THE SQUARE

Ruben Östlund bietet in seinem Cannes-Gewinner eine böse Analyse liberaler Gesellschaften

Christian (Claes Bang) ist Kurator an einem Museum für zeitgenössische Kunst in Stockholm. In einem Interview mit der Journalistin Anne (Elisabeth Moss) stellt er Zusammenhänge komplizierter konzeptueller Kunstmodule dar. Anne zeigt sich von der jungenhaften Eloquenz des intellektuellen Kulturschaffenden beeindruckt.

Christian arbeitet an den Vorbereitungen zu einer neuen Ausstellung, welche zentral ein Kunstwerk namens The Square ausstellt. Dabei geht es um einen auf dem Vorplatz des Museums markierten Rechtecks, in welchem jeder Mensch gleich, mit gleichen Rechten und Pflichten, ausgestattet ist und in welchem jedem Menschen geholfen wird.

Christian beschwört den Zusammenhalt in der Gesellschaft, daß die Menschen wieder zueinanderkommen, aufeinander achten und helfen müssten.

Bei einem Trickdiebstahl, bei dem eine Frau um Hilfe ruft, ihr Mann wolle sie umbringen, und Christian gemeinsam mit einem Freund dem Angreifer entgegentritt, werden ihm das Handy, die Brieftasche und seine Manschettenknöpfe gestohlen. Gemeinsam mit seinem Assistenten entwirft Christian den Plan, in dem Hochhaus an einem sozialen Brennpunkt, wo sie das Handy orten konnten, einen Brief in sämtliche Briefkästen zu werfen, in welchem der Dieb aufgefordert wird, das Handy die anderen Gegenstände in einer Bäckerei, in der er täglich ein Brötchen kauft, zu hinterlegen. Tatsächlich werden Handy und Portemonnaie zurückgegeben. Seine Manschettenknöpfe hatte Christian zuvor zuhause gefunden, er hatte sie lediglich vergessen.

Abends trifft Christian auf einer wilden Party, die zum Teil ins königliche Schloß verlegt wird, auf Anne. Sie landen schließlich bei ihr, wo Christian feststellt, daß sie ihre Wohnung offenbar mit einem Schimpansen teilt. Leicht irritiert lässt sich Christian dennoch auf Sex mit der Journalistin ein.

Das Museum hat eine Agentur beauftragt, The Square multimedial zu bewerben. Die damit beauftragten Werber entwerfen ein Video, das bewußt der Intention des Kunstwerks widerspricht. Anstatt Zusammenhalt und Eintracht zu fördern, zeigt es ein bettelndes, blondes Kind. Wie der Clip abgeschlossen werden soll, wissen die Jungwerber noch nicht.

Am kommenden Tag findet Christian erneut eine Nachricht beim Bäcker: Er wird aufgefordert, sich unter einer bestimmten Nummer zu melden und sich dafür zu entschuldigen, daß er den Absender als Dieb bezeichnet habe. Christian ist auch davon irritiert und ignoriert den Brief.

Im Museum kommt es zu einem Malheur: Ein Ausstellungsgegenstand der aus Kieshaufen besteht, wurde fälschlicherweise zum Teil vom Putzdienst abgeräumt. Christian bittet die Mitarbeiterin, die ihn informiert, nichts an die Versicherung zu melden. Stattdessen wollen die beiden die Müllsäcke leeren und den Kies wieder aufhäufen.

Anne stellt Christian zur Rede: Ob die gemeinsame Nacht ihm etwas bedeute? Für sie sei es mehr als Sex gewesen. Christian windet sich und mag sich zu keiner eindeutigen Aussage hinreißen lassen. Anne wirft ihm vor, lediglich ein Charmeur zu sein, der seine Machtposition ausnutze. Christian erwidert, sie sei ja offenbar von Macht auch angezogen.

Als Christian wieder in die Bäckerei kommt, stellt sich ihm ein Junge von vielleicht 12 Jahren in den Weg. Er ist furchtbar aufgeregt und will von Christian eine Entschuldigung für den Brief – offenbar ist der Junge der Absender des zweiten Briefs. Wenn seine Eltern nicht davon überzeugt würden, daß er kein Dieb sei, dann bekäme er zwei Wochen Hausarrest und Fernsehverbot. Christian wimmelt das Kind mit Hilfe einer der Angestellten der Bäckerei ab.

