DEVIL´S KNOT – IM SCHATTEN DER WAHRHEIT/DEVIL´S KNOT

Atom Egoyan liefert ein für seine Verhältnisse sehr konventionelles Gerichtsdrama ab

West Memphis, Arkansas, im Jahr 1993. Die jeweils achtjährigen Steve Branch (Jet Jurgesmeyer), Christopher Byers (Brandon Spink) und Michael Moore (Paul Boardman, Jr.) – verschwinden eines Nachmittags in einem örtlichen Sumpfgebiet. Als sie auch spät abends noch nicht wieder aufgetaucht sind, suchen die verzweifelten Eltern nach ihnen, allen voran Pam Hobbs (Reese Witherspoon), die Mutter des kleinen Stevie, und ihr Mann Terry (Alessandro Nivola). Der Sheriff wird eingeschaltet, auch die Polizei sucht nach den Jungs. Während die Suche läuft, wird eine Polizistin zu einem Diner gerufen, wo sich ein blutender Mann auf der Toilette eingeschlossen haben soll, nun allerdings nicht mehr auffindbar ist.

Am nächsten Tag wird die Polizei unter der Leitung von Inspector Gary Gitchell (Rex Linn) fündig: Die Leichen der Jungs werden nackt und gefesselt im Sumpf gefunden. Aufgrund des Zustands der Leichen und auch anhand der extremen Gewalt, die ihnen angetan wurde, sind sich in der sehr religiösen Gemeinde viele bald sicher, dass man es mit einem satanischen Kult, einem Ritualmord, zu tun habe.

Relativ schnell werden einige Verdächtige dingfest gemacht: Jessie Misskelley (Kristopher Higgins), Jason Baldwin (Seth Meriwether) und Damien Echols (James Hamrick). Die drei gelten schon lange als verhaltensauffällig, da sie lange Haare und allerlei Accessoires von sogenannten Metal-Heads tragen und auch die dazu passende Musik hören. Bei einer Hausdurchsuchung bei Echols werden zudem allerhand okkulte Gegenstände und Bücher zum Thema gefunden.

Der offensichtlich geistig zurückgebliebene Jessie Misskelley wird in einem stundenlangen Verhör, in dem weder seine Eltern noch anwaltlichen Beistand anwesend sind, derart von der Polizei bedrängt, dass er schließlich ein Geständnis ablegt, das allerdings ausgesprochen widersprüchlich ist und teils Angaben enthält, die eindeutig nicht mit dem soweit wie möglich rekonstruierten Tathergang übereinstimmen können.

Doch dann tritt der ebenfalls achtjährige Aaron Hutcheson (Jack Coghlan) auf den Plan. Der Junge erklärt den erstaunten Polizisten, die ihm nur allzu gern glauben und ihn mit allerlei Suggestivfragen immer wieder in die Richtung lenken, in der sie ihn brauchen, dass er allein die Wahrheit kenne, da er bei den Morden dabei gewesen sei. Er habe sie beobachtet und sei sogar von den Tätern gezwungen worden, das Blut des toten Steve Branch zu trinken. Immer grausiger werden die Details, die der Junge berichtet.

Während sich West Memphis auf den Prozess unter Leitung des ehrenwerten Richters David Burnett (Bruce Greenwood) vorbereitet, wird der Privatdetektiv Ron Lax (Colin Firth) auf den Fall aufmerksam. Lax, gerade mitten in der Scheidung von seiner Frau, bietet den Verteidigern der drei Angeklagten seine Dienste pro bono an, da er ein Gegner der Todesstrafe ist, mehr noch aber die Meinung vertritt, dass eine Stadt, die gerade drei ihrer Kinder verloren habe, nicht gleich drei weitere verlieren müsse.

Doch sowohl Lax als auch die Verteidiger der drei Angeklagten müssen schnell feststellen, dass ihre Bemühungen vor Gericht wenig ausrichten. Da werden von der Anklage ominöse Experten zu Okkultismus und Satanismus aufgeboten und wenn die Verteidigung sie als Blender entlarvt, erklärt der Richter sie kurzerhand zu Sachverständigen; offenkundige Widersprüche in den Protokollen der Verhöre gerade mit Misskelley und Hutcheson übergeht das Gericht. Als Hutchesons Mutter Vicki (Mireille Enos) in arge Bedrängnis gerät und die Aussage ihres Sohnes dadurch in Verdacht gerät, einstudiert und gelogen zu sein, interessiert sich das Gericht auch dafür kaum. Und als mit Chris Morgan (Dane DeHaan) ein Zeuge auftaucht, der kurz nach den Morden gen Kalifornien entschwunden war und dann in einer dortigen Befragung zunächst ein Geständnis abgelegt hatte, welches er später widerrief und somit als Präzedenzfall für Misskelleys ebenfalls widerrufenes Geständnis gelten könnte, lässt der Richter lediglich eine Befragung unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu, wodurch Morgans Aussagen nicht verwertbar sind.

