SLOW HORSES
Auftakt zu einer vielversprechenden Thriller-Serie um Agenten des MI5
In Großbritannien wird Mick Herron bereits als neuer Star des Suspense gehandelt, einigen gilt er mittlerweile gar als bester Autor in der Sparte des Agenten- und Spionage-Thrillers. Nun kann man also auch in Deutschland – dank dess Diogenes-Verlags – überprüfen, ob diese Urteile stimmen. Und sie stimmen.
In einem gekonnten Stil-Mix aus Ironie, gelegentlichem Sarkasmus, angemessener Härte und einer gewissen Lakonie, gelingt Herron in SLOW HORSES (erschienen 2010) der Auftakt um eine Versager-Truppe des MI5 unter der Leitung des verkommenen Jackson Lamb. Es ist eine durchaus packende Story um Intrigen, Hinterhalte und Fallstricke im britischen Inlandsgeheimdienst. Weitab vom Hauptquartier des MI5 am Regent´s Park, in das sogenannten „Slough House“ im Stadtteil FInsley, werden jene Mitarbeiter abgeschoben, die aufgrund von Verfehlungen in Ungnade gefallen sind. Der eine hat eine wesentliche Übung zur Terrorabwehr versaut, der andere eine wichtige CD mit Geheimmaterial in der Bahn liegen lassen, die nächste wird von ihren Vorgesetzten als labil eingestuft und mancher weiß nicht einmal genau, weshalb er hier ist. Sicher ist nur: Der versoffene Chef des „Slough House“, eben jener Jackson Lamb, verachtet sie alle, kann keinen seiner Untergebenen leiden und macht daraus auch keinen Hehl. Gelegentlich teilt er einem seiner Mitarbeiter sogar mit, daß das eigentliche Ziel hier sei, diesen zur Kündigung zu treiben, was dem Staat allerhand Scherereien und vor allem Pensionsansprüche ersparen würde. Lambs zynische Haltung bestärkt die Besatzung des „Slough House“ natürlich darin, sich auch gegenseitig zu verachten, was wiederum Lamb die Führung dieser Einheit erleichtert.
Herron schildert das alles mit viel hintergründigem Humor. Er gibt seine Figuren durchaus der Lächerlichkeit preis, so daß der Leser den Eindruck erhält, es mit einer Agenten-Mannschaft zu tun zu haben, die auch einem Sketch der Monty-Python-Truppe entsprungen sein könnte. Da hintergeht jeder jeden, versucht, auf eigene Rechnung Boden gut zu machen auf dem Weg zurück ins heilige Refugium am Regent´s Park, es werden den Kollegen Daten gestohlen, auch wenn sie sinnlos erscheinen, man beobachtet sich gegenseitig voller Neid, schätzt unentwegt ab wer momentan höher in der Gunst der Vorgesetzten steht und keiner gönnt niemandem auch nur ein Gran Erfolg. Diese Melange aus Versagern, Eigenbrötlern, Faulenzern, Opportunisten und Neidhammeln kommt dem Leser denn auch leidlich bekannt vor, begegnen einem doch bei Ian Rankin, Ruth Rendell oder Caroline Graham ganz ähnliche Typen. Zumindest als Nebenfiguren.
Allerdings ändern sich Ton und Haltung, sobald Herron die Handlung in Gang setzt und dann auch zügig vorantreibt. Denn die hat es in sich und nimmt Bezug zu (zumindest im Jahr 2010) aktuellen Ereignissen. Ein junger Pakistani wird ent-, dann als Gefangener im Internet vorgeführt und damit bedroht, ihm werde vor laufender Kamera der Kopf abgeschnitten. Wie der gesamte MI5 sitzen auch die „Slow Horses“, die Insassen des „Slough House“, vor den Monitoren und verfolgen das Drama. Und da es sich Diana Tavern, die Vizechefin des MI5, nicht hat nehmen lassen, einen Agenten aus diesem Kreis auf eine scheinbar einfache Mission zu schicken, wird die gesamte Truppe schneller und tiefer in den Fall hineingezogen, als sie es je hätte erwarten können. Das hat den Vorteil, daß nun alle beweisen dürfen, was in ihnen steckt – und aus einer losen Gruppe Einzelkämpfer nach und nach ein Team wird. Nur Jackson Lamb scheint sein eigenes Spiel zu spielen und ganz andere, eigene Ziele zu verfolgen.
Herron weiß genau, was er tut, wenn er den Grundton seines Romans langsam ändert und dem Leser nach und nach durchaus tragische Lebensgeschichten und Hintergründe preisgibt. Das Personal, über das man anfangs meinte lachen zu können, entwickelt ein Eigen- und Innenleben, die Figuren werden plastischer, auch greifbarer, und einige treten als tragende Charaktere hervor. Dabei belässt Herron ihnen ihre Eigenheiten und Macken, sie werden nicht grundlegend sympathisch, doch damit erreicht er vor allem, daß sie für den Leser immer interessanter werden. Und auch die Story hält da mit. Sie ist spannend – auch spannend erzählt, wenn auch mit recht gängigen Mitteln, inklusive des altbekannten Cliffhanger – und bleibt bis zum überraschenden Ende offen. Wie es zu einem guten Agententhriller dazu gehört, stellt Herron allerdings auch die ganze Bandbreite an Verkommenheit, Gemeinheit und Brutalität aus, die zwangsläufig an der Schnittstelle von polizeilicher Ermittlungsarbeit, Karriereposten und -plänen und anonymer Bürokratie auftreten kann.
Herron schafft hier eine gute Grundlage für eine Serie. Die Hauptfiguren sind hervorragend eingeführt, sie sind interessant und werden dem Leser ebenso verständlich wie eindringlich vorgestellt. Die Entwicklung, die die Truppe am Ende dieses Debuts genommen hat, sowie die Beziehung zwischen dem „Slough House“ und dem Hauptquartier des MI5, die sich zwangsläufig durch die Handlung ergeben, lassen eine Menge Spielraum für kommende Abenteuer, Ermittlungen und Einsätze. Herrons Erzählung wirkt nicht zuletzt dadurch glaubwürdig, indem er auf allzu grobe Action verzichtet –kaum könnte man weiter von allen James-Bind-Szenarien entfernt sein als hier – und seine Protagonisten wirklich ermitteln lässt. Allerdings deutet er genug Hintergrund (gerade bei Lamb) an, daß man hier davon ausgehen darf, es mit teils durchaus gewalttätigen und auch skrupellosen Menschen zu tun zu haben. Man darf also gespannt sein. Teil zwei ist bereits auf dem Markt und man freut sich geradezu, die Geschehnisse um Jackson Lamb und seine Verlierer weiter zu verfolgen.