (Clive Brook) sind dies der Amerikaner Sam Salt (Eugene Pallette), der schwerkranke deutsche Minenbesitzer Eric Baum (Gustav von Seyffertitz), Mrs. Haggerty (Louise Closser Hale), die in Shanghai eine Pension betreibt und in großer Sorge um ihren Hund ist, der nicht in den Abteilwagen mitfahren darf, der Missionar Reverend Carmichael (Lawrence Grant) und der französische Major Lenard (Émile Chautard). Hinzu kommt der undurchsichtige Mr. Henry Chang (Warner Oland) und zwei Damen von Ruf: Die Chinesin Hu Fei (Anna May Wong) sowie die legendäre Shanghai Lily (Marlene Dietrich). Über letztere weiß der Reverend seinen Mitreisenden bald zu berichten, dass sie „schwarze Seelen“ besäßen und des Teufels seien.

Captain Harvey, der nach Shanghai beordert wurde, um dort dem britischen Generalgouverneur in einer Notoperation das Leben zu retten und deshalb an einer reibungslosen Fahrt interessiert ist, kennt die allen anderen Passagieren als Kurtisane bekannte Shanghai Lily unter dem Namen „Madeleine“. Die beiden waren fünf Jahre zuvor ein Liebespaar. Und obgleich Harvey sie vor den Mitreisenden in Schutz nimmt und so tut, als wisse er nichts von ihrem zweifelhaften Ruf, macht er Lily gegenüber schnell klar, wie sehr es ihn verletzt habe, sie verlassen zu müssen. Doch seine Eifersucht drohte ihn in den Wahnsinn zu treiben.

Zwischen den beiden kommt es während der Fahrt immer wieder zu Begegnungen, teils zufällig, teils zumindest von ihr bewusst gesucht, bei denen sie sich zwar vor allem necken – wobei Lily zutiefst ironisch mit den Gefühlen Harveys spielt – aber immer auch deutlich wird, dass sie sich beide noch immer anziehend finden, wenn nicht gar lieben.

Der Zug wird von Armeeeinheiten begleitet, die ihn beschützen sollen. Schließlich hält man auf offener Strecke, da ein Spion gesucht wird. Li Fung (Minoru Nishida) wird verhaftet und in ein hinteres Abteil des Zuges gepfercht. Der Zug fährt weiter.

Doch nur kurze Zeit später wird er erneut angehalten. Es sind Revolutionstruppen, die nun ihrerseits Li Fung befreien wollen. Es kommt zu brutalen Szenen, als die Rebellen Soldaten standrechtlich erschießen lassen.

Es stellt sich heraus, dass Henry Chang – der sich zuvor gegenüber „Doc“ Harvey als gemischtrassiger Kaufmann aus Europa ausgegeben hatte – tatsächlich der Anführer der Rebellen ist. Er möchte im großen Stil Gefangene austauschen und erfreut sich vor allem an seinen europäischen Gefangenen, von denen er sich einiges als Faustpfand verspricht.

Wie nahezu alle Männer erliegt aber auch Chang Lilys Reizen. Er bietet ihr an, ihn in seinen Palast zu begleiten und dort ein prachtvolles Leben an seiner Seite zu führen. Lily lehnt das ab, obwohl sie sich durchaus geschmeichelt fühlt.

Harvey weist mehrfach darauf hin, dass er dringend in Shanghai erwartet wird. Als er gewahr wird, dass Chang nicht von Lily ablässt und diese geradezu belästigt, schlägt er den Mann nieder. Aus Rache beschließt Chang nun, Harvey zu blenden, wodurch es mit seiner Karriere als Arzt vorbei wäre. Um dies zu verhindern, bietet sich Lily nun Chang doch als Geliebte an.

Hui Fei, die von Chang zuvor vergewaltigt wurde, ersticht den Rebellenführer. Dadurch bricht die Rebellion zumindest im Zug in sich zusammen, die Passagiere sind frei, der Zug kann weiterfahren.

Harvey ist zutiefst verletzt, weil er sich von Lily ein weiteres Mal verraten fühlt. Doch gerade Reverend Carmichael hat gesehen, wie Lily für Harvey gebetet hat. Er will vermitteln, doch Lily bitte ihn, gegenüber Harvey nichts zu sagen, denn Liebe lebe von Vertrauen. Wenn Harvey dies nicht habe, dann sei die Liebe nichts wert.