Es gibt ein Gala-Diner für die Freunde des Museums, bei dem der Künstler Oleg (Terry Notary) eine Performance-Vorstellung liefert, die aus dem Ruder läuft. Er greift einzelne Gäste an und betatscht schließlich eine Frau, die er an den Haaren aus dem Raum zu schleifen beginnt, bevor sich irgendwer im Publikum dazu bereit erklärt, dem Einhalt zu gebieten. Als ein alter Mann schließlich dazwischengeht, greifen auch andere Männer ein und gemeinsam verprügeln sie den Künstler.

Christian hat zwei Töchter, die er abwechselnd mit seiner Exfrau betreut. Er geht mit ihnen in ein großes Kaufhaus, wo er sie im Gewimmel verliert. Er bittet einen Bettler, den er zuvor – wie er es bei allen Bettlern tut – damit abgewimmelt hatte, kein Bargeld bei sich zu tragen, auf seine Taschen und Tüten aufzupassen, bis er die Mädchen gefunden habe. Derweil erhält er einen Anruf, bei dem ihm eine weibliche Stimme mitteilt, daß der Clip des Museums bereits 300.000 Klicks erhalten habe. Christian zeigt sich überrascht, da er nicht wusste, daß der Clip überhaupt schon online ist.

Im Museum herrscht heillose Aufregung, da der Clip zeigt, wie das bettelnde, blonde Mädchen, als es in den Square geht, bei einer Explosion in die Luft gesprengt wird. Der Aufsichtsrat ist außer sich. Christian steht unter enormen Druck.

Als er mit seinen Töchtern heimkommt, wird er im Hausflur erneut von dem Jungen abgefangen. Wieder fordert der eine Entschuldigung für den Brief. Christian zeigt sich sehr ungehalten und brüllt das Kind an. Es kommt zu einem Gerangel, bei dem der Junge die Treppe hinunterstürzt. Christian geht in die Wohnung, hört aber noch länger das Rufen des Kindes, bis es erstirbt. Schließlich sieht er ein, daß es ein Fehler war, den Brief so zu schreiben. Er durchsucht die Mülltonnen seines Hauses, um den Zettel wieder zu finden, auf dem die Nummer stand. Als er dort anruft, hat er lediglich eine Mailbox dran, auf die er seine Entschuldigung und Rechtfertigung stottert.

Anderntags muß er sich bei einer Pressekonferenz für den Videoclip zu The Square erklären. Er sagt, daß er seiner Aufgabe als Kurator, zu der auch die Absegnung sämtlicher kommunikativer und medialer Vorgänge gehöre, nicht nachgekommen sei und deshalb zurücktrete. Die Presse goutiert dies aber keineswegs, sondern wirft ihm Einschränkung der Meinungs- und Kunstfreiheit vor. Christian ist rat- und hilflos, wie er mit den Vorwürfen umgehen soll.

Abends fährt er in die Hochhaussiedlung, wo der Junge lebt und er die Briefe eingeworfen hatte. Er schellt sich durch die Etagen, kann den Jungen aber nicht finden. Ein Nachbar erklärt ihm, den Jungen schon Tage nicht mehr gesehen zu haben. Vielleicht sei er ja wegegezogen. Christian und seine Töchter fahren durch die Nacht…

Sich über eine snobistische, abgehobene, im oberen gesellschaftlichen Segment angesiedelte Gruppe lustig zu machen, kann wohlfeil sein. Es kann billig wirken, es kann dazu verleiten, mit allzu abgedroschenen Mitteln jene aufs Korn zu nehmen, die für das Gros des Zuschauers eh unerreichbar und deshalb leicht zu karikieren, zu persiflieren und zu denunzieren sind. Gerade wenn es um Kunst- und Kulturschaffende geht, Schwätzer, die sich gern in ausschweifenden Reden über Dinge unterhalten, die sowieso niemand versteht und eigentlich auch keinen interessieren.