Während der Prozess läuft, kommt es zwischen Pam Hobbs und ihrem Mann zu Unstimmigkeiten. Als sie sich bei einem Interview vor der Kamera echauffiert und behauptet, die Angeklagten könne man ja schon an ihrem Aussehen und der Musik erkennen, die sie hörten, verlangt Terry von ihr, den Mund zu halten und öffentlich die trauernde Mutter zu geben, die sie zu sein habe. Pam ihrerseits sucht im Umfeld ihres Sohnes nach Hinweisen auf den Mord und findet schließlich ein Messer, dass Stevie immer bei sich trug, welches nun aber im Werkzeugkasten ihres Mannes liegt.

John Mark Byers (Kevin Durand), der Vater von Christopher, erzählt derweil vor sämtlichen Kameras wirre religiöse Geschichten über den Kampf von Gut und Böse, der in West Memphis ausgetragen werde. Sein Sohn sei ein Opfer dieses ewigen Krieges. Sein Auftreten wirkt oft bedrohlich und immer verstörender.

All das ficht die Geschworenen nicht an. Die drei Angeklagten werden für schuldig befunden, das Gericht verurteilt die zum Zeitpunkt des Verbrechens minderjährigen Misskelley und Jason Baldwin zu langjährigen Haftstrafen; Damien Echols, den die Anklage als Anführer der drei ausgemacht hat und der auch im Zeugenstand befragt wurde, wird zum Tode verurteilt.

Eines Abends fährt Lax an den Ort, wo die toten Jungs gefunden wurden. Dort trifft er auf Pam. Die beiden kommen ins Gespräch und Lax spürt, dass Pam sich ihrer Sache nicht mehr sicher ist. Sie gibt Lax das Messer ihres Sohnes. Anderntags verlässt sie mit ihrer Tochter West Memphis.

In Schautafeln werden die späteren Ereignisse erläutert: Hutcheson zog seine Aussage zurück; Terry Hobbs Haarprobe, die er der Polizei routinemäßig geben musste, wurde nie untersucht; zwei Jahre nach den Morden und dem Verfahren wurde die Mutter von Christopher Byers tot in ihrem Heim aufgefunden, die Umstände wurden nie geklärt.

Lax besorgte Jahre später heimlich eine neue DNA-Probe von Terry Hobbs. Bei der Untersuchung wurde festgestellt, dass seine DNA auch an den Leichen der toten Jungs feststellbar war.

Der Mann, der sich an jenem Abend blutüberströmt und nach Aussage des Besitzers des Diners mit deutlichen Spuren von Matsch an den Schuhen und an der Hose in der Toilette eingeschlossen hatte, konnte nie gefunden werden.

Achtzehn Jahre nach dem Urteil handelten die Verurteilten einen Deal mit der Staatsanwaltschaft aus. Sie wurden 2011 entlassen, gelten aber nach wie vor als verurteilte Straftäter.

Atom Egoyan gehört seit seinen frühen Filmen wie THE ADJUSTER (1991) oder EXOTICA (1994), zu den interessantesten Regisseuren seiner Generation. Der in Kairo geborene Kanadier armenischer Abstammung entspricht ziemlich exakt dem, was man sich unter einem Autorenfilmer vorstellt und wirkt damit fast aus der Zeit gefallen. Vielleicht ist das der Grund, dass seine Filme immer konventioneller wurden, sich immer mehr dem Mainstream annäherten und schließlich, wie hier mit DEVIL´S KNOT (2013) endgültig dort ankamen und dann vollends Schiffbruch erlitten, schlicht, weil Egoyan als Regisseur von eindimensionalen Thrillern nicht taugt. Doch ist es einem Künstler wie ihm vielleicht nicht immer möglich, die nötigen Gelder aufzutreiben, weshalb er bereit sein muss, auf konventionellere Stoffe zu setzen, denen er dann zumindest noch eine unkonventionelle Herangehensweise und ein unkonventionelles Gerüst angedeihen lassen kann.