In Shanghai angekommen verteilen sich die Passagiere schnell in alle Winde, ein jeder trifft seine Lieben. Lediglich Lily steht etwas verloren auf dem Bahnsteig. Harvey, der abgeholt werden und sofort in den OP gebracht werden soll, bittet um einen Moment Geduld. Er geht zu Lily und die beiden vertragen sich. Obwohl Harvey nicht weiß, was Lilys wirkliche Beweggründe waren, sich Chang anzubieten, bittet er sie, es mit ihm noch einmal zu versuchen. Die beiden fallen sich in die Arme.

 

Wer mit den Comics um den rasenden Reporter Tim und seinen Hund Struppi aufgewachsen ist oder – schlimmer – wer sich noch an die Mecki-Bücher der 50er Jahre erinnern kann, der wird in einem Film wie Josef von Sternbergs SHANGHAI EXPRESS (1932) unschwer ein Vorbild für die in jenen Werken abgebildeten Geschichten, vor allem aber die Klischees wiedererkennen, die dort ununterbrochen und teils bösartig hinsichtlich Asien und der asiatischen, vornehmlich der chinesischen Kultur reproduziert werden.

China, Südostasien generell, war in den späten 20er und den 30er Jahren für Hollywood ein Sehnsuchtsort. Exotische Schauplätze, seltsame, fremde Menschen, scheinbar immer dräuende Gefahr – viele Abenteuergeschichten wurden dort angesiedelt, meist an zutiefst romantische Liebesgeschichten gekoppelt, fast immer im Gewand eines Melodrams. Von Sternbergs Film macht da einerseits keine Ausnahme, bedient die Klischees und nutzt sie zugleich, um die extreme Künstlichkeit des Films herauszustellen, andererseits muss man konstatieren, dass er – wenn auch nicht unbedingt scharf – genau diesen Blick auf Asien in gewisser Weise kritisiert, zumindest ironisiert.

Natürlich kann man aus dem Jahr 2025 heraus leicht einen Film von 1932 für seine Geisteshaltung in Frage stellen. Man sollte aber, um einem Werk Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, immer den historischen Kontext beachten. Und der war damals natürlich noch durch Kolonialismus, Imperialismus und vor allem auch – so leid es tut – Rassismus geprägt. Die Welt außerhalb Europas (von Sternberg war gebürtiger Österreicher; wenn auch größtenteils in den USA aufgewachsen, dürften die Werte und Traditionen der österreichisch-ungarischen Monarchie in seiner Familie noch wesentlich gewesen sein) respektive der damals eben vor allem durch weiße Männer geprägten USA wurde ein wenig despektierlich und von oben herab als eine Art Abenteuerspielplatz betrachtet. Im Wikipedia-Eintrag zu Sternbergs Film gibt es eine schöne Aufzählung einiger der Filme, die in jener Zeit in Asien angesiedelt wurden und in denen so ziemlich jeder vor allem weibliche Star der damaligen Jahre mindestens einmal eine Hauptrolle spielte. Allein anhand dieser Liste lässt sich ablesen, welche Rolle gerade Asien/China als geheimnisvoller, immer auch gefährlicher und vor allem exotischer Kontinent in Hollywood spielte – zu einem Zeitpunkt, als Hollywood die Zuschauer vor allem verführen, verzaubern, in Fantasiewelten entführen wollte. Man sollte also gerade aus heutiger Sicht, fast 100 Jahre nach Veröffentlichung des Werks, insofern Milde walten lassen, als dass man den historischen Kontext zwar bedenken, den Film aber auch aus sich selbst heraus betrachten sollte.

