THE CAPTIVE
Einer der besseren Arbeiten von Atom Egoyan aus jüngerer Zeit
[Der Film ist a-chronologisch erzählt, hier wird der Inhalt einfachheitshalber chronologisch wiedergegeben]
Im Jahr 2005 wird die neunjährige Cassandra Lane (Peyton Kennedy), eine begeisterte Eiskunstläuferin, die eben noch ihrem Freund und Eislaufpartner Albert (Mark Gorodnitsky) das Versprechen abgenommen hat, niemals mit einer anderen seine Kreise übers Eis zu ziehen, vom Rücksitz des Pick-Up ihres Vaters Matthew (Ryan Reynolds) entführt. Der wollte nur ein paar Leckereien für das familiäre Abendessen besorgen – als er aus der Bäckerei kommt, vor der er geparkt hatte, ist seine Tochter verschwunden.
Detective Nicole Dunlop (Rosario Dawson), eine langjährige Kämpferin gegen Kindesentführung, Kindesmissbrauch und Pädophilie, und ihr neuer Kollege Jeffrey Cornwall (Scott Speedman) werden mit den Ermittlungen zu dem Fall beauftragt. Schnell verdächtigen sie Matthew, am Verschwinden seiner Tochter beteiligt gewesen zu sein. Seine Firma sei pleite, da könne man schon mal auf Gedanken kommen, das eigene Kind zu verkaufen. Obwohl sie es intellektuell besser weiß, beginnt auch Tina Lane (Mireille Enos), die Mutter von Cassandra, ihren Mann zu verdächtigen.
Über die Jahre, die Cassandra verschwunden bleibt, zerbricht die Ehe der Lanes, obwohl sie einander immer noch zugewandt sind. Matthew zieht sich in sich selbst zurück, misstraut der Polizei und glaubt, seine Tochter auf eigene Faust finden zu können. Tina arbeitet als Putzfrau in einem Hotel, wo sie in den von ihr betreuten Räumen immer mal wieder Gegenstände findet, die eindeutig Cassandra zuzuordnen sind. Davon erzählt sie gelegentlich Matthew, wenn sie am Telefon miteinander sprechen. Bei Treffen mit Nicole Dunlop gibt sie aber auch offen zu, dass sie ihren Mann für Cassandras Verschwinden verantwortlich macht, zumindest für seine Unachtsamkeit. Sie wolle ihn leiden sehen.
Was weder Tina, noch Matthew oder die Polizisten ahnen: Cassandra (jetzt: Alexia Fast) lebt. Sie ist im Haus, besser: der Villa von Mika (Kevin Durand) eingesperrt. Der spielt ein besonders perfides Spiel mit seinen Opfern. So hat er in den Hotelzimmern, in denen Tina arbeitet, Kameras angebracht, über die er – und auch Cassandra – Tina beobachten und auch ihre Reaktionen auf die Funde der Gegenstände – mal eine Bürste, mal ein Pokal, den Cassandra einst gewonnen hatte, mal einer ihrer Milchzähne usw. – sehen können. Die wurden in Mikas Auftrag dort deponiert. Gegenüber Cassandra droht er, ihren Eltern etwas anzutun, weshalb sie sich bereit erklärt, für Mika als eine Art Onlineköder für andere, deutlich jüngere Mädchen zu dienen.
Jeffrey findet eines Tages ein Bild von Cassandra in einem der geheimen Pädophilen-Ringe, in die er sich eingeschlichen hat. So gelingt es den Ermittlern Willy (Ian Matthews) zu fassen, der zu dem auch von Mika geführten Kreis gehört. Der besucht Willy im Knast. Willy fordert von ihm, dass Dunlop „beerdigt“ wird, womit er ermordet meint. Mika verspricht ihm, die Ermittlerin aus dem Verkehr zu ziehen, wenn er absolutes Stillschweigen über den Kinderschänder-Ring bewahrt.
Erneut findet Tina einen Gegenstand in einem der Hotelzimmer. Doch diesmal sagt sie Nicole Bescheid, was sie bisher nicht getan hat. Die Ermittler werden bei Matthew vorstellig, dem sie noch einmal vorwerfen, etwas mit der ganzen Sache zu tun zu haben. Matthew fordert sie auf, ihn entweder in Ruhe zu lassen oder aber zu verhaften. Als Jeffry Cornwall ihn aufhalten will, schlägt Matthew diesen nieder.