Wohlfeil also – es sei denn, man geht die Sache so an, wie es Ruben Östlund in seiner Kunst- und Gesellschafts-Farce THE SQUARE (2017) macht, mit der er 2017 die Goldene Palme beim Filmfestival von Cannes gewann. Östlund macht es sich eben nicht einfach, indem er seine Protagonisten – vor allem den Kurator Christian – und die Szene, in der sie sich bewegen der Lächerlichkeit preisgibt, sondern im Gegenteil die Kunst und deren ökonomische Verwertung sehr ernst nimmt, sie rückkoppelt an gesellschaftliche Bedingungen und Entwicklungen und die Geschehnisse seines Films immer weiter in Dilemmata treibt, in nicht mehr auflösbare Situationen, in denen die Widersprüchlichkeit dessen, was mit Kunst erreicht werden soll, was mit Kunst gesagt werden kann, und ihrer Wirkungsmacht in die Gesellschaft hinein immer drückender spürbar ist. Er scheut sich dabei nicht, auch auf Mittel wie die eingangs genannten zurück zu greifen. Doch selbst diese sind immer im Sinne einer Analyse zu betrachten, sind immer Mittel zum Zweck, im Grunde tragische Entwicklungen zu beschreiben.

Schon zu Beginn des Films werden wir mit einem Interview konfrontiert, in dem Christian einer Journalistin einen Text zu einer Podiumsdiskussion erklären soll, der vor Fremdworten und höchst intellektuellen Gedankengängen nur so strotzt und dem Kurator alles en Erklärungsvermögen abverlangt. Bis er schließlich auf denkbar einfache Muster zurückgreift. An einer späteren Stelle des Films gibt es ein Künstlergespräch coram publico, das dauernd von einem Mann unterbrochen wird, der, laut der Aussage seiner Frau, am Tourette-Syndrom leidet und ständig Obszönitäten in den Raum brüllt. Natürlich sind dies Momente, die die Grenze zur Albernheit zumindest streifen – und doch auch etwas aufdecken, das wesentlich ist. Mit einer wirklichen Wirklichkeit konfrontiert, während man dauernd über reale Realitäten redet, in einem abgeschlossenen, hegemonialen und homogenen Raum redet, kann zu einem wahren Kultur-Clash führen. Einem Culture-Clash.

Die Idee des titelgebenden Square ist eigentlich eine schöne: Ein Raum, ein imaginärer Raum-im-Raum, in dem „alle die gleichen Rechte und Pflichten haben, in dem jedem geholfen wird“. Dieser Raum wird auf dem Platz (English: square) vor dem Museum für moderne Kunst in Stockholm markiert. Hier soll symbolisch also dieser Raum entstehen, in dem „jedem geholfen wird“, wo alle Menschen nominell gleich sind. Christian und sein Team vertreten bei jeder sich bietenden Gelegenheit liberale und pluralistische Ideen einer toleranten Gesellschaft, die mit  der Idee hinter dem Kunstwerk korrespondieren. Östlund konterkariert diese Idee von Anfang an mit Bildern von Bettlern. Bettler spielen eine wesentliche Rolle in seinem Film, wenn sie einerseits als aufdringlich und fordernd wahrgenommen (und auch dargestellt) werden, wenn sie benutzt werden, weil sie gerade zur rechten Zeit kommen, sie sind aber auch Material in Östlunds Bildern. Seine oft starre, lange beobachtende Kamera hält auf ihr Elend, zeigt schlafende, bittende, dreckige, verwahrloste, suchende Menschen, umgeben von Bürgern, die in Anzug und Krawatte, oft mechanisch wirkend, ihren Tagesgeschäften nachgehen. Soziale Ungerechtigkeit, gesellschaftliche Ungleichheit ist hier überall spürbar, immer sichtbar. Im Grunde, so der Film, ist ein Kunstwerk, um uns auf die Ungleichheit hinzuweisen, nicht nötig. Wer sehen kann, der siehe! Es sieht aber keiner, weil in diesem Film diejenigen, um die es geht – allen voran Christian – vor allem mit sich und ihren Bedürfnissen und Belangen  beschäftigt sind. Und in den entscheidenden Momenten wird gerade Christian seinen aufgeklärten, modernen und liberalen Ansichten nicht gerecht.