So lässt sich nicht leugnen, dass SHANGHAI EXPRESS einer der bestgealterten Filme jener Epoche ist. Es ist ein Film der Pre-Code-Ära, also jener Zeit, bevor Hollywood sich mit dem Hays Code ab 1934 verpflichtete, Darstellungen gewalttätigen, kriminellen und vor allem erotischen Inhalts in einer Art Selbstzensur zu regulieren. Zuvor wurde vor allem mit erotischen und teils tatsächlich sexuellen Inhalten sehr freizügig umgegangen, Hollywood gab sich schwül und gerne auch mal lüstern. Von Sternberg war einer jener Künstler (und darauf legte er immer Wert: Er sei ein Künstler, kein schnöder Filmemacher), die es nahezu perfekt verstanden, ihre weiblichen Stars – in seinem Fall bedeutete das vor allem Marlene Dietrich, die ihm nach Hollywood gefolgt war, nachdem er sie in Deutschland mit DER BLAUE ENGEL (1930) zum Star gemacht hatte – ausgesprochen effektvoll, immer geheimnisvoll und sublim erotisch in Szene zu setzen. In SHANGHAI EXPRESS erfüllt der Regisseur diese Aufgabe schon fast im Übermaß.

‚Shanghai Lily‘, wie die Dame genannt wird, die die Dietrich hier verkörpert, ist ganz offenkundig eine Prostituierte, wenn auch eine der gehobenen Klasse. Als sie im titelgebenden Zug, der zwischen Peking und Shanghai pendelt und dafür 3 Tage braucht, ihren ehemaligen Geliebten Donald „Doc“ Harvey, Colonel der britischen Armee, wiedertrifft, sprechen die beiden mit einer bemerkenswerten Offenheit über ihre Profession. Und auch der Missionar Reverend Carmichael weiß sofort, dass sowohl Shanghai Lily als auch ihre Reisebegleitung Hu Fei Frauen mit zutiefst „schwarzen Seelen“ sind, wie er dem Colonel bei erstbester Gelegenheit mitteilt. Nahezu jeder in diesem Zug weiß, um wen es sich bei der Dame im Erste-Klasse-Abteil handelt, die es auch noch wagt, laute Musik auf ihrem Grammophon zu spielen. Und als der Colonel vorgibt, der scheinbar einzige zu sein, der noch nie von Shanghai Lily gehört habe, da wundert das nahezu jeden der ehrenwerten Gesellschaft in der Ersten Klasse des Express-Zuges.

Diese Reisegruppe ist vom Drehbuch – die ganze Story basiert auf einer Kurzgeschichte von Harry Hervey, einem der erfolgreichsten Plot-Lieferanten und Drehbuchautoren Hollywoods der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – geschickt zusammengestellt. Neben dem Briten Colonel Harvey gibt es den als Amerikaner kenntlichen Sam Salt, den Franzosen (und ausschließlich, auch im Original Französisch sprechenden) Major Lenard, den Deutschen Minenbesitzer Eric Baum, die in Shanghai lebende Mrs. Haggerty und den bereits erwähnten Missionar Reverend Carmichael. Ebenfalls in der Ersten Klasse reist der geheimnisvolle Mr. Henry Chang. Und schließlich sind da die beiden Damen Shanghai-Lily und die Chinesin Hu Fei. Damit hat man einen hübschen Querschnitt der damals in China vertretenen Fremdmächte, zugleich der oberen Zehntausend – oder was sich eben dafür hielt. Und damit gibt das Buch der Regie – wobei man festhalten muss, dass Sternberg nicht nur die Regie, sondern letztlich auch das Drehbuch, die Kameraarbeit, den Schnitt usw. als seine Arbeit proklamierte, ganz seinem Anspruch als „Künstler“ entsprechend – die Möglichkeit, sich aufs Herrlichste über genau diese Typen lustig zu machen.

Hier wird natürlich nirgends direkte Kritik an dem kolonialen Verhalten der Briten, Franzosen oder Deutschen geübt; deren Anwesenheit vor Ort ist im Kontext des Films eine Selbstverständlichkeit. Wohl aber nimmt das offiziell von Jules Furthman verfasste Drehbuch die Haltung all dieser Menschen gegenüber China und den Chinesen aufs Korn. Und vor allem nimmt er die moralischen Standards aufs Korn, die diese Leute Frauen wie Shanghai-Lily entgegenbringen. Eines von Sternbergs künstlerischen Lebensthemen: Sexualität und die sie einschränkenden, wenn ihr nicht sogar feindlich gesinnten gesellschaftlichen Konventionen. Doch lässt Sternberg schließlich ausgerechnet den Reverend seinen Fehler einsehen. Denn der sieht Lily heimlich beim Beten um ihren Geliebten zu und begreift, dass diese Frau tatsächlich zu tiefen, ehrlichen und ernsthaften Gefühlen fähig ist. Eine wunderbare Einstellung, in der Sternberg lediglich die Hände der Dietrich zeigt, wie sie sich erst zusammenlegen, dann ringen und schließlich zum Gebet zueinanderfinden.