Jeffrey setzt seine Nichte ein, um Cassandra online zu locken, was Nicole derart in Rage bringt, dass sie sich von ihrem Kollegen trennt, der in den vergangenen Jahren, in denen sie zusammengearbeitet haben, auch zu ihrem privaten Partner geworden ist.
Mika ist Kompagnon in einer gut gehenden Firma, die er sich mit Vince (Bruce Greenwood) teilt. Dessen Frau Jennifer (Ella Ballentine) ist Vorstandsvorsitzende einer Stiftung, die jedes Jahr eine Person ehrt, die Herausragendes für die Gesellschaft geleistet hat. Dieses Jahr – es ist mittlerweile 2013 – soll Nicole Dunlop für ihr Engagement gegen Pädophilie ausgezeichnet werden. Die geht nun, da sie immer noch wütend auf Jeffrey ist, allein zu der Gala.
Auf der Veranstaltung nähert sich ihr eine Frau namens Vicky (Christine Horne), die sich nicht nur bei Nicole anbiedert, sondern auch ein Betäubungsmittel in ihr Wasserglas kippt. Anschließend entführt sie Nicole, die sich in einem Van wiederfindet, beobachtet von einer Kamera.
Mika hat Cassandra versprochen, dass sie ihren Vater treffen darf, ursprünglich war dieses Treffen online vorgesehen, doch glaubt Mika mittlerweile, dies sei zu gefährlich. So arrangiert er es, dass er Matthew zu einem abgelegenen Ort lockt, wo sich Cassandra ihm zeigt und kurz mit ihm spricht, bevor Mika Matthew mit einem Betäubungspfeil außer Gefecht setzt.
Jeffrey, außer sich vor Sorge um Nicole, die zwar wütend auf ihn ist, der es aber nicht ähnlich sieht, nicht zur Arbeit zu erscheinen, sucht nach seiner Kollegin und Lebensgefährtin. Dabei besucht er auch Vince und dessen Frau und verhört beide hinsichtlich der Vorkommnisse auf der Gala zu Nicoles Ehren. Er erfährt einige Details über die Frau – Vicky – die Nicole entführt hat, u.a., dass niemand weiß, wer sie ist.
Matthew besucht immer noch regelmäßig die Eishalle, wo Albert (jetzt: Aidan Shipley) nach wie vor trainiert. Die beiden verstehen sich und Albert scheint der einzige Mensch zu sein, mit dem Matthew seinen Schmerz über Cassandras Verschwinden wirklich teilen kann.
Als Matthew nun wieder in die Halle kommt, wird er Ohrenzeuge, wie eine junge Frau Albert nach Cassandra befragt. Ohne es zu ahnen, hat er Vicky vor sich, die in Mikas Auftrag Neuigkeiten von Cassandras früheren Eislaufpartner einholen soll, da die junge Frau ihm mitgeteilt hat, dass sie nur weiter für ihn arbeiten könne, wenn sie entsprechende Kicks bekäme, die das Gefühl, noch am Leben zu sein, in ihr wecken könnten.
Matthew folgt Vicky bis zu einem Diner, der jenem gleicht, wo Cassandra einst entführt wurde. Er versteckt sein Handy in Vickys Wagen, ruft Jeffrey an und fordert ihn auf, das Teil zu orten und nähert sich dann Vicky und Mika, der zu ihr gestoßen ist.
Es kommt zu einer verbalen Auseinandersetzung, dann haut Matthew ab, wobei er Vickys Handy stiehlt. Mika und Vicky folgen ihm, auf dem vereisten Highway kommt es zu einer Verfolgungsjagd und Vicky schießt mehrfach auf Matthews Wagen. Dann entkommen die beiden Entführer in Richtung ihrer Villa.
Dorthin dringen auch Jeffrey und seine Männer vor, in einer Schießerei können sie Vicky und Mika ausschalten und Cassandra befreien. Auch Nicole kann schließlich befreit werden. Cassandra und ihre Eltern werden wieder vereint.
Als Cassandra erstmals wieder auf das Eis geht, lächelt sie.