Dieser Christian, ein gutaussehender Mittvierziger, ist als Kurator des Museums verantwortlich für die kommende Ausstellung, bei der The Square eine wesentliche Rolle spielen wird. Er setzt seine PR-Abteilung darauf an, diese Ausstellung entsprechend provokativ zu bewerben, diese Werbung wird ihm schließlich beruflich das Genick brechen, weil er im entscheidenden Augenblick nicht aufpasst und einen Werbefilm viral gehen lässt, der der Idee des Square nicht nur diametral widerspricht – in einer herrlichen Szene werden wir Zeugen zweier mit der Vermarktung beauftragter Jungspunde, die in ihren Augen fantastische Ideen präsentieren, die bei den Mitarbeitern des Kuratoriums offensichtlich auf Unverständnis stoßen, denen sich aber niemand entgegenstellt, weil es ja sein könnte, daß man nicht an Spitze der diskursiven Entwicklung steht und somit Dinge sagen könnte, die alle für dumm halten – sondern auch an Geschmacklosigkeit kaum zu überbieten ist. Christian seinerseits ist viel zu sehr mit persönlichen Belangen beschäftigt – ihm wurden sein Handy, die Brieftasche und die goldenen Manschettenknöpfe geklaut, die schon seinem Großvater gehörten, er sieht sich Anwürfen jener Journalistin ausgesetzt, mit der er das anfängliche Interview geführt und später eine Nacht verbracht hat, er muß sich um seine Kinder aus einer geschiedenen Ehe kümmern  – als daß er sich um Kleinigkeiten wie die wichtigste Ausstellung des Jahres kümmern könnte. So nimmt das Unheil auf vielen Ebenen seinen Lauf. Es entwickelt sich vor den Augen des Zuschauers im wahrsten Sinne die Tragödie eines lächerlichen Mannes, um an dieser Stelle den Titel eines Films von Bernardo Bertolucci zu nutzen.

In der Figur Christian kommt eine weitere Bedeutung des englischen Begriffes square zur Anwendung: Es ist ein umgangssprachlich abwertender Begriff, der dem Deutschen „Spießer“ entspricht. Christian, der sich in bedeutungsvollen Sätzen über die Uneigentlichkeit des nicht Ausstellbaren ergehen kann, der es immer richtig machen will, als Mensch, als Vater, als Kurator, als Mitglied einer demokratischen Gesellschaft, entpuppt sich in entscheidenden Momenten eben als Kleingeist. Er geht mit einer Journalistin ins Bett, will sich aber nicht zu ihr bekennen, er wimmelt Bettler mit fadenscheinigen Begründungen ab, wenn sie um ein Almosen bitten. Um sein Handy wieder zu erlangen, greift er auf die Idee seines Assistenten zurück, der das Gerät in einem Hochhaus in einem sozialen Brennpunkt orten konnte und vorschlägt, nun in sämtlichen Briefkästen dort eine drohende Aufforderung zu hinterlassen, Telefon, Portemonnaie und Manschettenknöpfe innerhalb von 24 Stunden zurückzugeben, sonst… Zwar gelingt es auf diese Art, die Gegenstände wirklich zurück zu erhalten – außer den Manschettenknöpfen die hat Christian bereits zuvor wiedergefunden, er hatte sie schlicht vergessen – , doch kommt es zu einer Konfrontation mit einem Jungen, der von dem Kurator eine Entschuldigung verlangt, da seine Eltern durch den Brief in der Annahme sind, der Kleine sei ein Dieb.

Nicht nur, aber doch gerade im Umgang mit diesem Kind, wird deutlich, wie sehr auch bei einem Menschen wie Christian Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Es ist eine von zwei aller Komik, die der Film ansonsten in hohem Maße hat, hohnsprechenden Szenen, in der Christian sich des Kindes – vor den Augen seiner eigenen, wohlbehüteten Kinder – im Flur des vornehmen Hauses, in dem er lebt, entledigen will und den Kleinen schließlich auf der Treppe stehen lässt. Der ruft um Hilfe, nachdem er die Treppe runtergefallen ist, doch weder Christian, noch irgendwer in diesem Haus, ist bereit, sich des Kindes anzunehmen. Erst später begreift Christian, was er getan hat und bemüht sich um Entschuldigung – doch da ist es zu spät, ist das Kind…ja, was?, verzogen?, verstorben? Östlund lässt seine Hauptfigur und das Publikum im Ungewissen, wie die Sache für den Jungen ausgegangen ist. Nachdem er auf der Treppe, nach einem Schubser des Mannes, weggerutscht ist, bekommen wir ihn nicht mehr zu Gesicht. Wohl hören wir eine Weile seine Stimme, die immer leiser im Hausflur um Hilfe ruft.