Dass Egoyan sich für den hier vorliegenden Stoff an sich interessiert, verwundert nicht, werden doch einige Themen verhandelt, die für ihn immer wieder maßgeblich waren – allen voran die Frage nach der Wahrheit, bzw. wie sie sich aus unterschiedlichen Perspektiven darstellt. Und auch das Motiv der Trauer begegnet dem Zuschauer in einem seiner besten Filme bereits auf nicht unähnliche Weise: In THE SWEET HEREAFTER (1997) ist es ein Dorf, das bei einem furchtbaren Unglück mit dem Schulbus nahezu alle Kinder verliert und von einem fremden Anwalt dazu gedrängt wird, den Hersteller des Busses zu verklagen. Denn – so die Logik – einen Schuldigen müsse es geben. Ähnlich ist es nun in DEVIL´S KNOT, wobei es hier um ein unfassbares Verbrechen und die Frage geht, wer es war und auf welche Indizien gestützt man sich ein Bild machen kann. Doch was in dem älteren Film zu einer Meditation eben über Trauer und wie man mit ihr umgeht, über Schuld, Wahrheit und Lüge und den Zerfall einer Gemeinschaft wird, bleibt nun in einem allzu starren und letztlich vor allem viel zu eindimensionalen Plot stecken.

Die Geschichte, die DEVIL´S KNOT erzählt, beruht auf den berühmt-berüchtigten „wahren Begebenheiten“. Der Fall, den Egoyan mit äußerster Akkuratesse nachzuerzählen sich große Mühe gibt, ging unter dem Namen „West Memphis Three“ in die amerikanische Rechtsgeschichte ein. Bei den drei handelte es sich um junge Männer aus West Memphis, einer Stadt in Arkansas, die beschuldigt wurden, in satanischen Ritualen drei achtjährige Jungs ermordet zu haben. Der Fall schlug hohe Wellen, die drei wurden schließlich aufgrund einer recht fragwürdigen Zeugenaussage sowie ebenso fragwürdiger Indizien in einem Fall zur Todesstrafe, in den beiden anderen Fällen zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Schnell wurde hier ein Justizirrtum vermutet, die Öffentlichkeit empörte sich, die Verurteilten fanden viel Zuspruch auch und gerade in der Rock-Musik-Szene, die insofern eine Rolle spielte, als dass alle drei gern Heavy-Metal-Musik hörten und – dieser Spielart des Rock´n´Roll folgend – lange Haare und diverse Accessoires trugen, die für die Staatsanwaltschaft als Indizien galten, die auf ihre Charaktere verwiese. Es wurden mehrere, teils preisgekrönte, Dokumentationen über den Fall gedreht und es erschienen zwei Bücher, die sich der Geschichte annahmen. Mara Leveritts THE DEVIL´S KNOT: THE TRUE STORY OF THE WEST MEMPHIS THREE (2003) wurde schließlich zur Vorlage für Egoyans Film.

Um der Authentizität des Falles gerecht zu werden, arbeitet Egoyan mit allerlei Tricks und verschiedenen stilistischen Mitteln. Mehrfach lässt er, vergleichbar einem Dokumentarfilm oder, wollte man auf ein Sachbuch rekurrieren, Zwischen- und Untertiteln bei Bildern vergleichbar, Szenen mit Schrifteinblendungen versehen, die das, was auf der Leinwand geschieht, noch einmal erklären und zeitlich, manchmal minutiös, einordnen. Dann wieder ändert er das Filmmaterial oder hat es nachträglich bearbeiten lassen, um so teilweise den Eindruck zu erwecken, man habe es mit authentischem Material oder gar Fernsehaufnahmen zu tun. All dies ist in der Postmoderne gebräuchliche Praxis, gerinnt allerdings zu reinem Beiwerk, Ausschmückung und Dekor, wenn der Zuschauer daraus kaum einen Mehrwert ziehen kann. Der Film kommt letzten Endes als durch und durch gewöhnliches Drama, nicht einmal als Thriller daher, schon gar nicht als kühl-sachliche Mockumentary oder gar als filmischer Essay o.ä. Umso erstaunlicher, wie spannungsfrei er dem Publikum begegnet.