Nachdem sein Thriller DEVIL´S KNOT (2013), der vom Mord an drei Jungen in Arkansas zu Beginn der 90er Jahre erzählte, sowohl künstlerisch als auch kommerziell gefloppt war, widmete sich Regisseur Atom Egoyan in seinem nächsten Film THE CAPTIVE (2014) erstaunlicherweise erneut dem Thema eines verschwundenen Kindes. Doch diesmal machte es der Filmemacher eindeutig besser, zumindest über weite Strecken des Films. Vielleicht liegt dies tatsächlich daran, dass Egoyan, anders als im direkten Vorgänger, wieder als klassischer Autorenfilmer auftrat: Er schrieb das Buch, inszenierte und produzierte das Drama um ein entführtes Mädchen, das Jahre später wieder auftaucht.
Egoyan greift auf eine komplizierte Erzählstruktur zurück, bei der er in den Zeitebenen seiner Story vor und zurück springt. Ob dies wirklich nötig ist, sei dahingestellt, der Zuschauer braucht eine Weile, bis er sich zwischen den Figuren, die zuzuordnen er lernen muss, und den Zeiten zurechtfindet. Zudem sind die Einblendungen des gerade aktuellen Jahres – hauptsächlich handelt es sich um die Jahre 2005, 2011, 2012 und 2013 – typographisch derart unauffällig, dass man doch sehr genau hinschauen muss, um die Sprünge auch immer mitzubekommen. Dafür wird man mit einigen für Egoyan – vor allem Egoyans frühe Filme – so typischen und extrem einnehmenden Bildgestaltungen belohnt. Und daran anschließend mit erstaunlich vielschichtigen emotionalen Analysen der beteiligten Protagonisten. Einmal mehr ist es Trauer – Trauer um Kinder, bzw. ein Kind – die die Geschichte des Films bestimmt.
Ähnlich seinem Meisterwerk THE SWEET HEREAFTER (1997), spielt auch THE CAPTIVE nahezu vollständig in den kalten Jahreszeiten, ist komplett in den eisigen Wintern der kanadischen Provinz Ontario angesiedelt. Kalt ist somit das Gefühl, welches den Zuschauer schnell befällt, wenn er dem Film folgt. Kalt ist die Landschaft und nachdem die neunjährige Cassandra aus dem Wagen ihres Vaters Matthew entführt wurde, während er kurz in einer Bäckerei Kuchen kaufen will, ist auch die allgemeine Stimmung in THE CAPTIVE eiskalt. Die Polizei verdächtigt den Vater, durch diesen Verdacht angestachelt, will auch Mutter Tina bald glauben, ihr Mann könne etwas mit dem Verschwinden der gemeinsamen Tochter zu tun haben. Die ermittelnden Polizisten Dunlop und Cornwall wirken seltsam kühl gegenüber den Eltern, vor allem gegenüber dem Vater, wobei hier vor allem Jeffrey Cornwall auffällt, der eben erst zur Einheit Kindesmissbrauch gestoßen ist, von der Mordkommission kommt und vielleicht deshalb so distanziert gegenüber jenen ist, mit denen er es zu tun hat. Auf Nicole Dunlops Frage, weshalb er ausgerechnet in ihre Einheit versetzt werden möchte, antwortet Cornwall, er wolle es einmal mit Lebenden zu tun haben, nicht nur den Toten helfen.
Kalt ist aber auch jener Mann, der für die Entführung von Cassandra verantwortlich ist. Er hält sie über Jahre in einem Keller gefangen, lässt sie Geschichten erzählen und einlesen; ob er sie sexuell missbraucht hat, erfahren wir nicht, da er aber einen bei anderer Gelegenheit von Dunlops Einheit verhafteten Pädophilen im Gefängnis besucht, liegt es nah. Als er Cassandra erlaubt, ihren Vater zu treffen, bestimmt er die Bedingungen und setzt sie gnadenlos durch. Mit Mutter Tina spielt er über die Jahre, die sie ihre Tochter vermisst, ein perfides Spiel, indem er in den Hotelzimmern, in denen sie putzt, immer mal wieder Gegenstände aus Cassandras Vergangenheit platziert. Kevin Durand spielt diesen Mann namens Mika als eine Art Feingeist. Kein böses Wort, keine erhobene Stimme, kein Fluchen oder Drohen. Dieser Mann zieht einem Hai gleich seine Kreise und nähert sich seinen Opfern nahezu lautlos. Umso schrecklicher, umso erschreckender wirkt er.