Spätestens hier bleibt dem Betrachter jedes Lachen im Halse stecken. Doch zuvor wird der Zuschauer mit einer Live-Performance bei einer Diner-Gala im Museum konfrontiert, bei der der Künstler Oleg, animalische Laute ausstoßend und einen Affen imitierend, die anwesenden Gäste bedroht, bis es zu einer wüsten Schlägerei  kommt. Doch bevor einzelne bereit sind, sich gegen die übergriffigen Anmaßungen des Künstlers zu behaupten, darf dieser sehr, sehr weit gehen. Er bedroht einzelne Gäste, packt ihnen ins Haar, ins Gesicht, er deutet Gewaltbereitschaft an und rückt schließlich einer Frau auf die Pelle, bis er sie ernsthaft an den Haaren, einer Beute gleich, hinter sich herzieht. Die restlichen Gäste sitzen da, einige lachen, solange sie nicht selber betroffen sind, als die Situation zu eskalieren droht, versuchen sie angestrengt, keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Dies sind die vielleicht unerträglichsten fünf Minuten, die man seit Jahren auf der Leinwand erleben musste und zugleich kulminiert hier all das, was THE SQUARE in seiner Gesamtheit zum Ausdruck bringt. Die Widersprüchlichkeit, das Dilemma, die bürgerliche Verdrossenheit und Feigheit, die Diskrepanz zwischen eigenem, liberalem Anspruch und dem, was der einzelne wirklich zu leisten bereit ist, wenn Haltung gefragt ist. Auch hier macht es Östlund uns und seinen Figuren nicht leicht. Denn wie soll man sich verhalten, wenn man als Gast bei einer Gala einer Kunst-Performance beiwohnt? Wenn man, wie es die Protagonisten des Films dauernd tun, die ganze Zeit  postuliert, daß Kunst über Grenzen zu gehen habe und Mauern einreißen solle und Tabus brechen müsse? Wann greift man ein? Wann ist eine rote Linie überschritten und kippt ein Kunstwerk in sein Gegenteil, was immer das ist? Wird man in der U-Bahn Zeuge einer Bedrohung Dritter, ist es die Frage der eigenen Haltung und des Muts, den man aufbringt, um sich einem Angreifer in den Weg zu stellen. Doch auf höherer Ebene, auf gesellschaftlicher Ebene, sind die Grenzen sehr viel fließender und weniger klar definiert. Nachdem dann der erste – bezeichnenderweise ein alter Mann – sich doch erhebt und einschreitet, strömen immer mehr Männer hinzu und prügeln auf den Künstler los. Eie bedrückende Szene. Und auch sie – bar aller Komik. Der Zuschauer des Films wird plötzlich an die Stelle der Leute im Publikum gesetzt und mit sich selbst und dem konfrontiert, worüber er immerhin eben noch lachen konnte. Wenn er schon nicht eingreifen kann.

Die Szene korrespondiert mit jener, in der Christian seine Utensilien geklaut werden. Da ruft eine Frau um Hilfe und der Kurator, gemeinsam mit einem Freund, zeigt genau die durch ein Kunstwerk wie The Square eingeforderte Courage. Leider entpuppt sich der vermeintliche Überfall als Trick, um die Helfer zu beklauen. Wie also damit umgehen, wenn man wirklich Haltung zeigt – und genau diese Haltung dann ausgenutzt wird? Wie will man eine Haltung in einer Gesellschaft finden, die dauernd in Widersprüchen feststeckt und deren Liberalismus vielleicht eher ein Aushängeschild ist, als eine wirkliche Haltung? Immer wieder konfrontiert Östlund den Zuschauer mit diesen Fragen – mal subtil, mal sehr explizit – und bietet nie, an keiner Stelle, eine mögliche Antwort, gleich gar keine befriedigende.