Man erinnere sich an David Finchers Meisterwerk ZODIAC (2007): Minutiös hielt sich der Regisseur bei seinem Film über den Zodiac-Killer, der sein Unwesen Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre in der San Francisco Bay trieb, an Fakten, inklusive der Tatsache, dass der Fall nie aufgelöst wurde. Bis heute weiß man nicht, wer sich hinter dem Killer verbarg, der ein so zynisches Spiel mit der Polizei und der Öffentlichkeit trieb. Und doch gelang es Fincher bei einem Film, der schon im Kino nahezu zweieinhalb Stunden dauerte – später veröffentlichte er einen noch längeren Director´s Cut – eine enorme Spannung aufzubauen und erstaunlicherweise über die gesamte Filmlänge zu halten. Stellt sich die Frage, warum es Egoyan bei einem Sujet, dass in seiner Vielschichtigkeit eigentlich noch viel mehr hergibt – beginnend bei der Religiosität der Beteiligten bis hin zur offensichtlichen Unwilligkeit der Polizei und der Staatsanwaltschaft, vernünftig zu recherchieren – nicht gelingt, nicht nur keine Spannung zu erzeugen, sieht man einmal von den ersten Minuten des Films ab, sondern darüber hinaus dem Stoff nicht einmal wirklich interessante Aspekte abzugewinnen.

Dabei ist, wie schon gesagt, alles angerichtet: Drei Jungs, eher der Unterklasse, dem Milieu des White Trash, den Trailerparks am Rande der Stadt entstammend, zockeln mit ihren Fahrrädern in den Wald und verschwinden. Drei schnell als „Satanisten“ ausgemachte junge Männer, Teenager teils, einer davon offensichtlich geistig auf den Stand eines Acht- bis Zehnjährigen, die demselben Milieu entstammen, werden verhaftet und angeklagt. Die Eltern der getöteten Kinder sind ausgesprochen religiös, so sehr, dass einer der Väter vor den Kameras der die Verhandlung intensiv begleitenden Kamerateams immer wieder Reden darüber schwingt, dass sich hier, in West Memphis, weitab der großen Metropolen, der ewige Kampf zwischen Gut und Böse abspiele und sein getöteter Sohn ein Kollateralschaden dieses Kriegs sei. Die Polizei, sichtlich unter Druck, greift nach jedem Strohhalm und ist für jedes Indiz dankbar, das der Lösung des Falles dient, am besten Geständnisse. Ein solches liefert dann der geistig Zurückgebliebene, wenn auch lückenhaft und voller Widersprüche. Und dann taucht ein angeblicher Freund der Getöteten auf und erklärt, er sei dabei gewesen als sie starben. Er erzählt wilde Geschichten über Blutopfer und wie er gezwungen worden sei, das Blut der anderen zu trinken. Auch hier: Widersprüche und Ungereimtheiten, aber die Ermittler sind heilfroh belastbare Aussagen zu haben. Dies alles trifft auf eine Justiz, der ebenfalls daran gelegen ist, den unappetitlichen Fall schnell und zur Zufriedenheit aller – außer vielleicht der Angeklagten – zum Abschluss zu bringen.

Doch bringt das Drehbuch von Paul Harris Boardman und Scott Derrickson, Leveritt war zumindest beratend beteiligt, all diese Zutaten in keine kohärente Erzählung, vor allem nicht in einen Zusammenhang, der über ein biederes und in dieser Form schon tausende Male gesehenes Justizdrama hinausweist. Da gibt es eine Mutter, gespielt von der immer mehr an Statur gewinnenden Reese Witherspoon, die um ihren Sohn trauert, der bald aber erste Zweifel kommen, ob sich die Dinge wirklich so abgespielt haben können, wie behauptet. Doch weder behandelt der Film die Trauer – in THE SWEET HEREAFTER hat Egoyan bewiesen, wie feinfühlig er gerade mit einem solch diffizilen Thema umzugehen weiß – noch bspw. das Zerwürfnis zwischen der Mutter und ihrem Mann, der in Wirklichkeit nur der Stiefvater des Jungen gewesen ist, was der Film nie wirklich deutlich macht. Dafür deutet er in einigen Szenen eine Verwicklung des Mannes mit dem Fall an, die sich in der Realität dann später tatsächlich ergab, hier aber als loses Ende herumliegt, bis sie am Ende für einen kurzen Moment noch einmal aufgegriffen wird. Auch die Geschichte der Schwester des getöteten Jungen wird in einer einzigen Szene angedeutet, dann fallen gelassen. Der religiös verbrämte Vater eines der anderen Opfer tritt mehrfach auf, ist schon im Erscheinungsbild als ein auffälliger Mann markiert – Aficionados werden sich an manchen Massenmörder aus einschlägigen Splatterfilmen erinnert fühlen – , hält seine wirren Reden, aber nie geht der Film dem nach, nie wird bspw. eine Gesellschaft näher unter die Lupe genommen, in der die Religion eine derart zentrale Rolle spielt und die wahrscheinlich für Erzählungen von vermeintlich satanischen Ritualen anfällig ist. Und die, provinziell, wie sie nun einmal ist, wahrscheinlich auch schnell dazu neigt, Außenseiter zu verdächtigen. Und die drei Tatverdächtigen waren im Herzland der Country Music mit ihrem seltsamen Musikgeschmack und ihren seltsamen Interessen für das Okkulte eben genau das – Außenseiter. All dies wird behauptet, hier und da bebildert – wir werden u.a. Zeugen einer Taufe, der sich die Mutter eines der Opfer unterzieht – aber weder analysiert noch vertieft. Nicht inhaltlich und auch nicht auf der Bildebene.