Doch die eigentliche, die unerträgliche Kälte dieses Films ist die Sprachlosigkeit der Betroffenen. Die Eltern, das erfahren wir in einigen Gesprächssituationen zwischen Tina und Detective Dunlop, die sich all die Jahre hindurch treffen, sind getrennt, ein jeder bemüht sich, auf seine Art mit dem Schmerz fertig zu werden, ein gemeinsames Bewältigen des Verlusts scheint es nie gegeben zu haben. Dabei gibt Egoyan sich gleich zu Beginn des Films große Mühe, dieses Paar als ein glückliches zu zeichnen, wofür ihm einige wenige, kurze Momente genügen. Da nicht nur Durand, sondern auch Ryan Reynolds als Vater Matthew und Mireille Enos als Mutter Tina ausgesprochen überzeugend sind, gelingt es dem Film auch, genau dieses Bild der Familie mit wenigen, skizzenhaften Strichen zu zeichnen. Umso verstörender also jene Kälte, die zwischen den Eheleuten eintritt, als mit Cassandra offenbar das so notwendige Bindemittel, der Kitt der Beziehung, der Familie, abhandenkommt.
Auch auf dieser Ebene trifft sich THE CAPTIVE mit THE SWEET HEREAFTER, der ebenfalls von Trauer und der Bewältigung, bzw. den Bewältigungsversuchen dieser Trauer erzählt. So sollte man hier auf keinen Fall einen herkömmlichen Krimi oder gar Thriller erwarten. Dass ein solcher Versuch wahrscheinlich schiefgeht, hatte Egoyan sowohl bei DEVIL´S KNOT erlebt, bei dessen Story es sich um eine wahre Begebenheit handelte, die der Regisseur so detailgenau wie möglich darstellen wollte, als auch schon bei dem gern als Erotikthriller bezeichneten CHLOE (2009), der ebenfalls nur bedingt gut funktioniert. Egoyan ist da gut, wo er vergleichsweise einfache Thematiken mit seinen ganz besonderen Mitteln bearbeiten kann, fängt er an Genrefilme zu drehen, verliert er sich meist, da er sich an Konventionen halten muss, die zu dekonstruieren eher sein Metier ist. Auch THE CAPTIVE erleidet dieses Schicksal, wenn nach etwa der Hälfte des Films der Schwerpunkt auf die Ermittlungsarbeit von Dunlop und Cornwall gelegt wird und dies dann u.a. dazu führt, dass Dunlop entführt und von Mika in einem Van irgendwo in einer Garage gefangen gehalten wird. Zudem lässt sich Vater Matthew schließlich auf eine wilde Verfolgungsjagd mit den Entführern ein – Mika wird von einer sehr blonden, sehr kühlen Frau namens Vicky unterstützt – die darin mündet, dass er die Polizei auf die richtige Fährte führen kann. Das Gesetz des Genrefilms schlägt zu und verlangt Auflösung und, mehr noch, Er-Lösung. Die amerikanische (kanadische) Familie ist bedroht und muss um jeden Preis wieder zusammengefügt werden. Zu groß die Bedrohung, sollte diese gesellschaftliche Keimzelle tatsächlich nachhaltig angegriffen werden. Sowas kann sich das Genre-Kino nur sehr bedingt leisten. Diese Lösung jedoch passt nicht zur ersten Hälfte des Films, in der Egoyan brillante filmische Auflösungen und Einstellungen gelingen, die eben von Schmerz, Verlust und Trauer erzählen und wenig Raum für Hoffnung lassen.