Östlund findet zur Untermauerung seiner inhaltlichen Thesen Bilder, die seine Haltung unterstützen. Er unterläuft, ja irritiert Sehgewohnheiten, er konfrontiert den Zuschauer mit langen Einstellungen, verweigert in Dialogsituationen Gegenschnitte, so daß der Zuschauer gelegentlich den Eindruck erhält, selber an Stelle eines Gesprächspartners zu sitzen, er hält bestimmte Bilder solange fest, bis das Zuschauen auf oft sprachlose Momente fast zu einer Tortur wird. Andere Bilder beschwören selbst fast Kunst herauf, bspw. wenn er uns einen Schatten auf einem Bodenbelag des Platzes vor dem Museum solange zeigt, bis das Raumgefühl des Betrachters aufgehoben wird und unsicher ist, wo in diesem Bild eigentlich oben, wo unten ist. Und wo in dieser Gesellschaft ist oben, wo unten? THE SQUARE ist ein Film, der auf sehr unterschiedlichen inhaltlichen wie formalen, stilistischen Ebenen eine Hilflosigkeit, manchmal Ratlosigkeit ausstellt, die sprachlos macht. Die Rückkoppelung der Kunst-  und Museumsszene mit einer Gesellschaft, der sie sich wenn nicht überlegen, so doch als Avantgarde voranschreitend begreift, ist ein kluger Zug. Da, wo wir uns unserer selbst im Kulturellen versichern, da wo wir um unserer selbst willen, scheinbar ohne kommerzielle Eigeninteressen, zu spiegeln und auch zu ermahnen suchen, dort, wo eine Gesellschaft vielleicht ganz bei sich selbst sein sollte, da wird unser Versagen überdeutlich.

Östlunds Film ist komisch auf eine oft hintergründige, feinsinnige Art und Weise, er stellt die Kulturschaffenden allerdings auch bloß. Ebenso stellt er seinen Hauptprotagonisten Christian in seiner grenzenlosen Selbstüberschätzung, Eitelkeit und Egozentrik bloß. Er zeigt Menschen, die genau jene Schwelle nicht übertreten können, die in der Kunst, die sie fördern und vertreiben, dauernd postuliert und eingerissen wird. Im Gegenteil – es kommt in mehr als einer Situation eine stille Verachtung dem Außen des kulturellen Bereichs  gegenüber zum Ausdruck. An dieser Schnittstelle ist Östlund dann eben auch bereit, auf gröbere Mittel, wie die eingangs geschilderten, zurückzugreifen. Zugleich aber zeigt er durchaus das ernsthafte Bemühen, das Kunst eben sein kann und ja auch oft ist. Umso bezeichnender, daß im ganzen Film kaum Künstler vorkommen. Lediglich jener vom Touretter unterbrochene, der später, während der eruptiven Performance seines Kollegen Oleg, die Flucht ergreift, wird als Person gezeigt. Und so attestiert Östlund auch den Kunstschaffenden, nicht nur den Kulturschaffenden, Unverständnis und Entfremdung. Nicht einmal ein Kollege ist in der Lage, die Spannung auszuhalten, die Olegs Auftritt erzeugt. Nicht einmal er findet einen Umgang damit. Geschweige denn, daß er in der Lage wäre, einen kreativen Umgang mit dem Affront zu finden.

Eine sozial-liberale Gesellschaft wie die schwedische wird durch eine Diagnose, wie Östlund sie stellt natürlich besonders angegriffen. THE SQUARE greift also gerade in Skandinavien geschehende gesellschaftliche Umbrüche auf und seziert sie genau da, wo diese Gesellschaften sich ihrer besonders sicher gewesen sind. Wenn der Film scheinbar unvermittelt ausblendet, ohne daß wir als Publikum irgendeinen Anhaltspunkt hätten, wie es nun mit Christian, dem Jungen, der verschwunden ist, mit The Square als Kunstwerk und dem Museum als angegriffener Institution weitergeht, dann ist das genau so folge-richtig. Folgt man dem Film in seiner Analyse, gibt es aus den geschilderten Widersprüchlichkeiten, wie in jener Situation während Olegs Performance, schlicht keinen Ausweg mehr. Wir alle haben uns in eine Situation zwischen liberalem Anspruch, persönlichem Erfolg und sozialer Wirklichkeit manövriert, die keine Lösung mehr erkennen lässt – außer, siehe die Performance-Szene, Gewalt. Ein Gedanke, der sehr beunruhigende Implikationen in sich trägt.

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