Die Liebe ist bei allem Abenteuer das zentrale Motiv des Films, alles dreht sich um sie. Da ist die rein körperliche Liebe, also das pure sexuelle Begehren, für das Lily in ihrer Profession steht. Männer, so deutet das Buch an, sind geile Wesen, die sich kaum unter Kontrolle halten können, wie die Vergewaltigung Hu Feis durch Chang beweist, aber auch die Kenntnis all dieser ach so moralisch einwandfreien Herren (und der Dame Mrs. Haggerty) von Lilys Tun und Treiben. Lediglich Donald Harvey ist davon ausgenommen. Allerdings spielt Clive Brook ihn als einen durchweg schlecht gelaunten Ex-Liebhaber, der sich einst von der Frau seines Lebens aus Eifersucht getrennt hatte. So ganz nimmt man Brook den feurigen Liebhaber nicht ab; auch, dass er nun erneut in heißem Begehren entflammt, will nicht ganz einleuchten, das bringt der Schauspieler einfach nicht glaubwürdig auf die Leinwand. Doch versteht das Drehbuch vor allem der Dietrich so viele aufgeladene Sätze mitzugeben, dass das Feuer hier auch ganz ohne Brooks Zutun überspringt.

Aus heutiger Sicht ist sicherlich auffällig, wie offen Lilys Tätigkeit und ihr Ruf entlang der chinesischen Ostküste thematisiert werden. Doch zeigt der Film auch die Gewalt teils sehr unvermittelt und offen. So werden, nachdem der geheimnisvolle Mr. Chang sich als Führer der Revolte zu erkennen gegeben hat, die den Zug begleitenden chinesischen Armeeangehörigen nolens volens an die Wand gestellt und mit einem Maschinengewehr dahingemetzelt. Die Kamera hält dabei drauf und zeigt uns nicht nur, wie die Männer niedergemäht werden, sondern auch die die daraus resultierenden Leichenberge. Auch dies ein deutliches Merkmal dafür, dass dies ein Film der Pre-Code-Ära gewesen ist.

Spätestens seit Howard Hawks´ SCARFACE (1932), der bereits 1930 fertiggestellt wurde, allerdings als so gewalttätig galt, dass er nicht veröffentlicht werden konnte und schließlich, nachdem der Regisseur ihn (moderat) überarbeitet hatte, im gleichen Jahr wie SHANGHAI EXPRESS, also 1932, das Licht der Leinwand erblickte, war nicht nur Erotik und die Darstellung sexueller Inhalte auf dem Index, sondern eben auch die (über)deutliche Darstellung von Gewalt. Und obwohl es Sternberg sichtlich nicht darum zu tun war, seinen Film besonders gewalttätig wirken zu lassen – sicherlich hatte die so offene Darstellung auch damit zu tun, dass es sich bei den Massakrierten eben um Chinesen handelte, ein weiteres Indiz für den immanenten Rassismus des Films – wollte er, um das bösartige Wesen von Mr. Henry Chang besser charakterisieren zu können, offenkundig auch nicht auf Einstellungen wie diese verzichten.

Dass Chang nur ein halber Chinese ist, darf getrost als weiteres Indiz des rassistischen Grundtons des Films erachtet werden. Er ist ein „Mischling“, ein Mensch, der sowohl der westlichen als auch der fernöstlichen Kultur entstammt und damit ist er „unrein“. Der Film thematisiert diesen Umstand nicht allzu ausführlich, doch nimmt er sich immerhin die Zeit, Chang in einem kurzen Dialog mit seinen Mitreisenden erklären zu lassen, welcher Abstammung er ist. Der Film/das Drehbuch insinuiert hier also, dass Chang, ein „Entwurzelter“, der keine wirkliche Heimat hat, ein Außenseiter, den Konflikt, sprich: Die Revolte – letztlich die chinesische Revolution, deren Ursprung der Film aber nirgends genauer erklärt oder gar untersucht – in die chinesische Kultur hineinträgt. Es sind „unreine“ Ideen, die von „unreinen“ Männern wie Chang in eine ansonsten friedliche und sich der ihr immanenten hierarchischen Ordnung bewussten Gesellschaft hineinträgt. Dafür stehen wiederum die Szenen vor der Abfahrt des Zuges, die uns zeigen, wie am Bahnhof ein jeder weiß, was er zu tun hat.