All diese Möglichkeiten lässt der Film verstreichen und bietet uns stattdessen ein biederes Gerichtsdrama. Mit der Figur des von Colin Firth gespielten Ron Lax, eines Privatdetektivs, der den Anwälten der angeklagten Jungs seine Dienste pro bono anbietet, da er erklärter Gegner der Todesstrafe ist, tritt ein edler Retter auf, der sich möglicherweise aber auch nur von seinem eigenen Unglück – seine Frau lässt sich gerade von ihm scheiden – ablenken will. Ein weiterer Pfad, dem man hätte folgen können, der aber im Verlauf des Films keine weitere Aufmerksamkeit erfährt. Auch hier liegt übrigens eine interessante Parallele zu THE SWEET HEREAFTER vor, wo ein Anwalt auftritt, der die Trauernden im Dorf dazu anregt, Klage gegen den Hersteller des Busses einzureichen, selbst aber eine drogenabhängige Tochter hat, die ihm mehr und mehr entgleitet – ein Verlust, den er möglicherweise verarbeiten will, indem er die ihm fremden Menschen im Dorf vertritt.

Es ist schade, dass Buch und auch die Regie all diese Möglichkeiten verstreichen lassen, denn hier hätte es wahrlich die Chance gegeben, eine scharfe Analyse des amerikanischen Heartlands vorzunehmen und dabei etliches über dieses Land und darüber, weshalb es auseinanderdriftet, zu erfahren. Die dafür nötigen Schauspieler sind vorhanden – auch in den Nebenrollen ist der Film mit Leuten wie Bruce Greenwood oder Elias Koteas hervorragend besetzt – , mit Atom Egoyan hat es einen Regisseur, der eigentlich die notwendige Sensibilität mitbringt, die Story an sich ist spannend und rund. Doch ist es letztlich das Drehbuch und, leider muss man es so sagen, Egoyans doch recht konventionelle Inszenierung, die stark zu früheren Arbeiten kontrastiert, die den Film versanden lassen. Zumal er dann auch noch scheinbar mitten in der Story endet.

Die späteren Entwicklungen des Falles, die im Grunde weitaus interessanter sind als alles, was der Film erzählt, werden uns auf Schrifttafeln mitgeteilt. Dies just zu einem Zeitpunkt, an dem die Handlung erstmals Fahrt aufnimmt, weil sich die von Witherspoon gespielte Pam Hobbs, Mutter eines der getöteten Jungen,  entscheidet, den Verdacht gegen ihren Mann mit Ron Lax zu teilen und diesem das Messer ihres toten Jungen übergibt, welches sie bei seinen Werkzeugen gefunden hat. Auch dessen (mögliche) Verwicklung in den Fall – bei DNA-Tests im Jahr 2007 wurde festgestellt, dass es Material gab, welches zwar mit keinem der Angeklagten, wohl aber mit dem Stiefvater des toten Kindes übereinstimmte – wird uns lediglich auf einer Schrifttafel mitgeteilt. Stellt sich die Frage, weshalb sich der Film dann nicht noch wenigstens 20 Minuten Zeit genommen hat, um diese Entwicklungen ebenfalls zu zeigen, anstatt sie lediglich zu behaupten. Es entsteht der ungute Eindruck, dass der Regisseur schlicht keine Lust mehr hatte und froh gewesen ist, seinen Film irgendwie zu einem Abschluss zu bringen. Möglicherweise ahnte Atom Egoyan ja, dass ihm hier kein großer Wurf gelungen ist.

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