Immer wieder spielt er hier mit der Differenz von Nähe und Ferne, lässt er Nah- und Tiefenaufnahmen in seinen Bildern kollidieren. Wir beobachten Tina bei einem der Treffen mit Dunlop in einem Café und während ihr Gesicht eine Hälfte der Leinwand ausfüllt, von wirren Haaren umrahmt, picklig, bleich, die Augen verdeckt von einer dunklen Sonnenbrille, können wir in der anderen Bildhälfte zwei Damen beim Kaffeekränzchen beobachten, lachend, mit der Kellnerin redend. Egoyan gelingt gerade mit solchen Einstellungen, die maximale Entfremdung und Einsamkeit derer zu verdeutlichen, die etwas nicht wieder Zurückzuholendes verloren haben. Das Leben geht weiter, doch man nimmt nicht mehr daran teil. Es zieht vorbei, kaum wahrgenommen, unerreichbar. Es gibt weitere, ähnliche Momente im Film. Die immer wiederkehrenden Totalen des eisbedeckten Highways, auf dem Matthew seinem Tagesgeschäft als Gärtner nachgeht, dessen Teilabschnitte er immer wieder abfährt und dabei immer wieder das Diner passiert, vor dessen Eingang seine Tochter verschwand, deutet diese Einsamkeit an und aus. Demgegenüber stehen Innenräume – die Polizeistation, ein Krankenhaus, ein Saal, in dem eine Gala abgehalten wird; aber auch das Innere der Villa des Entführers – die ihrerseits institutionelle Kälte und innere Distanz ausdrücken. Aufgeräumt, dabei aber seelenlos, wirken diese Innenräume. Dann wieder werden wir mit harschem Gegensatz konfrontiert, der uns umso betroffener macht: In einer Szene besucht Matthew Tina in dem Haus, in dem sie einst gemeinsam, mit Cassandra, als Familie, gelebt haben. Hier erst sehen wir etwas Individuelles, hier bekommen wir Einblick in ein Leben, das etwas Freundliches, Zugewandtes und Fröhliches hatte – und das es nicht mehr gibt. Es wirkt erstarrt in der Zeit, festgehalten in einem weit entfernten Moment. Und strahlt damit wiederum eine ganz eigene, nicht minder schwer zu ertragende Kälte aus.
Der erste Teil von THE CAPTIVE ist Atom Egoyan at his best. Dann aber fällt der Film in der zweiten Hälfte auf das Niveau eines Sonntagabendkrimis. Nun müssen Ergebnisse her, eben jene oben benannten Lösungen, nun trauen Buch und Regie der eigenen Anlage ihres Films nicht mehr, nun soll der Zuschauer beruhigt werden, indem alles doch noch irgendwie zu einem guten Ende führt. Den Zuschauer aber verlangt es geradezu nach einem letzten Tupfer des Schreckens. Wenn Cassandra, die in einer Art verdrehtem Stockholm-Syndrom ihrem Entführer sogar hilft, online weitere Opfer zu ködern – wobei angedeutet wird, dass diese Hilfe von ihrem Entführer durch Drohungen gegen die Eltern erzwungen wird – , wieder zuhause ist und ihr Eislauftraining wieder aufnimmt, lächelt sie in die Kamera, bevor das Bild schwarz wird. Einen kurzen Moment befürchten wir, dass bei diesem Kind, das nun eine junge Erwachsene ist, etwas verfangen hat, dass sie mit dem Bösen dieses Mannes – Mika – infiziert wurde. Oder aber – in der vorletzten Szene sehen wir Matthew den Schrein abräumen, den die Rückbank seines Pick-Up die letzten Jahre dargestellt hat – wir warten geradezu auf einen versteckten Hinweis, dass dieser Mann, der uns nicht sympathisch erscheint und dessen Schmerz wir dennoch so gut verstehen – Egoyan versteht es brillant, diesen Widerspruch zwischen den eloquenten Polizisten, dem feinsinnigen Mika und dem eher rauen Matthew, einem Arbeiter, herauszuarbeiten – eben doch an den Machenschaften des Pädophilenrings beteiligt war.
So oder so fällt es schwer zu akzeptieren, dass Atom Egoyan uns tatsächlich ein vergleichsweise plumpes Happyend präsentiert, in dem sich alles in Wohlgefallen auflöst. Kind befreit und daheim, Polizistin ebenfalls befreit, die Täter tot – also ordnungsgemäß bestraft – , die Eltern wieder vereint. Wirklich? Gerade Atom Egoyan hat seinem Publikum in früheren Arbeiten Abgründigeres, Düsteres und schwerer zu Verdauendes präsentiert. Vielleicht wird der Mann auf seine alten Tage milde. Das tut seiner Kunst allerdings nicht zwingend gut.