Doch wie eingangs erklärt – ein Film wie SHANGHAI EXPRESS ausschließlich nach diesen modernen Standards zu bewerten, wird ihm letztlich nicht gerecht. Dann sollte man es unterlassen, Genrefilme des frühen Hollywoods zu betrachten, denn ob im Western oder im Abenteuerfilm, oder gar in Horrorfilmen – man denke nur an ein Werk wie I WALKED WITH A ZOMBIE (1943) von Jacques Tourneur – überall wird man auf Stereotype treffen, die so nicht mehr zeig-, nicht mehr vermittelbar sind. Und das natürlich vollkommen zurecht. Dennoch machen diese Filme eben auch Spaß und sind auch heute noch unterhaltsam – was sicherlich vor allem etwas über die aussagt, die sie nach wie vor betrachten.

SHANGHAI EXPRESS ist neben den nun ausführlich behandelten negativen Aspekten seines Drehbuchs und seiner Story aber vor allem ein Beispiel für Hollywoods große Kunst des Drehbuch-Schreibens. Furthmans Anteil an dem Buch soll hier keinesfalls gemindert werden; bekannt ist aber auch Sternbergs Abneigung gegen allzu starke Stories, die ihn einzwängten, ihn in seinen künstlerischen Ausdrucksformen beengten, wie er meinte. Diese Abneigung ließ ihn immer wieder auch gute oder gar perfekte Drehbücher ablehnen, umschreiben und in oftmals schwächere umwandeln, die ihm dann aber in der szenischen und in der Bildgestaltung größere Freiheiten ließen. Ob das Buch nun aber von Furthman oder doch von Sternberg selbst stammt, es strotzt nur so von Humor. Die Dialoge sprühen vor Witz und Esprit, gleich ob in kleinen Nebensätzen, mit denen bspw. Mrs. Haggerty zu kaschieren sucht, dass sie ihren geliebten Hund in ihrem Picknickkorb in den Zug zu schmuggeln gedenkt, oder ob es sich um die Neckereien zwischen Lily und ihrem geliebten „Doc“ handelt.

Das Buch legt der Dietrich, die oftmals dafür gerügt wurde, im Grunde kein Englisch zu sprechen, sich ihres deutschen Akzents nicht entledigen zu können, haufenweise Sätze in den Mund, die ihr – oft in Großaufnahme – die Möglichkeit geben, die ganze Bandbreite ihrer mimischen – und auch gestischen – Möglichkeiten abzurufen. Und sie hatte derer einige, entgegen der Annahme sie sei steif und ausdrucksarm gewesen. Vielmehr wer es explizit Josef von Sternberg, der mit der Dietrich einen Frauentypus entwarf, wie er dann in Hollywood für lange Zeit typisch, ja prägend sein sollte: Geheimnisvoll, unnahbar, oft subtil oder offen verführerisch, manchmal kühl und distanziert, manchmal der Typus des Vamp, zumeist aber Damen, die begehrt werden, die sich aber die eigene Begierde nur in ausgesprochen wenigen Momenten anmerken lassen – die dann aber mit all ihrem Wesen, ihrem Habitus, ihrem ganzen Willen begehren. Damen, die Männer in Verzweiflung stürzen und in den Untergang treiben können. Gefährliche, weil bedingungslos liebende Frauen.

Sternberg liebte dieses von ihm selbst für die Leinwand entdeckte Gesicht der Dietrich. Jede einzelne Einstellung, die ihr Antlitz zeigt, beweist das. Sternberg liebte das Spiel von Licht auf Schatten auf diesen wundervollen, glatten, gleichmäßigen Zügen, er vermag diesen Zügen eine ungeheure erotische Macht zu verleihen oder, vielleicht besser: Diesen Zügen die ihnen innewohnende Erotik und die damit einhergehende Macht über Männer zu entlocken. SHANGHAI EXPRESS, die vierte Zusammenarbeit des Duos Josef von Sternberg/Marlene Dietrich, ist, das kann, das muss man wohl unumwunden so sagen, ein Film der ganz und gar der Dietrich gehört. Sie hat die besten Zeilen im Drehbuch, ihr gehört fast immer die Leinwand und immer, wenn sie zu sehen ist, verstehen es Regie und Kamera, sie perfekt ins rechte Licht, in die richtige Perspektive, weiß die Regie sie in die richtige Pose zu setzen.

Zudem – das vor allem! – wurde sie von Travis Banton mit ungeheuer aufregenden und ebenso aufwändigen Outfits und Kostümen ausgestattet, an deren Entwürfen sie wohl wesentlich beteiligt gewesen ist. Berühmt die Kappe aus Hahnenfedern, aber da sind ebenso die silbrig glänzenden langärmligen Westen und Blusen, da ist jener mit einem voluminösen Pelz besetzte Mantel, mit dem sie ihren ehemaligen Geliebten auf der Plattform des Zugs besucht, da sind neben der bereits erwähnten Kappe etliche Hüte und Kopfbedeckungen.

Doch all das funktioniert eben auch deshalb so gut, ja perfekt, weil es in die richtigen Bauten eingefügt, von den richtigen Bildkadrierungen gerahmt und immer richtig ins Bild gerückt wird. SHANGHAI EXPRESS ist nicht umsonst der Klassiker, als der er bis heute gilt. Es ist ein perfektes, wenn nicht das perfekte Beispiel für eine bestimmte, gerade die 30er Jahre Hollywoods prägende Art von Film. Nichts hier gibt je vor, authentisch oder auch nur realistisch zu sein. Es ist eine Studioproduktion, die Settings sind künstlich und sollen auch genau diesen Eindruck vermitteln.

Der Zug ist mal extrem breit, dann wieder eng und bedrückend. Die Erste Klasse entspricht einem Luxushotel, die niederen Schichten fahren dicht gedrängt auf engen Waggons im hinteren Teil, die niemals von innen gezeigt werden, immer nur von außen. Die Aufnahmen der Bahnhöfe – die einzigen Aufnahmen, die ein dem Zug ausgelagertes Außen zeigen – entstanden in San Bernardino und in Chatsworth, in beiden Fällen wurden Hunderte von chinesisch-stämmigen Laiendarstellern angeheuert, um die Bahnsteige zu bevölkern. Die Sets wurden von Hans Dreier derart gestaltet, dass man sich in enorm wuseligen, übervollen chinesischen Bahnhöfen wähnt (zumindest in der Vorstellung solcher Bahnhöfe). Kameramann Lee Games wählt Bildausschnitte, die perfekt ausbalanciert sind zwischen Enge und doch so viel Raum, dass Betrachter*innen die Idee gewinnen, sehr belebte Orte zu sehen. Er verschafft uns Überblicke und zugleich das Gefühl der Beengung, der Unübersichtlichkeit. Diese Bilder sind übervoll, sie scheinen schier zu bersten von all dem Gedränge, das sie einfangen. Und immer wieder gemahnen die Aufnahmen außerhalb des Zuges – bspw., wenn er mit Wasser befüllt wird – an das expressionistische deutsche Kino der 20er Jahre. Games erhielt für seine Arbeit den Oscar für die Beste Kamera.

Bei aller Kritik, die man an einem Film wie diesem üben kann, vielleicht sogar üben muss – SHANGHAI EXPRESS ist, was er ist, gilt als absoluter Klassiker, weil Josef von Sternberg uns hier par excellence vorführt, was das klassische Kino Hollywoods ausmachte. So kann man all das mit der gebührenden Distanz, mit cineastisch analytischem Blick betrachten. Doch hätte man nicht viel verstanden vom Kino, wenn man sich nicht von der Dietrich betören, von dem Witz mitreißen und von diesen Bildern überwältigen ließe.

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

This site uses Akismet to reduce spam. Learn how your comment data is processed.